Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 14.11.2012, Az. 2 Sa 474/12

2. Kammer | REWIS RS 2012, 1397

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Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 08.02.2012 - 8 Ca 1518/11 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erfüllung der Vergütungsansprüche des Klägers in der Zeit von Februar 2011 bis einschließlich Mai 2011 in Höhe von insgesamt 1.973,60 Euro netto.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Kurier-Fahrer seit dem 12.04.2010 beschäftigt.

Unter dem 03.01.2011 erließ das Amtsgericht Bochum in dem Zwangsvollstreckungsverfahren 49 M 3964/10  auf Antrag der Streitverkündeten H1 Versicherungs AG wegen ihr gegen den Kläger zustehenden Ansprüche in Höhe von seinerzeit 1.541,62 Euro einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, durch den die Streitverkündete auch das Arbeitseinkommen des Klägers pfändete. Wegen Einzelheiten dieses Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, der keine Angaben zur Höhe des pfändbaren Arbeitseinkommens enthält, und der der Beklagten am 11.11.2011 zugestellt wurde, wird auf Blatt 135 bis 143 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Auf der Grundlage eines weiteren Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 21.01.2011 betrieb die Streitverkündete gegen den Kläger die Zwangsvollstreckung durch Pfändung des Kontoguthabens. Mit Beschluss vom 28.01.2011 hob das Amtsgericht Bochum die Pfändung der Forderung des Klägers auf Auszahlung seines Kontoguthabens „bei der o.g. Drittschuldnerin, das vom Arbeitgeber des Schuldners  monatlich auf das gepfändete Konto überwiesen wird auf und führte zur Begründung folgendes aus:

Dieser Betrag entspricht dem monatlichen auf das Konto eingehenden unpfändbaren Arbeitseinkommen, da das Arbeitseinkommen des Schuldners, ebenfalls durch den vorbezeichneten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gepfändet ist.

Diese Entscheidung gilt nur so lange das Konto nicht als Pfändungsschutzkonto im Sinne des § 850 k ZPO (B-Konto) geführt wird und im Übrigen bis zum 31.12.2011.

Mit dem vorbezeichneten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist das Konto des Schuldners bei dem angegebenen Drittschuldner gepfändet worden. Der Schuldner hat durch Vorlage von Gehaltsbescheinigung und Kontoauszug nachgewiesen, dass der unpfändbare Teil seines Arbeitseinkommens laufend auf das gepfändete Konto überwiesen wird.

Die Pfändung war daher gemäß § 850 l Abs. 1 ZPO insoweit aufzuheben, als es sich um die gemäß §§ 850 ff. ZPO unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens handelt.

Mit weiteren Beschluss vom 01.02.2011 (Bl. 8, 9 d. A.) ergänzte das Amtsgericht Beschluss vom 28.01.2011 dahingehend, dass „der pfandfreie Betrag zurzeit monatlich 989,99 Euro" betrage. Zur Begründung führt das Amtsgericht Bochum aus, der Schuldner habe weitere Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Gericht nicht nachgewiesen, so dass er momentan lediglich als Alleinstehender berücksichtigt werden könne. Diese Beschlüsse wurden u.a. der Beklagten zugestellt, die darin unter Ziffer 3) als Drittschuldnerin bezeichnet wurde.

Ausgehend von den Beschlüssen des Amtsgerichts Bochum vom 28.01.2011 und 01.02.2011 zahlte die Beklagte an den Kläger in den Monaten Februar bis einschließlich Mai 2011 lediglich einen Nettobetrag in Höhe von 989,99 Euro aus. Die darüber hinausgehenden Nettobeträge in Höhe der Klageforderung zahlte die Beklagte an die Streitverkündete aus.

Bereits mit Schreiben vom 03.03.2011 forderte der Kläger die Beklagte zur Auszahlung des restlichen Nettobetrages für Februar 2011 auf, was die Beklagte mit Schreiben vom 15.03.2011, das unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum ablehnte. 

Mit der am 08.04.2011 beim Gericht eingegangenen Klage sowie der Klageerweiterung vom 13.05.2011 und 17.06.2011 verlangt der Kläger die Auszahlung der restlichen Nettobeträge. Im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens überreichte der Kläger mit Schriftsatz vom 13.10.2011 die Eheurkunde vom 02.12.2010 (Bl. 101 d. Akte) und mit Schriftsatz vom 23.11.2011 drei Geburtsurkunden des Standesamtes B1 vom 01.10.2011, 20.10.2011 und 27.10.2011, aus denen hervorgeht, dass er Vater von drei Kindern ist.

Der Kläger hat zur Begründung seiner Klageforderung vorgetragen, dass er verheiratet und im streitgegenständlichen Zeitraum Vater von zwei Kindern gewesen sei, so dass die Beklagte zu Unrecht lediglich einen Betrag von jeweils 989,99 Euro netto ausgezahlt habe. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum vom 28.01.2011 sowie 01.02.2011 stünden dem nicht entgegen, da Gegenstand dieser Beschlüsse nicht seine Gehaltsansprüche gegenüber der Beklagten gewesen seien.

Der Kläger hat beantragt,

1.       die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 953,52 EUR netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.04.2011 zu zahlen.

2.       Die Beklagte wird verurteilt, an ihn weitere 543,23 EUR netto zu zahlen.

3.       Die Beklagte wird verurteilt, an ihn weitere 474,85 EUR netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe seine bestehenden Unterhaltspflichten gegenüber der Ehefrau und den Kindern im Zeitpunkt der jeweiligen Lohnzahlungen nicht ordnungsgemäß ihr gegenüber nachgewiesen, so dass sie zu Recht ihn als alleinstehend angesehen und die Pfändbarkeitsfreigrenzen mit 989,99 Euro monatlich ermittelt habe. Auf einen nachträglichen Nachweis bestehender Unterhaltsverpflichtungen könne sich der Kläger nicht berufen. Die Angaben auf der Lohnsteuerkarte seien für die Ermittlung der Pfändungsfreigrenzen nicht maßgeblich. Darüber hinaus sei sie jedenfalls gemäß § 836 Abs. 2 ZPO an die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum vom 28.01. und 01.02.2011, welche sich nicht nur auf die Pfändung des Kontoguthabens des Klägers, sondern auch auf die Pfändung seines Arbeitseinkommens bezögen und ihr als Drittschuldnerin zugestellt worden seien, gebunden gewesen. Ein anderes Auslegungsergebnis sei schwer vorstellbar, weil sie einen höheren Betrag auf das Konto des Klägers überweisen müsste, als den Betrag, den das Kreditinstitut an den Kläger auszahlen dürfte. Es sei Sache des Klägers gewesen, gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum vorzugehen. Da er dies unterlassen habe, sei jedenfalls ihr Vertrauen in die Gerechtigkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum schutzwürdig.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 08.02.2012 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stünden die geltend gemachten Zahlungsansprüche als Arbeitslohn aus § 611 Abs. 1 BGB, den die Beklagte schulde. Entgegen der Ansicht der Beklagten seien die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche nicht gemäß § 362 Abs. 1 BGB durch Erfüllung erloschen, da die Beklagte Zahlung an einen Dritten, nämlich die H1 Versicherungs AG, geleistet habe. Leistungen gegenüber Dritten nach Maßgabe des § 362 Abs. 2 BGB habe aber nur dann schuldbefreiende Wirkung, wenn der Dritte vom Gläubiger zur Entgegennahme der Leistung ermächtigt worden sei oder wenn dem Dritten an der Forderung ein Missbrauchs- oder Pfandrecht zustehe. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Bochum vom 03.01.2011 habe zwar ein Pfändungspfandrecht der H1 Versicherungs AG an dem Arbeitslohn des Klägers begründet. Dieses Pfändungspfandrecht habe sich aber nicht auf die streitgegenständlichen Beträge erstreckt, da es sich dabei um unpfändbaren Arbeitslohn im Sinne des § 850 c Abs. 1 BGB gehandelt habe. Es sei als unstreitig davon auszugehen, dass der Kläger seiner Ehefrau sowie zwei Kindern, deren leiblicher Vater er sei, tatsächlich Unterhalt gewährt habe, was die Beklagte zuletzt auch nicht mehr bestritten habe. Vielmehr habe sie die fehlerhafte Rechtsansicht vertreten, der Kläger habe ihr gegenüber seine bestehenden Unterhaltspflichten gegenüber der Ehefrau und den Kindern im Zeitpunkt der jeweiligen Lohnzahlungen nicht ordnungsgemäß nachgewiesen, so dass sie ihn zu Recht als alleinstehend angesehen und die Pfändungsfreigrenzen zutreffend mit 989,99 Euro monatlich ermittelt hätte. Eine gesetzliche Verpflichtung oder Obliegenheit des von einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss betroffenen Schuldners gegenüber dem Drittschuldner Unterhaltspflichten nachzuweisen und eine Lohnpfändung bis zur absoluten Unpfändbarkeitsgrenze abzuwenden, bestehe nicht  zwingend. Vielmehr werde im Bereich der Lohnpfändung der Drittschuldner im besonderen Maße in Anspruch genommen, der bei einem als sogenannten Blankettbeschluss erlassenen Pfändungsbeschluss zur Ermittlung des pfändbaren Betrages verpflichtet sei. Fehler, die dem Drittschuldner bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens unterliegen, gingen insoweit zu Lasten des Drittschuldners, als er durch eine korrekte Leistung von seiner Leistungspflicht nicht befreit werde. Dass die Beklagte auch nur ansatzweise versucht habe zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Kläger Unterhalt gewähre und sein Arbeitslohn deshalb erweitertem Pfändungsschutz unterliegen könnte, sei nicht ersichtlich. Hierfür hätte sie allerdings bereits aufgrund der Statusangaben auf der Lohnsteuerkarte des Klägers hinreichenden Anlass gehabt. Auf einen Vertrauensschutz könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte auf bestehende Unterhaltsverpflichtungen des Klägers schlicht ignoriert und damit den ihr unterlaufenen Fehler bei der Ermittlung des pfändbaren Arbeitseinkommens in grob fahrlässiger Weise herbeigeführt habe. Zum anderen bedürfe die Beklagte auch deshalb keines Schutzes, weil sie unproblematisch in der Lage sein dürfte, die rechtsgrundlos an die H1 AG abgeführten Beträge zu kondizieren. Etwas Anderes folge auch nicht aus den Beschlüssen des Amtsgerichts Bochum vom 28.01.2011 bzw. 01.02.2011, da diese Beschlüsse lediglich die teilweise Aufhebung einer Kontopfändung im Rahmen eines Erinnerungsverfahrens nach § 766 Abs. 1 ZPO durch den Rechtspfleger ergangen seien. Innerhalb dieses Erinnerungsverfahrens sei es in der Tat eine Aufgabe des Klägers gewesen, die Erinnerung zu begründen und konkret darzulegen, welchen Angehörigen er Unterhalt gewährt habe. Dass der Kläger diesen Nachweis im Erinnerungsverfahren offensichtlich nicht geführt habe, ändere überhaupt nichts an der Obliegenheit der B Beklagten, im eigenen Interesse die maßgeblichen Pfändungsrechtlichen relevanten Unterhaltsverpflichtungen des Klägers zu ermitteln. Im Übrigen sei der Kläger nicht gehindert gewesen, jederzeit ein weiteres Erinnerungsverfahren unter Vorlage eines Nachweises über bestehende Unterhaltsverpflichtungen einzuleiten, was bereits aus den Gründen des Beschlusses des Amtsgerichts Bochum vom 01.02.2011 folge, weil danach der Kläger lediglich „momentan" also im Zeitpunkt der Entscheidung über die Erinnerung als Alleinstehender zu berücksichtigen gewesen sei. Eine Bindung der Beklagten an die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum habe nicht bestanden, weil keine Rechtsvorschrift bekannt sei, die eine Bindungswirkung von Beschlüssen oder Berichtigungsbeschlüssen des Rechtspflegers in einem Erinnerungsverfahren im Rahmen der Zwangsvollstreckung begründen könnte und die Beklagte auch nicht näher dargelegt habe, aus welchen Tatsachen eine derartige Bindungswirkung ausnahmsweise resultieren könnte.

Gegen das am 05.03.2012 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 02.04.2012 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04.06.2012 am 04.06.2012 begründet. Zur Begründung trägt die Beklagte unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der streitgegenständliche Anspruch nicht durch Erfüllung erloschen sei. Denn zum einen überspanne das Arbeitsgericht ihre Nachforschungspflicht als Drittschuldnerin und reduziere gleichzeitig die Obliegenheit des Klägers, Unterhaltspflichten nachzuweisen, in unzulässiger Weise. Insoweit gehe das Arbeitsgericht unzutreffend davon aus, dass es allein ihre Aufgabe als Drittschuldnerin gewesen sei, das pfändbare Einkommen des Klägers zu ermitteln. Es sei zwar richtig, dass bei Erlass eines sogenannten Blankettbeschlusses es grundsätzlich Aufgabe des Drittschuldners sei, die Höhe des pfändbaren Nettoeinkommens zu ermitteln. An diese Verpflichtung seien aber keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, was das Arbeitsgericht verkannt habe. Die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte des Klägers seien deswegen bei der Ermittlung der Höhe des pfändbaren Nettoeinkommens nicht zugrunde zu legen gewesen, weil sie zu Recht erhebliche Zweifel an den Angaben der Lohnsteuerkarte gehabt habe. Zum Zeitpunkt der Auszahlung der streitgegenständlichen Beträge an die Streitverkündete hätten ihr lediglich die Abstammungsurkunden der Kinder S1 und A1 vorgelegen, auf denen Angaben zur Vaterschaft des Klägers nicht enthalten seien. Darüber hinaus sei als Familienname der Kinder der Name der Mutter aufgeführt, so dass bereits aus diesem Grunde erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte bestanden hätten, die der Kläger nicht ausgeräumt habe. Im Hinblick auf die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum vom 28.02.2011 und 01.02.2011 habe das Arbeitsgericht verkannt, dass das Amtsgericht Bochum als zuständiges Vollstreckungsgericht bereits die Pfändungsfreigrenze verbindlich festgelegt habe. Da ihr die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum, in denen ausdrücklich auf die Pfändung des Arbeitseinkommens des Klägers Bezug genommen werde, in ihrer Eigenschaft als Drittschuldnerin zugestellt worden seien, sei sie an die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum auch gebunden gewesen. Diese Beschlüsse setzten entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht lediglich die Pfändungsgrenze im Hinblick auf die Kontopfändung, sondern generell für die Lohnpfändung fest. Denn eine Einbeziehung der Beklagten in das Rubrum der Beschlüsse lasse sich denknotwendig nur damit erklären, dass der Inhalt des Beschlusses auch für die Beklagte eine Bindungswirkung habe entfalten sollen. Anderenfalls wäre eine Aufnahme der Beklagten als Drittschuldnerin und die Zustellung des Beschlusses überflüssig.

Die Erfüllung der streitgegenständlichen Ansprüche durch Leistung an die Streitverkündete folge jedenfalls daraus, dass der Kläger diese Zahlung durch Aufforderung an die Streitverkündete vom 14.03.2012 zur Bestätigung der Erledigung der Angelegenheit genehmigt habe. Dementsprechend habe die Streitverkündet dem Kläger mit Schreiben vom 14.03.2012 und 31.05.2011 mitgeteilt, dass die Angelegenheit durch Zahlung beglichen worden und die Akte geschlossen worden sei. Das Verhalten des Klägers, einerseits die Zahlung der Beklagten an die Streitverkündete zu genehmigen, um dadurch Schuldbefreiung gegenüber der Streitverkündeten zu erreichen und andererseits im vorliegenden Verfahren genau diese Zahlung der Beklagten an die Streitverkündete als ihm gegenüber nicht schuldbefreiend anzusehen, sei unzulässig in sich widersprüchlich, so dass jedenfalls aufgrund des treuwidrigen Verhaltens des Klägers das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 08.02.2012 – 8 Ca 1518/11 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen das Urteil des Arbeitsgerichts.  Insbesondere sei die Beklagte mangels Bindungswirkung der Beschlüsse des Amtsgerichts nicht zur Auskehrung der streitgegenständlichen Beträge an die Streitverkündete berechtigt gewesen. Das Vorliegen einer Genehmigung der Auskehrung der unpfändbaren Nettolohnansprüche an die Streitverkündete hat der Kläger unter Hinweis darauf bestritten, dass er die Beklagte bereits mit Schreiben vom 03.03.211 zur Zahlung der offenen Ansprüche unter Hinweis auf die Pfändungsfreigrenze aufgefordert und die nicht beigefügten Schriftsätze der Streitverkündeten an ihn keine ein von ihm zu erklärende Genehmigung nicht herstellen könnten.

Wegen des Parteienvorbringens im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Die Beklagte hat die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts durch Zahlung an die H1 aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Bochum vom 03.01.2011 in Verbindung mit den Beschlüssen vom 28.01. und 01.02.2011 gemäß § 362 Abs. 2 BGB erfüllt mit der Folge, dass diese Ansprüche erloschen sind.

Es ist zwar mit dem Arbeitsgericht zunächst davon auszugehen, dass in den Fällen, in denen ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in der Form eines sogenannten Blankettbeschlusses erlassen wird, der entsprechend § 850 c Abs. 3 Satz 2 ZPO wegen der Berechnung der pfändbaren Beträge auf die Anwendung der Tabellen zu dieser Vorschrift verweist, es grundsätzlich eine Aufgabe des Drittschuldners ist, die Höhe des im Einzelfall konkret nach § 850 ff. ZPO pfändbaren Nettoeinkommens des Schuldners zu ermitteln und dem Arbeitnehmer lediglich Mitwirkungspflichten obliegen. Es entspricht dabei den im Lohnpfändungsrecht besonders wichtigen Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktibilität, dass sämtliche Beteiligten, insbesondere Gläubiger und Drittschuldner, leicht und zuverlässig feststellen können, welcher Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners gepfändet ist. Im Regelfall, von dem für die Festlegung der Maßstäbe der Lohnpfändung als einem Masseverfahren grundsätzlich auszugehen ist, haben Gläubiger und Drittschuldner gar nicht die Möglichkeit, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, weil sie meist die Familien- und Vermögensverhältnisse des Schuldners und seiner Angehörigen nicht näher kennen. Bei einer entsprechenden Überprüfungs- und Feststellungspflicht würden sie sich dem Risiko aussetzen, dass ihre Einschätzungen späterer gerichtlicher Überprüfung nicht standhalten und erhebliche Nachteile an Schadens- und Kostenfolgen für sie nach sich ziehen. Materielle Fragen des Unterhaltsrechts hat daher der Drittschuldner selbst nicht nachzuprüfen und verantwortlich zu klären (vgl. BAG, Urteil vom 23.02.1983 – 4 AZR 508/81 -, DB 1983, 1263; OLG Karlsruhe, Urteil vom 07.07.2009 – 8 U 85/07 -, FamRZ 2010, 56; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., 2010, Rdnr. 1054 ff.).  Da es nicht sachgerecht wäre, dem Arbeitgeber als Drittschuldner in Fällen von Blankettbeschlüssen gemäß § 850 c Abs. 3 Satz 2 ZPO die Aufklärungslast – und das damit verbundene Risiko – für ihm nicht zugängliche Tatsachen zur differenzierten Beurteilung materieller Unterhaltsfragen aufzuerlegen. Dementsprechend geht auch die weitaus überwiegende Meinung zu Recht davon aus, dass der Arbeitgeber, dem von seinem Arbeitnehmer mitgeteilt wird, dass er verheiratet ist und eine bestimmte Zahl minderjähriger Kinder zu unterhalten hat, im Falle von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens von einer entsprechenden Zahl unterhaltsberechtigter Personen ausgehen kann, ohne irgendwelche Nachforschungen anstellen zu müssen (vgl. dazu, BAG, Urteil vom 21.11.1986 – 4 AZR 766/95 -, NJW 1987, 1573; Musielak/Becker, § 850 c ZPO Rnr. 8, 9. Aufl. 2012; Ahrens in Prütting/Gehrlein, § 850 c ZPO Rdnr. 28, 4. Aufl. 2012; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., 2010, Rdnr. 1044 ff.). Schließlich ist dem Kläger auch zuzugeben, dass Fehler, die den Drittschuldner bei der Ermittlung des pfändbaren Nettoeinkommens ausgehend von den oben genannten Kriterien unterlaufen, zu seinen Lasten gehen mit der Folge, dass er bei Auszahlung der unpfändbaren Beträge an den Gläubiger gegenüber dem Arbeitnehmer nicht mit Erfüllungswirkung leistet (vgl. Ahrens in Prütting/Gehrlein, § 850 c ZPO Rdnr. 28; Brehm in Stein/Jonas, § 850 c ZPO Rdnr. 24, 22. Aufl., 2004; Smid in Münchener Kommentar zur ZPO, § 850 c ZPO Rdnr. 15, §§ 511 bis 945, 3. Aufl. 2007). Der Umstand, dass der Drittschuldner, der die Zahlung der Unterhaltspflichten nicht zuverlässig feststellen kann, grundsätzlich von den Auskünften des Schuldners und den Angaben in der Lohnsteuerkarte ausgehen kann bedeutet jedoch nicht, dass er diese Angaben auch dann zugrunde legen muss, wenn er konkrete Anhaltspunkte zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Angaben hat.  In diesem Fall muss er den begründeten Anhaltspunkten soweit es ihm möglich ist, nachgehen, weil anderenfalls das Risiko besteht, dass eine Überzahlung an den Schuldner geleistet wird, die grundsätzlich keine den Gläubiger gegenüber wirksame Erfüllung darstellt, so dass der Drittschuldner an den Gläubiger nochmals den fehlenden Betrag leisten muss (vgl. Brehm in Stein/Jonas, § 850 a ZPO Rdnr. 22; Stöber, Rdnr. 1054).

Ist ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss als ein sogenannter Blankettbeschluss erlassen worden und bestehen Zweifel über die Zahl der unterhaltsberechtigten Personen, ist das Vollstreckungsgericht verpflichtet, nach Anhörung der Beteiligten in den Beschluss nähere Angaben zur Ermittlung des pfändbaren Betrages aufzunehmen, erforderlichenfalls auch darüber, wer als Unterhaltsberechtigter zu berücksichtigen ist. Antragsberechtigt bei einer nachträglichen Klarstellung eines solchen Blankettbeschlusses sind der Schuldner, der Gläubiger und der Drittschuldner, dessen Schutz ein solcher klarstellender Beschluss dient (vgl. Musielak/Becker § 850 c ZPO Rdnr. 9; Stöber, Rdnr. 1057; Brehm in Stein/Jonas, § 850 c ZPO Rdnr. 26).

Im vorliegenden Fall liegt zwar ein solcher auf Antrag der Beklagten ergangener klarstellender Beschluss des Vollstreckungsgericht zu dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in Form des Blankettbeschlusses vom 03.01.2011 nicht vor, da der Beschluss des Amtsgericht Bochum vom 28.01.2011 in der Fassung vom 01.02.2011 sich ausdrücklich auf die Aufhebung  der Pfändung des Kontoguthabens des Klägers bezog und nicht auf Antrag der Beklagten ergangen ist. Gleichwohl war

war die Beklagte nach Auffassung der Berufungskammer an die Beschlüsse des Amtsgerichts Bochum als Vollstreckungsgericht vom 28.01.2011 und vom 01.02.2011 gebunden gewesen, so dass die Auszahlung der streitgegenständlichen Beträge an die Streitverkündete mit Erfüllungswirkung gemäß § 362 Abs. 2 BGB erfolgt ist mit der Folge, dass die Zahlungsansprüche der Klägerin erloschen sind.

Der Arbeitgeber darf zwar grundsätzlich die Angaben des Arbeitnehmers bei der Ermittlung des pfändbaren Nettoeinkommens zugrunde legen. Einigkeit besteht jedoch auch darüber, dass Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts, insbesondere nach §§ 850 c Abs. 4 ZPO zu bestehenden Unterhaltspflichten, zur Pfändbarkeit von Unterhaltsansprüchen nach § 850 d und zur Änderung des unpfändbaren Betrages nach § 850 f ZPO für das Prozessgericht und damit auch für den Drittschuldner bindend sind, so dass der Drittschuldner die Höhe des unpfändbaren Nettobetrages nicht abweichend von den Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts beurteilen kann (vgl. dazu LAG Düsseldorf, Urteil vom 06.03.2001 – 16 Sa 1765/10 -, NZA – RR 2002, 35; OLG Karlsruhe, Urteil vom 07.07.2009 – 8 O 129/04 -, juris; LAG Niedersachsen, Urteil vom 03.02.2004 – 9 Sa 929/03 -, juris).

Der Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 28.01.2011 in der Fassung des Beschlusses vom 01.02.2011 als Vollstreckungsgericht bezieht sich zwar unmittelbar auf die Auszahlung des Kontoguthabens des Klägers bei der Sparkasse B1. In diesem Beschluss des Vollstreckungsgerichts, der in der Zwangsvollstreckungssache des Klägers als und der Streitverkündeten als Gläubigerin im Zusammenhang mit der Pfändung des Arbeitseinkommens des Schuldners ergangen ist, wird auch ausdrücklich ausgeführt, dass „dieser Betrag" der in dem Beschluss vom 01.02.2011 auf 989,99 Euro festgesetzt worden ist, „dem monatlichen auf das Konto eingehenden unpfändbaren Arbeitseinkommen des Schuldners, das ebenfalls durch den vorbezeichneten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gepfändet worden ist", entspricht. In diesem Beschluss, der ausdrücklich auf das gepfändete Arbeitseinkommen des Klägers Bezug nimmt, wird auch die Beklagte als Drittschuldnerin bezeichnet, der dieser Beschluss auch zugestellt worden ist. Da der Gläubiger, Schuldner und Drittschuldner bei einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in der Form des Blankettbeschlusses die Möglichkeit haben, einen Beschluss des Vollstreckungsgerichts zu beantragen, in dem nähere Angaben zur Ermittlung des pfändbaren Betrages aufzunehmen sind, muss ein Beschluss des Vollstreckungsgerichts, in dem der pfändbare Betrag festgesetzt worden ist, und der dem Arbeitgeber unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Pfändung des Arbeitseinkommens in seiner Eigenschaft als Drittschuldner förmlich zugestellt worden ist, auch Bindungswirkung für den Drittschuldner haben, da für ihn sonst nicht ersichtlich wäre, weshalb ihm ein solcher Beschluss in seiner Eigenschaft als Drittschuldner förmlich zugestellt worden ist, den er selbst als Drittschuldner mit Rechtsmitteln nicht angreifen kann und den der Schuldner, trotz der Möglichkeit eines Rechtsmittels, selbst nicht mit angegriffen hat. Durch die Annahme einer solchen Bindungswirkung wird die Rechtsstellung des Klägers, der durch die Pfändungsschutzbestimmungen der §§ 850 ff. ZPO geschützt werden soll, auch nicht unangemessen beeinträchtigt, da ihm nach diesem Beschluss bis zum Nachweis der Unterhaltspflichten letztlich auch nicht ein höherer Betrag als 989,99 € pro ausgezahlt werden sollte. Denn der Nettolohn des Klägers sollte von der Beklagten nicht in bar ausgezahlt, sondern auf das Konto des Klägers bei der Stadtsparkasse B1 überwiesen werden, die auf jeden Fall auf die Festsetzung des unpfändbaren Betrages im Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 28.01.2011 in der Fassung vom 01.02.2011 gebunden war, sodass ein über 989,99 € hinausgehender Betrag dem Kläger auch dann nicht zufließen würde, wenn die Beklagte auch den an die Streitverkündete überwiesenen Betrag an die Sparkasse B1 überwiesen hätte. Dadurch, dass die über 989,99 € hinausgehende Beträge nicht erst über dem Umweg über das Konto des Klägers bei der Stadtsparkasse B1, sondern direkt von der Beklagten an die Streitverkündete überwiesen worden sind, ist dem Kläger kein Nachteil entstanden, sodass die Geltendmachung der Nichterfüllung der von der Streitverkündeten gepfändeten Forderung durch die Zahlung der Beklagten jedenfalls treuwidrig im Sinne des § 242 BGB ist, was ebenfalls der Begründetheit der Klage entgegen steht.

Aus alldem folgt, dass die Beklagte mit schuldbefreiender Wirkung an die Streitverkündete geleistet hat, so dass die Klage bereits aus diesem Grunde abzuweisen war. Dementsprechend kann offenbleiben, ob der Schuldner entsprechend der Rechtsansicht der Beklagten die Leistung an die Streitverkündete genehmigt hat und ob bis zum Nachweis der Unterhaltspflichten die Leistung an sich selbst oder lediglich nur die Hinterlegung des streitgegenständlichen Betrages verlangen könnte (vgl. zum Hinterlegungsrecht der Schuldnerin bei berechtigten Zweifeln an der Höhe des unpfändbaren Betrages BAG, Urt. v. 06.05.2009 - 10 AZR 834/08, NZA 2009, 805; Stöber, Rdnr. 1057; MünchKomm/Smid § 850 c ZPO Rdnr. 13; Musielak/Becker § 850 c ZPO Rdnr. 9).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzung des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Meta

2 Sa 474/12

14.11.2012

Landesarbeitsgericht Hamm 2. Kammer

Urteil

Sachgebiet: Sa

Zitier­vorschlag: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 14.11.2012, Az. 2 Sa 474/12 (REWIS RS 2012, 1397)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1397

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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