Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.10.2022, Az. VI ZR 258/21

6. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 6562

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Gegenstand

Zulässigkeit der Klage: Schlichtungsversuch bei Ansprüchen aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts


Leitsatz

§ 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 2 JustG NRW unterfallen nicht alle Ansprüche, die sich aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben, sondern nur Ansprüche wegen einer Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften der §§ 185 ff. StGB.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] vom 14. Juli 2021 sowie das Urteil des [X.] vom 16. März 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte verschaffte sich Zugang zum [X.] zwischen seiner von ihm jetzt getrenntlebenden Ehefrau und der Klägerin. Er überließ diesen zumindest zwei Personen zum Lesen. Die Klägerin ist der Ansicht, es handele sich um einen höchstpersönlichen Austausch zwischen zwei Freundinnen, dessen Weitergabe ihre Intimsphäre berühre. Mit ihrer Klage verlangt sie eine Geldentschädigung in Höhe von 3.200 €.

2

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da sie unzulässig sei. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

I.

3

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

4

Die Klage sei unzulässig, da kein Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung durchgeführt worden sei. Ein solches schreibe § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] für Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden seien, zwingend vor. Unter den Anwendungsbereich dieser Regelungen fielen alle Ansprüche, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen stützten, ohne dass es auf die zivilrechtliche Anspruchsgrundlage ankomme. Auch wenn die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes und nicht die Beseitigung oder Unterlassung der Ehrverletzung verlange, sei die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens Zulässigkeitsvoraussetzung. Zwar habe der [X.] für den Nachbarstreit entschieden, dass Zahlungsansprüche nicht der obligatorischen Streitschlichtung unterfielen, da der Gesetzgeber in [X.] alle Geldforderungen ohne Ausnahme habe schlichtungsfrei stellen wollen ([X.], Urteil vom 2. März 2012 - [X.], [X.], 435 Rn. 11). Zur Begründung berufe sich der [X.] auf die Entstehungsgeschichte der Norm, die im Bereich der Verletzung der persönlichen Ehre diesen Schluss aber nicht zulasse.

II.

5

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage zulässig. Vor Klageerhebung war kein Streitschlichtungsverfahren durchzuführen, da es sich im Streitfall nicht um eine Streitigkeit über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre im Sinne von § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO [X.]. § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] handelt.

6

1. Nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist die Erhebung einer Klage in Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, erst zulässig, nachdem von einer Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Erfasst sind von § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] allerdings nicht alle Ansprüche, die sich aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergeben (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12; MüKoZPO/[X.], 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 34; Serwe, [X.] [X.], 2002, Rn. 198).

7

a) Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.], da dort nur von "Verletzungen der persönlichen Ehre" die Rede ist. § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] lehnt sich eng an den Wortlaut der bundesgesetzlichen Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO an (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, [X.]. 12/4614, [X.]). Mit diesem Wortlaut nicht vereinbar ist die Auffassung, es seien alle Ansprüche erfasst, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewähre (so aber Schlosser in [X.], ZPO, 22. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 8). Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht nur die persönliche Ehre, sondern umfassend das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner individuellen Persönlichkeit (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12).

8

b) Die Entstehungsgeschichte der § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] spricht ebenfalls für einen beschränkten Anwendungsbereich der Normen.

9

Der Rechtsausschuss des [X.] hielt die Einbeziehung von [X.] in den Anwendungsbereich des § 15a Abs. 1 Satz 1 EGZPO für sachgerecht, weil für die strafrechtliche Verfolgung ebenfalls ein Sühneverfahren (§ 380 StPO) vorgeschaltet sei und damit eine gewisse Gleichwertigkeit des zivil- und strafprozessualen Vorgehens erreicht werde (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/11042, S. 33; Gesetzentwurf der Fraktionen [X.] und [X.]/[X.], BT-Drucks. 14/980, [X.]). Nach § 380 StPO ist die Erhebung einer Privatklage u.a. bei Beleidigung erst zulässig, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versucht worden ist. Unter "Beleidigung" im Sinne des § 380 StPO sind die in §§ 185 bis 189 [X.] geregelten Straftatbestände zu verstehen, wie sich aus § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO ergibt.

Da der Anwendungsbereich der Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO beschränkt ist, fallen auch unter § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nur Ansprüche wegen einer Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften der §§ 185 ff. [X.], also solche, die sich auf herabwürdigende unwahre Tatsachenbehauptungen und herabsetzende Werturteile stützen (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1662 Rn. 12; MüKoZPO/[X.], 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 34; [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 6; [X.]/[X.], Stand: 15. Februar 2022, § 53 [X.], Rn. 23; Serwe, [X.] [X.], 2002, Rn. 198 ff.; [X.], [X.], 2000, S. 50; [X.], BeckRS 2018, 34801; [X.], NJW-RR 2016, 302).

2. Von einem in dieser Weise beschränkten Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist im Grundsatz auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat ausgeführt, dass unter den Anwendungsbereich der Regelung alle Ansprüche fielen, die sich inhaltlich auf eine Ehrverletzung im Sinne der strafrechtlichen Bestimmungen stützten. Im Weiteren hat es aber nur festgestellt, dass sich die Klägerin darauf berufe, der Beklagte habe den höchstpersönlichen Chatverlauf, wie er im Tatbestand des Berufungsurteils mit Verweis auf Blatt 2 bis 6 der Gerichtsakte konkret in Bezug genommen wird, [X.] offenbart, um die Klägerin in ihrem Ansehen oder ihrem Ruf zu diskreditieren. Die Klägerin macht damit eine ungenehmigte Weitergabe vertraulicher, nur an einen bestimmten Empfänger gerichteter Nachrichten geltend, also eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. [X.], NJW 1991, 2339, juris Rn. 16; [X.], Urteil vom 25. Mai 1954 - I ZR 211/53, [X.]Z 13, 334, 338 f., juris Rn. 22; Senatsurteile vom 30. September 2014 - [X.], [X.], 115 Rn. 15; vom 26. November 2019 - [X.], NJW-RR 2020, 367 Rn. 24 f.; [X.]/Klass, [X.], 16. Aufl., Anhang zu § 12 Rn. 117 f.). Gegenstand der Klage ist jedoch kein nach §§ 185 ff. [X.] strafbares Handeln.

3. Es kann daher dahinstehen, ob [X.], die auf einen Zahlungsanspruch gerichtet sind, überhaupt von § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.] erfasst sind (verneinend [X.], Urteil vom 2. März 2012 - [X.], [X.], 435 Rn. 8 ff.; MüKoZPO/[X.], 6. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 35; aA [X.]/[X.], Stand: 15. Februar 2022, § 53 [X.] Rn. 16; [X.] in [X.], ZPO, 23. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 19).

4. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif, da sich das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - mit dem geltend gemachten Anspruch in der Sache nicht befasst hat. Aus diesem Grund ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Sache ist nicht an das Berufungsgericht, sondern an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Revisionsgericht kann die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen, wenn die Zurückverweisung an dieses Gericht auch nach einer neuen Verhandlung die nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ermessensgerechte Entscheidung des Berufungsgerichts wäre und eine Partei die Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht in der Berufungs- oder Revisionsinstanz beantragt hat (§ 538 Abs. 2 Satz 1 [X.] ZPO; [X.], Urteil vom 27. Januar 2017 - [X.], NJW-RR 2017, 443 Rn. 15 mwN). Das ist hier der Fall. Der Beklagte hat im Revisionsverfahren die Zurückverweisung an das Amtsgericht beantragt. Es ist daher ermessensgerecht, um den Parteien die erste Instanz nicht zu nehmen, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

[X.]     

      

Offenloch     

      

[X.] 

      

[X.]     

      

Linder     

      

Meta

VI ZR 258/21

25.10.2022

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Paderborn, 14. Juli 2021, Az: 5 S 10/21

§ 15a Abs 1 S 1 Nr 3 ZPOEG, § 53 Abs 1 Nr 2 JustizG NW, § 185 StGB, §§ 185ff StGB, § 823 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.10.2022, Az. VI ZR 258/21 (REWIS RS 2022, 6562)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6562 MDR 2023, 297-298 REWIS RS 2022, 6562 GRUR 2023, 1130 REWIS RS 2022, 6562

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