Bundessozialgericht, Beschluss vom 15.06.2022, Az. B 9 SB 10/22 B

9. Senat | REWIS RS 2022, 3717

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - (behaupteter) Irrtum des LSG über die Verneinung von Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Sachverständige - richterliche Beweiswürdigung - Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht - Übergehen eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags - Antrag nach § 109 SGG nicht zugleich Antrag auf Beweiserhebung nach § 103 SGG - eindeutige Kenntlichmachung eines Doppelantrags - konkrete Angabe eines Beweisthemas - Beweis des Vorliegens bestimmter Gesundheitsstörungen - Darlegungsanforderungen)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 18. Februar 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung eines [X.]rades der Behinderung ([X.]dB) von mindestens 50 ab dem 19.9.2017 anstelle des zuerkannten [X.]dB von 40. Diesen Anspruch hat das [X.] mit Urteil vom [X.] verneint. Die Herzklappenprothese mit [X.] sei mit einem Einzel-[X.]dB von 30 zu bewerten, weil eine unveränderte gute Klappen- und Ventrikelfunktion bei fehlenden kardialen Beschwerden vorliege. Der [X.]dB sei auch nicht aufgrund des Bluthochdrucks zu erhöhen. Denn eine relevante Leistungsbeeinträchtigung bzw Organbeteiligung bestehe nicht. Die beim Kläger vorliegende Anpassungsstörung nach Stromunfall und [X.] bedinge einen Einzel-[X.]dB von 20 aufgrund einer nur leichten psychovegetativen oder psychischen Störung. Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung bzw das Asthma bronchiale bedinge aufgrund ihres geringen [X.]rades der Lungenfunktionseinschränkung gleichfalls einen Einzel-[X.]dB von 20. Entsprechendes gelte für das Schlaf-Apnoe-Syndrom mit der Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung. Abgesehen von der zusätzlich noch vorliegenden Ellennervendruckschädigung mit einem Einzel-[X.]dB von 10 lägen darüber hinaus keine weiteren Funktionsbeeinträchtigungen vor, die mit einem Einzel-[X.]dB von mindestens 10 zu bewerten wären. Ausgehend von der im Vordergrund stehenden Herzerkrankung mit einem Einzel-[X.]dB von 30 erhöhe die einen anderen [X.] betreffende psychische Funktionsbeeinträchtigung mit einem Einzel-[X.]dB von 20 den [X.] auf 40, während die weiteren [X.] von 20 und 10 keine weitere Erhöhung des [X.] bedingten. Der Sachverhalt sei vollständig aufgeklärt. Weitere Ermittlungen von Amts wegen seien nicht erforderlich. Die durchgeführten umfangreichen Ermittlungen hätten keinen Anhalt für eine psychosomatische Erkrankung ergeben, die bei der Bestimmung des [X.]dB bislang unberücksichtigt geblieben sei. Dem zuletzt gestellten Antrag des [X.] nach § 109 S[X.][X.] auf Einholung eines psychosomatischen [X.]utachtens von [X.] habe nicht entsprochen werden müssen. Denn einem wiederholten Antrag nach § 109 S[X.][X.] müsse nur unter besonderen Umständen gefolgt werden. Das Antragsrecht sei hier durch ein auf Antrag des [X.] nach § 109 S[X.][X.] bereits eingeholtes psychiatrisches Sachverständigengutachten nebst ergänzender gutachterlicher Stellungnahme verbraucht.

2

[X.]egen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum [X.] eingelegt, die er mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln begründet.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des [X.] iS des § 160 Abs 2 [X.] S[X.][X.] nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 S[X.][X.]).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] S[X.][X.]), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. [X.]emäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 S[X.][X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 S[X.][X.] und auf eine Verletzung des § 103 S[X.][X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5

a) Bereits die dafür erforderlichen Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Es fehlt schon an der erforderlichen zusammenhängenden und aus sich heraus verständlichen Darstellung der Verfahrens- und Prozessgeschichte sowie des vom [X.] festgestellten Sachverhalts. Dies gehört aber zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung eines [X.]. Es ist nicht Aufgabe des [X.], sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 14/19 B - juris Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom 16.4.2018 - [X.] - juris Rd[X.] 4).

6

b) Der Kläger rügt, das [X.] sei seinem Antrag auf Einholung eines psychosomatischen [X.]utachtens bei [X.] zu Unrecht nicht gefolgt. Es habe insbesondere verkannt, dass es sich bei diesem Beweisantrag nicht um einen wiederholten Antrag nach § 109 S[X.][X.] gehandelt habe, sondern um einen Antrag auf Einholung eines [X.]utachtens in einem anderen Fachgebiet. Auf eine Verletzung von § 109 S[X.][X.] kann indes die Verfahrensrüge nach der ausdrücklichen Bestimmung in § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 S[X.][X.] unter keinen Umständen - weder unmittelbar noch mittelbar - gestützt werden. Ein mit dieser Vorschrift begründeter Antrag enthält auch nicht automatisch einen Beweisantrag nach § 103 S[X.][X.]. Vielmehr können rechtskundig vertretene Beteiligte wie der Kläger mit der Behauptung, ihr Antrag nach § 109 S[X.][X.] habe zugleich auf eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen abgezielt, nur gehört werden, wenn sie dies bei der Antragstellung gegenüber dem [X.] eindeutig zum Ausdruck gebracht haben (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 18/19 B - juris Rd[X.] 8; [X.] Beschluss vom 21.6.2016 - [X.] V 18/16 B - juris Rd[X.] 11 mwN). Dies legt der Kläger nicht hinreichend dar. Entsprechende substantiierte Ausführungen wären hier jedoch schon im Hinblick auf die Begründung des [X.] für die Ablehnung der beantragten gutachterlichen Anhörung von [X.] geboten gewesen.

7

c) Selbst aber wenn es sich bei diesem Antrag des [X.] um einen Antrag nach § 103 S[X.][X.] gehandelt haben sollte, erfüllt sein Beschwerdevortrag nicht die Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge (vgl hierzu allgemein [X.] Beschluss vom 14.4.2021 - [X.] V 61/20 B - juris Rd[X.] 4 mwN). Der Kläger trägt vor, ein psychosomatisches [X.]utachten von [X.] habe eingeholt werden müssen, weil noch keine umfassende und ausreichende Begutachtung bzw ein Ergebnis zu der Frage vorliege, in welchem Ausmaß die Psychodynamik und traumatische Seite bzw die Angststörung und posttraumatische Belastungsstörung aufgrund des als traumatisch erlebten [X.] bzw der [X.] quantitative und qualitative Auswirkungen auf sein gesundheitliches Leistungsvermögen habe. Zudem seien auch besondere Umstände dargelegt worden, welche die Einholung eines [X.]utachtens von [X.] erforderlich machten. Dieses [X.]utachten hätte ein - entscheidungserhebliches - weiteres Herabsinken seiner Leistungsfähigkeit und damit eine anderweitige Bewertung des [X.]dB im psychosomatischen bzw psychotherapeutischen Bereich ergeben.

8

Mit diesen Ausführungen hat der Kläger bereits nicht aufgezeigt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 [X.], § 118 Abs 1 Satz 1 S[X.][X.] iVm § 403 ZPO gestellt zu haben. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für die Tatsache. Dafür ist die unter Beweis gestellte Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit eines Antrags zu prüfen und ggf seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 [X.] S[X.][X.] ausreichend zu begründen ([X.] Beschluss vom 6.4.2017 - [X.] V 89/16 B - juris Rd[X.] 7 mwN). Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem [X.]ericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen ([X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 31/20 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

9

[X.]emessen hieran fehlt es dem von dem Kläger in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Antrag an der konkreten Angabe eines Beweisthemas. Insbesondere lässt der Antrag nicht erkennen, welche im Einzelnen bezeichneten Tatsachen konkret bewiesen werden sollen. Im Kontext der geltend gemachten Feststellung eines höheren [X.]dB wäre der Antrag auf Einholung eines weiteren psychosomatischen [X.]utachtens auf den Beweis des Vorliegens bestimmter [X.]esundheitsstörungen zu richten gewesen. Denn der [X.]dB ist das Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und [X.] Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund einer [X.]esundheitsstörung (Teil A [X.] 2 Buchst a der in Anlage zu § 2 [X.] geregelten Versorgungsmedizinischen [X.]rundsätze). Das Vorliegen bestimmter, bei dem Kläger tatsächlich oder vermeintlich vorliegender [X.]esundheitsstörungen wird mit dem in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Antrag aber nicht unter Beweis gestellt. Solchen "Beweisanträgen", die so unbestimmt bzw unsubstantiiert sind, dass im [X.]runde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll, braucht ein [X.]ericht jedoch nicht nachzugehen (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 74/21 B - juris Rd[X.] 10; [X.] Urteil vom 19.10.2011 - [X.] R 33/11 R - juris Rd[X.] 26 mwN).

d) Zudem ist das [X.] als letztinstanzliche Tatsacheninstanz nur dann einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, wenn es sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben. Insoweit hätte es des klägerseitigen Vortrags bedurft, weshalb nach den dem [X.] vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des [X.] erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll. Die bloße Darstellung, weshalb aus seiner Sicht weitere Ermittlungen auf psychosomatischem Fachgebiet erforderlich gewesen wären, entspricht diesem Erfordernis nicht (vgl [X.] Beschluss vom 6.4.2017 - [X.] V 89/16 B - juris Rd[X.] 8 mwN). Auch legt der Kläger im Rahmen seiner Beschwerdebegründung nicht dar, dass die bisher vorliegenden [X.]utachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthielten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgingen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des jeweiligen [X.]utachters geben (vgl stRspr; zB [X.] Beschluss vom 27.4.2021 - [X.] R 125/20 B - juris Rd[X.] 7 mwN). Soweit der Kläger im Übrigen moniert, das [X.] habe zu Unrecht angenommen, dass die bereits gehörten Sachverständigen, die beim Kläger in Betracht kommende Angststörung und posttraumatische Belastungsstörungen mit nachvollziehbarer Begründung nach entsprechender diesbezüglicher sorgfältiger Begutachtung bereits verneint hätten, sodass aus der unzutreffenden Bewertung bzw Nichtbewertung der entsprechenden [X.] eine unzutreffende Feststellung des [X.] folge, wendet er sich - im [X.] - gegen die Beweiswürdigung des [X.] (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 S[X.][X.]). Damit kann er jedoch nach § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 S[X.][X.] von vornherein eine Revisionszulassung nicht erreichen.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 S[X.][X.]).

3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 S[X.][X.] durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 S[X.][X.].

Kaltenstein Röhl Othmer

Meta

B 9 SB 10/22 B

15.06.2022

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Ulm, 8. Februar 2019, Az: S 11 SB 1014/18, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 109 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 15.06.2022, Az. B 9 SB 10/22 B (REWIS RS 2022, 3717)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3717

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 9 SB 19/17 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Sachaufklärungspflicht - Übergehen eines Beweisantrags - Bezeichnung von …


B 9 SB 67/18 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - Bewertung eines Einzel-GdB - erforderliche Darlegung …


B 9 SB 26/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - rechtliches Gehör - Recht auf Fragen an einen …


B 9 SB 76/15 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Vornahme einer quantitativen sensorischen …


B 9 SB 47/21 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - verständliche und strukturierte Tatsachendarstellung - Amtsermittlungspflicht - Aufrechterhaltung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.