Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.04.2013, Az. 10 AZR 59/12

10. Senat | REWIS RS 2013, 6533

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Gegenstand

Berechnung des pfändbaren Einkommens - Nettomethode


Leitsatz

Bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens gemäß § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO gilt die sog. Nettomethode. Die der Pfändung entzogenen Bezüge sind mit ihrem Bruttobetrag vom Gesamteinkommen abzuziehen. Ein erneuter Abzug der auf diesen Bruttobetrag entfallenden Steuern und Abgaben erfolgt nicht.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. November 2011 - 4 [X.]/11 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Februar 2011 - 11 [X.]/11 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Von den Kosten der ersten Instanz haben der Kläger 69 % und die Beklagte 31 % zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien haben zuletzt noch über die Berechnung des pfändbaren Einkommens des [X.] gestritten.

2

Der Kläger ist seit 1985 bei der Beklagten als Hafenfacharbeiter beschäftigt. Neben dem Grundlohn erhält der Kläger fast in jedem Monat gesetzlich nicht pfändbare Zahlungen, etwa Überstundenvergütungen und Schmutzgelder. Er ist geschieden und zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Hinsichtlich seiner [X.] liegen in großem Umfang Pfändungen vor. Die Höhe der zugrunde liegenden Zahlungsverpflichtungen des [X.] gibt Anlass zu der Befürchtung, dass sie Lohnpfändungen bis zum Ende des Arbeitslebens des [X.] auslösen werden.

3

Die Beklagte lässt für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens des [X.] die nach § 850a ZPO der Pfändung entzogenen Bezüge als Bruttobeträge unberücksichtigt. In einem zweiten Schritt zieht sie Steuern und Sozialversicherungsabgaben, berechnet allein aus dem verbleibenden Betrag, ab (sog. Nettomethode).

4

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte berechne den pfändbaren Teil seines Einkommens nicht zutreffend. Gemäß § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO seien zunächst die nach § 850a ZPO unpfändbaren Beträge mit dem Bruttobetrag abzuziehen und anschließend die auf das Gesamteinkommen entfallenden Steuern und Sozialversicherungsabgaben in Abzug zu bringen. Sowohl Wortlaut des § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO als auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprächen für diese Berechnungsweise, die sog. [X.]. Der Gesetzgeber habe in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung und Modernisierung des Pfändungsschutzes (BT-Drucks. 17/2167) zu erkennen gegeben, dass die [X.] maßgeblich sein solle.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass die Beklagte bei vorliegenden wirksamen Pfändungen seines Arbeitsentgelts ab Rechtskraft des Urteils für die Zukunft das Nettoeinkommen zur Berechnung des pfändbaren Betrags zu ermitteln hat, indem die gesetzlich nicht pfändbaren Bruttobeträge und die auf das jeweilige monatliche Gesamteinkommen anfallenden Steuern und Sozialversicherungsabgaben von diesem Gesamteinkommen subtrahiert werden ([X.]).

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die von ihr angewendete sog. Nettomethode sei die richtige. Bei der [X.] würden die auf die unpfändbaren Bezüge entfallenden Steuern und Sozialversicherungsabgaben doppelt berücksichtigt, wofür kein plausibler Grund bestehe. Zudem habe die [X.] die widersinnige Konsequenz, dass das pfändbare Einkommen umso niedriger ausfalle, je höher die unpfändbaren Bezüge iSd. § 850a ZPO seien.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision hat Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.

9

I. Die Klage ist zulässig.

1. Eine Feststellungsklage iSd. § 256 Abs. 1 ZPO kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken - sog. Elementenfeststellungsklage - ([X.] 18. Januar 2012 - 10 [X.] 779/10 - Rn. 22; 19. Oktober 2011 - 4 [X.] 811/09 - Rn. 13 ). Das Klagebegehren betrifft im Streitfall die Pflicht der Beklagten zur Berechnung des pfändbaren Einkommens des [X.] und den dabei anzuwendenden [X.]. Diese Verpflichtung kann zulässiger Gegenstand einer Feststellungsklage sein.

2. Das Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO ist nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann ([X.] 21. April 2010 - 4 [X.] 755/08 - Rn. 21). Das ist bei einem Antrag auf Feststellung einer Berechnungsmethode dann der Fall, wenn über weitere Faktoren der Berechnung kein Streit besteht und die konkrete Bezifferung dann lediglich eine Rechenaufgabe ist, die von den Parteien in einem unstreitigen Verfahren selbst umgesetzt werden kann (vgl. zu einem auf Feststellung einer Zahlungsverpflichtung gerichteten Antrag: [X.] 21. April 2010 - 4 [X.] 755/08 - aaO). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Zwischen den Parteien steht nur die Berechnungsmethode für den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens des [X.] in Streit. Die Beklagte kann das Urteil selbst umsetzen, indem sie das pfändbare Einkommen im Einklang mit der gerichtlichen Entscheidung berechnet. In der Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht am 21. Februar 2011 hat die Beklagte zudem ihre Bereitschaft bekundet, einem rechtskräftigen Feststellungsurteil Folge zu leisten.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Bei Vorliegen unpfändbarer Bezüge ist das pfändbare Einkommen gemäß § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO nach der [X.] zu berechnen.

1. Gemäß § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO sind bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens nicht mitzurechnen die nach § 850a ZPO der Pfändung entzogenen Bezüge, ferner Beträge, die unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind.

a) Nach der Rechtsprechung der Instanzgerichte und der herrschenden Meinung im Schrifttum sind von dem Gesamtbruttoeinkommen des Arbeitnehmers zunächst die nach § 850a ZPO unpfändbaren Bezüge mit dem Bruttobetrag und anschließend die auf das Gesamtbruttoeinkommen (dh. einschließlich der unpfändbaren Bezüge) zu zahlenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuziehen (sog. [X.], vgl. [X.] 14. Januar 2000 - 19 [X.] 2154/99 - zu II 1 der Gründe; [X.] 30. Mai 2007 - 7 [X.] 1089/06 - zu [X.] der Gründe; [X.] 1. Februar 2005 - 5 [X.] - zu II 2 der Gründe; [X.] 15. Juni 2012 - 26 K 5884/11 -; [X.] Rpfleger 1980, 456; MüKoZPO/[X.] 4. Aufl. § 850e Rn. 2, 4; Musielak/[X.] ZPO 10. Aufl. § 850e Rn. 2 f.; [X.] ZPO 22. Aufl. § 850e Rn. 7; [X.]/[X.] ZPO 28. Aufl. § 850e Rn. 1a f.; [X.] Forderungspfändung 15. Aufl. Rn. 984, 986a, 999b, 1133 ff.; [X.]/Walker/[X.] ZPO 5. Aufl. § 850e Rn. 2; PG/[X.] ZPO 5. Aufl. § 850e Rn. 3, 5; Bengelsdorf Lohnpfändungsrecht 2. Aufl. S. 79; Hk-ZV/Meller-Hannich 2. Aufl. § 850e ZPO Rn. 5; [X.]/[X.]/[X.] ZPO 33. Aufl. § 850e Rn. 2). Die auf die unpfändbaren Bezüge entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge werden nach dieser Ansicht also zweimal in Abzug gebracht ([X.] 14. Januar 2000 - 19 [X.] 2154/99 - zu II 1 c der Gründe). Das soll im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Schuldners und vereinfachte Rechenwege hinnehmbar sein.

b) Nach der Gegenansicht sind im [X.] an den Abzug der nach § 850a ZPO unpfändbaren Beträge mit dem Bruttobetrag lediglich die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Abzug zu bringen, die auf das restliche, also das ohne die unpfändbaren Bezüge verbleibende Bruttoeinkommen zu zahlen sind (sog. [X.], vgl. [X.]/Bommermann Lohnpfändung und Lohnabtretung in Recht und Praxis Rn. 645 ff.; [X.] Handbuch Lohnpfändung Rn. 752 ff.; [X.]/[X.] NZI 2011, 745, 747 ff.; im Ergebnis auch [X.] 21. Februar 2006 - 4 [X.] -; [X.] Rpfleger 1992, 49, 51; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] ZPO 71. Aufl. § 850e Rn. 3).

c) Das [X.] hat über diese Frage bisher nicht ausdrücklich entschieden.

aa) Im Urteil vom 4. April 1989 folgte der [X.] im Ergebnis der [X.], allerdings ohne die Streitfrage zu erörtern ([X.] 4. April 1989 - 8 [X.] 689/87 - zu I 2 a der Gründe).

bb) Im Urteil vom 5. Dezember 2002 erklärte der [X.] die Aufrechnung eines Arbeitgebers gegen Lohnforderungen des Arbeitnehmers für gemäß § 394 [X.]tz 1 BGB unzulässig, weil der Kläger im maßgeblichen Monat neben dem stetigen Monatslohn Anspruch auf Überstundenvergütung hatte und der Arbeitgeber nicht dargelegt hatte, welcher Teil des auf der Lohnabrechnung ausgewiesenen Gesamtnettobetrags der Überstundenvergütung zuzurechnen sei ([X.] 5. Dezember 2002 - 6 [X.] 569/01 - zu 2 a der Gründe). Dieser Argumentation liegt die [X.] zugrunde; nach der [X.] wäre das pfändbare Einkommen nach Maßgabe der auf der Lohnabrechnung ausgewiesenen Bruttobeträge und abzuführenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge errechenbar gewesen.

2. Die zutreffende Berechnungsweise ist die [X.]. Im [X.] an den Abzug der nach § 850a ZPO unpfändbaren Beträge mit dem Bruttobetrag sind lediglich die Steuern und vom Arbeitnehmer zu tragenden Sozialversicherungsabgaben in Abzug zu bringen, die auf das ohne die unpfändbaren Bezüge verbleibende Bruttoeinkommen zu zahlen sind. Bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens gemäß § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO sind die auf die unpfändbaren Bezüge entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge also nur einmal abzuziehen. Das ergibt die Auslegung des § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO.

a) Der Wortlaut der Vorschrift weist bereits in diese Richtung, lässt allerdings Zweifeln Raum. Nicht zum pfändbaren Einkommen gehören nach § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO „die nach § 850a der Pfändung entzogenen Bezüge“ sowie „ferner Beträge, die … aufgrund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften … abzuführen sind“, also Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.

aa) Da § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO „die nach § 850a der Pfändung entzogenen Bezüge“ vor den abzuführenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen erwähnt, muss es sich dabei um [X.] handeln (allg. Meinung, vgl. [X.] 14. Januar 2000 - 19 [X.] 2154/99 - zu 1 b der Gründe; [X.] Forderungspfändung Rn. 1133; [X.] Rpfleger 1980, 456; [X.] Rpfleger 1992, 49, 50). Davon geht auch die [X.] aus, indem sie zunächst den Bruttobetrag der nach § 850a ZPO der Pfändung entzogenen Bezüge in Abzug bringt.

bb) Nicht vollends eindeutig ist, wie der Begriff „Beträge“ zu verstehen ist. Die von den Befürwortern der [X.] vertretene Annahme, „Beträge“ iSd. § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO seien die auf das Gesamtbruttoeinkommen zu zahlenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, hat den Gesetzeswortlaut nur scheinbar auf ihrer Seite, insofern nämlich auch für die gemäß § 850a ZPO unpfändbaren Bezüge Steuern und Sozialversicherungsbeiträge „… abzuführen sind“. Die maßgeblichen Vorschriften (§ 19 EStG, § 14 Abs. 1 SGB IV) unterscheiden nicht zwischen pfändbaren und unpfändbaren Bezügen. Gegen ein solches Verständnis des Begriffs „Beträge“ spricht allerdings, dass die „Beträge“ neben den „Bezügen“ erwähnt sind; sie sind „ferner“ nicht mitzurechnen. Dies legt nach üblicher Gesetzestechnik nahe, dass die jeweils mit den Begriffen gekennzeichneten Bereiche nicht identisch und auch nicht teilidentisch sind. Da es sich bei den unpfändbaren Bezügen iSd. § 850a ZPO wie dargelegt um [X.] handelt, enthalten sie bereits die abzuführenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. „Beträge“ iSd. § 850e Nr. 1 ZPO sind danach eher nur die auf das restliche, nicht unter § 850a ZPO fallende Einkommen zu zahlenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.

b) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist weder im Sinne der einen noch der anderen Berechnungsweise aussagefähig.

aa) Der Wortlaut des § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO geht zurück auf die Verordnung zur einheitlichen Regelung des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen vom 30. Oktober 1940 ([X.]I S. 1451). Der Entwurf dieser Verordnung sah für die Berechnung des pfändbaren Einkommens zunächst folgende Regelung vor (vgl. [X.] Der Pfändungsschutz für Lohneinkommen S. 189):

        

„Für die Berechnung des nach § 4 der Pfändung nicht unterliegenden Arbeitseinkommens gilt Folgendes:

        

1. Die nach § 3 der Pfändung entzogenen Bezüge sind nicht mitzurechnen, wohl aber Beträge, die aufgrund steuerrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften zugunsten des Schuldners unmittelbar an Dritte abzuführen sind.(...)“

In den anschließenden Beratungen setzte sich dann die Ansicht durch, dass bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens Nettobeträge zugrunde zu legen seien. Vor diesem Hintergrund erhielt die maßgebliche Vorschrift eine neue, mit dem Wortlaut des heutigen § 850e Abs. 1 Nr. 1 ZPO übereinstimmende Fassung (vgl. [X.] aaO S. 190 f.). Es ist nicht ersichtlich, dass die konkrete Berechnung des pfändbaren Einkommens bei Vorliegen unpfändbarer Beträge im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erörtert wurde.

bb) Auch die Begründung zu dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung und Modernisierung des Pfändungsschutzes (BT-Drucks. 17/2167) lässt entgegen der Rechtsauffassung des [X.] nicht erkennen, welcher [X.] nach dem Willen des Gesetzgebers im Rahmen des § 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO angewendet werden soll. In der Begründung wird lediglich festgestellt, das pfändbare Einkommen sei nach der herrschenden Meinung im Schrifttum mittels der [X.] zu berechnen (BT-Drucks. 17/2167 S. 18).

c) Entscheidend spricht das gesetzgeberische Ziel für die [X.]. Sie führt durchweg zu plausiblen und dem Gesetzeszweck dienenden Ergebnissen. Sie sichert den mit den [X.] beabsichtigten [X.] Schutz des Schuldners und vermeidet die mit der [X.] einhergehende und mit der gesetzgeberischen Absicht in keinem vernünftigen Zusammenhang stehende Benachteiligung des Pfändungsgläubigers (vgl. zum Ausgleich der verfassungsrechtlich geschützten Belange von Schuldner und Gläubiger als Gesetzesziel: BT-Drucks. 17/2167 S. 12 f.; zur Berücksichtigung von [X.] im Rahmen der teleologischen Gesetzesauslegung: vgl. [X.]/[X.] BGB 72. Aufl. [X.]. Rn. 40, 46 mwN).

aa) Die §§ 850a, 850e ZPO sind Teil der [X.], welche die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen mithilfe staatlicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zum Schutz des Schuldners aus [X.] Gründen einschränken (MüKoZPO/[X.] § 850 Rn. 1). Sinn des § 850a ZPO ist es, einen Anreiz für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten zu erhalten (Nr. 1, 3), bestimmte Aufwendungen des Schuldners auszugleichen (Nr. 3, 4) und ihm bestimmte Zuwendungen aus [X.] Gründen zu belassen (Nr. 2 - 8) (vgl. [X.] 14. März 2012 - 10 [X.] 778/10 - Rn. 12; Hk-ZV/Meller-Hannich § 850a Rn. 2; [X.] Forderungspfändung Rn. 976). Durch die Anordnung der Unpfändbarkeit soll sichergestellt werden, dass dem Arbeitnehmer die erfassten Bezüge in vollem Umfang erhalten bleiben (vgl. [X.] Forderungspfändung aaO; [X.] Rpfleger 1992, 49, 50).

bb) Diesem Zweck der §§ 850a, 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO trägt die [X.] Rechnung. Indem die unpfändbaren Bezüge mit dem Bruttobetrag in Abzug gebracht werden, ist sichergestellt, dass sie nicht der Pfändung unterliegen und dem Schuldner ungeschmälert erhalten bleiben. Der Schuldner wird im Einklang mit den Vorgaben des § 850a ZPO so behandelt, als hätte er diese Beträge überhaupt nicht erhalten ([X.]/Bommermann Lohnpfändung und Lohnabtretung in Recht und Praxis Rn. 647; [X.] Handbuch Lohnpfändung Rn. 755). Die [X.] geht hingegen über das mit den §§ 850a, 850e Nr. 1 [X.]tz 1 ZPO verfolgte Ziel hinaus, weil dem Schuldner nach ihr nicht nur die der Pfändung entzogenen Bezüge in vollem Umfang erhalten bleiben, sondern das pfändbare Einkommen zusätzlich reduziert wird, indem von dem verbleibenden Bruttoeinkommen die auf die unpfändbaren Bezüge abzuführenden Steuern und Sozialversicherungsabgaben nochmals abgezogen werden (vgl. [X.] Rpfleger 1992, 49, 51).

cc) Aufgrund der doppelten Berücksichtigung der auf den unpfändbaren Teil entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bewirkt die [X.], dass das pfändbare Einkommen des Arbeitnehmers umso niedriger ausfällt, je höher die unpfändbaren Bezüge iSd. § 850a ZPO sind (Hk-ZV/Meller-Hannich § 850a Rn. 32; [X.]/[X.] NZI 2011, 745, 747). Ab einem bestimmten Anteil der unpfändbaren Bezüge am Gesamteinkommen hat die [X.] dementsprechend sogar zur Folge, dass das pfändbare Einkommen des Schuldners allein wegen der zusätzlichen unpfändbaren Bezüge unter die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO fällt und eine Zwangsvollstreckung im Wege der Pfändung vollständig ausgeschlossen ist (vgl. [X.]/[X.] aaO). Die [X.] führt damit zu dem paradoxen Ergebnis, dass der Gläubiger in einer Lohnabrechnungsperiode, in der der Schuldner erheblich mehr verdient, kein Arbeitseinkommen pfänden kann, nur weil zusätzlich unpfändbare Bezüge anfallen (vgl. [X.]/Bommermann Lohnpfändung und Lohnabtretung in Recht und Praxis Rn. 646; [X.] Handbuch Lohnpfändung Rn. 753; [X.]/[X.] aaO).

dd) Demgegenüber führt die [X.] zu zweckmäßigen und interessengerechten Ergebnissen. Der Umfang der unpfändbaren Bezüge hat hier keinen Einfluss auf die Höhe des pfändbaren Arbeitseinkommens. Der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens entspricht vielmehr stets dem Betrag, den ein Gläubiger auch dann pfänden kann, wenn der Vollstreckungsschuldner keine Bezüge iSd. § 850a ZPO erhält ([X.]/[X.] NZI 2011, 745, 747).

ee) Die [X.] hat auch keine „misslichen Berechnungsschwierigkeiten“ zur Folge (so aber: [X.] 30. Mai 2007 - 7 [X.] 1089/06 - zu [X.] b der Gründe; [X.] ZPO § 850e Rn. 7). Zwar trifft es zu, dass der Drittschuldner bei Anwendung der [X.] neben der Berechnung der auf das Gesamtbruttoeinkommen abzuführenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zusätzlich die Abgaben zu ermitteln hat, die auf das nach Abzug der unpfändbaren Bezüge verbleibende Bruttoeinkommen abzuführen wären. Die mit dieser zusätzlichen fiktiven Berechnung verbundenen Belastungen sind jedoch überschaubar, insbesondere angesichts der heutzutage verfügbaren Hilfsmittel für die Lohnabrechnung wie zB entsprechender Lohnabrechnungsprogramme (vgl. bereits [X.] Rpfleger 1992, 49, 51). Auch im vorliegenden Verfahren war die Beklagte ohne Schwierigkeiten dazu in der Lage, das pfändbare Einkommen nach der [X.] zu berechnen. Darüber hinaus verlangen die Lohnpfändungsvorschriften auch in anderem Zusammenhang fiktive Berechnungen, zB im Rahmen des § 850h Abs. 2 und § 850d Abs. 1 [X.]tz 3 ZPO (vgl. [X.] Forderungspfändung Rn. 1108, 1223 f.). Die zusätzliche fiktive Berechnung ist dem Arbeitgeber als Drittschuldner daher zumutbar (im Ergebnis ebenso: [X.] 5. Dezember 2002 - 6 [X.] 569/01 - zu 2 b der Gründe).

d) Für die [X.] sprechen letztlich auch systematische Erwägungen.

aa) Im Ausgangspunkt liegt es näher, im Rahmen einer Kalkulation einzelne Berechnungsposten jeweils nur einmal zu berücksichtigen, in diesem Fall also in Abzug zu bringen. Die auf den unpfändbaren Teil entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge könnten daher allenfalls dann zweimal berücksichtigt werden, wenn das Gesetz dies eindeutig anordnen würde ([X.] Rpfleger 1992, 49, 51). Dies ist jedoch nicht der Fall. Wie dargelegt lässt sich weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte der Vorschrift eine bestimmte Berechnungsmethode entnehmen.

bb) Der Umstand, dass auch für die nach § 850a ZPO unpfändbaren Bezüge nach Maßgabe steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften Abgaben zu leisten sind, spricht entgegen der Rechtsauffassung des [X.] nicht für die Anwendung der [X.]. § 850e ZPO betrifft nicht die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Einordnung unpfändbarer Bezüge, sondern regelt die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens.

III. [X.] folgt aus § 91 Abs. 1, § 98 [X.]tz 1, § 269 Abs. 3 [X.]tz 2 ZPO. In der ersten Instanz ergibt sich bei einem Gesamtstreitwert iHv. 21.083,23 Euro die aus der Urteilsformel ersichtliche Kostenquote.

        

    Mikosch    

        

    Mestwerdt    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Simon    

        

    Trümner    

                 

Meta

10 AZR 59/12

17.04.2013

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven, 21. Februar 2011, Az: 11 Ca 11002/11, Urteil

§ 850a ZPO, § 850e Nr 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.04.2013, Az. 10 AZR 59/12 (REWIS RS 2013, 6533)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6533

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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