Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.04.2016, Az. 3 StR 566/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 12804

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Betäubungsmitteldelikt: Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Hang und Therapieunwilligkeit


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. April 2015

a) dahin ergänzt, dass

aa) der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die ausscheidbaren notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,

bb) die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird,

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das [X.] von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Das [X.] hat rechtsfehlerhaft von einem Teilfreispruch abgesehen, soweit es sich in acht der dem Angeklagten zur Last gelegten Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln (Fälle 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 der Anklageschrift) nicht von dessen Täterschaft zu überzeugen vermocht hat ([X.]). Dem Angeklagten waren mit der Anklage 685 tatmehrheitlich begangene Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden. Dem ist die [X.] im Eröffnungsbeschluss gefolgt. Insoweit ist dem Angeklagten unter den Ziffern 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 zur Last gelegt worden, am 19. September 2013 sowie am 2., 7., 11., 12., 15., 20. und 21. Oktober 2013 im Zusammenwirken mit den drei Mitangeklagten jeweils 1 bis 10 Gramm der unter den Bezeichnungen "[X.]" und "CM 21" vertriebenen Substanzen, die den in der [X.] zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Wirkstoff AKB-48F enthielten, an verschiedene Abnehmer veräußert zu haben. Diese Vorwürfe hat das [X.] nach der Beweisaufnahme als nicht erwiesen angesehen. Es hätte den Angeklagten deshalb, um den Eröffnungsbeschluss zu erschöpfen, ohne Rücksicht auf die dem Urteil unter dem Gesichtspunkt der Bewertungseinheit zugrunde gelegte konkurrenzrechtliche Beurteilung der Verkaufsfälle als Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen teilweise freisprechen müssen (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 321/11, [X.], 337, 338 mwN; Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 3 StR 321/14, juris Rn. 2).

3

2. [X.] hat außerdem entgegen der Vorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Bestimmung über den Maßstab getroffen, nach dem die von dem Angeklagten in [X.] erlittene Freiheitsentziehung auf die gegen ihn erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist. Diese Entscheidung muss in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 [X.], [X.], 364). Da nach der Sachlage nur eine Anrechnung im Maßstab 1:1 in Betracht kommt, hat der Senat den grundsätzlich dem Tatrichter obliegenden Ausspruch über die Festsetzung des [X.] nachgeholt und die Urteilsformel entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ergänzt (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 22. Juli 2003 - 5 [X.], [X.], 364; vom 13. August 2009 - 3 [X.], [X.], 370).

4

3. Die Entscheidung des [X.]s, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5

a) [X.] hat ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen damit begründet, dass der Angeklagte zwar an einer Abhängigkeit von Cannabinoiden leide ([X.] F12.2), ein Hang, psychotrop wirkende Substanzen im Übermaß zu sich zu nehmen, jedoch nicht festzustellen sei. Voraussetzung für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB sei, dass die berufliche, [X.] und gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch seinen [X.] nachhaltig beeinträchtigt werde. Eine nachhaltige Beeinträchtigung könne im Hinblick auf die Komplexität des Tatgeschehens und die herausgehobene organisatorische Position des Angeklagten in der Tätergruppe indes ausgeschlossen werden. Im Übrigen sei mangels jeglicher Motivation des Angeklagten, eine Therapie zu durchlaufen, nicht davon auszugehen, dass eine Entziehungsbehandlung innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden könne.

6

b) Diese äußerst knappen Ausführungen lassen zunächst besorgen, dass das [X.] die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein solcher liegt nicht nur - wovon die [X.] möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss ([X.], Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 [X.], [X.]R StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 [X.], juris Rn. 4). Im Hinblick auf die von der [X.] als gegeben angesehene Abhängigkeitserkrankung des Angeklagten liegt es indes ausgesprochen nahe, dass der Angeklagte eine derartige Neigung hat. Dem steht auch nicht ohne Weiteres entgegen, dass er trotz seiner Abhängigkeit von Cannabinoiden in der Lage war, die abgeurteilten Straftaten zu begehen.

7

Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den [X.] indiziert zwar einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, ihr Fehlen schließt diesen indes nicht aus ([X.], Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 [X.], juris Rn. 10; Beschluss vom 3. Februar 2016 - 1 [X.], juris Rn. 11).

8

Darüber hinaus steht auch die aktuelle [X.] des Angeklagten seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht notwendig entgegen. [X.] kann zwar im Einzelfall gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB) sprechen. Liegt sie vor, so ist es jedoch geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe des Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine [X.] für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. März 2004 - 2 [X.], [X.], 263; vom 15. Dezember 2009 - 3 [X.], [X.], 141).

9

c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; [X.], Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, [X.]St 37, 5, 9; Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 5 [X.], [X.], 107; vom 27. März 2008 - 3 StR 38/08, [X.], 405, 406). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. dazu [X.]St 38, 362 f.).

4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend zu der Stellungnahme des [X.] bemerkt der Senat:

Der Einwand des Beschwerdeführers, dass die - sachverständig beratene - [X.] sich bei der Feststellung der Wirkstoffkonzentration der von dem Angeklagten vertriebenen Betäubungsmittel in Widerspruch zu dem von ihr als erwiesen angesehenen Erfahrungssatz gesetzt habe, wonach eine valide Hochrechnung aus einer Teilmenge eines Betäubungsmittels auf die Zusammensetzung und den Wirkstoffgehalt der Gesamtmenge nur vorgenommen werden könne, wenn mindestens 10 bis 30% der gesamten Menge untersucht worden seien, geht fehl. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass dieser Erfahrungssatz dem Gutachten des Sachverständigen zufolge der von der [X.] vorgenommenen Hochrechnung nicht entgegen stand, weil der Angeklagte und seine Mittäter die von ihnen bezogenen Substanzen zunächst vermischt und aus der auf diese Weise gewonnenen Gesamtmenge die von ihnen vertriebenen 1- bis [X.] befüllt hatten (UA S. 67).

Becker                      Schäfer                         Gericke
               [X.]

Meta

3 StR 566/15

19.04.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Koblenz, 27. April 2015, Az: 2090 Js 26167/15 - 3 KLs

§ 29 BtMG, § 29a BtMG, § 30 BtMG, § 64 S 1 StGB, § 64 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.04.2016, Az. 3 StR 566/15 (REWIS RS 2016, 12804)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12804

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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