Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.02.2016, Az. 3 StR 454/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 16385

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:110216U3STR454.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
3 StR
454/15
vom
11. Februar 2016
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

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Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 11.
Februar 2016, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. Schäfer

als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Mayer,
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
[X.] am [X.] Dr. Tiemann

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwalt
beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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1.
Das Urteil des [X.] vom 3.
Juli 2015 wird mit den Feststellungen aufgehoben,

a)
auf die Revision der Nebenklägerin, soweit der Ange-klagte freigesprochen worden ist;
b)
auf die Revision der Staatsanwaltschaft, soweit der Angeklagte hinsichtlich der Taten 4. und 5. der [X.] freigesprochen worden ist sowie im [X.].

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Neben-klägerin, an eine [X.] des [X.] zurückverwiesen.

2.
Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmit-tels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

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Gründe:
Mit Urteil vom 21.
Februar 2014 hatte das [X.] den Angeklagten vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen. Auf die Revision der Nebenklägerin hat der [X.] dieses Urteil am 27.
November 2014 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu-rückverwiesen. Nunmehr hat das [X.] den Angeklagten wegen schwe-ren sexuellen Missbrauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von [X.] zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei weiteren Fällen hat es den Angeklagten erneut
freigesprochen.

1. Die Revision des Angeklagten
Der Angeklagte wendet sich mit der auf die Rüge der Verletzung formel-len und materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die verfahrensrechtliche Beanstandung ist nicht näher ausgeführt und schon [X.] unzulässig (§
344 Abs.
2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge bleibt das Rechtsmittel aus den in der Antragsschrift des [X.] aufge-führten Gründen ebenfalls erfolglos (§
349 Abs.
2 StPO).

2. Die Revision der Staatsanwaltschaft
Dagegen hat die wirksam auf den Freispruch in den Fällen 4. und 5. der Anklage und den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsan-waltschaft Erfolg.
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a) Die Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft erweist sich allerdings ebenfalls, da unausgeführt,
als unzulässig (§
344 Abs.
2 Satz 2 StPO). Zulässig ist das Rechtsmittel hingegen, soweit es sich mit materiell-rechtlichen Bean-standungen gegen den Teilfreispruch in den Fällen 4. und 5. der Anklage sowie die Strafzumessung wendet.

b) Die Revision der Staatsanwaltschaft dringt mit der Sachrüge durch.
Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin nach den beiden Taten, wegen derer es ihn verurteilt hat, in weiteren Fällen sexuell missbrauchte, wobei es auch zu Oral-, Anal-
und Vaginalverkehr kam. Dennoch hat es den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs in drei weiteren Fällen -
u.a. den Fällen 4. und 5. der Anklage -
freigesprochen, weil die von der Zeugin in der Hauptverhandlung geschilderten Missbrauchs-handlungen den angeklagten Taten nicht zugeordnet werden könnten.
Die Voraussetzungen für einen Teilfreispruch waren indes nicht gege-ben. Denn die Nebenklägerin, deren Angaben das [X.] insgesamt für glaubhaft befunden hat, hat ausweislich der Urteilsgründe über [X.] berichtet, die von den [X.] und 5. umfasst sind.
aa) Als Tat 4. legt die Anklage dem Angeklagten zur Last, er habe drei bis vier Wochen nach dem ersten angeklagten Vorfall die Nebenklägerin, die in seiner
Wohnung übernachtet habe, am ganzen Körper berührt, dann einen Finger in ihre Scheide eingeführt und schließlich mit ihr den vaginalen [X.] ausgeübt.
Die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, dass es mehrfach zu [X.] gekommen sei. Der erste vaginale 6
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Geschlechtsverkehr habe in der Wohnung des Angeklagten stattgefunden. Es habe weh getan und sie habe danach geblutet.
Nach Auffassung des [X.]s ist die Tatschilderung der Zeugin von der Anklage nicht umfasst. Bei der angeklagten Tat solle es sich um den ersten vaginalen Geschlechtsverkehr gehandelt haben. Da die Zeugin diesen aber zeitlich vor dem als Tat 3. vorgeworfenen Vorfall eingeordnet habe, passe ihre Darstellung nicht mit der angeklagten Tat zusammen. Auch habe sie ein zentra-les Geschehen wie das Eindringen mit dem Finger dieser Tat nicht mehr zu-ordnen können.
Indes ergibt sich aus der Anklageschrift nicht, dass die dort geschilderte Tat 4. der erste vaginale Geschlechtsverkehr gewesen sei, weshalb sich die an diesen Umstand anknüpfende Beweiswürdigung des [X.]s nicht als tragfähig erweist. Auch hat das [X.] verkannt, dass eine Veränderung des Tatzeitpunkts die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht ohne Weiteres aufhebt. Eine solche Identität kann vielmehr trotz veränderter zeitlicher Einordnung bestehen bleiben, wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekenn-zeichnet ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 17.
August 2000 -
4 StR 245/00, [X.]St 46, 130, 133; vom 20.
November 2014 -
4 [X.], [X.], 68; Beschluss vom 13.
März 1996 -
3 [X.], [X.]R StPO §
200 Abs.
1 Satz
1 Tat 19).
bb) Als Fall 5. wirft die Anklage dem Angeklagten einen letzten sexuellen Übergriff auf die Nebenklägerin im Oktober 2010 vor. Diesmal habe er die Zeu-gin, die ihn besucht habe, in seiner Wohnung entkleidet und mit ihr auf dem 12
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Bett "Geschlechts-
und Analverkehr" ausgeübt, wobei er auf das Bettlaken eja-kuliert habe.

Auch insoweit hat sich das [X.] nicht in der Lage gesehen fest-zustellen, dass es zu diesen Taten in den "angeklagten Situationen und zu den angeklagten Zeiten"
gekommen sei, so dass eine Zuordnung der Schilderun-gen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung zum angeklagten Sachverhalt nicht möglich gewesen sei. Zwar habe die Zeugin hinsichtlich dieser Tat durch-aus noch Einzelheiten in Erinnerung, doch könne sie diese nicht konkret dem letzten Vorfall zuordnen.
Insbesondere werde anders als in der Anklage ein Analverkehr bei dieser letzten Tat nicht behauptet.
Auch insoweit ist der Auffassung der [X.], die Schilderung der Zeugin weiche so massiv vom [X.] ab, dass dieser nicht bestätigt werde, nicht zu folgen. Die Zeugin hat ausweislich der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung von einem "letzten" Vorfall berichtet, den sie zeitlich einord-nen konnte und der hinsichtlich des Tatorts und des behaupteten [X.] mit dem ihm unter Ziff. 5.
der Anklage angelasteten Geschehen überein-stimmt. Dass die Nebenklägerin, die eine Vielzahl von sexuellen Übergriffen behauptet hat, bestimmte Einzelheiten nicht konkret diesem letzten Vorfall zu-ordnen und sich auch an den offensichtlich in früheren Vernehmungen erwähn-ten Analverkehr nicht mehr erinnern konnte, verändert die [X.] des angeklagten Geschehens nicht in einem Maße, dass die von der Nebenklägerin geschilderte
Tat, die sie eindeutig als letzten Vorfall be-zeichnet hat, mit der angeklagten Tat nicht mehr identisch sein kann.
cc) Die hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten auf den [X.] beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt im Ergebnis bereits deshalb zur Aufhebung des Strafausspruchs, weil dem zur neuen Ent-15
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scheidung berufenen Tatrichter eine insgesamt stimmige Strafzumessung zu ermöglichen ist. Denn die Gesamtzahl der zum Nachteil der Nebenklägerin [X.] Straftaten kann für den Unrechtsgehalt der [X.] von Bedeu-tung und deshalb im Fall einer Verurteilung wegen weiterer Missbrauchstaten ein bestimmender Strafzumessungsgrund sein. Auf die mit der zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision erhobenen Einzelbeanstandungen
kommt es deshalb nicht an.
3. Die Revision der Nebenklägerin
a) Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Nebenklägerin, mit der diese sich gegen den gesamten Teilfreispruch wendet, ist hinsichtlich der Fälle 4. und 5. der Anklage aus den dargelegten Gründen (oben 2.
b)) begründet.
b) Darüber hinaus hat sie auch hinsichtlich des Freispruchs im Fall 3. der Anklage Erfolg.
In diesem Fall wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor, bei [X.] "weiteren Gelegenheit" die auf der orangefarbenen Ausziehcouch in [X.] liegende Nebenklägerin an Brust und Bauch gestreichelt zu haben. Anschließend habe diese bei ihm den [X.] ausgeübt.
Hierzu hat die Zeugin in der Hauptverhandlung ausgesagt, sich zu erin-nern, dass der Angeklagte mit ihr auf ihrer Bettcouch vaginalen Geschlechts-verkehr gehabt habe. Zu [X.] sei es auf der orangefarbenen Couch
ihrer Erinnerung nach nicht gekommen.
Ob, wie die [X.] meint, das von der Zeugin in der [X.] berichtete Tatgeschehen nicht angeklagt
war, kann dahinstehen, denn die Beweiswürdigung des [X.]s ist -
eingedenk des eingeschränk-ten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs -
rechtsfehlerhaft. Den diesbe-18
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züglichen Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Geschädigte "die Tat wie angeklagt" anderen Zeugen gegenüber geschildert hat. Die Annahme der [X.], dass dennoch keine Beweismittel für die angeklagte Tat zur [X.] stünden, weil entscheidend allein die Erinnerung der Zeugin in der Hauptverhandlung sei, ist rechtsfehlerhaft. Der Tatrichter ist nach §
261 StPO verpflichtet, die erhobenen Beweise zu würdigen und zu prüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Eine Bindung an [X.] besteht nicht ([X.], Beschlüsse vom 7.
Juni 1979 -
4 [X.], [X.]St 29, 18, 20; vom 13.
Februar 1998 -
3 [X.], [X.], 267; vom 4.
September 2014 -
1 StR 341/14, [X.], 98-101; Urteil vom 9.
April 2015 -
4 StR 401/14, [X.], 464, 465). Das hat die [X.] vorliegend verkannt und damit die Prüfung versäumt, ob sie sich -
auch ohne dass die Zeugin in der [X.] die Tat wie angeklagt geschildert hat -
aufgrund der erwähnten Zeugenaussagen die Überzeugung verschaffen konnte, dass der Angeklagte die ihm angelastete Tat begangen hat.
[X.] [X.]

[X.] Tiemann

Meta

3 StR 454/15

11.02.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.02.2016, Az. 3 StR 454/15 (REWIS RS 2016, 16385)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16385

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4 StR 153/14

4 StR 401/14

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