Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.07.2005, Az. KZR 14/04

Kartellsenat | REWIS RS 2005, 2383

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS [X.]
vom 26. Juli 2005 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

Kfz-Vertragshändler II
[X.] Art. 81; VO ([X.]) Nr. 1475/95 Art. 5; VO ([X.]) Nr. 1400/2002 Art. 4, 10
Dem [X.] werden folgende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 [X.] zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 5 Abs. 3 Satz 1 1. Spiegelstrich der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 der [X.] vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über [X.]fahrzeuge (Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95) dahin auszulegen, daß sich die Notwendigkeit, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren, und das davon abhängige Recht des Lieferanten, Verträge mit Händlern seines Vertriebsnetzes mit einer Frist von einem Jahr zu kündigen, auch daraus ergeben kann, daß mit dem Inkrafttreten der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 der [X.] vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von [X.] 81 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im [X.]fahrzeugsektor (Verord-nung ([X.]) Nr. 1400/2002) tiefgreifende Änderungen des von dem Lieferanten und seinen Händlern bis dahin praktizierten, an der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 ausgerichteten und durch diese Verordnung freigestellten [X.] erforderlich wurden? - 2 -

2. Falls die erste Frage zu verneinen ist:

Ist Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 dahin auszulegen, daß die in ei-nem [X.]fahrzeughändlervertrag enthaltenen wettbewerbsbeschränkenden Ver-einbarungen, die nach dieser Verordnung an sich [X.] ("schwarze Klauseln") darstellen, ausnahmsweise dann nicht mit Ablauf der ein-jährigen Übergangsfrist nach Art. 10 der Verordnung am 30. September 2003 zum Wegfall der Freistellung für sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Verein-barungen des [X.]. 81 Abs. 1 [X.] geführt haben, wenn dieser Vertrag unter der Geltung der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 abgeschlos-sen, an den Vorgaben dieser Verordnung ausgerichtet und durch diese Verord-nung freigestellt worden ist?

Gilt dies jedenfalls dann, wenn die aus dem Gemeinschaftsrecht folgende Nich-tigkeit aller wettbewerbsbeschränkenden Vertragsbestimmungen nach [X.] Recht die Gesamtnichtigkeit des [X.] zur Folge hat?

[X.], Beschluß vom 26. Juli 2005 - [X.] - OLG München

LG München I - 3 -

[X.] hat am 26. Juli 2005 durch den Präsidenten des [X.] Prof. [X.], [X.] und [X.], Prof. [X.] und Dr. Raum

beschlossen:
[X.] Das Verfahren wird ausgesetzt.

I[X.] Dem [X.]
werden folgende Fragen zur Auslegung des [X.] gemäß Art. 234 [X.] zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Ist Art. 5 Abs. 3 Satz 1 1. Spiegelstrich der Verord-nung ([X.]) Nr. 1475/95 der [X.] vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des
Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kunden-dienstvereinbarungen über [X.]fahrzeuge (Verord-nung ([X.]) Nr. 1475/95) dahin auszulegen, daß sich die Notwendigkeit, das Vertriebsnetz insgesamt oder
zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren, und das davon abhängige Recht des Lieferanten, Verträge
mit Händlern seines Vertriebsnetzes mit einer Frist von einem Jahr zu kündigen, auch daraus ergeben kann, daß mit dem Inkrafttreten der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 der [X.] vom 31. Juli 2002 über
die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages
- 4 -

auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und [X.] abgestimmten Verhaltensweisen im [X.]-fahrzeugsektor (Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002) [X.] Änderungen des von dem Lieferanten und seinen Händlern bis dahin praktizierten, an der [X.] ([X.]) Nr. 1475/95 ausgerichteten und durch diese Verordnung freigestellten Vertriebssystems er-forderlich wurden?
2. Falls die erste Frage zu verneinen ist:
Ist Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 dahin auszulegen, daß die in einem [X.]fahrzeughändler-vertrag enthaltenen wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, die nach dieser Verordnung an sich [X.] ("schwarze Klauseln") darstel-len, ausnahmsweise dann nicht mit Ablauf der einjäh-rigen Übergangsfrist nach Art. 10 der Verordnung am
30. September 2003 zum Wegfall der Freistellung für
sämtliche wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarun-gen des [X.]. 81 Abs. 1 [X.] geführt haben, wenn dieser Vertrag unter der Geltung der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 abgeschlossen, an den Vorgaben dieser Verordnung ausgerichtet und durch diese Verordnung freigestellt worden ist? Gilt dies jedenfalls dann, wenn die aus dem Gemein-schaftsrecht folgende Nichtigkeit aller [X.] Vertragsbestimmungen nach natio-- 5 -

nalem Recht die Gesamtnichtigkeit des [X.] zur Folge hat?

Gründe:
[X.]

Die Klägerin ist eine ehemalige Vertragshändlerin der beklagten [X.]fahrzeugherstellerin. Der den Vertragsbeziehungen zugrunde [X.], nach einem einheitlich verwendeten Muster der Beklagten [X.] datiert aus dem Jahre 1996. Er enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
11. 3 Ordentliche Kündigung durch [X.] kann den Vertrag mit einer Frist von 24 Monaten kündi-gen.

11.6 Kündigung wegen Umstrukturierung des [X.] Falls sich die Notwendigkeit ergibt, das [X.] Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturie-ren, ist [X.] berechtigt, den Vertrag mit einer Frist von 12 Monaten zu kündigen.

Dies gilt auch für den Fall, daß sich die diesem Vertrag zugrundeliegenden rechtlichen Rahmenbedingungen in [X.] Bereichen ändern.

13.2 [X.] Die Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen dieses Vertra-ges oder seiner Bestandteile läßt die Wirksamkeit der übri-gen Regelungen unberührt. Die Vertragspartner sind im - 6 -

Rahmen des Zumutbaren nach [X.] und Glauben verpflich-tet, eine unwirksame Bestimmung durch eine ihr im wirt-schaftlichen Erfolg gleichkommende wirksame Regelung zu ersetzen, sofern dadurch keine wesentliche Änderung des [X.] herbeigeführt wird; das gleiche gilt, falls ein regelungsbedürftiger Sachverhalt nicht ausdrücklich gere-gelt ist.

Die Beklagte sprach im September 2002 die Kündigung sämtlicher Händlerverträge ihres [X.] Vertriebsnetzes zum 30. September 2003 aus. Sie begründete diesen Schritt damit, daß die am 1. Oktober 2002 mit einer Übergangsfrist für bestehende Händlerverträge bis zum 30. September 2003 in [X.] tretende Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 gravierende rechtliche und strukturelle Veränderungen für den [X.] mit sich bringe, die auch eine wesentliche Umstrukturierung ihres Vertriebsnetzes erforderten. Mit dem Großteil ihrer bisherigen Händler schloß die Beklagte in der Folgezeit mit Wirkung vom 1. Oktober 2003 neue, an den Vorgaben der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 [X.] Verträge ab.

Die Klägerin, der die Beklagte ebenso wie mehreren anderen ehe-maligen Händlern keinen neuen Händlervertrag anbot, ist der [X.], die Kündigung der Beklagten habe nicht vor Ablauf der zweijähri-gen Frist für eine ordentliche Kündigung nach Nr. 11.3 des [X.] am 30. September 2004 zur Beendigung ihres [X.] geführt, weil die Voraussetzungen einer so genannten Strukturände-rungskündigung nach Nr. 11.6 Abs. 1 des [X.] nicht erfüllt seien und Nr. 11.6 Abs. 2 des Vertrages unwirksam sei. Sie hat deshalb Klage auf Feststellung erhoben, daß das Vertragshändlerverhältnis über - 7 -

den 30. September 2003 hinaus bis längstens 30. September 2004 fort-bestehe.

Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hält die in Nr. 11.6 Abs. 1 des [X.] getroffene Kündigungsregelung für wirksam und deren Voraussetzungen für gegeben. Nach seiner [X.] hatten die aus dem Erlaß der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 [X.] Änderungen für den Automobilvertrieb die Notwendigkeit ei-ner Umstrukturierung des Vertriebsnetzes der Beklagten zur Folge. Eine Reihe von Wettbewerbsbeschränkungen des [X.], die bis dahin durch die Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 freigestellt gewesen seien, stellten nach Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 Kernbeschrän-kungen dar. Dies habe zur Folge, daß ohne die Kündigung zum 30. September 2003 in allen Mitgliedst[X.]ten der [X.] am 1. Oktober 2003 die Freistellung für sämtliche [X.] Klauseln der Händlerverträge der Beklagten entfallen wä-re. Es sei der Beklagten nicht zumutbar, auch nur bis zum 30. September 2004, dem Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung, einen Rechtszustand zu akzeptieren, der allenfalls in einem Vertragsrest ohne wettbewerbsbeschränkende Klauseln oder gar in einem - wegen Ge-samtnichtigkeit nach nationalem Recht (§ 306 BGB) - vertragslosen Zu-stand bestünde. Die daraus folgende Notwendigkeit der Umstrukturie-rung des Vertriebsnetzes der Beklagten entfalle auch nicht im Hinblick auf die [X.] in Nr. 13.2 Satz 2 Halbs. 1 des [X.]; deren Voraussetzungen seien nicht gegeben, weil den infolge des Inkrafttretens der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 notwendigen Ände-rungen im Automobilvertrieb nicht ohne eine wesentliche Änderung des [X.] Rechnung getragen werden könne. - 8 -

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter.

I[X.]

1. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt in erster Linie von der Beantwortung der Frage ab, ob die Beklagte nach Nr. 11.6 Abs. 1 des [X.] berechtigt war, die Händlerverträge mit einjähriger Frist zum 30. September 2003 zu kündigen. Der Senat neigt dazu, die Frage mit dem Berufungsgericht zu bejahen. Die dazu erforderliche Ver-tragsauslegung kann er indessen nicht vornehmen, ohne zuvor dem Ge-richtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 [X.] die ent-sprechende Frage zur Auslegung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 1. Spiegelstrich der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 vorzulegen, dessen Regelung die vertragliche [X.] wörtlich übernimmt.

a) Die Frage ist entscheidungserheblich.

[X.]) Eine vertragliche Befugnis der Beklagten, den mit der Klägerin geschlossenen Händlervertrag mit nur einjähriger Frist zum [X.] 2003 zu kündigen, kann allein aus Nr. 11.6 Abs. 1 des [X.] hergeleitet werden. Auf Nr. 11.6 Abs. 2 des [X.] kann eine wirksame Sonderkündigung mit einjähriger Frist nicht gestützt werden. Geht die Bestimmung inhaltlich über die nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 zulässigen Abweichungen von der zweijäh-rigen Frist für eine ordentliche Kündigung (Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 der Ver-- 9 -

ordnung ([X.]) Nr. 1475/95) hinaus, was von der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 1. Spiegelstrich der Verordnung abhängt, so ist sie - ungeachtet der gemeinschaftsrechtlichen Folgen, die dies nach sich zieht - jedenfalls wegen unangemessener Benachteiligung der Händler gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (vgl. [X.], Urt. v. 21.2.1995 - [X.], [X.]/[X.], 2985 - Kfz-Vertragshändler). Sollte Art. 5 Abs. 3 Satz 1 1. Spiegelstrich der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 dagegen im Sinne der Vorlagefrage auszulegen sein, so hat Nr. 11.6 Abs. 2 des [X.] daneben keinen eigenständigen Rege-lungsgehalt.

[X.]) Ein außerordentliches Kündigungsrecht aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB oder wegen Störung der Geschäftsgrundlage des [X.] gemäß § 313 BGB (dazu [X.], 1395, 1401; [X.] WRP 2004, 695, 698) kommt als Grundlage der hier zu beurteilenden, allein auf die vertragliche Kündigungsregelung gestütz-ten Kündigung der Beklagten nicht in Betracht. Es bedarf deshalb keines weiteren [X.] auf die Frage, ob Art. 5 Abs. 3 Satz 1 2. [X.] ([X.]) Nr. 1475/95 die außerordentliche Kündigung eines [X.]fahrzeughändlervertrages aus einem anderen als dem dort genannten Grund der Nichterfüllung wesentlicher Vertragspflichten [X.].

b) Ob der Änderungsbedarf, den die am 1. Oktober 2002 in [X.] getretene Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 für den Automobilvertrieb mit sich brachte, eine Umstrukturierung der Vertriebsnetze im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 1. Spiegelstrich der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 er-- 10 -

forderte und die [X.]fahrzeughersteller zur Kündigung ihrer [X.] mit einjähriger Frist berechtigte, ist umstritten.

[X.]) Nach einer engeren Auffassung, die sich auf die Ausführungen zu Frage 16 der Leitlinien der Europäischen [X.] zu der Verord-nung ([X.]) Nr. 1475/95 (ebenso zu Frage 68 des Leitfadens zu der [X.] ([X.]) Nr. 1400/2002) stützt, kann sich ein Umstrukturierungsbe-darf nur aufgrund des Verhaltens von Wettbewerbern oder sonstiger wirtschaftlicher Entwicklungen ergeben, wobei letztere allerdings auch auf interne Entscheidungen des Herstellers zurückzuführen sein können. Nach dieser Auffassung kann das Inkrafttreten der neuen Gruppenfrei-stellungsverordnung mit einjähriger Anpassungsfrist eine Kündigung we-gen notwendiger Umstrukturierung des Vertriebsnetzes nicht rechtferti-gen, weil die Anpassung an eine neue Rechtslage keine Änderung des Vertriebsnetzes darstelle (so insbesondere [X.], [X.] 2002, 560, 563; [X.], [X.] 2003, 752, 755 f.). Auch in dem Leitfaden zu der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 ([X.]. in [X.], 5. Aufl., [X.] [X.]en - Branchenreglungen - Kfz-Vertrieb, Anhang) vertritt die Europäische [X.] zu Frage 20 die [X.], die Tatsache, daß die Geltungsdauer der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 am 30. September 2002 ende und sie durch eine neue [X.] ersetzt werde, bedeute noch nicht, daß ein Vertriebsnetz um-gestaltet werden müsse.

[X.]) Die Gegenmeinung stellt auf die Auswirkungen ab, die sich aus dem Inkrafttreten der neuen [X.]sverordnung für die [X.] Ausgestaltung der Automobil-Vertriebssysteme zwangsläufig ergeben, und hält dementsprechend [X.] mit - 11 -

einjähriger Frist zum 30. September 2003 für zulässig (so vor allem [X.], [X.]O, S. 1400 f.; [X.], Recht des Kfz-Vertriebs in [X.], 2005, S. 102 f.). Diese Auffassung erscheint dem [X.].

(1) Es ist schon nicht zu erkennen, weshalb sich die Notwendigkeit einer Netzumstrukturierung allein aus wirtschaftlichen Gründen ergeben können soll. Es mag sein, daß dem Verordnungsgeber dieser Fall bei der Formulierung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 vor [X.] gestanden hat. Das schließt indessen nicht aus, die Bestimmung so auszulegen, daß auch rechtliche Umstände, die Auswirkungen auf das Vertriebssystem haben, die Kündigungsvoraussetzungen erfüllen.

(2) Richtig ist dagegen ohne Zweifel, daß bei einer reinen Wort-lautinterpretation zwischen dem Vertriebssystem, das auf die Vorgaben der neuen [X.]sverordnung umgestellt werden mußte, und dem Vertriebsnetz zu unterscheiden ist. Andererseits läßt sich das Vertriebssystem aber auch als Teil der Struktur des Vertriebsnetzes [X.], das nicht nur aus der Summe der Vertriebspartner (dem Herstel-ler auf der einen, den Händlern auf der anderen Seite) besteht, sondern durch die vertragliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Vertriebspartnern - das Vertriebssystem - geprägt wird. Denn zu ei-nem Vertriebsnetz werden Hersteller und Händler erst dadurch, daß ein vertragliches Regelwerk sie miteinander verbindet, durch das ihre [X.] im einzelnen ausgestaltet wird. [X.] Teil die-ses vertraglichen Regelwerks sind auch diejenigen Vereinbarungen, de-ren Gesamtheit das Vertriebssystem darstellt.
- 12 -

(3) Unabhängig von diesen am Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 der [X.] ([X.]) Nr. 1475/95 anknüpfenden Überlegungen erscheint dem Senat eine weite Auslegung aber insbesondere im Hinblick auf das Er-gebnis geboten.

Die Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 hat einen erheblichen, bis da-hin nicht gekannten Änderungsbedarf für die in [X.] praktizierten Au-tomobil-Vertriebssysteme mit sich gebracht. Die bis dahin verbreitete Kombination von exklusivem und selektivem Vertrieb ist unter ihrer [X.] nicht mehr vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 [X.] freigestellt. Die [X.]-fahrzeughersteller mußten sich für eines der beiden Vertriebssysteme entscheiden, was in der Praxis zur Folge hat, daß im Rahmen des nahe-zu ausnahmslos gewählten selektiven Vertriebssystems [X.] und Gebietsschutz der Händler nicht mehr freigestellt sind. Um in den Genuß der [X.] zu kommen, mußten [X.] Verkauf und Kundendienst, bis zum Inkrafttreten der neuen Gruppen-freistellungsverordnung zwangsweise kombiniert, entkoppelt und mar-kenunabhängige Werkstätten als Servicewerkstätten zugelassen werden, sofern sie bestimmte Standards erfüllten. Weitgehend entfallen ist mit der neuen [X.]sverordnung auch die bis dahin noch weit verbreitete Markenexklusivität.

All diesen Veränderungen mußte ein [X.]fahrzeughersteller vor Ablauf der einjährigen Übergangsfrist des Art. 10 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 durch Anpassung der bestehenden oder durch Kündigung und Abschluß neuer Händlerverträge Rechnung tragen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, am 1. Oktober 2003 ohne wirksame Vertriebsver-einbarungen mit der [X.] dazustehen. Gelang es nämlich nicht, - 13 -

einen der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 entsprechenden Händlervertrag rechtzeitig vor Ablauf der Umstellungsfrist an die Vorgaben der neuen [X.]sverordnung anzupassen oder ihn (notfalls) zu [X.], so hatte dies möglicherweise (dazu unten zu [X.]) zur Folge, daß al-le wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen ab 1. Oktober 2003 nach Art. 81 Abs. 2 [X.] nichtig waren, weil wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die nach der Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 noch freige-stellt waren, nach der neuen [X.]sverordnung zum Teil [X.] darstellen, die nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 zur Folge haben, daß die Freistellung für alle [X.] Vereinbarungen des [X.] entfällt (Schütz in [X.], [X.]O, Art. 4 Rdn. 1). Für die [X.] hätte das beispielsweise dazu führen können, daß die [X.] Händler nicht mehr gehindert gewesen wären, [X.]-Neufahrzeuge an nicht autorisierte Wiederverkäufer abzugeben. Innerhalb des [X.] der Beklagten hätte zweierlei Recht gegolten mit einer deut-lich freieren Stellung derjenigen Händler, die nicht bereit gewesen wä-ren, einer Anpassung des [X.] an die Vorgaben der neuen [X.]sverordnung zuzustimmen. Der Senat ist mit dem Be-rufungsgericht der Auffassung, daß einem Automobilhersteller derart un-geordnete Verhältnisse innerhalb seines Vertriebsnetzes auch nicht für die Dauer eines Jahres zumutbar sind.

Ein einseitiger Verzicht des Automobilherstellers auf Wettbe-werbsbeschränkungen, die in den früheren Händlerverträgen enthalten, nach der neuen [X.]sverordnung aber nicht mehr freige-stellt sind, vermag das Problem entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht ([X.] [X.]O S. 758) nicht zu lösen. Durch einen einseitigen - 14 -

Verzicht kann der Vertragsinhalt nicht verändert werden. Die sich aus Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 möglicherweise (dazu unten zu 2) ergebende Folge, daß die Freistellung auch für die nach der neuen [X.]sverordnung an sich weiterhin zulässigen Wettbe-werbsbeschränkungen mit Ablauf des 30. September 2003 entfallen [X.], konnte durch einen einseitigen Verzicht des Herstellers folglich nicht vermieden werden.

2. Die Frage, ob die von der Beklagten im September 2002 ausge-sprochene Kündigung den mit der Klägerin geschlossenen Händlerver-trag gemäß deren Nr. 11.6 Abs. 1 mit einjähriger Frist zum 30. September 2003 oder - als ordentliche Kündigungen nach Nr. 11.3 - mit zweijähriger Frist erst zum 30. September 2004 beendet hat, bedarf allerdings dann keiner Entscheidung, wenn der Händlervertrag auch oh-ne die Kündigung den 30. September 2003, den Ablauf der Übergangs-frist nach Art. 10 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002, nicht überdauert hat.

Dies könnte deswegen der Fall sein, weil der im Jahre 1996 abge-schlossene, an der damals geltenden Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 aus-gerichtete Vertrag wettbewerbsbeschränkende Klauseln - wie etwa die Kombination von exklusivem und selektivem Vertrieb, Beschränkungen des Mehrmarkenvertriebs und die obligatorische Verbindung von Vertrieb und Kundendienst - enthält, die durch die Verordnung ([X.]) Nr. 1475/95 freigestellt waren, nach Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 aber [X.] darstellen, die nicht nur selbst nicht freigestellt (und auch nicht freistellungsfähig) sind, sondern als "schwarze Klauseln" bewirken, daß die [X.] für sämtliche vereinbarten Wett-- 15 -

bewerbsbeschränkungen, auch soweit sie für sich genommen nach der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 freigestellt wären, nicht gilt. Ob der da-nach verbleibende Vertragstorso rechtlich Bestand hat oder der Vertrag insgesamt nichtig ist, beurteilt sich nach nationalem Recht ([X.], Urt. v. 8.2.1994 - [X.], [X.]/[X.], 2913 - Pronuptia II), d.h. nach § 306 BGB, der für den hier gegebenen Formularvertrag § 139 BGB verdrängt. Nach § 306 Abs. 3 BGB hat die Unwirksamkeit einzelner Vertragsklau-seln die Gesamtnichtigkeit des Vertrages zur Folge, wenn das Festhalten an dem lückenhaften Vertrag für eine Vertragspartei eine unzumutbare Härte darstellen würde. Dies ist nach Auffassung des Senats aus den oben unter II 1 b [X.] (3) dargelegten Gründen hinsichtlich der Beklagten anzunehmen.

Sollte der mit der Klägerin geschlossene Händlervertrag schon aus diesem Grunde - und damit unabhängig von der Wirksamkeit und dem Wirkungszeitpunkt der Kündigung - den Ablauf der Übergangsfrist nach Art. 10 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 nicht überdauert haben, so ist die erste Vorlagefrage obsolet. Dasselbe würde dann freilich auch für die in den Leitlinien zu der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 erörterte, von der [X.] verneinte Frage gelten, ob allein das Inkrafttreten der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 mit einjähriger Übergangsfrist eine Um-strukturierung des Vertriebsnetzes erfordert und bestehende [X.] von den Herstellern deshalb mit einjähriger Frist zum 30. September 2003 gekündigt werden konnten. Die Tatsache, daß die Frage gleichwohl in den Leitlinien angesprochen und in dem soeben ge-nannten Sinne beantwortet wird, spricht dafür, daß Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 nicht zu dem Ergebnis führen soll, daß sämtliche Wettbewerbsbeschränkungen in Händlerverträgen, die weder rechtzeitig - 16 -

- mit zweijähriger Frist zum 30. September 2003 - gekündigt noch der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 angepaßt wurden, mit Ablauf des 30. September 2003 unwirksam geworden und die betroffenen [X.] infolgedessen nach nationalem Recht möglicherweise insge-samt nichtig sind. Ob Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1400/2002 in [X.] Sinne einschränkend auszulegen ist, hat der Gerichtshof der Euro-päischen Gemeinschaften zu entscheiden.

Hirsch Goette [X.]

Bornkamm

Raum

Meta

KZR 14/04

26.07.2005

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.07.2005, Az. KZR 14/04 (REWIS RS 2005, 2383)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 2383

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