Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.06.2015, Az. 1 StR 190/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 10057

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 190/15

vom
10. Juni
2015
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchter gefährlicher Körperverletzung

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 10. Juni
2015
gemäß §
349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

1. Auf die
Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2014 mit den Fest-stellungen aufgehoben; ausgenommen hiervon ist der Frei-spruch hinsichtlich des Geschehens am 3. November 2012.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.].

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Kör-perverletzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt und im Übrigen freigesprochen (hinsichtlich des Geschehens am 20. Juni 2012 wegen nicht ausschließbarer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit, hinsichtlich des Geschehens am 3. November 2012 mangels Vorsatzes). Zudem hat es die Unterbringung der Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision der Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s
leidet die nicht vorbestrafte Angeklagte seit vielen Jahren an einer paranoid schizophrenen Psychose, was 1
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mit einem affektiv labilen und aggressiven Verhalten, der wahnhaften Bewer-tung von Wahrnehmungen, einer misstrauischen Grundhaltung und der privat-logischen Verarbeitung konkreter Wahrnehmungen mit deutlichen Eigenbezie-hungstendenzen einhergeht. Aufgrund dieser Erkrankung kam es zu folgenden Vorfällen:
Am 20. Juni 2012 warf die Angeklagte, als sie beim Mittagessen saß, ein Wasserglas in Richtung der
Füße ihres Vermieters, des Zeugen N.

, wodurch das Glas zerbrach und Scherben in die Socken eindrangen. Hierdurch wurde der Fuß des Zeugen verletzt und er verspürte Schmerzen, was die Angeklagte billigend in Kauf nahm.
Am 19. August 2012 fuhren der
bereits genannte Zeuge N.

und seine Ehefrau mit dem Fahrrad in Richtung ihres Hauses, das dem von der [X.] bewohnten gegenüber liegt. Kurz bevor das Ehepaar ankam, beschimpfte die Angeklagte die ihr entgegenkommenden Personen, nahm sodann einen [X.] vom Boden und warf diesen in Richtung der beiden. Der [X.] traf die [X.] vor dem Fahrrad des Zeugen und rollte von der [X.] herunter. Hierbei nahm die Angeklagte billigend in Kauf, dass der Zeuge oder sein Fahrrad von dem [X.] getroffen werden und der Zeuge hierdurch verletzt werden könnte.
Im Mai 2014 kam es dann noch zu einem nicht angeklagten Geschehen, das von der Kammer zwecks Prüfung der Gefährlichkeitsprognose festgestellt wurde: Die Angeklagte arbeitete an einem von ihr angelegten Blumenbeet, als sie von ihrem neuen Vermieter auf das von ihr im Hausflur abgestellte Fahrrad angesprochen wurde. Hierauf reagierte sie mit Geschrei. Als ihr Vermieter in mehreren Metern Entfernung ungerührt seiner eigenen Gartenarbeit nachging, warf sie die
von ihr zur Gartenarbeit verwendete Gartensichel (Durchmesser ca. 30 cm) nach ihm. Dieser sah die Sichel und wich ihr aus, so dass die Sichel 3
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kurz vor ihm auf dem Boden zu liegen kam, ohne ihn zu treffen. Hierbei nahm die Angeklagte eine Verletzung ihres Vermieters zumindest billigend in Kauf.
2. Die Kammer hat jeden dieser Vorfälle als versuchte gefährliche Kör-perverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs gewertet. Dem [X.] folgend ist die Kammer davon ausgegangen, dass die [X.] der Angeklagten bei allen Vorfällen krankheitsbedingt jeweils sicher er-heblich vermindert war, nicht ausschließbar beim ersten und letzten Vorfall auch aufgehoben. Dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten beim [X.]-wurf teilweise noch erhalten war, schließt das [X.] daraus, dass es sich dabei nicht um eine rein von Impulsen gesteuerte Tat, sondern um ein gewis-ses planvolles Vorgehen

vom Aufheben zum Zweck des Wurfs bis zum Zie-len über eine gewisse Distanz

gehandelt habe.
3. Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus hat die Kammer damit begründet, dass von der Angeklagten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit infolge ihrer krankhaften seelischen Störung vergleichbare körperliche Übergrif-fe gegen Unbeteiligte zu erwarten seien. Das
Verhalten der Angeklagten seit dem [X.] bis zur mündlichen Verhandlung zeige ein durchgängig bei [X.] aggressives und auffälliges Verhalten mit Beschuldigungen anderer. Für die Angeklagte sei symptomatisch, dass sie sich, wenn sie unangenehmen Situationen mit anderen ausgesetzt sei, bedroht bzw. belästigt fühle und dann mit Würfen von Gegenständen reagiere. Die geworfenen Gegenstände seien jeweils geeignet, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, insbesondere hätte der [X.] einen Sturz des [X.] verursachen können.
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II.
Sowohl der Schuldspruch wie auch der [X.] halten revi-sionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Soweit die Angeklagte bezüglich des [X.]wurfs wegen versuchter ge-fährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, hat das [X.] rechtsfeh-lerhaft nicht erörtert, ob die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB vorliegen. Nach dem mitgeteilten Sachver-halt und aufgrund entsprechender Angaben der Angeklagten liegt nahe, dass es am Standort der Angeklagten noch mehr [X.]e gab, mit denen die Ange-klagte den Zeugen oder sein Fahrrad hätte treffen können. Dass ein fehlge-schlagener Körperverletzungsversuch vorlag, der einen Rücktritt ausschließen würde, ist nach
den Feststellungen des [X.]s nicht ersichtlich. Die [X.] könnte damit vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung durch bloßes [X.] strafbefreiend zurückgetreten sein. Deshalb kann der Schuldspruch nicht bestehen bleiben.
2. Schon dies entzieht
hier
der Unterbringung nach § 63 StGB die Grundlage, so dass auch der [X.] aufzuheben ist. Tritt der [X.] strafbefreiend vom Versuch zurück, kann auf eine solche Anlasstat die Un-terbringung nach § 63 StGB nicht gestützt werden (vgl. [X.], Urteil vom 28.
Oktober 1982

4 [X.], [X.]St 31, 132).
3. Die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB führt im vorliegenden Fall ohne Verstoß gegen das Verbot der Schlechterstel-lung zur Aufhebung des (Teil-)Freispruchs hinsichtlich der Tat vom 20. Juni 2012 (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
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4. Hinzu kommt Folgendes:
a) Nach den Feststellungen des [X.]s bleibt offen, welche Größe der von der Angeklagten geworfene [X.] gehabt hat; in Betracht kommt ange-sichts der Gesamtumstände als [X.] auch ein kleiner Kieselstein. Die Größe des [X.]s ist aber nicht nur für die Frage entscheidend, ob ein [X.] Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorliegt, sondern auch im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose relevant.
b) Soweit das [X.] darauf abstellt, der [X.] hätte auch das Fahr-rad des Zeugen treffen und den Zeugen damit zu Fall bringen können, wären die Voraussetzungen für eine gefährliche Körperverletzung nicht erfüllt, weil diese [X.] verursacht worden wäre [X.], StGB, 62. Aufl.
2015, § 224 Rn.
7a mwN).
c) Dass das [X.] im
Fall des [X.]wurfs von einer teilweise erhal-ten gebliebenen
Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist, beim Glaswurf hingegen nicht, weil es sich bei ersterem um ein gewisses planvolles Verhalten gehandelt habe, überzeugt angesichts des Krankheitsbildes der Angeklagten nicht ohne weiteres. Dieses ist nach den Feststellungen des
[X.]s davon geprägt, dass sich die Angeklagte aufgrund ihrer paranoid schizophrenen
Psychose in Verkennung der Realität leicht angegriffen fühlt und dann mit dem Werfen von Gegenständen reagiert. Vor diesem Hintergrund hätte es zumindest näherer Erörterung bedurft, weshalb das tatsächlich nicht besonders komplexe Aufhe-ben und Werfen eines [X.]es derart anders zu bewerten ist als der Wurf eines Glases, das sich bereits in der Hand befindet.
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d) Unklar bleibt auch, weshalb das [X.] bei dem Glaswurf nur von einer versuchten gefährlichen Körperverletzung ausgeht, obwohl es nach den Feststellungen wohl zu einem Körperverletzungserfolg gekommen ist. [X.] die Tat entgegen den ansonsten von der Kammer geglaubten Schilderungen des Geschädigten im Versuchsstadium stehen geblieben sein, wäre auch hier die Prüfung eines möglichen Rücktritts im
Hinblick auf andere Wurfgegenstän-de zu erwägen (siehe oben II.1.).
5. Der Senat hebt angesichts der geschilderten Umstände auch die Feststellungen insgesamt auf, soweit nicht der Freispruch hinsichtlich des [X.] am 3. November 2012 betroffen ist.
6. Für das neue Tatgericht bemerkt der Senat: Die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB bedarf insgesamt einer besonders sorgfältigen Be-gründung, weil sie eine schwerwiegende und ggfs. langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Insbesondere erfordert die Ge-fährlichkeitsprognose eine umfassende Würdigung der Persönlichkeit des [X.]s, seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Oktober 2013

3 [X.]/13 mwN). Der neue Tatrichter wird deshalb auch das Vorleben der Angeklagten noch mehr als bisher in den Blick zu nehmen haben, insbesondere den Vorfall, der zu der mitgeteilten Ein-tragung im Bundeszentralregister geführt hat.
Gegebenenfalls werden auch 16
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Erkenntnisse, die aus der mittlerweile fast zehnmonatigen Unterbringung nach § 126a StPO gewonnen wurden, bei der Prüfung der Voraussetzungen des §
63 StGB zu berücksichtigen sein.
Raum

Rothfuß Graf

Jäger Mosbacher

Meta

1 StR 190/15

10.06.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.06.2015, Az. 1 StR 190/15 (REWIS RS 2015, 10057)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10057

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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