30. Senat | REWIS RS 2011, 9368
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Markenbeschwerdeverfahren – "OpenVirtue" – kein Freihaltungsbedürfnis - Unterscheidungskraft
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 30 2008 050 300.9
hat der 30. Senat ([X.]) des [X.] in der Sitzung vom 17. Februar 2011 unter Mitwirkung...
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 9 des [X.] vom 15. Januar 2009 und vom 31. Juli 2009 aufgehoben.
I.
Zur Eintragung als Wortmarke in das Markenregister angemeldet worden ist die Bezeichnung
[X.]
für die Waren und Dienstleistungen:
"Computer, Computerprogramme und Software, Datenträger; schriftliches Begleitmaterial für Computerprogramme und Software, nämlich Dokumentationen, Handbücher, Kataloge, Broschüren, [X.] und Arbeitsanweisungen; Einweisung (Schulung) in die Anwendung von Computerprogrammen; Anpassung, Installation, Wartung und Reparatur von Software und Computerprogrammen; Entwicklung, Design und Erstellung von Computerprogrammen und Software".
Die Markenstelle für Klasse 9 des [X.] hat die Anmeldung in zwei Beschlüssen - einer davon ist im Erinnerungsverfahren ergangen - wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen, da es sich hierbei um eine Werbeaussage mit der Bedeutung "ein für jedermann zugänglicher Vorteil" handle. Der [X.] hat ergänzend ausgeführt, dass der Verkehr auch dann, wenn er den Bestandteil "Open" der angemeldeten Bezeichnung nicht im Sinne von "für jedermann zugänglich" verstehe, sondern auf Grund der Übung auf dem hier einschlägigen IT-Sektor als Hinweis darauf sehen sollte, dass die angemeldeten Waren und Dienstleistungen so genannte Open Source Technologien/Programme beträfen oder zum Gegenstand hätten, er in der angemeldeten Bezeichnung "[X.]" gleichwohl einen werblich anpreisenden Hinweis und keinen Herkunftshinweis sehe. Der Verkehr werde dies in dem Sinne verstehen, dass die angemeldeten Waren und Dienstleistungen derartige Open Source Technologien beträfen und geeignet seien, dem Abnehmer einen Vorteil zu verschaffen, also besser seien als Waren und Dienstleistungen anderer Anbieter.
Die Anmelderin hat Beschwerde eingelegt und im Wesentlichen ausgeführt, der Begriff "[X.]" sei weder für die inländischen noch für die englischsprachigen Verkehrskreise gebräuchlich. Da der Bestandteil "[X.]" in erster Linie die Bedeutung "Wert" oder "Wirkung" habe, könne "[X.]" nicht den von der Markenstelle angenommenen einzigen Gesamtbedeutungsgehalt haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Insbesondere kann der angemeldeten Bezeichnung nicht jegliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] abgesprochen werden.
1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Hauptfunktion einer Marke, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten, die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden (vgl. [X.] [X.], 228 RdNr. 33 - [X.] (Vorsprung durch Technik); [X.], 220 RdNr. 27 - BioID; [X.], 935 RdNr. 8 - [X.]; [X.], 138 RdNr. 23 - [X.]; [X.], 850, 854 RdNr. 18 - [X.]; [X.] 2004, 39 - City Service). Die Unterscheidungskraft einer Marke ist dabei zum einen in Bezug auf die genannten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern dieser Waren oder Durchschnittsempfängern dieser Dienstleistungen zusammensetzen (vgl. [X.] GRUR 2008, 608 - [X.]; [X.] 2004, 99 - Postkantoor; [X.], 411 - [X.]).
Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sind Wortmarken nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] wegen fehlender Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ihnen entweder ein für die fraglichen Waren und Dienstleistungen im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt zugeordnet werden kann ([X.] GRUR 2005, 417, 418 - [X.]; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch) oder wenn es sich um beschreibende Angaben handelt, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. [X.], 1100 RdNr. 23 - [X.]!; GRUR 2009, 411 RdNr. 9 - [X.]; [X.], 850 RdNr. 19 - [X.]; [X.], 465, 468 - Bonus).
Bei der Prüfung ist nach der Rechtsprechung des [X.] von einem großzügigen Maßstab auszugehen, d. h. jede noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. [X.] GRUR 2001, 1151 - marktfrisch). Allerdings darf die Prüfung dabei nicht auf ein Mindestmaß beschränkt werden, sondern sie muss vielmehr gründlich und vollständig ausfallen (vgl. [X.] WRP 2003, 735 - Libertel-Orange; a. a. [X.] - Postkantoor).
2. Nach diesen Grundsätzen verfügt die angemeldete Bezeichnung "[X.]" über die erforderliche Unterscheidungskraft.
Das [X.] Wort "Open" hat im [X.] die Bedeutung "offen" und ist im Computer- und IT-Bereich eine Fachbezeichnung, die je nach Sachzusammenhang entweder im Sinne von "jedermann zugänglich" oder im Sinne von "system-, hersteller- bzw. plattformunabhängig" zu verstehen ist (vgl. [X.], 24 W (pat) 197/03 - b2b-open unter "Entscheidungen" auf der Internetseite des Gerichts). "Open" bezeichnet in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit, bei [X.] und Kommunikationssystemen Standards und Schnittstellen möglichst weitgehend offen zu halten, bzw. den Hinweis auf ein Produkt mit frei verfügbarem Quellcode (vgl. 27 W (pat) 197/03 - openCTI unter "Entscheidungen" auf der Internetseite des Gerichts). Dementsprechend sind in diesem Bereich Zusammensetzungen bekannt wie z. B. "Open Source" für ein frei zugängliches und veränderbares Programm mit Quellcode (vgl. [X.] unter www.computerlexikon.com).
Das [X.] Wort "[X.]" bedeutet in erster Linie "Tugend" (vgl. [X.]. [X.] 2005 (CD-ROM). Mit dem Begriff "Tugend" bezeichnet man eine allgemein als hochwertig anerkannte Eigenschaft oder Haltung eines Menschen (vgl. unter "Tugend" [X.]). Mit dem Wort "[X.]" in der Bedeutung "Tugend" für den Besitz einer positiven (menschlichen) Eigenschaft kann in Bezug auf die hier beanspruchten Waren und Dienstleistungen weder ein im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt festgestellt, noch kann damit ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt werden.
Zwar besteht als weitere Übersetzungsmöglichkeit des [X.]n Wortes "virtue" die an zweiter Stelle genannte Bedeutung "Vorteil, Vorzug" (vgl. [X.]. [X.] 2005 (CD-ROM)); dabei handelt es sich jedoch um eine nachgeordnete Bedeutung. So ist nicht feststellbar, dass das Wort "virtue" insbesondere im hier vorliegenden technischen Bereich in der Bedeutung "Vorteil" überhaupt verwendet wird. Gegen eine naheliegende Übersetzung mit der Bedeutung "Vorteil" spricht weiter, dass das [X.] Wort "Vorteil" im [X.] wiederum vorrangig mit dem [X.]n Wort "advantage" übersetzt wird (vgl. [X.]. [X.] 2005 (CD-ROM)). Grundsätzlich sind aber nur dem inländischen Verbraucher naheliegende Übersetzungen zu berücksichtigen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 8 RdNr. 110; auch [X.] GRUR 89, 666, 667 - Sleepover; [X.] GRUR 1996, 408, 409f - [X.] NOSTRA; [X.], 399, 400 - Rack-Wall). Zudem muss ein der Annahme der Unterscheidungskraft entgegenstehender Aussagegehalt einer Bezeichnung so deutlich und unmissverständlich hervortreten, dass er für die beteiligten Verkehrskreise unmittelbar und ohne weiteres Nachdenken erkennbar ist (vgl. [X.]/[X.], a. a. [X.], § 8 RdNr. 87, 118 m. w. N.). Die angesprochenen Verkehrskreise werden das Wort "virtue" ohne weiteres und naheliegend nur in der Bedeutung "Tugend" verstehen, ein Verständnis im Sinne von "Vorteil" ist fernliegend und käme nur zustande aufgrund komplexer gedanklicher Schlussfolgerungen, also nach [X.], möglichen Bestandteilen und deren (beschreibenden) Begriffbedeutungen nachgehender Betrachtungsweise (vgl. [X.] GRUR 2001, 162, 163 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).
Die angemeldete Bezeichnung "[X.]" in ihrer Gesamtheit wird vom angesprochenen Verkehr daher mit "offene Tugend" übersetzt werden, ohne dass sich damit ein bestimmter Sinngehalt feststellen ließe. Auch wenn man dem [X.]n Wort "open" die im Computerbereich gängige Bedeutung von "frei zugänglich" zugrundelegt, ergibt die Verbindung mit dem Begriff "virtue", der die positive - menschliche - Eigenschaft beschreibt, keinen vernünftigen Sinn. Der Kombination "[X.]" kann daher für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen kein naheliegender beschreibender Aussagehalt entnommen werden, auch ein enger beschreibender Bezug lässt sich nicht feststellen.
Da sich ein deutlich und unmissverständlich beschreibender Aussagegehalt der angemeldeten Bezeichnung "[X.]" nicht feststellen lässt, steht auch der [X.] des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] nicht entgegen.
Die Beschwerde hat daher Erfolg.
Meta
17.02.2011
Beschluss
Sachgebiet: W (pat)
Zitiervorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.02.2011, Az. 30 W (pat) 110/09 (REWIS RS 2011, 9368)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 9368
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