Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.06.2016, Az. 1 ABR 30/14

1. Senat | REWIS RS 2016, 10460

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Antragsbefugnis - Überprüfung von Betriebsratsbeschlüssen


Leitsatz

Einzelne Mitglieder des Betriebsrats können im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nicht klären lassen, ob der jeweilige Leiter der Betriebsratssitzung das Abstimmungsverhalten anderer Betriebsratsmitglieder zutreffend gewürdigt und in der Folge die nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erforderliche Mehrheit der Stimmen richtig festgestellt hat. Hierfür fehlt ihnen die erforderliche Antragsbefugnis.

Tenor

Die Rechtsbeschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des [X.] vom 12. März 2014 - 21 [X.] - werden zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über das Verfahren zur Feststellung des Abstimmungsergebnisses bei der Beschlussfassung des [X.].

2

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 8.) beschäftigt in ihrem Betrieb in [X.] etwa 20.000 Arbeitnehmer. Die Antragsteller (Beteiligte zu 1. bis 4. und zu 6.) sind Mitglieder des für diesen Betrieb gebildeten [X.] (Beteiligter zu 7.). Dieser bestand im Jahr 2013 aus 43 Mitgliedern. Die Mehrheit der Mitglieder kandidierte auf der Liste der [X.], die Antragsteller auf anderen Listen.

3

Im Betrieb der Arbeitgeberin werden auf der Grundlage von Betriebsvereinbarungen durch Mehrheitsbeschluss des [X.] „Beauftragte des [X.]“ bestellt. Diese sollen die Kommunikation zwischen Belegschaft und Betriebsrat gewährleisten und fördern (sog. [X.]). Vorschläge für deren Benennung erstellen sechs [X.], die nach der Rahmengeschäftsordnung des [X.] gebildet werden. [X.]ie können auch von [X.]mitgliedern eingereicht werden.

4

In der [X.]itzung des [X.] vom 11. April 2013, die der stellvertretende [X.]vorsitzende leitete, wurde unter dem Tagesordnungspunkt 2 über [X.] für sechs Betriebsbereiche, für die jeweils ein Vorschlag des betreffenden Koordinationsausschusses sowie ein weiterer von den antragstellenden [X.]mitgliedern vorlag, durch [X.] abgestimmt. Im [X.]itzungsprotokoll ist zu dem Tagesordnungspunkt unter namentlicher Nennung stets aufgeführt, welches [X.]mitglied vor einzelnen Abstimmungsvorgängen das [X.]itzungszimmer verlassen hat, zu welchem es wieder zurückgekehrt ist und die Anzahl der dann anwesenden [X.]mitglieder vermerkt. Über die Vorschläge der [X.] wurde in der Weise abgestimmt, dass zunächst nach Nein-[X.]timmen und sodann nach Enthaltungen gefragt wurden. Ja-[X.]timmen wurden nicht ausdrücklich abgefragt. Aus der Differenz der abgegebenen [X.]timmen zu den bei den sechs Abstimmungsvorgängen anwesenden [X.]mitgliedern stellte der [X.]itzungsleiter die Zahl der Ja-[X.]timmen fest und teilte diese sowie die damit verbundene Annahme des Antrags mit. Das so festgestellte Ergebnis wurde sodann im Protokoll festgehalten.

5

Die Antragsteller haben die Feststellung der Mehrheit der [X.]timmen der anwesenden Mitglieder im Wege der sog. [X.]ubtraktionsmethode für unzulässig gehalten. [X.]ie sei betriebsverfassungswidrig und mit allgemeinen [X.] Grundsätzen nicht vereinbar. Erforderlich sei ein „aktives und positives Bekenntnis zur Annahme“ eines Antrags, da nicht auszuschließen sei, dass anwesende [X.]mitglieder bei der [X.]timmabgabe abgelenkt seien oder die Zahl der [X.]mitglieder während einer [X.]itzung schwanke.

6

Die Antragsteller haben zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass die Beschlüsse des [X.] vom 11. April 2013, Tagesordnungspunkt 2 der Tagesordnung, betreffend die Bestellung von [X.]n unwirksam sind,

                 

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.

        

2.    

den Betriebsrat zu verpflichten, die in der [X.]itzung vom 11. April 2013 bestellten [X.]n tatsächlich nicht einzusetzen,

        

weiterhin,

        

3.    

den Betriebsrat zu verpflichten, bei der Beschlussfassung über Anträge durch den [X.]itzungsleiter die Annahme eines Antrags nur dann festzustellen und bekanntzugeben, wenn die Aufforderung, bekanntzugeben, wer einem Antrag zustimme, von der Mehrheit der zum Zeitpunkt der [X.]timmabgabe stimmberechtigten [X.]mitglieder mit einer positiven aktiven Meinungsäußerung beantwortet wird,

        

hilfsweise,

                 

den Betriebsrat zu verpflichten, bei der Beschlussfassung über Anträge oder sonstige Beschlussfassungen ohne ausdrückliche Abfrage der Ja-[X.]timmen der anwesenden [X.]mitglieder nur dann die Annahme von Anträgen oder sonstigen Beschlussfassungen festzustellen, wenn die Zahl der Nein-[X.]timmen größer ist als die Hälfte der Zahl der anwesenden [X.]mitglieder.

7

Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

8

Die Vorinstanzen haben die Anträge abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren - unter Erweiterung ihrer Anträge um den Hilfsantrag zum Antrag zu 3. - weiter.

9

B. Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller ist unbegründet. Die Anträge zu 1. und zu 3. einschließlich des hierzu gestellten [X.] sind mangels Antragsbefugnis unzulässig. Der als unechter Hilfsantrag gestellte Antrag zu 2. fällt nicht zur Entscheidung an.

I. Neben den Antragstellern sind der Arbeitgeber und der Betriebsrat an dem vorliegenden Verfahren nach § 83 Abs. 3 ArbGG beteiligt.

1. Der Arbeitgeber ist zu beteiligen, weil er durch eine Entscheidung über die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung stets betroffen ist ([X.] 18. März 2015 - 7 [X.] - Rn. 16 mwN).

2. Die Beteiligtenstellung des [X.] ist durch dessen Neuwahl im Jahr 2014 nicht entfallen. Nach dem Prinzip der Funktionsnachfolge und dem Grundsatz der Kontinuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretungen tritt der neu gewählte Betriebsrat in diese [X.]tellung ein ([X.] 27. Mai 2015 - 7 [X.] - Rn. 14 mwN).

II. Den Antragstellern fehlt sowohl für den Feststellungsantrag als auch für den Leistungsantrag und den hierzu gestellten Hilfsantrag die notwendige Antragsbefugnis (§ 81 Abs. 1 ArbGG).

1. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter nur insoweit antragsbefugt, als er eigene Rechte geltend macht.

a) Die Antragsbefugnis ist nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen ( § 81 Abs. 1 ArbGG ). Ein solches kann nur derjenige einleiten, der vorträgt, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Die Antragsbefugnis dient dazu, Popularklagen auszuschließen. [X.]ie ist gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint ([X.] 13. Dezember 2005 - 1 [X.] - Rn. 24; 18. Februar 2003 - 1 [X.] - zu [X.] 2 a der Gründe mwN, [X.]E 105, 19).

b) Einzelne Mitglieder des [X.] können gegenüber dem Betriebsrat weder die Unwirksamkeit eines Beschlusses noch die Rechtswidrigkeit von Handlungen unabhängig von einem Eingriff in eine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend machen. Im Rahmen einer sog. Binnenstreitigkeit zwischen dem Betriebsrat und einzelnen seiner Mitglieder streiten die Beteiligten nicht über Individualrechte, sondern über Kompetenzen und Rechte, die dem Betriebsrat als Gremium oder einzelnen [X.]mitgliedern kraft Gesetzes zugewiesen sind. Ebenso wie das [X.] oder das ArbGG dem einzelnen [X.]mitglied kein abstraktes inhaltliches Normenkontrollrecht für vom Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarungen einräumt ([X.] 29. April 2015 - 7 [X.] - Rn. 18, [X.]E 151, 286), kann es nicht ohne Betroffenheit in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition in der [X.]ache die Feststellung der Rechtmäßigkeit von Handlungen oder Entscheidungen des [X.] verlangen. Das gilt auch für die Beschlussfassung des [X.]. Daher ist ein einzelnes Mitglied daran gehindert, die Feststellung eines Abstimmungsergebnisses durch die [X.]itzungsleitung im Beschlussverfahren überprüfen zu lassen oder ein bestimmtes Abstimmungsverfahren bei der Beschlussfassung des [X.] zu fordern, sofern es sich nicht auf die Verletzung eigener mitgliedschaftlicher Rechte berufen kann.

2. Danach mangelt es bei sämtlichen [X.] an einer Antragsbefugnis.

a) Das betrifft zunächst den Antrag zu 1.

aa) Mit dem Feststellungsantrag wollen die Antragsteller nach ihrem Vorbringen geklärt haben, dass „wenigstens die Art und Weise, wie die [X.]n am 11. April 2013 in ihr Amt gekommen sind, rechtmäßig gestaltet und insbesondere betriebsverfassungskonform erfolgt ist“. Das Verfahren der Beschlussfassung über die Bestellung der [X.]n sei unzulässig, weil trotz nicht ausdrücklich abgefragter Ja-[X.]timmen durch die [X.]itzungsleitung jeweils die Annahme der einzelnen Anträge der [X.] festgestellt worden sei.

bb) Damit berufen sich die Antragsteller nicht auf die Verletzung einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition.

(1) Zu den betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspositionen eines [X.]mitglieds gehören unter anderem das Recht auf Teilnahme an [X.]itzungen des [X.], das Rederecht und das Recht auf [X.]timmabgabe. In das [X.]timmrecht kann eingegriffen werden, wenn die [X.]itzungsleitung die [X.]timmabgabe nicht oder unzutreffend würdigt.

(2) Die Antragsteller machen weder geltend, ihr [X.]timmverhalten sei von der [X.]itzungsleitung unzutreffend festgestellt worden, noch führen sie an, der „[X.]“ ihrer Nein-[X.]timmen sei verkannt worden, etwa weil nicht genügend andere [X.]mitglieder zugegen gewesen seien, um von einer Mehrheit der [X.]timmen für eine Antragsannahme ausgehen zu können. Nach dem Inhalt des [X.]itzungsprotokolls wurden zu den einzelnen Abstimmungsvorgängen die jeweils anwesenden [X.]mitglieder und jeweilige Mehrheit der anwesenden [X.]timmen ausdrücklich festgestellt.

Dem Inhalt des Protokolls sind die Antragsteller nicht entgegengetreten. Vielmehr berufen sie sich darauf, der [X.]itzungsleiter habe das Verhalten anderer [X.]mitglieder fehlerhaft als Ja-[X.]timme gewertet und sei deshalb zu Unrecht davon ausgegangen, die Mehrheit der anwesenden Mitglieder habe den zur Abstimmung gestellten Anträgen zugestimmt. Das beanstandete Verhalten des [X.]itzungsleiters betrifft jedoch das Recht auf [X.]timmabgabe anderer [X.]mitglieder. Eine Beeinträchtigung einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition ist damit gerade nicht verbunden.

b) An der erforderlichen Antragsbefugnis fehlt es auch für den Antrag zu 3. und dem hierzu in der [X.] gestellten Hilfsantrag.

aa) Mit dem Leistungsantrag - Antrag zu 3. - soll der Betriebsrat verpflichtet werden, die Annahme eines Antrags in Form eines Beschlusses i[X.]d. § 33 [X.] nur dann festzustellen, wenn die [X.]itzungsleitung die Ja-[X.]timmen zuvor ausdrücklich abgefragt hat. Der in der Rechtsbeschwerde dazu gestellte Hilfsantrag zielt darauf ab, den Betriebsrat zu verpflichten, bei der Feststellung einer Antragsannahme stets die Ja-[X.]timmen und bei der einer Antragsablehnung stets die Nein-[X.]timmen ausdrücklich abzufragen.

bb) Auch insoweit machen die Antragsteller keine eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechte geltend. Für ihr Begehren, „generell und abstrakt“ müssten Beschlussfassungen des [X.] nach § 33 Abs. 1 [X.] [X.] Grundsätzen und in der Folge dem von ihnen geforderten Abstimmungsverfahren folgen, machen sie keine eigenen Rechte geltend, sondern berufen sich offenkundig auf eine dem [X.] fernliegende abstrakte Kontrollbefugnis von [X.]mitgliedern.

Nach der Konzeption des [X.] steht dem einzelnen [X.]mitglied ersichtlich keine betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition zu, aufgrund derer er vom Betriebsrat ein konkret beschriebenes Verfahren zur Feststellung einer Mehrheit i[X.]d. § 33 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.] verlangen kann. Der Betriebsrat handelt nach den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes als Kollegialorgan. Die Beschlussfassung nach § 33 Abs. 1 [X.] dient der förmlichen internen Willensbildung des [X.] ([X.] 9. Dezember 2014 - 1 [X.] - Rn. 15, [X.]E 150, 132). Die Leitung der [X.]itzung erfolgt durch den Vorsitzenden, der auch das Verfahren über die Beschlussfassung leitet und dessen Ergebnis festhält. [X.]oweit die Modalitäten des Verfahrens bei der Durchführung von Beschlussfassungen festgelegt werden können, obliegt dies zunächst durch den [X.]vorsitzenden als [X.]itzungsleiter oder ggf. durch den Betriebsrat als Organ. Ein bestimmtes Abstimmungsprozedere sieht das [X.] dagegen nicht vor.

cc) Aufgrund der bereits fehlenden Antragsbefugnis kann dahinstehen, ob der Betriebsrat überhaupt passivlegitimiert ist. Nach § 29 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] ist die [X.]itzungsleitung schließlich dem [X.]vorsitzenden oder seinem [X.]tellvertreter zugewiesen. Weiterhin muss der [X.]enat auch nicht darüber befinden, ob das in dem Antrag beschriebene Verhalten der „positiven aktiven Meinungsäußerung“ den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt und damit hinreichend bestimmt ist.

        

    [X.]chmidt    

        

    K. [X.]chmidt    

        

    Treber    

        

        

        

    Hayen    

        

    [X.]temmer    

                 

Meta

1 ABR 30/14

07.06.2016

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Stuttgart, 6. August 2013, Az: 16 BV 78/13, Beschluss

§ 33 Abs 1 S 1 BetrVG, § 81 Abs 1 ArbGG, § 29 Abs 2 S 2 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.06.2016, Az. 1 ABR 30/14 (REWIS RS 2016, 10460)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10460

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

7 ABR 102/12 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebsrat - Hilfspersonen - Kommunikationsbeauftragte


7 ABR 17/15 (Bundesarbeitsgericht)

Antragsbefugnis des Betriebsrats - Arbeitsbefreiung


7 ABR 46/16 (Bundesarbeitsgericht)

Vergütungsansprüche eines betriebsfremden Einigungsstellenbeisitzers - Beschlussfassung des Betriebsrats - Ladung ohne Tagesordnung - nachträgliche Heilung …


7 ABR 6/20 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebsratsmitglieder - Freistellungswahl - Teilfreistellungen


7 ABR 54/16 (Bundesarbeitsgericht)

Nachwahl eines freizustellenden Betriebsratsmitglieds


Referenzen
Wird zitiert von

M 14 PE 21.3325

4 SaGa 3/17

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.