Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.03.2011, Az. 2 StR 524/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 8958

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafverfahren: Zulässigkeit der Revision nach Einstellung des Verfahrens wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 260 Abs. 3 StPO mit der Begründung eingestellt, die Anklageschrift genüge nicht den an sie gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO zu stellenden Anforderungen. Seine hiergegen gerichtete Revision ist unbegründet im Sinn von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Entgegen der Auffassung des [X.] ist die Revision des Angeklagten nicht bereits mangels Beschwer unzulässig. Zwar ist der Angeklagte durch die Verfahrenseinstellung wegen eines Prozesshindernisses in der Regel nicht beschwert (BGHSt 23, 257, 259; [X.], 3010, 3011). Eine Beschwer kann aber dann bestehen, wenn die Einstellung wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses erfolgt ([X.] 53. Aufl. vor § 296 StPO Rn. 14; [X.], 487; OLG Stuttgart NJW 1963, 1417) und der Angeklagte behauptet, es liege ein weiteres, nicht [X.] vor. In einem solchen Fall kann der Angeklagte mit der Revision ein rechtliches Interesse daran geltend machen, dass das Verfahren endgültig eingestellt wird.

3

So verhält es sich hier. Die Einstellung durch das [X.] erfolgte wegen Mängeln der Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift. Dabei handelt es sich um ein Prozesshindernis, das grundsätzlich im weiteren Verfahren behoben werden kann. Es ist jederzeit möglich, eine neue, den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO genügende Anklage zu erheben. Dagegen macht der Angeklagte geltend, die ihm vorgeworfenen Straftaten seien verjährt. [X.] dies zu, müsste das Verfahren gegen ihn endgültig eingestellt werden, da es sich bei der Verjährung um ein nicht behebbares Verfahrenshindernis handelt.

4

2. Die Revision ist jedoch unbegründet. In den [X.]) - 8) ergibt die Prüfung durch den Senat, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten nicht verjährt sind, während es in den [X.]) und 10) bereits an einer ordnungsgemäßen Anklage fehlt, welche als Grundlage für eine Prüfung der Verjährungsfrage durch das [X.] hätte dienen können.

5

a) Die Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] vom 21. Juli 2008 legt dem Angeklagten Betrug in zehn Fällen in der [X.] vom 1. Juli 2000 bis zum 30. April 2003 zur Last. In den [X.]) bis 8) wurde die fünfjährige Verjährungsfrist (§§ 78 Abs. 1 Nr. 4, 263 Abs. 1 StGB) durch den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts [X.] vom 15. Oktober 2004 rechtzeitig unterbrochen (§ 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB). Dieser erfasst entgegen der Ansicht der Revision auch die Straftaten, die der Angeklagte im Sinne der Anklage als faktischer Geschäftsführer der Firma [X.] begangen haben soll.

6

Grundsätzlich bestimmt der [X.] der Strafverfolgungsbehörden die sachliche Reichweite der Unterbrechungswirkung (vgl. [X.], 275 mN). Dabei kommt es jedenfalls dann entscheidend auf den Inhalt des [X.] und vor allem auf die dort vorgenommene Beschreibung des strafbaren Verhaltens des Angeklagten an, wenn dieser - wie im vorliegenden Fall - dem Antrag der Staatsanwaltschaft ([X.]) entspricht.

7

Aus dem Durchsuchungsbeschluss vom 15. Oktober 2004 ergibt sich, dass der [X.] der Ermittlungsbehörden umfassend auf alle betrügerischen Aktivitäten des Angeklagten im Zusammenhang mit der Versendung von Informationsbriefen gerichtet war. Die Durchsuchungsanordnung wurde mit einer Darstellung des "Geschäftsmodells" des Angeklagten begründet, mit dem er die Abnehmer seiner Informationen betrügerisch geschädigt haben soll. Diese Beschreibung erfasste alle gleichartigen Handlungen des Angeklagten unabhängig davon, unter welchem Firmennamen er aufgetreten ist. Der Durchsuchungsbeschluss war darüber hinaus nicht auf die Geschäftsräume der Firma M. beschränkt, sondern erstreckte sich auf die Person des Angeklagten und auf seine Wohnanschrift. Auch dieser Umstand macht den umfassenden, auf die im Durchsuchungsbeschluss geschilderte Begehungsweise gerichteten [X.]n der Staatsanwaltschaft deutlich. Dass zum damaligen [X.]punkt der Ermittlungen nur die Aktivitäten des Angeklagten als faktischer Geschäftsführer der Firma M. bekannt und im Beschluss genannt waren, ist demgegenüber ohne Belang. Bei jeweils identischer deliktischer Vorgehensweise kommt es auf sein Handeln als Person an, nicht darauf, welcher Firmennamen er sich, möglicherweise zur Verschleierung seiner Verantwortlichkeit, im Einzelnen bediente.

8

b) In den [X.]) und 10) fehlt es bereits an der erforderlichen Grundlage für die Prüfung der Verfolgungsverjährung. Insofern liegt keine den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO entsprechende Anklage vor, da sie ihrer Umgrenzungsfunktion nicht genügt (siehe im Einzelnen das auf Revision der Staatsanwaltschaft ergangene Urteil des Senates vom heutigen Tage - 2 StR 524/10).

9

Im Fall 9) bleibt mit Rücksicht auf den bloßen Hinweis "ab Anfang April 2002" unklar, wie lange der betreffende Faxabruf eingerichtet war und genutzt wurde. Im Fall 10) ist für den Faxabruf "Gratisurlaub! Für alle Altersgruppen" überhaupt keine Tatzeit angegeben. Die exakte Festlegung des [X.] ist jedoch unabdingbar, um die dem Gericht zur Aburteilung gestellte Tat im prozessualen Sinne zu umgrenzen sowie die Reichweite der Rechtskraft zu bestimmen.

Die Klarstellung der Identität des gemeinten geschichtlichen Vorgangs in der Anklageschrift hinsichtlich [X.] und Sachverhalt ist aber auch notwendige Voraussetzung, um Beginn und Ende der Verfolgungsverjährung beurteilen zu können. Eine Tat, die nicht in diesem Sinne ordnungsgemäß angeklagt ist, kann vom Tatrichter nicht daraufhin überprüft werden, ob sie möglicherweise  verjährt ist. Dies gilt gleichermaßen für das Revisionsgericht. Mangels tatsächlicher Grundlage für die Prüfung der Verjährung muss der Revision somit der Erfolg versagt bleiben (vgl. auch [X.], 547).

Fischer                             Appl                             Schmitt

                   Berger                            [X.]

Meta

2 StR 524/10

02.03.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 5. Juli 2010, Az: 5/2 KLs 9/08, Urteil

§ 260 Abs 3 StPO, § 296 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.03.2011, Az. 2 StR 524/10 (REWIS RS 2011, 8958)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8958

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 524/10 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Zulässigkeit der Revision des Angeklagten gegen Einstellung bei Verfahrenshindernis; Verjährungsunterbrechung durch richterliche Durchsuchungsanordnung


2 StR 524/10 (Bundesgerichtshof)


2 StR 524/10 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Betruges: Inhaltliche Anforderungen an den Anklagesatz bei einer Vielzahl gleichartiger Einzelakte


2 StR 524/10 (Bundesgerichtshof)


1 StR 152/11 (Bundesgerichtshof)

Revisionsverfahren in Strafsachen: Heilung eines wegen Verstoßes gegen den Spezialitätsgrundsatz des Europäischen Auslieferungsübereinkommens bestehenden Verfahrenshindernisses; …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.