Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.10.2009, Az. 3 StR 141/09

3. Strafsenat | REWIS RS 2009, 857

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[X.] vom 29. Oktober 2009 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung u. a. - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 29. Oktober 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. November 2008 mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hatte den Angeklagten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die dagegen von dem Angeklagten eingelegte Berufung hatte die 22. kleine Strafkammer des [X.] mit Urteil vom 1. Februar 2007 verworfen. Sie war davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur und des von ihm genossenen Alkohols im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt war. Auf die Revision des Angeklagten hatte das [X.] mit Beschluss vom 4. Juni 2007 das Berufungsurteil aufgehoben, soweit darin eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Ent-ziehungsanstalt unterblieben war, und die Sache insoweit zur erneuten [X.] und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des [X.] - 3 - [X.] zurückverwiesen; im Übrigen hatte es die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, weil das Urteil im Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthalte. Die sodann zuständige siebte kleine Strafkammer des [X.] hatte die Sache mit Urteil vom 17. Juli 2008 unter Aufhebung des angefochte-nen amtsgerichtlichen Urteils gemäß § 328 Abs. 2 StPO an die zuständige [X.] des [X.] mit der Begründung verwiesen, das von ihr eingeholte psychiatrische Gutachten habe ergeben, dass der Ange-klagte zur Tatzeit wegen einer Psychose aus dem Formenkreis der [X.] schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB gewesen sei. Zur Behandlung der Psychose sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ge-mäß § 63 StGB erforderlich; zu einer Entscheidung über deren Anordnung sei die große Strafkammer berufen. Diese hat von der Unterbringung des Angeklagten sowohl in einer Ent-ziehungsanstalt als auch in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen und "zur Klarstellung" festgestellt, dass er durch das Urteil des Amtsge[X.] rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden war. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet. 2 1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Zwar ist der Angeklagte durch das Un-terbleiben einer Anordnung nach §§ 63 oder 64 StGB nicht beschwert und könnte daher insoweit das landgerichtliche Urteil nicht isoliert anfechten (vgl. [X.], 261). Jedoch folgt die Beschwer des Angeklagten aus der in den [X.] aufgenommenen Feststellung über seine rechtskräftige Verur-teilung durch das [X.]; denn diese Feststellung führt zur 3 - 4 - Vollstreckung der gegen den Angeklagten vom Amtsgericht verhängten Frei-heitsstrafe. 2. Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Entgegen der Auffassung des [X.] ist der Angeklagte nicht rechtskräftig wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. 4 [X.] hat angenommen, dass sie zum Schuld- und Strafaus-spruch deswegen keine eigenen Feststellungen treffen dürfe, weil insoweit mit dem Beschluss des [X.] das Urteil des Amtsge[X.] rechtskräftig geworden sei. Zur Aufhebung dieses Urteils sei das Berufungsgericht danach nicht mehr berechtigt gewesen, weshalb das Verwei-sungsurteil der siebten kleinen Strafkammer des [X.] der eingetretenen Rechtskraft nicht entgegenstehe. 5 Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn das [X.] hat die Wirkungen des nicht angefochtenen und damit formell rechtskräftig gewordenen Urteils der siebten kleinen Strafkammer des [X.] Osna-brück nach § 328 Abs. 2 StPO verkannt und deshalb rechtsfehlerhaft keine ei-genen Feststellungen zum Schuld- und Rechtsfolgenausspruch getroffen (vgl. [X.], [X.] Aufl. § 267 [X.]. 42 [X.]). 6 a) Verweist das Berufungsgericht in Fällen, in denen das zuerst mit der Sache befasste Gericht seine sachliche Zuständigkeit überschritten hat, die Sa-che an das zuständige Gericht, so führt dies zwangsläufig zum Fortfall des mit der Berufung angefochtenen Urteils, weil in ein und demselben Verfahren nur Raum für ein Urteil erster Instanz ist ([X.]St 21, 245, 247). Diese Grundsätze gelten über den Wortlaut des § 328 Abs. 2 StPO hinaus auch dann, wenn sich 7 - 5 - erst im Laufe des Berufungsverfahrens herausstellt, dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht besteht oder bestanden hat; maßgeblich ist die objektive Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung ([X.] in [X.]. § 328 [X.]. 13 [X.]; [X.] NStZ 2000, 574, 575). Dies bedeutet hier: Nach den Feststellungen der siebten kleinen [X.] war die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten. Für eine Entscheidung über die Anordnung dieser Maßregel sind die Amtsgerichte gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 [X.] sachlich nicht zuständig. Folglich war auch das Berufungsgericht, dessen sachliche Zustän-digkeit über die des ersten Richters nicht hinausgeht ([X.]St 34, 159, 160; [X.] aaO [X.]. 12 [X.]), an einer solchen Entscheidung gehindert und musste die Sache an die zuständige große Strafkammer verweisen. Das erstin-stanzliche Urteil des Amtsge[X.] in Gestalt des die Berufung ver-werfenden Urteils der 22. kleinen Strafkammer des [X.] war durch diese Verweisungsentscheidung insgesamt aufgehoben. 8 b) Dem steht nicht entgegen, dass die siebte kleine Strafkammer in ih-rem Urteil ausgeführt hat, "die tatsächlichen Feststellungen des [X.] (seien) rechtskräftig" geworden. Abgesehen davon, dass die [X.] einer Entscheidung - anders als die Entscheidungsformel - ohnehin nicht in Rechtskraft erwachsen können, vielmehr insoweit allenfalls eine innerprozessu-ale Bindungswirkung entsteht ([X.] in [X.] für [X.] S. 619, 620; [X.] in [X.] für [X.] S. 113, 115 ff., jeweils [X.]), tritt die Aufhebung des angefochtenen Urteils bereits mit der Verweisung ein; der förmliche Ausspruch der Aufhebung dient allein der Klarstellung dieser Folge, notwendig ist er nicht ([X.]St 21, 245, 247). Angesichts dessen vermag die in der oben angegebe-nen Formulierung möglicherweise zum Ausdruck gebrachte Absicht des [X.] - 6 - fungsgerichts, die amtsgerichtliche Entscheidung nur teilweise aufzuheben, nichts an der gemäß § 328 Abs. 2 StPO eintretenden Rechtsfolge der Ur-teilsaufhebung in vollem Umfang zu ändern. c) Gleiches gilt für den Umstand, dass das [X.] die Revision des Angeklagten gegen das erste Berufungsurteil im Schuld- und Strafausspruch gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen hatte und das Urteil des Amtsgerichts damit insoweit rechtskräftig geworden war ([X.] in [X.] aaO § 349 [X.]. 35). Erwachsen aufgrund eines wirksam beschränkten Rechtsmit-tels einzelne Bestandteile einer Entscheidung zu einer einheitlichen Tat in Rechtskraft (sog. horizontale [X.]), so steht dies der Berücksichtigung eines Prozesshindernisses - hier der fehlenden sachlichen Zuständigkeit - in einer späteren Entscheidung auch hinsichtlich der bereits rechtskräftig gewor-denen Entscheidungsbestandteile nicht entgegen ([X.]St 8, 269; 11, 393, 394; 13, 128; 15, 203, 207; 21, 242, 243; [X.] aaO Einl. [X.]. 151 [X.]). Die Rechtsmittelbeschränkung ist wegen des Fehlens einer Verfahrensvor-aussetzung unbeachtlich, das Rechtsmittel als unbeschränkt eingelegt anzuse-hen ([X.]St 34, 159, 165; [X.] bei [X.] 1956, 146; [X.] JMBl NW 1990, 91). 10 Der Senat kann offen lassen, ob die selben Grundsätze auch in der hier gegebenen Konstellation gelten, dass die [X.] nicht auf einer Rechtsmittelbeschränkung, sondern auf einer nur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils durch die Entscheidung des [X.] beruht. Dagegen könnte grundsätzlich sprechen, dass sich die aus § 358 Abs. 1 StPO folgende Bindung des Tatrichters an die Rechtsansicht des [X.] in der Regel auch auf Vorfragen wie das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen erstreckt. Diese könnte das [X.] hier, indem es die 11 - 7 - vorangegangene Verurteilung sachlich-rechtlich geprüft hatte, inzident bejaht haben ([X.] in Löwe/[X.], [X.]. § 358 [X.]. 4; [X.] aaO § 358 [X.]. 7; [X.] aaO § 358 [X.]. 4; [X.] in [X.] § 358 [X.]. 9). Demgegenüber ist im vorliegenden Fall aber auch zu beachten, dass die 22. kleine Strafkammer des [X.] in ihrem Urteil vom 1. Februar 2007 positiv festgestellt hatte, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im Tatzeitpunkt aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in Verbindung mit dem genossenen Alkohol erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB gewe-sen. Damit ist jedoch eine der Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB belegt, deren Anordnung nach Zurückverweisung der Sache das Verschlechterungsverbot nicht entgegensteht (§ 331 Abs. 2, § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Dies könnte es fraglich erscheinen lassen, ob das [X.] (jedenfalls auch) die Prozessvor-aussetzung der sachlichen Zuständigkeit (inzident) bindend feststellen konnte. Selbst wenn die siebte kleine Strafkammer des [X.] die erstinstanzliche Zuständigkeit des Amtsge[X.] aufgrund bin-dender Revisionsentscheidung nicht mehr hätte verneinen und die Sache nicht nach § 328 Abs. 2 StPO an die große Strafkammer hätte verweisen dürfen, [X.] dieser - etwaige - Rechtsfehler indes nur zur Anfechtbarkeit des [X.], nicht aber zu seiner Unbeachtlichkeit geführt. Die Annahme der Nichtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung kommt nur in seltenen Ausnahme-fällen dann in Betracht, wenn die Anerkennung ihrer auch nur vorläufigen Gül-tigkeit wegen des Ausmaßes und des Gewichts der Fehlerhaftigkeit für die Rechtsgemeinschaft geradezu unerträglich wäre, weil die Entscheidung ihrer-seits dem Geist der Strafprozessordnung und wesentlichen Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung krass widerspricht, und wenn eine derart schwerwie-gende Fehlerhaftigkeit offenkundig ist ([X.], 579, 580 [X.]). Für 12 - 8 - gerichtliche Zwischenentscheidungen scheidet die Bewertung als nichtig gene-rell aus ([X.] aaO). Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem Verweisungsurteil - ent-gegen der Auffassung des [X.] - um eine solche Zwischen-entscheidung handelt, liegen hier auch die dargelegten Voraussetzungen nicht vor, die zur Annahme seiner Nichtigkeit führen könnten. Insbesondere ist der Umstand, dass das Berufungsurteil durch die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils (möglicherweise) in dessen teilweise eingetretene Rechtskraft hinsicht-lich des Schuld- und Strafausspruchs eingreift, bei einer [X.] nach § 328 Abs. 2 StPO in Fällen der [X.] infolge Rechtsmittelbeschrän-kung (vgl. hierzu [X.]St 34, 159, 165; [X.] bei [X.] 1956, 146; [X.] aaO [X.]. 14) oder Fallgestaltungen wie der vorliegenden die zwangsläufige Folge der Verweisung wegen Zuständigkeitsüberschreitung des erstinstanzli-chen Gerichts und steht deshalb nicht im krassen Widerspruch zum Geist der Strafprozessordnung oder rechtsstaatlichen Prinzipien. Darüber hinaus führt hier der Eingriff in die Rechtskraft nicht zu der in anderen Konstellationen als maßgebend für die Annahme der Urteilsnichtigkeit angesehenen Gefahr eines Verstoßes gegen das Verbot der Doppelbestrafung (vgl. [X.] JZ 1958, 546 f. m. Anm. [X.]; [X.] NJW 1959, 1983 f.; beide im Ergebnis eine Urteilsnichtigkeit gleichwohl verneinend); die Wirksamkeit des [X.] bewirkt die Aufhebung des erstinstanzlichen Erkenntnisses und beseitigt so den darin enthaltenen Schuld- und Strafausspruch. 13 War nach alldem das Urteil des Amtsge[X.] in Gestalt des die Berufung verwerfenden Urteils der 22. kleinen Strafkammer des Landge-[X.] durch das Verweisungsurteil der siebten kleinen Strafkammer wirksam aufgehoben, musste die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] - 9 - kammer in der Sache selbst entscheiden und dabei eigene Feststellungen zum Schuld- und Rechtsfolgenausspruch treffen. Daran fehlt es. 3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Da nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, darf die Strafkammer - sollte sie sei-ne Schuldfähigkeit bei Tatbegehung bejahen - wegen des Verbots der [X.] in peius nach § 331 Abs. 1, § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO keine Strafe verhän-gen, die über sechs Monate Freiheitsstrafe hinausgeht. Der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsan-stalt - anstatt oder neben einer Strafe - steht das Verschlechterungsverbot - wie dargelegt - indessen nicht entgegen (§ 331 Abs. 2, § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). 15 [X.] von [X.] befindet Sost-Scheible sich in Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. [X.]

Meta

3 StR 141/09

29.10.2009

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.10.2009, Az. 3 StR 141/09 (REWIS RS 2009, 857)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 857

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