Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2005, Az. VIII ZR 214/04

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 2969

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/04 Verkündet am: 22. Juni 2005 Kirchgeßner, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

ZPO § 794 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; BGB §§ 133 B, 157 C Zur Frage des richtigen [X.]s für einen in einem Prozeßvergleich vor-behaltenen Widerruf.

[X.], Urteil vom 22. Juni 2005 - [X.]/04 - [X.] [X.]

- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2005 durch die Vorsitzende Richterin [X.], die Richter [X.], [X.] und [X.] sowie die Richterin [X.] für Recht erkannt: Auf die Revision der [X.] wird das Urteil der [X.] des [X.] vom 14. Juni 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand: Die Beklagte mietete gemeinsam mit dem am 26. März 2003 verstorbe-nen [X.]durch Mietvertrag vom 7. März 1984 von der damaligen Ei-gentümerin, der [X.] -/A.

straße, eine auf dem Grundstück [X.]gelegene Wohnung. Die Kläger erwarben das Grundstück 1989. Die Beklagte zog im Frühjahr 1995 aus der Wohnung aus. Nach dem Tode des [X.]schlugen die bisher ermittel-ten Erben das Erbe aus. Die Kläger nehmen die Beklagte als Gesamtschuldnerin mit den unbe-kannten Erben auf Ausgleich von [X.] für die Monate Januar bis - 3 - Juli 2003 in Höhe von insgesamt 3.063,60 • nebst Zinsen in Anspruch. Die [X.] hat die Aktivlegitimation der Kläger bestritten und behauptet, sie sei im Einvernehmen mit den Klägern und dem Mitmieter B.

aus dem Mietver-hältnis ausgeschieden. Hilfsweise hat sie die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Rückzahlung von Miete in Höhe von 2.777,98 • erklärt, die der Mitmieter [X.]in den Jahren 1997 bis 2002 wegen unwirksamer Mieterhöhungsver-langen überzahlt habe. Vor dem Amtsgericht haben die [X.]en am 11. November 2003 folgen-den Vergleich geschlossen: "Die Beklagte zahlt an die Kläger zum Ausgleich der Klageforderung und der zur Aufrechnung gestellten Forderungen 1.531,80 • nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Dezember 2003. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich dieses Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben. Die [X.]en behalten sich den Widerruf dieses Vergleichs bis zum 22. November 2003 vor."

Gleichzeitig haben sich die [X.]en für den Fall des Widerrufs mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt und streitig ver-handelt. Mit Schriftsatz vom 21. November 2003, der bei Gericht am selben Tag eingegangen ist, hat die Beklagte den Widerruf des Vergleichs erklärt. Den [X.] der Kläger ist der Schriftsatz am 18. Dezember 2003 zu-gestellt worden. Das Amtsgericht hat der Klage antragsgemäß stattgegeben. Auf die Be-rufung der [X.], mit der diese weiterhin die Abweisung der Klage begehrt hat, hat das Berufungsgericht, nachdem es die [X.]en auf Bedenken gegen die Wirksamkeit des [X.] hingewiesen hatte, das Urteil des - 4 - Amtsgerichts geändert; dem Hauptantrag der [X.] auf Klageabweisung hat das Berufungsgericht nicht stattgegeben und auf ihren Hilfsantrag [X.], daß der Rechtsstreit in der Hauptsache durch den von den [X.]en am 11. November 2003 vor dem Amtsgericht geschlossenen Prozeßvergleich erle-digt ist. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die [X.] ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Entscheidungsgründe: [X.] Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Rechtsstreit sei durch den von den [X.]en am 11. November 2003 geschlossenen Vergleich beendet worden, weil der Vergleich nicht rechtzeitig widerrufen worden sei. Der Widerruf müsse gegenüber dem Vergleichsgegner erklärt werden und werde erst wirksam, wenn er diesem zugehe. Die [X.]en hätten weder ausdrücklich noch stillschweigend eine abweichende Vereinba-rung dahingehend getroffen, daß der Widerruf gegenüber dem Gericht erklärt werden müsse. Ein dahin gehender Wille der [X.]en ergebe sich auch nicht aus einer Vertragsauslegung nach [X.] und Glauben mit Rücksicht auf die [X.]. Zwar sei es in [X.] üblich, daß in einen gerichtlichen Vergleich auf-genommen werde, der Widerruf könne durch "schriftliche Anzeige an das [X.]" erfolgen. Eine Übung dahingehend, daß der Widerruf regelmäßig auch dann gegenüber dem Gericht zu erklären sei, wenn keine solche Regelung ge-troffen werde, bestehe demgegenüber nicht. Eine stillschweigende Einigung der [X.]en darauf, daß der Vergleichswiderruf gegenüber dem Gericht zu erklären - 5 - sei, folge weiter nicht daraus, daß der Vergleich durch Vermittlung des Gerichts geschlossen worden sei. Aus der Doppelnatur des [X.] als [X.]prozeßhandlung und [X.] Rechtsgeschäft könne eine Antwort auf die Frage, wer [X.] des Widerrufs sei, nicht abgeleitet werden. Dem Einwand der [X.], es entspreche den [X.]interessen mehr, daß das Gericht die Fest-stellung über den fristgerechten Eingang des Widerrufs treffe, zumal dieses den [X.]en - etwa durch die Einrichtung eines [X.] - ermögliche, die Frist voll auszuschöpfen, stehe entgegen, daß an den [X.] mit der Verpflichtung zum Nachweis der Rechtzeitigkeit und Ordnungsmäßigkeit des Widerrufs keine anderen Anforderungen gestellt würden als in sonstigen Fällen der Abgabe rechtlich relevanter Erklärungen. I[X.] Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, daß der Prozeßvergleich der [X.]en vom 11. November 2003 von der [X.] nicht rechtzeitig widerru-fen worden sei und deshalb den Rechtsstreit wirksam beendet habe. 1. Die Widerrufserklärung der [X.] ist innerhalb der Widerrufsfrist nur dem Gericht, nicht den Klägern zugegangen. In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob der Widerruf eines [X.] gegenüber dem Vergleichsgegner oder gegenüber dem Gericht zu erklären ist, wenn der Vergleich keine Regelung darüber enthält. Das [X.] ([X.], 253, 255) hat den Vergleichsgegner als den richtigen Erklärungsempfänger angesehen mit der Begründung, der [X.] - halt des Widerrufs sei Gegenstand des sachlichrechtlichen Vergleichsinhalts, seine Ausübung erfordere daher eine Willenserklärung sachlichrechtlicher Art, die nur dem Vergleichsgegner gegenüber abgegeben werden könne. Dem hat sich der [X.] in einigen frühen Entscheidungen angeschlossen (Urteil vom 19. Januar 1955 - [X.], [X.] 1955, 214; Urteil vom 20. Februar 1958 - [X.], [X.] 71 (1958), 454, 455). Demgegenüber hat das [X.] (BVerwGE 92, 29, 31 f.) im Hinblick darauf, daß die zum Abschluß des Vergleichs führenden [X.] an das Gericht zu richten bzw. vor ihm abzugeben sind, entschieden, bei Fehlen einer abweichenden Vereinbarung müsse auch der Widerruf gegen-über dem Gericht erklärt werden. Insbesondere bezüglich der durch § 106 Satz 2 VwGO vorgesehenen Möglichkeit, nach der ein gerichtlicher Vergleich auch dadurch geschlossen werden könne, daß die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich gegenüber dem Gericht annähmen, spreche nichts dafür, daß im Gegensatz dazu ein etwaiger Widerruf des Vergleichs nicht gegenüber dem Gericht, sondern gegenüber dem [X.] zu erklären sei. Außerdem könne, zumal in einem Rechtsstreit, in dem kein Zwang zur Ver-tretung durch Rechtsanwälte bestehe, nur bei einem Widerruf gegenüber dem Gericht sichergestellt werden, daß der Zugang verläßlich dokumentiert und eine nicht rechtskundig beratene [X.] nicht zu schwierigen rechtlichen Überlegun-gen darüber genötigt werde, wem gegenüber der Widerruf zu erklären sei. Im Schrifttum wird vielfach die Auffassung vertreten, der Widerruf könne wirksam sowohl gegenüber dem Gericht als auch gegenüber dem [X.] erfolgen ([X.]/Wolfsteiner, 2. Aufl., § 794 Rdnr. 61; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 794 Rdnr. 85 f.; [X.]/Schütze/ [X.], ZPO, 3. Aufl., § 794 Rdnr. 39, jeweils m.w.Nachw.). - 7 - 2. Die Frage bedarf jedoch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Es besteht Einigkeit darüber, daß die [X.]en den Empfänger des Widerrufs in dem Vergleich bestimmen können ([X.], Urteil vom 25. Januar 1980 - [X.], [X.], 1753, unter [X.]). Dies kann auch stillschweigend [X.] ([X.], Urteil vom 20. Februar 1958, aaO; [X.], NJW-RR 1996, 123; [X.], NJW-RR 1987, 255, unter [X.]; [X.], [X.] 1997, 883). Eine solche Bestimmung hat das Berufungsgericht hier rechtsfeh-lerhaft verneint. Es kann deshalb offenbleiben, ob die Auslegung eines [X.] - dem Doppelnatur zukommt ([X.] 79, 71, 74; 142, 84, 88), der folglich (auch) einen materiellen Inhalt besitzt - in der Revisionsinstanz nur in beschränktem Umfang, also nur darauf überprüft werden kann, ob die gesetzli-chen Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvor-schriften verletzt sind, etwa indem wesentliches Auslegungsmaterial außer acht gelassen worden ist, oder ob, weil es sich (auch) um eine Prozeßhandlung handelt, die Auslegung frei nachprüfbar ist (offengelassen auch von [X.], Urteil vom 11. Mai 1995 - [X.], NJW-RR 1995, 1201, unter [X.]; Urteil vom 30. November 1994 - [X.], NJW 1995, 652, unter [X.]). a) Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht sich bei der Auslegung im wesentlichen auf die Feststellung der Verkehrssitte beschränkt und die übereinstimmende tatsächliche Handhabung des Widerrufs durch die [X.]en unberücksichtigt gelassen hat (§§ 133, 157 BGB). Das nachträgliche Verhalten der [X.]en kann zwar den objektiven Vertragsinhalt nicht mehr be-einflussen, hat aber Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten ([X.], Ur-teil vom 24. Juni 1988 - [X.], NJW 1988, 2878, unter 2 b; Beschluß vom 24. November 1993 - [X.], [X.], 267 unter III; Urteil vom 16. Oktober 1997 - [X.], NJW-RR 1998, 259 = [X.], 2305, unter [X.]; Urteil vom 26. November 1997 - [X.], NJW-RR 1998, 801, un-- 8 - ter II 5). Die Beklagte hat den Widerruf des [X.] fristgemäß nur gegenüber dem Gericht erklärt. Die Kläger haben dies weder in erster Instanz noch mit ihrer Berufungserwiderung gerügt. Sie sind, wie sich aus ihrem weite-ren Verhalten im Prozeß ergibt, von der Wirksamkeit des Widerrufs ausgegan-gen und haben den Rechtsstreit in der Sache fortgesetzt, bis die Frage des richtigen Widerrufsgegners vom Berufungsgericht aufgeworfen worden ist. [X.] nachträgliche Verhalten der [X.]en hat das Berufungsgericht bei der Aus-legung des [X.] rechtsfehlerhaft nicht in seine Würdigung [X.]. b) Die tatrichterliche Auslegung ist deshalb für den Senat - auch im Falle einer revisionsrechtlich eingeschränkten Nachprüfbarkeit - nicht bindend. Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat den Vergleich selbst auslegen. Dabei ist das tatsächliche Verhalten der [X.]en im [X.] mit dem Widerruf des Vergleichs ein deutliches Indiz dafür, daß sie schon bei [X.] übereinstimmend das Gericht als den richtigen Er-klärungsgegner für einen etwaigen Widerruf ansahen, auch ohne daß dies im [X.] ausdrücklich bestimmt wurde. Dafür spricht weiter die im [X.] wiedergegebene Äußerung des Prozeßbevollmächtigten der [X.], der auf die Frage des Berufungsgerichts, woher er wisse, daß der Prozeßbevollmächtigte der Kläger davon ausgegangen sei, zur Fristwahrung reiche der rechtzeitige Eingang des Widerrufs bei Gericht aus, geantwortet hat, dies sei so üblich. Die Vorstellung von einer in [X.] allgemein bestehenden entsprechenden Übung mag unzutreffend gewesen sein, wie das Berufungsge-richt festgestellt hat. Das ändert jedoch nichts daran, daß die [X.]en im kon-kreten Fall in der Vorstellung und dem Willen übereinstimmten, ein etwaiger Widerruf solle oder könne zumindest auch gegenüber dem Gericht erklärt wer-den. Auf einen entsprechenden Vertragswillen deutet schließlich der Umstand hin, daß sie für den Fall des Widerrufs vorsorglich bereits streitig verhandelt und - 9 - sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben. Sie hielten also offensichtlich für die Fortsetzung des Rechtsstreits keine weitere Handlung als den Widerruf für erforderlich, was nur in Betracht kommt, wenn der Widerruf unmittelbar gegenüber dem Gericht erfolgt. Insgesamt ist deshalb der Widerrufsvorbehalt der [X.]en in dem Vergleich vom 11. November 2003 dahin auszulegen, daß sie stillschweigend jedenfalls auch eine Widerrufserklärung gegenüber dem Gericht zulassen wollten. II[X.] Die Revision ist danach begründet, und das Berufungsurteil ist aufzuhe-ben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine weiteren Feststellungen getroffen hat, kann der Senat nicht selbst in der Sache entscheiden. Diese ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). [X.] [X.] [X.]
[X.] [X.]

Meta

VIII ZR 214/04

22.06.2005

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.06.2005, Az. VIII ZR 214/04 (REWIS RS 2005, 2969)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 2969

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