Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2009, Az. IV ZR 6/08

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 5415

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/08 Verkündet am:

28. Januar 2009

Heinekamp

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]Z: nein [X.]R: ja AVB f. Unfallvers. § 1.3 Zum [X.] bei anfänglich willensgesteuerter, dann aber in ihrem weiteren [X.] nicht mehr gezielter und beherrschbarer Eigenbewegung des Versicherungsneh-mers. [X.], Urteil vom 28. Januar 2009 - [X.]/08 - [X.] LG Kiel
- 2 -

Der IV. Zivilsenat des Bundes[X.]ichtshofes hat durch [X.], [X.], [X.], die Richterin Dr. [X.] und [X.] [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2009 für Recht erkannt: Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] des [X.]-Holsteinischen Oberlan-des[X.]ichts in [X.] vom 13. Dezember 2007 auf-gehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungs[X.]icht zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Klä[X.], von Beruf selbständi[X.] Maurer, unterhält bei der [X.] eine Unfallversicherung. Dem Versicherungsverhältnis liegen [X.] ([X.] [X.], im [X.]: [X.]) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten: 1 - 3 -

"1. Was ist versichert? – 1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereig-nis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädi-gung erleidet. 5. In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausge-schlossen? – 5.2 Ausgeschlossen sind außerdem folgende Beeinträch-tigungen: 5.2.1 Schäden an Bandscheiben sowie Blutungen aus in-neren Organen und Gehirnblutungen. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn ein unter [X.] fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3 die überwiegende Ursache ist."
Am 11. Februar 2004 führte der Klä[X.] auf einer Baustelle Estrich- und Putzarbeiten aus. Dabei schleppte er einen 40 kg schweren Sack, der Material enthielt, auf der rechten Schulter und beging damit einen Plattenweg in Richtung [X.]. Als er einem entgegenkommenden Handwerker ausweichen wollte, trat er mit einem Fuß über den Rand des [X.] auf die etwa 30 bis 50 cm tiefer gelegene Grünfläche und kam dadurch zu Fall. Bei dem Versuch, den Sack festzuhalten, führte er eine Drehbewegung aus und verspürte noch vor dem Aufprall auf den Erdboden einen heftigen Schmerz im unteren Beckenbereich. Nach [X.] Behandlung vom 12. bis 24. Februar 2004 wurde der Klä[X.] am 4. März 2004 wegen eines Bandscheibenvorfalles operiert; nach seiner Darstellung sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen dadurch nicht behoben. 2 - 4 -

3 Der Klä[X.] machte gegenüber der [X.] ([X.] geltend. Diese lehnte jegliche Versicherungsleistung ab, weil Bandscheibenschäden vom Versicherungsschutz ausgeschlossen seien und überdies kein Unfallereignis vorliege. Das Land[X.]icht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung einer Invaliditätsrente von 1.000 • monatlich ab 1. Februar 2004 verurteilt, dem Klä[X.] aber anstatt der begehrten 600.000 • nebst Zinsen eine In-validitätsleistung von lediglich 360.000 • nebst Zinsen zugesprochen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, der sich der Klä[X.] mit dem Antrag angeschlossen hat, die Beklagte zur Zahlung [X.] 80.000 • Invaliditätsleistung nebst Zinsen zu verurteilen. Die An-schlussberufung hatte in vollem Umfang Erfolg, während das Berufungs-[X.]icht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat. Dagegen [X.] sich diese mit der Revision. 4 Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs[X.]icht zurückzuverweisen ist. 5 [X.] Das Berufungs[X.]icht hat ausgeführt: 6 Der Klä[X.] habe einen Unfall i.S. von Ziffer 1.3 [X.] erlitten. Die Gesundheitsschädigung sei durch eine eigene, in ihrem Verlauf nicht wil-lensgesteuerte Bewegung des Klä[X.]s ausgelöst worden, die dem Tritt auf die tiefer als der Plattenweg gelegene Grünfläche gefolgt sei. Das 7 - 5 -

genüge, um den [X.] auszufüllen; ein körperlicher Aufprall vor dem Eintritt der Gesundheitsschädigung sei dafür nicht Voraussetzung. Zwar schließe Ziffer 5.2.1 [X.] Schäden an der Bandscheibe grundsätz-lich aus. In einem solchen Falle bestehe aber dennoch Versicherungs-schutz, wenn ein unter den Versicherungsvertrag fallendes Unfallereignis nach Ziffer 1.3 [X.] die überwiegende Ursache sei. Dieser Beweis sei durch das Gutachten des [X.]ichtlichen Sachverständigen geführt, das Unfallereignis zu 60% - also überwiegend - die Ursache des Bandschei-benvorfalls. Insbesondere habe der Sachverständige nicht festgestellt, dass wegen deutlicher degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule im Bereich der unteren Lendenwirbel es jederzeit auch ohne Trauma zu ei-nem Bandscheibenvorfall hätte kommen können. Der Ausschluss in Ziffer 5.2.1 [X.] könne nicht für jede alters[X.]echt degenerierte Wirbelsäule gelten, da es eine gesunde Wirbelsäule für "Menschen jenseits des [X.]" nicht gebe. Dann aber würde die [X.] für Bandscheibenschäden bei keinem Versicherungsnehmer - Kleinkinder ausgenommen - zur Geltung kommen. Ein solches [X.] könne nicht richtig sein.
Beim Klä[X.] sei Invalidität mit einem Invaliditätsgrad von jedenfalls 80% binnen eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht. Der [X.] bemesse sich danach, inwieweit die normale körperliche oder geis-tige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt sei. Die Bemessung ha-be sich an der Gliedertaxe zu orientieren, auch wenn diese nicht unmit-telbar einschlägig sei, und dürfe nicht zu einem Wertungswiderspruch zu dieser führen. Im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, der an der Richtigkeit der Beschreibung der [X.] seitens des Klä[X.]s keinen Zweifel habe, spreche sehr viel 8 - 6 -

dafür, den Klä[X.] als voll invalide, jedenfalls als zu 80% invalide anzu-sehen. So führe der Verlust eines Beines schon zu einer Invalidität von 70%, obwohl dieser Verlust durchaus noch ein normales Leben zulasse. Von Letzterem könne beim Klä[X.] nicht die Rede sein, der regelmäßig Schmerzmittel benötige, wegen Inkontinenz Einlagen tragen müsse, [X.] radialen Bewegungen mehr ausführen könne und deshalb auf ein Korsett angewiesen sei, beim Gehen Ausfälle habe und sich zu Fuß nur in einem Nahbereich von ca. 300 - 350 m bewege. Den Alltag könne er nur mit Hilfe seiner Familie und dritter Personen bewältigen. Bei den durch die Schmerzproblematik bedingten psychischen Beeinträchtigun-gen handele es sich nicht um krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen i.S. des Ausschlusstatbestandes gemäß Ziffer 5.2.6 [X.], sondern diese resultierten aus den durch den Unfall verursachten körper-lichen Folgen. Eine Minderung des Invaliditätsgrades wegen Vorinvalidi-tät im Sinne einer bereits vor dem Unfall vorhandenen dauernden Beein-trächtigung der betroffenen Körperteile oder Sinnesorgane scheide aus. Der degenerative Vorschaden des Klä[X.]s sei dem Sachverständigen zu-folge für sein Alter völlig normal und ohne jegliche klassische Symptome gewesen. Allenfalls komme eine Berücksichtigung mitwirkender [X.] gemäß Ziffer 3 [X.] in Betracht. Auch das sei jedoch zu vernei-nen. Krankheiten oder Gebrechen hätten für die durch das Unfallereignis verursachte Gesundheitsschädigung oder deren Folgen nicht mitgewirkt, da sich beim Klä[X.] lediglich altersbedingte normale Verschleißzustände fänden. Zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestehe keine Veranlassung, da die Beklagte nach Schluss der letzten mündli-chen Verhandlung Tatsachen vorgetragen habe, die keinen Wiederauf-nahmegrund i.S. des § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bilden könnten. 9 - 7 -

10 I[X.] Das hält der rechtlichen Nachprüfung in entscheidenden Punk-ten nicht stand.
1. Zu folgen ist dem Berufungs[X.]icht lediglich darin, dass der Klä-[X.] am 11. Februar 2004 einen Unfall i.S von Ziffer 1.3 [X.] erlitten hat. Danach liegt ein Unfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötz-lich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Ge-sundheitsschädigung erleidet. Als Unfall ist damit jedes vom Versicher-ten nicht beherrschbare und in Bezug auf die dadurch verursachte Ge-sundheitsschädigung unfreiwillige Geschehen anzusehen. Diese Voraus-setzungen sind auch dann gegeben, wenn eine vom Willen des Versi-cherten getragene und gesteuerte Eigenbewegung zu einer plötzlichen Einwirkung von außen führt, wie es bei einer ursprünglich zwar gewollten und bewusst eingeleiteten, hinsichtlich des Tritts in eine Vertiefung ne-ben dem Plattenweg dann aber unerwarteten Ausweichbewegung mit nachfolgendem Straucheln der Fall ist, wobei die vom Klä[X.] bis dahin willentlich und problemlos getragene Last von 40 kg eine ebenfalls uner-wartete Eigendynamik entfaltet hat und vom Klä[X.] abgefangen bzw. ab-gestützt werden musste. Die anfänglich willensgesteuerte Eigenbewe-gung war in ihrem weiteren Verlauf nicht mehr gezielt und für den Klä[X.] beherrschbar, so dass Eigenbewegung und äußere Einwirkung zusam-mengetroffen sind, wobei die äußere Einwirkung ihrerseits Einfluss auf die veränderte und nicht mehr beherrschbare Eigenbewegung genom-men hat (vgl. Senatsurteile vom 23. November 1988 - [X.] - [X.], 73 unter 1 b; vom 12. Dezember 1984 - [X.] - [X.], 177 unter [X.]; [X.], [X.] 4. Aufl. [X.] 99 § 1 Rdn. 30; [X.] in [X.]/[X.], [X.]. [X.] 94 § 1 Rdn. 7; Bruck/[X.]/Wagner, [X.] [X.] Unfallversicherung 8. Aufl. [X.]. 11 - 8 -

[X.]; [X.] in [X.]/Langheid, [X.] 2. Aufl. § 179 Rdn. 8; [X.], 1181; [X.] r+s 2001, 217; [X.] NJW-RR 2003, 322). Schon dadurch ist der [X.] i.S. von Ziffer 1.3 [X.] erfüllt. Ein (zusätzliches) Aufschlagen auf den Boden ist - anders als die Revision dies meint - dazu nicht erforderlich. Es kommt daher in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob der Klä[X.] den star-ken Schmerz verspürte, bevor oder nachdem es zum Aufprall auf den Boden kam.
2. Die Schädigung der Bandscheiben, die sich der Klä[X.] zugezo-gen und die nach seinem Vortrag zur bedingungsgemäßen Invalidität ge-führt hat, ist nach 5.2.1 [X.] unter den dort genannten Voraussetzungen allerdings vom Versicherungsschutz grundsätzlich ausgeschlossen. Die Klausel nimmt bestimmte Gesundheitsschädigungen vom [X.] aus, wenn ihnen kein Unfallereignis vorange-gangen ist oder dieses sich nicht als überwiegend ursächlich für die [X.] Beeinträchtigung darstellt. Während für den [X.] die Beweislast trägt ([X.]Z 131, 15, 21), ist es Sache des Versicherungsnehmers, den Wiedereinschluss - insbesondere die überwiegende Ursächlichkeit des Unfallereignisses - darzulegen und zu beweisen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. September 2008 - [X.]/07 - [X.], 1683 [X.]. 5; [X.] aaO; [X.] r+s 2003, 255; [X.] aaO § 2 Rdn. 40). 12 Das Berufungs[X.]icht hat sich seine Überzeugung, dass das Un-fallereignis die überwiegende Ursache für die Gesundheitsschädigung ist, auf nicht gesicherter Tatsachengrundlage gebildet. Seine bisherigen Feststellungen zu diesem Punkt sind [X.] getroffen und lassen nicht den Schluss zu, dass dem Klä[X.] der ihm obliegende [X.] - 9 -

weis gelungen ist; insbesondere ist derzeit nicht davon auszugehen, dass das Unfallereignis zu 60% die Ursache des beim Klä[X.] [X.] gewesen ist. Eine abschließende Beurteilung ist erst nach weiterer Sachaufklärung möglich; diese wird das Beru-fungs[X.]icht nachzuholen haben. a) Die [X.]en streiten darüber, ob und gegebenenfalls mit wel-chem Verursachungsanteil der Bandscheibenvorfall (traumatische) Folge des Unfallereignisses oder Ergebnis bereits vorhandener degenerativer Veränderungen gewesen ist, für die sich das Unfallereignis lediglich als [X.] erweist. Das hat sich das Berufungs[X.]icht bei sei-nen Ausführungen nicht hinreichend vor Augen geführt. Es geht - anders als im Berufungsurteil dargestellt - nicht darum, dass der Leistungsaus-schluss schon bei jeglichen degenerativen Veränderungen, die altersge-mäß bei praktisch jedem Versicherten vorhanden sind, zum Tragen kommt und für einen Wiedereinschluss nahezu kein Anwendungsbereich verbliebe. Das Unfallereignis muss nicht die ausschließliche Ursache für die vom Versicherungsschutz an sich ausgenommene Schädigung an Bandscheiben gewesen sein, um einen Wiedereinschluss zu erreichen. Ebenso ist es, wenn degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule für die Gesundheitsschädigung nur eine untergeordnete Rolle gespielt ha-ben. Es ist lediglich erforderlich und vom Versicherungsnehmer [X.], dass das Unfallereignis die überwiegende Ursache für den Bandscheibenvorfall gewesen ist, auch wenn degenerative Veränderun-gen zur Gesundheitsschädigung beigetragen haben mögen. Das kommt bereits im Wortlaut der Klausel hinreichend zum Ausdruck. 14 b) Das Berufungs[X.]icht stützt seine Überzeugung, die [X.] Gewichtung der Verursachungsanteile von Unfallereignis einerseits 15 - 10 -

und degenerativen Veränderungen andererseits sei mit 60 zu 40 anzu-setzen, ausschließlich auf das schriftliche Gutachten des [X.]ichtlichen Sachverständigen und dessen mündliche Erläuterungen hierzu.
Der Sachverständige ist grundsätzlich davon ausgegangen, dass für einen traumatischen Bandscheibenvorfall eine Trias von adäquatem Trauma, vorheri[X.] Beschwerdefreiheit und sofortigem Einsetzen der Beschwerden nach dem Ereignis erforderlich ist. Aus Sicht des Sachver-ständigen kann der Fehltritt in die Bodenvertiefung mit nachfolgendem Sturz unter der Berücksichtigung der gleichzeitig in Kombination einset-zenden Rotations- und Biegekräfte für das traumatische Auslösen eines Bandscheibenvorfalls für sich allein genügen, so dass es auch insoweit unerheblich ist, ob der Klä[X.] den [X.] vor oder erst nach dem Aufschlagen auf dem Boden verspürt hat, weil es des [X.] auf den Boden als auslösendem Ereignis nicht notwendig bedarf. 16 Jedoch beruht die seitens des Sachverständigen erfolgte [X.] der [X.] ersichtlich auf einer Schätzung, die im schriftlichen Gutachten zudem nicht begründet wird; statt dessen enthält es lediglich die nicht näher erläuterte Feststellung, aus Sicht des Sach-verständigen sei "der Anteil der begleitenden verschleißbedingten [X.] [X.]in[X.] als der Mitwirkungsanteil des Unfalls". Anlässlich seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige u.a. ausgeführt, der zu beurteilende Vorfall falle nicht mehr unter eine normale Bewe-gung, die täglich passieren könne. Es lägen verschleißbedingte Verände-rungen der Wirbelsäule beim Klä[X.] vor. Diese Kombination begünstige das Auftreten des Vorfalles. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich bei ei-nem jungen Menschen mit gesunder Wirbelsäule ereignet hätte, halte er für deutlich [X.]in[X.]. Letztlich gebe es keine verlässlichen medizinischen 17 - 11 -

Daten, die er seinem Gutachten zugrunde legen könne. Für einen stum-men Bandscheibenvorfall habe er zwar keine Anhaltspunkte, könne die-sen aber auch nicht ausschließen.
c) Das Berufungs[X.]icht hat nicht dargelegt, weshalb es trotz die-ser Unwägbarkeiten und der fehlenden Begründung für das vom Sach-verständigen gewonnene Ergebnis dessen Beurteilung gefolgt und von einer zuverlässigen und gesicherten Einschätzung der [X.] (Unfall) zu 40% (Vorschäden) ausgegangen ist, mithin den vom Klä[X.] zu führenden Beweis als erbracht angesehen hat. Es ist Aufgabe des Tatrichters, Gutachten [X.]ichtlich bestellter Sachverständi-[X.] sorgfältig und kritisch zu würdigen und auf die Ausräumung mögli-cher Unvollständigkeiten, Unklarheiten und Zweifel hinzuwirken (Senats-urteil vom 3. Dezember 2008 - [X.] - [X.]. 8 m.w.[X.] bei juris; [X.], Urteil vom 4. März 1997 - [X.] - NJW 1997, 1638 unter [X.]). Dazu kann es geboten sein, ein weiteres Gutachten einzuholen, insbe-sondere wenn das Gutachten des [X.]ichtlichen Sachverständigen insge-samt oder zumindest in einzelnen Punkten zu vage und unsicher er-scheint (Senatsurteil vom 15. Juni 1994 - [X.] - [X.], 1054 unter 1). 18 Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Das Beru-fungs[X.]icht ist auf die entscheidenden Fragen nicht eingegangen, son-dern hat sich die bereits in der Berufungsbegründung beanstandete Sichtweise des Land[X.]ichts zu eigen gemacht, ohne sich mit den [X.] auseinanderzusetzen. Seine Begründung [X.] sich in der Bezugnahme auf das land[X.]ichtliche Urteil, was in-des eine sorgfältige und vor allem auch kritische Würdigung des Sach-verständigengutachtens nicht ersetzen kann. 19 - 12 -

20 d) Das Berufungs[X.]icht geht ferner nicht auf das von der [X.] beigebrachte vor[X.]ichtliche Gutachten des Sachverständigen E.

ein, der zu anderen Ergebnissen als der [X.]ichtliche Sachver-ständige gelangt ist und dem Operationsbericht vom 4. März 2004 [X.] der damals vorgefundenen narbig eingeheilten [X.] deutliche Hinweise auf ein älteres Bandscheibenleiden entnommen hat. Ebenso hat es den Beweisantrag der Beklagten, ein weiteres [X.]ichtli-ches Gutachten einzuholen (§ 412 Abs. 1 ZPO), nicht beschieden. Einen solchen Beweisantrag darf das Berufungs[X.]icht aber nur übergehen, wenn es nach Ausschöpfung der bisherigen Beweismittel und [X.] zur Sachverhaltsaufklärung das bereits vorliegende Gutachten für vollständig und überzeugend hält und die Gründe dafür im Urteil ausführ-lich darlegt. Daran fehlt es.
Es hat [X.]ade nicht nachvollziehbar gemacht, weshalb es nicht geboten war, ein zusätzliches Gutachten einzuholen. Legt eine [X.] ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des [X.]ichtlich bestellten Sachverständigen steht, ist vom Tatrichter be-sondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Falle - wie auch im Falle sich widersprechender Gutachten zweier [X.]ichtlich bestellter Sachver-ständi[X.] - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logische Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (vgl. Senatsurteile vom 24. September 2008 - [X.]/06 - [X.], 1676 [X.]. 11; vom 22. September 2004 - [X.]/03 - [X.], 676 unter [X.] b, jeweils m.w.[X.]). Erst wenn seine Aufklärungsbemühungen erfolglos geblieben sind, darf der Tatrichter Diskrepanzen frei würdigen, indem er sich einem der Gutachten mit in sich schlüssi[X.] Begründung anschließt (vgl. Senatsurteil vom 3. [X.] - 13 -

ber 2008 aaO; [X.], Urteil vom 27. März 2001 - [X.], 859 unter II). Dann muss die Beweiswürdigung erkennen lassen, dass die einander widersprechenden Ansichten der Sachverständigen gegeneinander abgewogen worden sind und sich nach Herausarbeitung der abweichenden Standpunkte keine weiteren [X.] ergeben haben (Senatsurteil vom 3. Dezember aaO; [X.], Urteil vom 23. September 1986 - [X.] - NJW 1987, 442 unter [X.] a). Das lässt sich dem Berufungsurteil ebenfalls nicht entnehmen.
3. Das Berufungsurteil leidet noch an einem weiteren wesentlichen Mangel. Denn selbst wenn der Klä[X.] den Beweis geführt hätte, dass das Unfallereignis die überwiegende Ursache für die geltend gemachte Gesundheitsschädigung gewesen ist, hat es das Berufungs[X.]icht ver-säumt, ausreichende Feststellungen zu den Auswirkungen dieser Ge-sundheitsschädigung, insbesondere zum Invaliditätsgrad zu treffen. Auch hier obliegt es dem Klä[X.], den Nachweis für die konkrete Ausgestaltung des Gesundheitsschadens und seiner Dauerhaftigkeit zu führen (Senats-urteile vom 17. Oktober 2001 - [X.]/00 - NJW-RR 2002, 166 unter [X.] a; vom 12. November 1997 - [X.] - r+s 1998, 80 unter 4 [X.] m.w.[X.]). 22 a) Das Berufungs[X.]icht hat seine Überzeugung, der Klä[X.] sei "jedenfalls zu 80% invalide", aus dem Ergebnis der persönlichen Anhö-rung des Klä[X.]s, der sein Beschwerdebild subjektiv geschildert hat, [X.] daraus abgeleitet, dass der Sachverständige das geschilderte Be-schwerdebild für verifizierbar gehalten habe. Zum Invaliditätsgrad selbst ist der Sachverständige nicht gehört worden. Zu dieser Frage findet sich keine [X.]ichtliche Beweisanordnung; sie war insgesamt nicht Gegen-stand der Beweiserhebung. Weshalb das Berufungs[X.]icht zu diesem 23 - 14 -

Punkt von der Einholung eines (ergänzenden) Sachverständigengutach-tens abgesehen hat, wird aus dem Berufungsurteil nicht ersichtlich. Ei-gene Sachkunde, die das Berufungs[X.]icht zu einer eigenständigen Be-urteilung medizinischer Fragen in die Lage versetzt hätte, ist gleichfalls nicht erkennbar. Die Beklagte hat sich ausdrücklich auf die Einholung ei-nes Sachverständigengutachtens berufen; das Berufungs[X.]icht hat auch diesen Beweisantrag ohne jede Begründung übergangen. Hier wird es weitere Feststellungen treffen müssen, was Art und Umfang unfallbe-dingter Invalidität anbelangt. Erst wenn Art und Ausmaß der tatrichterlich bislang nicht festgestellten Beeinträchtigungen feststehen, wird das Be-rufungs[X.]icht gegebenenfalls der Frage nachgehen müssen, ob - wie von der Beklagten geltend gemacht - die Voraussetzungen des [X.] unter Ziffer 5.2.6 [X.] ("krankhafte Störungen infol-ge psychischer Reaktionen") vorliegen können. Der Senat verweist hin-sichtlich der Voraussetzungen dieser Klausel auf seine bisherige Recht-sprechung (Urteile vom 29. September 2004 - [X.]/03 - VersR 2004, 1449 unter 2 b; vom 19. März 2003 - [X.] - VersR 2003, 634 unter [X.]; [X.]Z 159, 360 ff.). b) Die Ausführungen des Berufungs[X.]ichts lassen aber auch sonst nicht den Schluss zu, zugunsten des Klä[X.]s sei von einem Invali-ditätsgrad in Höhe von 80% auszugehen. Der vom Berufungs[X.]icht her-gestellte Bezug zur Gliedertaxe, die beim Klä[X.] ersichtlich nicht ein-schlägig ist, ist fehlerhaft. Welche Höhe die vom [X.] zu erbringende Invaliditätsleistung hat, bestimmt sich nach dem Grad einer (dauerhaften) Beeinträchtigung der normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, der grundsätzlich durch Hinzuziehung eines Sachverständigen zu ermitteln ist. Feste und auf einem abstrakt-generellen Maßstab basierende Invaliditätsgrade finden sich lediglich für 24 - 15 -

den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit bestimmter, in der Gliedertaxe im Einzelnen aufgeführter Körperteile oder Sinnesorgane. In diesen Fäl-len kommt es auf die genauen Auswirkungen der gesundheitlichen Be-schädigung nicht an. Vielmehr steht der Invaliditätsgrad nach der Glie-dertaxe unverrückbar fest; die allgemeinen Regelungen für die Invalidi-tätsbemessung treten dahinter zurück (vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 2001 - [X.], 360 unter 2 a).
Mit den vom Klä[X.] behaupteten Dauerschäden hat dies schon deshalb nichts zu tun, weil sich diese unter die Gliedertaxe nicht einord-nen lassen. Es ist daher weder ein Vergleich mit der Gliedertaxe über-haupt statthaft, wie etwa zwischen den vom Klä[X.] geltend gemachten Beeinträchtigungen und dem Invaliditätsgrad für den Verlust eines [X.], noch kann dieser die konkrete Bemessung des Invaliditätsgrades ersetzen oder auch nur ergänzen; schon gar nicht kann er die Einholung eines Sachverständigengutachtens entbehrlich machen. Auch aus [X.] steht das Ergebnis des Berufungs[X.]ichts, der Klä[X.] sei zu 80% invalide, auf einer nicht tragfähigen Grundlage. 25 4. Auch die Ausführungen, mit denen das Berufungs[X.]icht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, sind schließlich nicht frei von [X.]. Nach § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hat das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung insbeson-dere dann anzuordnen, wenn nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund i.S. der §§ 579, 580 ZPO bilden (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 1999 - [X.] - NJW 2000, 142 unter II m.w.[X.]); auf die weiteren Vorausset-zungen des § 581 ZPO kommt es - entgegen der Revisionserwiderung - dabei nicht an. 26 - 16 -

27 Vom Vorliegen eines [X.] war hier auszuge-hen. Die Bestimmung des § 296a ZPO, auf die das Berufungs[X.]icht [X.], gilt im Anwendungsbereich des § 156 ZPO nicht (vgl. nur [X.]/-Gre[X.] ZPO 27. Aufl. § 156 Rdn. 3). Es genügt zudem, dass die für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht werden ([X.]/Gre[X.] aaO; [X.], ZPO 3. Aufl. § 156 Rdn. 7). Die Auseinandersetzung mit dem glaubhaft gemachten neuen Prozessstoff gehört in die wiedereröffnete mündliche Verhandlung. Entgegen dem Berufungs[X.]icht ist es daher für die Ent-scheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung uner-heblich, ob der Klä[X.] die Tatsachen anders als die Beklagte in ihrem nach[X.]eichten Schriftsatz dargestellt und ebenfalls Beweis für die Rich-tigkeit seiner Behauptungen angeboten hat. Der nachträgliche Vortrag der Beklagten hat den [X.] des § 580 Nr. 4 ZPO zum Gegenstand, wonach es einen [X.] darstellt, wenn das Urteil von der gegnerischen [X.] durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist. Eine solche Straftat kann in einem (versuchten) Prozessbetrug liegen, wenn nämlich die gegnerische [X.] wissentlich unwahr vorgetragen hat (Zöl-ler/Gre[X.] aaO § 580 Rdn. 11). Der Klä[X.] hat behauptet, er habe nur noch einen eingeschränkten Bewegungsradius, Drehungen seines Ober-körpers seien nicht mehr möglich, er könne nicht mehr Auto fahren und sei auf eine Gehhilfe angewiesen. Zudem hat er gegenüber dem Sach-verständigen ein stark hinkendes Gangbild gezeigt. Nach den [X.] der von der Beklagten beauftragten Detektive hat sich der Klä[X.] hingegen wiederholt ohne Gehstock bewegt, nennenswerte Bewegungs-einschränkungen oder ein Hinken waren dabei nicht erkennbar; der [X.] - 17 -

[X.] habe län[X.]e Autofahrten unternommen und Arbeiten in seinem Haus bzw. im Garten verrichtet. Schließlich sind gegen den Klä[X.] verschie-dene Ermittlungen wegen Körperverletzung anhängig, weil er aktiv in Prügeleien verwickelt gewesen sein soll. Ferner soll der Klä[X.] Dritten handwerkliche Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten haben und im [X.] als Mana[X.] einer Musikgruppe aufgeführt sein. Diese [X.] passen nicht in das Bild einer versicherten Person, die einen Invalidi-tätsgrad von jedenfalls 80% geltend macht. Das Berufungs[X.]icht hätte diesen Umständen nachgehen müssen. Die Beklagte muss sich in [X.] Zusammenhang nicht darauf verweisen lassen, bereits aufgrund ih-res Teilunterliegens in erster Instanz Anlass gehabt zu haben, einen De-tektiv einzuschalten. Ohne konkreten Anhalt, der sich für die Beklagte ausweislich der von ihr beigebrachten Glaubhaftmachung erst zu einem späteren Zeitpunkt ergeben hat, ist ein Versicherer nicht verpflichtet, - 18 -

Ermittlungen gegen den Versicherungsnehmer einzuleiten, da er - bis ihm Gegenteiliges bekannt wird - vom Leitbild eines redlichen [X.] ausgehen darf. [X.] [X.] [X.] Dr. [X.] Dr. [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 26.01.2007 - 18 O 231/07 - [X.], Entscheidung vom 13.12.2007 - 16 U 26/07 -

Meta

IV ZR 6/08

28.01.2009

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2009, Az. IV ZR 6/08 (REWIS RS 2009, 5415)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 5415

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16 U 26/07

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