Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.06.2015, Az. 5 StR 628/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 10322

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
5 StR 628/14
(alt: 5 [X.])
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen erpresserischen [X.] u.a.

-
2
-
Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 3. Juni 2015, an der teilgenommen haben:
[X.] Dr. [X.]

als Vorsitzender,

[X.],
[X.] Dr. König,
[X.] [X.],
[X.] Bellay

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt St.

als Verteidiger des Angeklagten A.

S.

,

Rechtsanwalt

E.

als Verteidiger
des Angeklagten T.

S.

,

Rechtsanwalt
G.

als Vertreter der
Nebenkläger
G.

[X.]

und J.

[X.]

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

-
3
-
für Recht erkannt:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger [X.]

wird das Urteil des [X.] vom 7. Juli 2014 im Fall 5 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen zur subjektiven Tatseite und in den [X.].
Im Übrigen werden die Revisionen verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an ei-ne andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.

-
Von Rechts wegen
-

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen erpresserischen [X.] in Tateinheit mit schwerem Raub in zwei Fällen, davon in ei-nem Fall zusätzlich in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung (Fall 5), wegen schwe-rer räuberischer Erpressung sowie versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit Diebstahl mit Waffen in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von neun Jahren und zehn Monaten (A.

S.

) und von acht Jahren und sechs Monaten (T.

S.

) verurteilt. Der Senat hat die Revisionen der [X.]
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4
-
klagten im [X.] verworfen. Die wirksam auf den Fall 5 beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger [X.]

, die sich [X.] mit der Sachrüge gegen die unterbliebene Verurteilung auch wegen [X.] mit Todesfolge (§ 251 StGB) wenden, haben Erfolg.
1. Nach den insoweit getroffenen landgerichtlichen Feststellungen über-fielen die Angeklagten die 82 Jahre alten Eheleute Ge.

und H.

[X.]

in deren Wohnung, um insbesondere Geld zu erbeuten. Unter einem Vorwand lockten sie Herrn [X.]

aus der Wohnung, überwältigten ihn, wodurch er eine Lockerung des Schneidezahns, eine
Oberlippenschwellung und eine Einblutung am Mund erlitt, fesselten seine Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken und drangen mit ihm gegen 22.10 Uhr in die Wohnung ein. An der Wohnzimmertür stießen die dunkel gekleideten, mit Sturmhauben maskierten und Handschuhe tragenden Angeklagten auf die schwer asthmakranke und auf Gehhilfen ange-wiesene Frau [X.]

. Als diese [X.] in der Gewalt der offen mit einer Pistole bewaffneten Angeklagten wahrnahm, begann sie, hysterisch zu schreien, und versuchte zweimal, A.

S.

mit ihrer Krücke zu [X.]. Dieser schob sie ins Wohnzimmer zurück, drückte sie auf die Couch und forderte sie auf, ruhig zu sein, sonst werde geschossen.
Während A.

S.

mit der Waffe in der Hand das Ehepaar [X.]

bewachte, suchte T.

S.

im Wohn-
und Schlafzimmer nach Geld und Wertsachen. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß Frau [X.]

auf dem Sofa. Infolge ihrer Aufregung und Angst geriet sie in akute Atemnot. Herr [X.]

wies die Angeklagten darauf hin, dass seine Frau einen Asthmaanfall habe und ihr

im 24 qm großen Wohnzimmer in einem Wandregal offen aufgestell-tes und stets einsatzbereites

Inhalationsgerät benötige. Der Angeklagte A.

S.

ging darauf nicht ein und rief immer

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-
Gleiches geschah auf einen weiteren Hinweis Herrn [X.]

s, dass seine Frau jetzt das Inhalationsgerät benutzen müsse. Erst als A.

S.

wahrnahm, dass Frau [X.]

unter erheblichen Anstrengungen nach Luft rang, erlaubte er ihr, das Gerät zu benutzen. Ihr gelangen jedoch nur noch drei oder vier Züge, die keine Besserung brachten. Sie rutschte vom Hocker. Auf dem Fußboden liegend rang sie weiter nach Luft und lief blau an. Herr [X.]

rief den Ange-klagten zu, dass seine Frau einen Notarzt brauche, andernfalls sie ersticken werde. A.

S.

Etwa 30 Sekunden später erhielt Herr [X.]

auf sein erneutes Verlan-gen nach einem Notarzt abermals eine ablehnende Antwort. Als
er zum [X.] darum bat, einen Notarzt zu rufen, realisierte T.

S.

, der selbst Asthmatiker ist, dass Frau [X.]

dringend ärztliche Hilfe benötigte. Er löste nach Unterredung mit A.

S.

Herrn [X.]

s Fesselung. Die Angeklag-ten verließen etwa eine Viertelstunde nach dem Betreten die Wohnung. Herr [X.]

benachrichtigte sofort die Rettungsleitstelle. Die nach einem [X.] seiner Frau eingeleiteten Reanimationsmaßnahmen blieben [X.] erfolglos. H.

[X.]

verstarb infolge des durch den Überfall ausge-lösten Asthmaanfalls.
2. Das [X.] hat bei der Prüfung des § 251 StGB angenommen, dass sich in Frau [X.]

s Tod die dem (schweren) Raub innewohnende be-sondere Gefährlichkeit objektiv verwirklicht habe. Es hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die Angeklagten durch das Nichtzulassen des Inhalierens leichtfertig gehandelt hätten. Für sie sei zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Lebensgefahr nicht ersichtlich gewesen. Selbst Herr [X.]

habe die Situation so eingeschätzt, dass seine Frau lediglich inhalieren müsse, damit es 4
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sich den Angeklagten nach ihren Erkenntnismöglichkeiten auch nicht aufdrän-gen müssen. Selbst wenn man ihr Verhalten nach Frau [X.]

s Herunterrut-schen auf den Boden als leichtfertig erachten würde, wäre das anfängliche Nichtreagieren auf die von Herrn [X.]

verlangte Alarmierung eines Notarztes nicht mehr ursächlich für den Tod gewesen. Denn zu diesem Zeitpunkt sei be-reits ein Zustand erreicht gewesen, in dem eine Umkehrung des lebensbedroh-lichen Asthmaanfalls nicht mehr möglich gewesen wäre.
3. Die Begründung, mit der das [X.] die Annahme von [X.] im Sinne des § 251 StGB zum Zeitpunkt des [X.] des [X.] verneint hat, hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn dieser Bewertung liegt eine lückenhafte Würdigung der relevanten Tatumstände zu-grunde.
a) Allerdings ist das [X.] im Ansatz
von zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen. Danach ist leichtfertig ein Verhalten, das bezogen auf den Todeseintritt einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit aufweist; leichtfer-tig handelt hiernach, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit außer [X.] lässt (vgl. [X.], Urteil vom 9. November 1984

2 [X.], [X.]St 33, 66, 67; s. auch [X.], Beschluss vom 20. Oktober 1992

[X.], [X.]St 39, 100, 104; [X.] in [X.], 12. Aufl., § 251 Rn. 9; [X.] in [X.], 2.
Aufl., § 251 Rn. 12; Sinn in [X.], 8. Aufl., § 251 Rn. 16). Das Gewicht der Fahrlässigkeit hängt dabei nicht nur vom Umfang der [X.], sondern auch vom Grad der Vermeidbarkeit ab, also inwieweit sich die Gefahr des Erfolgseintritts namentlich wegen der besonderen Gegebenheiten der [X.] aufdrängen musste; demgemäß kann unbewusste Fahrlässigkeit genügen (vgl. [X.], Urteil vom 10. November 1999

3 [X.], [X.]R 6
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StGB § 251 Leichtfertigkeit 1; [X.], aaO; Eser/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 251 Rn. 6).
b) Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob die Schwurgerichtskam-mer entsprechend der Auffassung der Revision trotz anderweitiger Formulie-rungen nicht in der Sache rechtsfehlerhaft lediglich an das Maß der Tatsachen-kenntnis der Angeklagten angeknüpft, die Prüfung unbewusster Fahrlässigkeit also vernachlässigt hat. Dafür könnte sprechen, dass sie ihren Blick im Grunde auf den Zeitpunkt verengt hat, in dem der Eintritt höchster Lebensgefahr für [X.] offenkundig geworden war. Jedenfalls beruht aber die Würdigung des vorgelagerten Stadiums, in dem eine Rettung noch möglich gewesen wäre, auf einer unzureichenden Ausschöpfung der Feststellungen. Insbesondere hätten auch die Umstände einbezogen werden müssen, die das [X.] (allein) im Rahmen der Prüfung des § 222 StGB als relevant angesehen hat ([X.]). Bereits danach lag die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs für die Angeklagten schon zu einem frühen Zeitpunkt des Tatgeschehens auf der Hand:
Frau [X.]

wurde völlig überraschend mit den dunkel gekleideten, ver-mummten und mit einer Pistole bewaffneten Angeklagten konfrontiert, die ihren Ehemann misshandelt und gefesselt hatten. Sie begann, in höchster Angst zu schreien, und unternahm aussichtslose [X.]. Gleichwohl wurde sie ins Wohnzimmer zurückgeschoben, auf die Couch gedrückt und rund 15 Minuten mit einer Pistole bedroht. Angesichts des von den Angeklagten [X.] überaus gebrechlichen
Zustands der hochbetagten Frau war eine sol-che Behandlung schon für sich genommen geeignet, eine erhebliche Lebensge-fahr herbeizuführen, und zwar unabhängig von ihrer schweren Asthmaerkran-kung. Die verwehrte Nutzung des [X.] musste dabei auch
aus Sicht der Angeklagten zu einer gravierenden Steigerung des ohnehin beste-8
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henden hohen Risikos führen. In diesem Zusammenhang wäre von der [X.] ferner zu würdigen gewesen, dass das Opfer nach den zugrunde gelegten Angaben Herrn [X.]

s e-n-geklagten erstmals auf die Notwendigkeit der Inhalation aufmerksam gemacht worden waren. Nimmt man alles zusammen, so musste in einem solchen Maß mit tödlichen Folgen gerechnet werden, dass die Annahme von Leichtfertigkeit naheliegt. Letztlich obliegt diese Prüfung dem neu entscheidenden Tatgericht.
4. [X.] haben daher keinen Bestand. Die [X.] erfassen auch die an sich [X.] Verurteilungen wegen er-presserischen [X.] in Tateinheit mit schwerem Raub und fahrläs-siger Tötung. Die subjektive Tatseite bedarf daher insgesamt nochmaliger [X.] und Entscheidung. Hingegen haben die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen Bestand. Es dürfen insofern er-gänzend lediglich Feststellungen getroffen werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Das neue Tatgericht wird auch den Qualifikationstatbestand des erpresserischen [X.] mit Todesfolge nach § 239a Abs. 3 StGB in den Blick zu nehmen haben.
5. Der Wegfall der Verurteilungen in Fall 5 entzieht den hierfür verhäng-ten Einsatzstrafen und den Gesamtfreiheitsstrafen die Grundlage.

[X.]

[X.] König

[X.] Bellay

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Meta

5 StR 628/14

03.06.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.06.2015, Az. 5 StR 628/14 (REWIS RS 2015, 10322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10322

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