Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.06.2017, Az. 2 StR 178/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8927

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STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) STRAFTATEN REVISION (STRAFRECHT) GRUNDRECHTE STRAFVOLLZUG SICHERUNGSVERWAHRUNG

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Gegenstand

Strafverurteilung: Fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe


Leitsatz

Neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ist die fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung zulässig.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 3. Dezember 2015 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen und Einstellung von zwei Anklagevorwürfen – wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.]ugendlichen und vorsätzlicher Körperverletzung, sexuellen Missbrauchs von Kindern, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von [X.]ugendlichen in vier Fällen sowie wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, die besondere Schwere der Schuld festgestellt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

2

Dagegen richtet sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

3

Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

4

1. Der 1968 geborene Angeklagte umgab sich in der Zeit von [X.] 2006 bis Dezember 2014 mit einer – in Größe und Zusammensetzung variierenden – Gruppe aus überwiegend männlichen [X.]ugendlichen. Mit diesen traf er sich zur gemeinsamen Freizeitgestaltung in einem zu seiner Wohnung gehörenden Kellerraum und ab 2008 in einem [X.] auf einem Campingplatz. Die [X.]ugendlichen stammten überwiegend aus schwierigen familiären und [X.] Verhältnissen und verfügten nur über geringes Selbstbewusstsein. Dadurch, dass der Angeklagte ihnen Aufmerksamkeit schenkte, den jungen Leuten mit der Ausrichtung von Feiern und durch gemeinsame „männerbezogene“ Freizeitaktivitäten eine interessante Abwechslung bot und bei persönlichen Problemen Hilfe leistete, entwickelte er sich für sie zu einer vaterähnlichen Bezugsperson. Aus Dankbarkeit für die persönliche Zuwendung fühlten sich die [X.]ugendlichen dem Angeklagten gegenüber verbunden und verpflichtet. Gleichzeitig gelang es dem bestimmt auftretenden Angeklagten, eine Atmosphäre der latenten Angst zu erzeugen, indem er einzelne Mitglieder der Gruppe durch Tätlichkeiten und Drohungen einschüchterte. Dazu trug vor allem bei, dass er behauptete, Mitarbeiter des [X.] Geheimdienstes gewesen zu sein, schon einmal ungestraft getötet zu haben und über Kontakte zu ranghohen Beamten der örtlichen Polizei zu verfügen. Die auf diese Weise erzeugte Mischung aus Dankbarkeit und Angst nutzte der Angeklagte in der Folge zu einer Vielzahl von sexuellen Kontakten zu den ihm unterlegenen und zum Teil von ihm abhängigen [X.]ugendlichen aus. Zwischen [X.] 2007 und Frühjahr 2014 missbrauchte der Angeklagte in seiner Wohnung und in dem [X.] in insgesamt acht Fällen, u.a. durch Vollzug des Analverkehrs, die Nebenkläger [X.]und [X.]sowie den [X.]  . Die Tatopfer waren zu den verschiedenen [X.] zwischen 13 und 17 [X.]ahre alt.

5

2. Der 1996 geborene Nebenkläger     [X.], eines der Opfer der sexuellen Übergriffe des Angeklagten, kam bereits als Zwölfjähriger über seinen Bruder zu der Gruppe der [X.]ugendlichen. Da der Angeklagte sich besonders um ihn bemühte und ehrgeizige Pläne für ihn entwickelte, galt er als dessen Liebling. Nach dem Abschluss der Schule gelang es     [X.], den zuvor sehr engen Kontakt zum Angeklagten immer weiter zu reduzieren und Distanz von ihm zu gewinnen. Mitte April 2014 erstattete er schließlich gegen den Angeklagten Strafanzeige bei der Polizei. Der Angeklagte erfuhr davon, als die Polizei am 6. November 2014 seine Wohnung und das [X.] durchsuchte. Er befürchtete, dass bei einer Fortsetzung der Ermittlungen die zahlreichen weiteren Übergriffe gegen andere [X.]ugendliche zu Tage treten würden und man ihn deshalb zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilen würde. Noch während der laufenden Durchsuchung wies er – unbemerkt von den anwesenden Polizeibeamten – den Zeugen F.     telefonisch an, in das [X.] einzubrechen und belastendes Beweismaterial zu beseitigen. Er forderte ihn darüber hinaus auf, bei einer anstehenden polizeilichen Vernehmung falsch auszusagen. Um das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zur Einstellung zu bringen, fasste er in der weiteren Folge den Entschluss,     [X.]zu töten. Die Tötung wollte der Angeklagte dabei als Selbstmord erscheinen lassen, um den Eindruck zu erwecken, der Nebenkläger habe sich durch falsche Angaben gegenüber der Polizei in eine ausweglose Lage gebracht.

6

Am frühen Morgen des 10. Dezember 2014 verschaffte er sich Zugang zur Wohnung des [X.] in [X.].    . Dort zwang er     [X.] unter massiven Drohungen, durch Sprach- und SMS-Nachrichten sowie in schriftlicher Form die erhobenen Tatvorwürfe des sexuellen Missbrauchs zu widerrufen. Unter Vorhalten eines Messers fuhr der Angeklagte mit dem Nebenkläger zur nahen    T.    und führte ihn bis zur Mitte der an dieser Stelle 20 Meter hohen Staumauer. Dort verlangte er vom Nebenkläger als „Vertrauensbeweis“, auf die andere Seite des [X.] zu klettern und – nur vom Angeklagten an den Händen festgehalten – dem Tod ins Auge zu blicken.    [X.]kam dieser Aufforderung unter dem Eindruck der vom Angeklagten in der Wohnung ausgesprochenen Drohungen nach. Er stellte sich jenseits des Geländers an den Rand der [X.]uer und ließ sich ohne weitere Sicherung vom Angeklagten an den Händen halten. In dieser Lage ließ der Angeklagte den Nebenkläger in Tötungsabsicht los.     [X.]stürzte die Staumauer hinunter und schlug auf der davor liegenden Wiese auf. Durch den Sturz zog er sich ein offenes Schädel-Hirn-Trauma, einen [X.] und zahlreiche Platzwunden und Hämatome zu. In der Vorstellung, alles Erforderliche für die Tötung des [X.] getan zu haben, entfernte sich der Angeklagte. Der lebensgefährlich verletzte Nebenkläger wurde einige Stunden später stark unterkühlt von einer Spaziergängerin aufgefunden und überlebte infolge der gerade noch rechtzeitig erfolgten notfallmedizinischen Versorgung.

7

3. Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei Begehung sowohl der Sexualstraftaten als auch des versuchten Tötungsdelikts uneingeschränkt schuldfähig war. Die Tat vom 10. Dezember 2014 zum Nachteil des [X.] hat es als versuchten [X.] in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Für die Sexualstraftaten zum Nachteil der Nebenkläger [X.] und [X.]und des [X.]   hat das [X.] Einzelstrafen zwischen zehn Monaten bis zu vier [X.]ahren festgesetzt und mit der lebenslangen Freiheitsstrafe für den versuchten Mord auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt. Die besondere Schwere der Schuld hat es im Hinblick auf die Gesamtstrafe festgestellt. Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das sachverständig beratene [X.] angenommen, dass die Gefährlichkeit des Angeklagten auch nicht in höherem Lebensalter unter der Einwirkung der zu erwartenden langen Haftstrafe herabgesetzt sein werde. Die Anordnung der [X.]ßregel sei deshalb geboten, weil durch sie im Falle der bedingten Entlassung aus der Strafhaft und der Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kraft Gesetzes Führungsaufsicht eintrete.

II.

8

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] hat im Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten ergeben.

III.

9

Auch der [X.]ßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

1. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB festgestellt und das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen tragfähig begründet.

2. Auch das ihm eingeräumte Ermessen hat das [X.] ohne Rechtsfehler ausgeübt und die für die Ermessensentscheidung maßgeblichen Gründe ausreichend dargelegt.

a) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist grundsätzlich auch neben der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe möglich.

Nach der bis zum 27. August 2002 geltenden Fassung der Vorschrift des § 66 StGB war die Anordnung von Sicherungsverwahrung nur neben zeitiger Freiheitsstrafe zulässig. Nach Kritik der Rechtsprechung an dieser Regelung (vgl. [X.], Urteil vom 21. März 2000 – 5 StR 41/00, [X.], 417; Senat, Beschluss vom 12. [X.]uli 2002 – 2 [X.], N[X.]W 2002, 3559) hat der Gesetzgeber im Rahmen des [X.] vom 21. August 2002 ([X.] [X.]) das Wort „zeitig“ aus allen Absätzen des § 66 StGB gestrichen, um auch die lebenslange Freiheitsstrafe vom Anwendungsbereich der Regelung zu erfassen (BT-Drucks. 14/9456, S. 8). Durch das Urteil des [X.] zur Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Sicherungsverwahrung vom 4. [X.]i 2011 (2 BvR 2333/08 u.a. – [X.] 128, 326) wurde diese gesetzgeberische Entscheidung nicht berührt, da sich die Bedenken des Gerichts ausdrücklich nur auf die Ausgestaltung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und den vorhergehenden Strafvollzug, nicht aber auf die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 StGB bezogen. In Anbetracht der eindeutigen Gesetzesfassung und des dahinterstehenden gesetzgeberischen Willens entspricht es ständiger Rechtsprechung des [X.], dass die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe im Fall des § 66 Abs. 1 StGB, der dem Tatgericht bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen kein Ermessen einräumt, zulässig ist, ohne dass dem die [X.]ßgaben der Erforderlichkeit oder der Verhältnismäßigkeit entgegenstünden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. [X.]anuar 2013 – 1 [X.], [X.], 256; Urteil vom 24. Oktober 2013 – 4 [X.], [X.]St 59, 56). Dafür spricht insbesondere auch, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen ein umfassender Schutz der Allgemeinheit ohne eine Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht gewährleistet wäre. Würde bei einem gefährlichen Hangtäter auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit Rücksicht auf eine gleichzeitig ausgesprochene lebenslange Freiheitsstrafe verzichtet, könnte die gebotene [X.]ßregelanordnung aufgrund des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) nicht mehr nachgeholt werden, wenn es auf ein oder mehrere lediglich zugunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel zum Wegfall der lebenslangen Freiheitsstrafe kommt und nur noch auf eine zeitige Freiheitsstrafe erkannt wird. Gleiches kann sich aufgrund § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO in dem – seltenen, aber möglichen – Fall ergeben, dass das Urteil in einem zugunsten des Verurteilten geführten Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben wird und in der erneuten Hauptverhandlung an die Stelle der lebenslangen Freiheitsstrafe eine zeitige Freiheitsstrafe tritt ([X.] aaO, [X.]St 59, 56, 65 mwN).

Soweit das Gesetz in § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 StGB die Anordnung der [X.]ßregel in das Ermessen des Tatgerichts stellt, hat der [X.] deren Zulässigkeit neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen. Im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat er in bisherigen Entscheidungen jedoch eine einzelfallbezogene Prüfung verlangt, ob für die Anordnung der Sicherungsverwahrung ein Bedarf besteht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Dezember 2012 – 2 [X.], [X.], 630 und vom 24. [X.]anuar 2017 – 2 [X.]). In sog. Altfällen, in denen auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung vom 1. [X.]uni 2013 ([X.] I 2012, 2425) weiterhin auf der Grundlage des bisherigen [X.]ßstabs strikter Verhältnismäßigkeit ([X.], aaO, [X.] 128, 326, 405 ff.) zu entscheiden war (vgl. [X.], Urteil vom 23. April 2013 – 5 [X.]), wurde die Anordnung von Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des § 66 Abs. 2 und des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als jedenfalls nicht unerlässlich angesehen (vgl. [X.], Urteil vom 10. [X.]anuar 2013 – 3 [X.]; Senat, Urteil vom 25. [X.]uli 2012 – 2 [X.], [X.]R StGB § 66 Abs. 2 Ermessens-entscheidung 8; [X.], Urteile vom 12. [X.]uni 2013 – 5 [X.], [X.], 524, 525; vom 17. April 2014 – 3 StR 355/13, [X.], 207). Diese [X.]udikatur kommt vorliegend nicht zum Tragen, da die [X.] zum Nachteil des [X.]   und des Geschädigten [X.]    nach dem 31. [X.]i 2013 begangen worden sind und somit gemäß Art. 316f Abs. 1 [X.] die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der ab dem 1. [X.]uni 2013 geltenden Fassung Anwendung finden.

b) Die im Rahmen der Ermessensentscheidung angestellten Erwägungen des [X.]s zu den erwartenden Wirkungen eines langjährigen Vollzugs und den mit fortgeschrittenem Lebensalter erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind frei von [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 11. [X.]uli 2013 – 3 [X.], [X.], 707).

c) Auch die Entscheidung des [X.]s, die Sicherungsverwahrung im Hinblick darauf anzuordnen, dass – anders als bei alleiniger Verhängung von lebenslanger Freiheitsstrafe – bei bedingter Entlassung kraft Gesetzes Führungsaufsicht eintritt, hält sich im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens.

aa) Wie vom [X.] zutreffend ausgeführt, bedeutet die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung zugleich, dass regelmäßig auch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auszusetzen ist.

Eine lebenslange Freiheitsstrafe kann nach Ablauf der nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 StGB bestimmten Verbüßungsdauer nur dann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (vgl. § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Solange der Verurteilte noch gefährlich ist, wird die lebenslange Freiheitsstrafe vollstreckt. Erst wenn sich herausstellt, dass von dem Verurteilten keine Gefahr mehr ausgeht, wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. In diesem Falle dürfte indes auch eine zusätzlich zur lebenslangen Strafe angeordnete Sicherungsverwahrung nicht mehr vollzogen werden (§ 67c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Auch sie müsste zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 67c Abs. 1 Nr. 1, Satz 2 1. Halbsatz StGB). Angesichts dessen erscheint es kaum denkbar, dass im [X.] an eine bedingte Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe die Sicherungsverwahrung wegen fortbestehender Gefährlichkeit des Betroffenen vollstreckt werden wird (Senat, Urteil vom 25. [X.]uli 2012 – 2 [X.], [X.]R StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; vgl. auch [X.], Beschluss vom 8. November 2006 – 2 BvR 578/02 u.a., [X.] 117, 71, 93; [X.], Beschluss vom 6. [X.]uli 2010 – 5 [X.], NStZ-RR 2011, 41; kritisch zur gegenwärtigen Rechtslage Streng [X.]Z 2017, 507). Auch die verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine spätere Entscheidung über eine etwaige Strafaussetzung entsprechen denjenigen, die für die nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB zu klärende Frage gelten, ob der Zweck der [X.]ßregel die Unterbringung auch nach der Verbüßung der Strafe noch erfordert (§ 454 i.V.m. § 463 Abs. 1 und 3 StPO). Insbesondere ist stets unter Heranziehung eines Sachverständigen zu klären, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht (§ 463 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 2 StPO).

bb) Auch wenn es wegen des Gleichlaufs des [X.] zu keiner Vollstreckung der [X.]ßregel kommen dürfte, hat deren Anordnung neben der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe (belastende wie begünstigende) rechtliche Auswirkungen, die durch alternative [X.]ßnahmen nicht erreicht werden können. Im Einzelnen:

(1) Bei Anordnung von Sicherungsverwahrung ist nach bedingter Entlassung aus dem Strafvollzug eine längere und intensivere Überwachung des [X.] möglich.

Wird die weitere Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, beträgt die Dauer der Bewährungszeit fünf [X.]ahre (§ 57 Abs. 3 Satz 1 StGB). Bei Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung tritt nach §§ 67c Abs. 1 Satz 1, [X.]., 68 Abs. 2 StGB Führungsaufsicht mit den in §§ 68a ff. StGB vorgesehenen Begleitmaßnahmen ein. Zwar dauert die Führungsaufsicht gemäß § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB bei einer Mindestdauer von zwei [X.]ahren ebenfalls nur höchstens fünf [X.]ahre. Diese – bei entsprechender Bestimmung des Gerichts nach § 68g Abs. 2 Satz 1 StGB bis zum Ablauf der Bewährungszeit ruhende – Höchstdauer kann aber unter den Voraussetzungen von § 68c Abs. 2 oder Abs. 3 Nr. 2 StGB überschritten und unbefristete Führungsaufsicht angeordnet werden. Die dadurch ermöglichte längere Überwachung nach der Entlassung aus der Strafhaft kann auf andere Weise als durch die primäre Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht erreicht werden, da die gerichtliche Anordnung von Führungsaufsicht gemäß § 68 Abs. 1 StGB in formeller Hinsicht nur bei zeitiger Freiheitsstrafe möglich ist und Führungsaufsicht nicht selbständig angeordnet werden kann (§ 71 StGB). Die im Rahmen der Führungsaufsicht zulässigen, über § 145a StGB strafbewehrten Weisungen gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 11 StGB ermöglichen ebenso wie Weisungen nach § 68b Abs. 2 StGB eine gegenüber den mit der Bewährungsentscheidung verbindbaren Weisungen nach § 57a Abs. 3 Satz 2 StGB i.V.m. § 56c StGB eine gezieltere und intensivere Überwachung des Verurteilten (vgl. [X.]/[X.], 3. Aufl., § 68c Rn. 2). Insbesondere die Regelungen zur Vorstellungsweisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB und zur Therapieweisung nach § 68b Abs. 2 Satz 2 StGB eröffnen eine spezialpräventive Interventionsmöglichkeit zur psychiatrischen und psycho- bzw. sozialtherapeutischen Betreuung und Behandlung des Verurteilten unter Einbeziehung einer forensischen Ambulanz.

(2) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung eröffnet die Möglichkeit der Überweisung aus dem Strafvollzug in die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt.

Nach § 67a Abs. 2 Satz 1 StGB kann eine Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, nachträglich in ein psychiatrisches Krankenhaus oder eine Entziehungsanstalt überwiesen werden, wenn ihre Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann. Die Überweisung in den Vollzug der [X.]ßregeln nach § 63 oder § 64 StGB kann gemäß § 67a Abs. 2 Satz 2 StGB bereits dann erfolgen, wenn die Person sich noch im Strafvollzug befindet und die Überweisung zur Heilbehandlung oder einer Entziehungskur angezeigt ist. Dies bedeutet, dass eine Behandlung auch dann möglich ist, wenn kein Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit nach §§ 20, 21 StGB gegeben ist. Voraussetzung ist lediglich, dass eine behandlungsbedürftige psychische Disposition oder eine Suchtmittelproblematik vorliegt und Aussicht auf Erfolg der Behandlung besteht ([X.]/[X.], 3. Aufl., § 67a Rn. 14; [X.]/Sinn, 9. Aufl., § 67a Rn. 5, 6). Ziel der Regelung ist es, bei allen Strafgefangenen, bei denen Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, schon während des Strafvollzugs alle therapeutischen Möglichkeiten zu nutzen, um die Gefährlichkeit zu reduzieren und die spätere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entbehrlich zu machen (BT-Drucks. 17/9874, S. 19; krit. [X.], StGB, 64. Aufl., § 67a Rn. 5 ff.).

(3) Straftäter, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet ist, haben bereits im Vollzug der Freiheitsstrafe einen gerichtlich effektiv durchsetzbaren Anspruch auf intensive Behandlung.

In Umsetzung des verfassungsrechtlichen [X.] und des „[X.]“ ([X.], Urteil vom 4. [X.]i 2011 – 2 BvR 2333/08 u.a., [X.] 128, 326, 379 f.) hat der Gesetzgeber mit der durch das „Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung“ vom 5. Dezember 2012 ([X.] I S. 2425) zum 1. [X.]uni 2013 eingeführten Vorschrift des § 66c Abs. 2 StGB vorgesehen, dass Tätern mit angeordneter Sicherungsverwahrung schon im Strafvollzug eine umfassende Betreuung, insbesondere eine sozialtherapeutische Behandlung, anzubieten ist. Die Angebote haben das Ziel, die Vollstreckung der Unterbringung möglichst entbehrlich zu machen. Die bundesrechtliche Vorgabe des § 66c StGB haben die Länder durch entsprechende Regelungen in ihren [X.]n ausgefüllt (vgl. Übersicht bei [X.]/[X.]/[X.], 3. Aufl., § 66c Rn. 93 ff.). So sieht § 92 Abs. 1 [X.] [X.] (Gesetz zur Regelung des Vollzugs der Freiheitsstrafe in [X.] vom 13. [X.]anuar 2015, [X.]) vor, dass Gefangenen bei angeordneter Sicherungsverwahrung im Strafvollzug „unverzüglich eine individuelle, intensive und therapiegerichtete Betreuung im Sinne von § 66c Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches anzubieten“ und „in den Vollzugsplan und seine Fortschreibungen (...) gesondert aufzunehmen [ist], ob standardisierte Angebote ausreichen oder individuell zugeschnittene Behandlungsangebote notwendig sind und wahrgenommen werden.“ Gemäß § 92 Abs. 3 [X.] [X.] hat die Verlegung in sozialtherapeutische Einrichtungen so frühzeitig zu erfolgen, dass der Abschluss der Behandlung noch während des Vollzuges der Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Zur Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben hat das Land [X.] für die Gruppe der Strafgefangenen mit anschließender Sicherungsverwahrung inzwischen umfangreiche [X.] erarbeitet (vgl. Skirl, [X.] 2013, 348, 361 f.).

Ob Gefangenen die in § 66c Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgeschriebene Betreuung angeboten worden ist, unterliegt nach § 119a [X.] einer periodischen strafvollzugsbegleitenden gerichtlichen Kontrolle durch die zuständige Strafvollstreckungskammer. In dem Verfahren, für das dem Gefangenen von Amts wegen ein Rechtsanwalt beizuordnen ist (§ 119a Abs. 6 [X.]), trifft das Gericht Feststellungen, die gemäß § 119a Abs. 7 [X.] für die nachfolgenden Entscheidungen bindend sind.

Im Hinblick auf die begrenzten Kapazitäten in den sozialtherapeutischen Einrichtungen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl., Abschn. [X.] Rn. 3 ff.; [X.]/[X.]/[X.]ehle/[X.], [X.] – [X.] und Länder, 6. Aufl., § 9 [X.] Rn. 4) führen die gesetzlichen [X.] zu einer Privilegierung von Strafgefangenen mit angeordneter Sicherungsverwahrung gegenüber den Gefangenen, die „nur“ eine lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe zu verbüßen haben (vgl. OLG Frankfurt am [X.]in, Beschluss vom 14. [X.]anuar 2016 – 3 [X.] 780/15 ([X.]), Forum Strafvollzug 2016, 221; [X.], Beschluss vom 15. [X.]anuar 2016 – 3 [X.]/15 Vollz, bei [X.], [X.], 206 f.; [X.]/Sinn, 9. Aufl., § 66c Rn. 12; [X.]/[X.]ehle, 3. Aufl., § 66c Rn. 23).

(4) Die Besserstellung der Strafgefangenen mit anschließender Sicherungsverwahrung gegenüber Strafgefangenen bei der Behandlung hat nach überwiegender Auffassung auch Auswirkungen auf die Gewährung von vollzugsöffnenden [X.]ßnahmen.

Zwar verweist § 66c Abs. 2 StGB nicht auf § 66c Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StGB, der die Gewährung von Lockerungen während Vollstreckung der Sicherungsverwahrung vorsieht. Da die erfolgreiche Erprobung in Lockerungen aber besondere Bedeutung für die Prognosebasis im Rahmen der Entscheidung über die bedingte Entlassung besitzt (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Dezember 1997 – 2 BvR 1404/96, N[X.]W 1998, 1133, 1134; Urteil vom 4. [X.]i 2011 – 2 BvR 2333/08 u.a., [X.] 128, 326, 381; kritisch zur früheren Praxis [X.], aaO, [X.] 128, 326, 386), werden die [X.] mit zunehmender Strafdauer und Näherrücken der sich anschließenden Sicherungsverwahrung auch bei begrenzter Lockerungseignung die Gewährung von vollzugsöffnenden [X.]ßnahmen zu prüfen haben ([X.], Beschluss vom 28. April 2014 – III-1 Vollz ([X.]) 28/14, [X.], 573; [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 66c Rn. 70; AK-[X.]/[X.]/[X.], 7. Aufl., [X.] Rn. 60; [X.] N[X.]W 2013, 1638, 1639).

3. Vorliegend hat das [X.] den Eintritt der Führungsaufsicht als mögliche Folge der Anordnung der Sicherungsverwahrung in den Blick genommen und verdeutlicht, dass diese belastende Wirkung für seine – maßgeblich auf die Gefährlichkeit des Angeklagten abstellende – Ermessensentscheidung leitend war. Die weiteren Folgewirkungen der Anordnung mindern die Schwere des dem Angeklagten mit der [X.]ßregel auferlegten Sonderopfers und bedurften daher keiner näheren Erörterung. Vor diesem Hintergrund ist auch die Wertung des [X.]s, die [X.]ßregel im Sinne des § 62 StGB als verhältnismäßig anzusehen, frei von [X.].

Appl     

        

Eschelbach     

        

     Zeng

        

Grube     

        

Ri[X.] [X.] ist
wegen Urlaubs an
der Unterschrift
gehindert.

        
                          

Appl   

        

Meta

2 StR 178/16

28.06.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 3. Dezember 2015, Az: 111 Ks 6/15

§ 66 Abs 2 StGB, § 66 Abs 3 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.06.2017, Az. 2 StR 178/16 (REWIS RS 2017, 8927)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3314 REWIS RS 2017, 8927

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