Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.10.2020, Az. 29 W (pat) 53/20

29. Senat | REWIS RS 2020, 255

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – „OpenDress“ – Unterscheidungskraft- kein Freihaltungsbedürfnis


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2019 007 972.4

hat der 29. Senat ([X.]) des [X.] am 29. Oktober 2020 durch die Vorsitzende Richterin [X.], die Richterin [X.] und die Richterin Seyfarth

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 40 des [X.] vom 23. Juni 2020 wird aufgehoben.

Gründe

[X.].

1

Die Bezeichnung

2

[X.]

3

ist am 2. April 2019 zur Eintragung als Wortmarke in das beim [X.] ([X.]) geführte Markenregister angemeldet worden und beansprucht aktuell Schutz für folgende Waren und Dienstleistungen:

4

Klasse 9: Schnittmuster [in elektronischer Form];

5

Klasse 16: Schnittmuster, insbesondere für die [X.]ei oder zur Herstellung von Bekleidungsstücken; gedruckte Muster, insbesondere für die [X.]ei oder zur Herstellung von Bekleidungsstücken; Muster aus Papier; Schnittmusterausdrucke;

6

[X.]: Bekleidungsstücke; Kopfbedeckungen; Bodysuits;

7

Klasse 35: Einzel- und Großhandelsdienstleistungen in Bezug auf Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, [X.]ei-Artikel, Näh-Artikel und Stoffe, insbesondere in Bezug auf Schnittmuster und nach einem Schnittmuster zugeschnittene Stoffe;

8

Klasse 40: Nähen [Maßanfertigung]; Maßanfertigung von Bekleidungsstücken; individuelle Erstellung oder Anpassung von Schnittmustern; Aufdrucken von Mustern, insbesondere auf Stoffe oder Papieroberflächen; Zuschneiden von Stoffen nach Schnittmustern; Abbilden von Schnittmustern über das Aufbringen eines Reliefs auf Stoff oder Papier; Bereitstellung von [X.]nformationen über Dienstleistungen im Bereich [X.]ei; Dienstleistungen einer [X.]-Plattform für [X.] und Designer, insbesondere [X.]-Dienstleistungen für die Erstellung, das Hochladen oder Herunterladen von [X.] für Bekleidung, von Designs und/oder von Schnittmustern; [X.]-Dienstleistungen für das Zuschneiden von Stoffen nach Schnittmustern; Dienstleistungen für das Erstellen von [X.] für Bekleidung, insbesondere durch den Einsatz von [X.];

9

[X.]: Ausbildung in Bezug auf Mode und [X.]ei, insbesondere in Bezug auf Körperscannen, Zuschneiden von Stoffen nach Schnittmustern, Maßanfertigung;

Klasse 42: Entwurf von Mustern, insbesondere von Schnittmustern; Dienstleistungen eines Modedesigners; Modedesign; Werkzeuggestaltung; Bereitstellung von [X.]nformationen über Dienstleistungen im Bereich Modedesign; Dienstleistungen zur 3D-Vermessung für das Erstellen von [X.] für Bekleidung, insbesondere durch den Einsatz von [X.].

Mit Beschluss vom 23. Juni 2020 hat die Markenstelle für Klasse 40 des [X.] die Anmeldung unter Bezugnahme auf die Beanstandungsbescheide vom 23. Mai 2019 und 6. September 2019 wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 8 Abs. 2 Nr. 1, 37 Abs. 1 [X.] zurückgewiesen.

Zur Begründung ist ausgeführt, die angemeldete Wortkombination sei erkennbar aus den Begriffen „Open“ und „Dress“ zusammengesetzt. Der Bestandteil „Open“ bedeute wörtlich übersetzt „offen, frei“, daneben stehe er für günstige und individuell anpassbare Lösungen, bei denen zum Beispiel Quelltexte und [X.]nformationen öffentlich eingesehen, genutzt und geändert werden könnten. Der zweite Bestandteil „Dress“ bedeute „Kleidung, Kleid“. Der Kombination „[X.]“ komme daher die Bedeutung „offene Kleidung oder Kleidung mit offenen oder ausgeschnittenen Stellen“ oder auch „freie Kleidung, also Kleidung, die frei bzw. individuell gestaltet oder angepasst ist“ zu. Dementsprechend verstünden die angesprochenen Verkehrskreise die Bezeichnung im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren dahingehend, dass es sich bei den Waren der [X.] um Kleidung handele, die ausgeschnittene Stellen habe oder individuell gestaltet bzw. angepasst werde, bzw. dass die die in den Klassen 9 und 16 beanspruchten Waren wie Schnittmuster der Erstellung oder dem Entwurf entsprechender Kleidungsstücke dienen würden. Ebenso verstehe der Verkehr die Wortkombination „[X.]“ im Zusammenhang mit den [X.] der [X.] sowie den in den Klassen 40 und 42 beanspruchten Dienstleistungen, die die Anfertigung von Kleidungsstücken oder Mustern zum Gegenstand hätten, dahingehend, dass Kleidungsstücke mit ausgeschnittenen Stellen oder nach individuellen Wünschen erstellt würden. Entsprechendes gelte für die in Klasse 40 beanspruchten „[X.]-Dienstleistungen“. Weitere Dienstleistungen wie „Dienstleistungen zur 3D-Vermessung für das Erstellen von Größeninformation für Bekleidung, insbesondere durch den Einsatz von [X.]“ würden dabei der Erstellung der ausgeschnittenen oder individuell entworfenen bzw. angepassten Kleidungsstücke dienen und stünden daher mit diesen in unmittelbarem Zusammenhang.Schließlich werde das angesprochene Publikum die angemeldete Bezeichnung im Zusammenhang mit den in Klasse 35 beanspruchten „Einzel- und Großhandelsdienstleistungen in Bezug auf Kleidungsstücke, [X.]eiartikel“ dahingehend verstehen, dass Kleidungsstücke gehandelt würden, die ausgeschnittene Stellen hätten oder nach individuellen Wünschen gestaltet seien. Tatsächlich seien „nach individuellen Kundenwünschen anpassbare und damit offen gestaltbare Kleidungsstücke“ Gegenstand des Geschäftsmodells der Anmelderin. Die Möglichkeit, dass Kleidungsstücke mit ausgeschnittenen Stellen noch andere Bezeichnungen haben könnten, wie etwa Cut-Out Kleider, ändere ebenso wenig etwas an dem beschreibenden Charakter des Zeichens „[X.]“ wie die Argumentation der Anmelderin, dass das angemeldete Zeichen verschiedene Bedeutungen habe, oder ihr Hinweis auf die Eintragung des Zeichens „[X.]“ beim [X.]. Aufgrund ihres beschreibenden Charakters sei der angemeldeten Marke die gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] erforderliche Unterscheidungskraft abzusprechen. Darüber hinaus bestünden erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass das angemeldete Zeichen in Bezug auf die hier maßgeblichen Waren und Dienstleistungen eine beschreibende Angabe im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] darstelle, insoweit bedürfe es jedoch keiner abschließenden Entscheidung.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie sinngemäß beantragt,

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 40 vom 23. Juni 2020 aufzuheben.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass der angemeldeten Bezeichnung weder das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft noch ein Freihaltebedürfnis entgegenstünden. Bei der aus den [X.] Wörtern „Open" und „Dress" zusammengesetzten Bezeichnung „[X.]" handele es sich um ein innovatives Kunstwort, dem kein unmittelbar erkennbarer Bedeutungsinhalt zukomme, und das zudem kurz und einprägsam sei. Daher sei es ersichtlich als Herkunftshinweis geeignet.

Entgegen der pauschalen Behauptung der Markenstelle, der Verkehr verstehe die Bezeichnung „[X.]" im Sinne von „Kleidung mit ausgeschnittenen Stellen", würden derartige Kleidungsstücke von den angesprochenen Verkehrskreisen offensichtlich nicht als „offene Kleidung" oder gar „[X.]" bezeichnet. Stattdessen würden andere, spezifischere Begriffe wie „open front", „open bust", „open back" oder das [X.] Pendant „rückenfreies Kleid" zur Bezeichnung derart ausgeschnittener Kleidungsstücke verwendet, ebenso Begriffe wie „Cut-Outs" oder „[X.] der ihr zukommenden Feststellungslast habe die Markenstelle keinerlei konkrete Anhaltspunkte für ihre Behauptung geliefert, die angesprochenen Verkehrskreise verstünden die Bezeichnung „[X.]“ im Sinne von „Kleidung mit ausgeschnittenen Stellen".

Auch die weitere Argumentationslinie des [X.], der Verkehr fasse die Bezeichnung „[X.]" im Sinne von „Kleidung, die frei bzw. individuell gestaltet oder angepasst ist", auf, sei durch keinerlei Nachweise gestützt. Die Markenstelle gründe diese Argumentationslinie auf ein vermeintliches Verständnis des Wortes „open" im Sinne von „günstig und individuell anpassbare[n] Lösungen, bei denen z.B. Quelltexte und [X.]nformationen öffentlich eingesehen, genutzt und geändert werden können", liefere hierfür jedoch keine überzeugenden Belege. Soweit sie im Verfahren auf den Begriff der „Open-Source-Software" verwiesen habe, so bezeichne dieser eine Software, bei welcher der Quelltext öffentlich eingesehen, genutzt und geändert werden könne. Ein allgemeiner Bedeutungsinhalt im Sinn von „günstig und individuell anpassbare[n] Lösungen" sei bei diesem Gesamtbegriff nicht erkennbar und komme erst recht nicht dem [X.] „Open" als solchem zu. Des Weiteren beziehe sich der Begriff „Open" selbst in dieser konkreten Wortzusammensetzung „Open-Source-Software" nicht auf die Software, sondern auf den Quellcode; zudem sei nicht individuelle Anpassbarkeit, sondern die freie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit des Quellcodes das vordergründige Charakteristikum von „Open-Source -Software".Eine Übertragung dieses [X.] auf das in Rede stehende Zeichen „[X.]" und die beanspruchten Waren und Dienstleistungen sei fernliegend.Der Verkehr gehe bei der [X.] „[X.]" nicht möglichen Bedeutungen von aus einem vollkommen anderen Kontext stammenden Wortzusammensetzungen mit dem Bestandteil „Open" nach, um durch Transfer zu versuchen, der [X.] doch noch irgendeinen beschreibenden Bedeutungsinhalt zu entnehmen. Es sei gänzlich unüblich, die bloße Möglichkeit einer individuellen Gestaltung von Kleidungsstücken (z.B. Maßanfertigung) mit den Attributen „open" oder „frei" zu versehen, ebenso bestehe in Bezug auf die Gestaltung und Bestellung von Schnittmustern oder Mustern kein derartiges Verkehrsverständnis. Die Erstellung bzw. Bestellung maßangefertigter Schnittmuster sei seit vielen Jahren über das [X.] möglich, diese Schnittmuster bzw. entsprechende [X.]-Dienstleistungen würden jedoch nicht als „open" oder „frei" bezeichnet. Entsprechendes gelte in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen.

Um in dem Zeichen „[X.]" überhaupt eine Sachaussage erkennen zu können, wäre ein erhebliches Maß an gedanklicher Deduktion notwendig, so dass kein im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt dieses Zeichens vorliege. Schließlich handele es sich bei der Bezeichnung „[X.]" auch nicht um eine Werbeaussage, die stets nur als solche verstanden werde. [X.]m Übrigen würden die Ausführungen der Markenstelle zeigen, dass bei dem Zeichen „[X.]" mehrere Bedeutungen in Frage kämen, welche jedoch sämtlich allenfalls über mehrere gedankliche Schritte unter Aufbringung einer substantiellen Transferleistung zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen führen würden.

Dass zusammengesetzte Begriffe, die das Wort „open" enthalten, vom Verkehr gerade nicht als beschreibende Sachangabe, sondern als Herkunftshinweis verstanden würden, zeige auch die Eintragung der Wortmarken [X.] 2009 052 574 „Open Jeans", [X.] 2013 030 305 „[X.]" und [X.] 017942105 „[X.]" (für Computersoftware).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

[X.][X.].

Die zulässige, insbesondere nach § 66 Abs. 1 [X.] statthafte und gem. § 66 Abs. 2 [X.] fristgerecht eingelegte Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Eintragung des angemeldeten Zeichens „[X.]“ als Marke stehen absolute Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 [X.] nicht entgegen, so dass der angegriffene Beschluss der Markenstelle aufzuheben war.

[X.]. Dem angemeldeten Zeichen fehlt nicht die gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] erforderliche Unterscheidungskraft.

1. § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] schließt von der Eintragung als Marke Zeichen aus, denen für die in der Anmeldung beanspruchten Waren und Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt. Unterscheidungskraft ist die einem Zeichen zukommende Eignung, die von der Anmeldung erfassten Waren bzw. Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und so diese Waren und Dienstleistungen von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. u. a. [X.] [X.] 2012, 304 Rn. 23 – Smart Technologies/[X.] [[X.] DAS BESON[X.]RE E[X.]NFACH]; [X.], 228 Rn. 33 – [X.]/[X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.] 2020, 411 Rn. 10 – #darferdas? [X.][X.]; [X.], 932 Rn. 7 – #darferdas? [X.]; [X.], 301 Rn. 11 – [X.]; [X.], 934 Rn. 9 – [X.]; GRUR 2014, 569 Rn. 10 – [X.]; [X.], 731 Rn. 11 – [X.]; [X.], 1143 Rn. 7 – [X.]). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten ([X.] [X.], 608 Rn. 66 – [X.]/[X.] [[X.]]; [X.], 229 Rn. 27 – [X.]/[X.] [Bio[X.]D]; [X.] 2016, 934 Rn. 9 – [X.]; GRUR 2014, 565 Rn. 12 – smartbook).

Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden ([X.] 2018, 301 Rn. 11 – [X.]; [X.], 934 Rn. 9 – [X.]). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen ([X.] GRUR 2004, 428 Rn. 53 – [X.]; [X.] 2018, 301 Rn. 15 – [X.]; [X.], 934 Rn. 10 – [X.]; GRUR 2014, 872 Rn. 13 – [X.]).

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt ([X.] 2013,1143 Rn. 15 – [X.] werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist ([X.] GRUR 2019, 1194 Rn. 20 – AS/[X.] [#darferdas?]; [X.], 608 Rn. 67 – [X.]/[X.] [[X.]]; [X.], 411 Rn. 24 – [X.]/[X.] [[X.]]; [X.] 2014, 376 Rn. 11 – grill meister).

Keine Unterscheidungskraft besitzen insbesondere Zeichen, die einen beschreibenden Begriffsinhalt enthalten, der für die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen ohne Weiteres und ohne Unklarheiten als solcher erfasst wird ([X.] GRUR 2004, 674 Rn. 86 – [X.]/[X.] [Postkantoor]; [X.] 2018, 932 Rn. 8 – #darferdas? [X.]). Auch Angaben, die sich auf Umstände beziehen, die die Ware oder die Dienstleistung selbst nicht unmittelbar betreffen, fehlt die Unterscheidungskraft, wenn durch die Angabe ein enger beschreibender Bezug zu den angemeldeten Waren oder Dienstleistungen hergestellt wird und deshalb die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt als solchen ohne Weiteres und ohne Unklarheiten erfasst und in der Bezeichnung nicht ein Unterscheidungsmittel für die Herkunft der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen sieht ([X.] 2018, 301 Rn. 15 – [X.]; GRUR 2014, 569 Rn. 10 – [X.]; [X.], 1143 Rn. 9 – [X.]; GRUR 2009, 952 Rn. 10 – [X.]). Ferner kommt die Eignung, Waren oder Dienstleistungen ihrer Herkunft nach zu unterscheiden, solchen Angaben nicht zu, die aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der [X.]n oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden ([X.] 2020, 411 Rn. 11 – #darferdas? [X.][X.]; [X.], 932 Rn. 8 – #darferdas? [X.]; [X.], 934 Rn. 12 – [X.]; GRUR 2014, 872 Rn. 21 – [X.]; GRUR 2014, 569 Rn. 26 – [X.]; [X.], 1143 Rn. 9 – [X.]; [X.], 270 Rn. 11 – Link economy; [X.], 640 Rn. 13 – hey!).

2. Gemessen an diesen Grundsätzen verfügt das angemeldete Zeichen „[X.]“ im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren und Dienstleistungen über die erforderliche Unterscheidungskraft.

a) Die beanspruchten Waren und Dienstleistungen wenden sich in erster Linie an die allgemeinen Verkehrskreise, insbesondere den Handel sowie den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durch-schnittsverbraucher. Ein Großteil dieser Waren und Dienstleistungen wendet sich zugleich an Fachkreise aus dem Bereich des [X.] und der [X.]ei. Die in Klasse 40 beanspruchten „Dienstleistungen einer [X.]-Plattform für [X.] und Designer, insbesondere [X.]-Dienstleistungen für die Erstellung, das Hochladen oder Herunterladen von [X.] für Bekleidung, von Designs und/oder von Schnittmustern“ sind ausdrücklich nur an diese Fachkreise gerichtet.

b) Das angemeldete Zeichen „[X.]“ setzt sich aus den Bestandteilen „Open“ und „Dress“ zusammen, wobei die Binnengroßschreibung die Erkennbarkeit der beiden Bestandteile noch erleichtert.

Dem [X.] Wort „dress“ kommt als Substantiv die Bedeutung „Kleid, Kleidung“ und als Verb die Bedeutung „(sich) anziehen, (sich) kleiden“ zu (vgl. [X.]). Bei dem eng-lischen Begriff „open“ handelt es sich sowohl um ein Adjektiv als auch um ein Verb. Als Adjektiv ist es in erster Linie mit „offen“ zu übersetzen, weitere mögliche Übersetzungen lauten je nach Kontext „geöffnet, frei, verfügbar, durchlässig“ (vgl. https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/open); als ([X.] oder in[X.]) Verb kommt dem Wort „open“ vorrangig die Bedeutung „etwas / sich öffnen, aufgehen“ zu (vgl. https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/open). Beide Worte gehören zum Grundwortschatz der [X.] Sprache (vgl. [X.], Grundwortschatz [X.], 2000, [X.], S. 337).

[X.]n der Kombination „[X.]“ werden die angesprochenen Verkehrskreise, und zwar sowohl das allgemeine Publikum als auch Fachkreise auf dem Gebiet des [X.] und der [X.]ei, in erster Linie eine – bis auf die Zusammenschreibung – sprachregelrecht gebildete Kombination aus dem Adjektiv „Open“ und dem Substantiv „Dress“ sehen und diese im Sinne von „offenes Kleid“ bzw. „offene Kleidung“ verstehen. Darüber hinaus weckt die Begriffszusammensetzung gewisse Assoziationen an die aus dem Bereich der [X.]nformationstechnik bekannte Wortkombination „Open Source“ bzw. „Open Source Software“ als Bezeichnung von Software, deren Quelltext der Öffentlichkeit zugänglich ist und von [X.] eingesehen, verändert und – meistens kostenlos – genutzt werden kann (vgl. [X.]; https://www.redhat.com/de/topics/open-source/what-is-open-source).

c) Dem angemeldeten Zeichen in seiner Gesamtheit kommt kein die beanspruchten Waren und Dienstleistungen unmittelbar beschreibender Begriffsinhalt zu. Auch ein enger beschreibender Bezug der Bezeichnung zu den beanspruchten Waren und Dienstleistungen ist nicht anzunehmen.

Besteht eine Marke – wie vorliegend – aus mehreren Wortelementen, ist es zwar zulässig, zunächst die Bestandteile getrennt zu betrachten; die Beurteilung der Unterscheidungskraft muss jedoch auf einer sich anschließenden Prüfung der Gesamtheit dieser Bestandteile beruhen (vgl. [X.] GRUR 2004, 943 Rn. 28 – SAT.2; [X.], Beschluss vom 10.09.2020, [X.] ZB 13/20, Rn. 9 – [X.]; GRUR 2014, 1204 Rn. [X.] – DüsseldorfCongress).

Zwar ist der Bestandteil „Dress“ der angemeldeten Marke für einen Teil der beanspruchten Waren direkt beschreibend. So kann es sich bei den beanspruchten Bekleidungsstücken um Kleider handeln, Schnittmuster können die Herstellung von Kleidern oder Kleidung zum Gegenstand haben, ebenso wie beispielsweise die Dienstleistung „Maßanfertigung von Bekleidungsstücken“ etc. Teilweise besteht auch ein enger beschreibender Bezug zwischen dem Wort „Dress“ und den beanspruchten Waren und Dienstleistungen, sofern es sich um solche Waren und Dienstleistungen handelt, die im Zusammenhang mit der Herstellung von Kleidern stehen bzw. erbracht werden, wie beispielsweise Dienstleistungen für das Erstellen von [X.] für Bekleidung etc. Ebenso weckt der Begriff „Open“ in der Bedeutung „offen“ im konkreten Kontext gewisse Assoziationen, beispielweise an Schnittmuster für Kleider mit Ausschnitt oder ein Kleidungsstück, bei dem Reißverschluss oder Knöpfe offen/geöffnet sind.

Der Wortkombination „[X.]“ in ihrer Gesamtheit kann jedoch nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden.

aa) Dies gilt zunächst in Bezug auf die naheliegende Übersetzung der angemeldeten Bezeichnung mit „offenes Kleid“ bzw. „offene Kleidung“. Kleider bzw. Kleidungsstücke werden nach den Feststellungen des [X.]s nicht ohne weitere erläuternde Zusätze als „offen“ bezeichnet. Ein Kleid kann vielmehr offene Knöpfe bzw. einen offenen Reißverschluss haben, „vorne offen“ gestaltet sein oder es kann einen „offenen Rücken“ haben, wobei jedoch insoweit die Bezeichnung „Ausschnitt“ für vorne oder „rückenfreies Kleid“ für einen Ausschnitt hinten die üblichere Formulierung darstellt. Vereinzelt konnte der [X.] in Bezug auf Kleider auch die Bezeichnung „offener Schnitt“ feststellen. Demgegenüber war keine beschreibende Verwendung der Bezeichnung „[X.]“ oder der Übersetzung „offenes Kleid“ in relevantem Umfang nachweisbar. Die bei einer [X.]srecherche mit dem Begriff „[X.]“ oder der Wortkombination „open dress“ erzielten Treffer betrafen ausschließlich Kleider mit „open back“, also rückenfreie Kleider. Die angesprochenen Verkehrskreise werden jedoch die Bezeichnung „[X.]“ nicht ohne weitere Gedankenschritte im Sinne von „[X.] an open back“, also zur Bezeichnung eines rückenfreien Kleides, verstehen.

Die Bezeichnung „[X.]“ in der Übersetzung „offenes Kleid“ ist daher ungewöhnlich und in Alleinstellung ohne weitere erläuternde Zusätze für die in [X.] beanspruchten Waren, insbesondere Bekleidungsstücke, nicht lediglich beschreibend. Da sich die Bezeichnung schon in Bezug auf Bekleidung nicht auf eine beschreibende Sachaussage beschränkt, kann ihr die Unterscheidungskraft erst recht nicht für die Waren der Klassen 9 und 16 sowie den Dienstleistungen der Klassen 35, 40, 41 und 42 mit der Begründung abgesprochen werden, dass diese Waren – beispielsweise Schnittmuster – und Dienstleistungen „offene Kleider“ zum Gegenstand hätten oder sich auf derartige Kleider beziehen würden.

bb) Auch die weiteren Übersetzungen des Adjektivs „open“ als „frei“ oder „verfügbar“ führen nicht zu einer anderen Bewertung des angemeldeten Zeichens. Die Bedeutung der Kombination „[X.]“ bleibt – entgegen der Auffassung der Markenstelle - bei Heranziehung dieser Bedeutungen unklar. Die Bezeichnung „freie Kleider“ bzw. „freie Kleidung“ existiert in der [X.]n Sprache nicht. [X.]nsbesondere kann dieser Bezeichnung nicht unmittelbar ein Aussagegehalt dahingehend entnommen werden, dass es sich um Kleidung handelt, die „frei bzw. individuell gestaltet oder angepasst ist“.Diese [X.]nterpretation der angemeldeten Bezeichnung geht über den Wortsinn hinaus.

Die weitere Übersetzungsmöglichkeit „(frei) verfügbar“ unter Berücksichtigung der von der Markenstelle dargelegten Nähe der Wortkombination „[X.]“ zum Ausdruck „Open Source“ (Software) zieht ebenfalls keine fehlende Unterscheidungskraft der angemeldeten Wortmarke nach sich. Der aus dem Bereich der [X.]nformationstechnik stammende Ausdruck „Open Source Software“ bezeichnet eine Software, deren Quelltext („source“) als „open“ im Sinne von frei zugänglich und veränderbar qualifiziert wird (s. o.). Dieser Bedeutungsgehalt kann jedoch nicht ohne Weiteres auf konkrete Gegenstände wie Kleider bzw. Kleidungsstücke übertragen werden. [X.]nsbesondere kann der Bezeichnung „[X.]“ kein rein beschreibender Sachhinweis auf „nach individuellen Kundenwünschen anpassbare und damit offen gestaltbare Kleidungsstücke“ entnommen werden. Selbst wenn die Bezeichnung „[X.]“ möglicherweise gewisse Assoziationen dahingehend wecken sollte, dass es – in Anlehnung an „Open Source Software“ – um Kleider oder auf diese bezogene Waren (z.B. Schnittmuster) oder Dienstleistungen (z.B. Maßanfertigung) gehen könnte und dass diese Waren oder Dienstleistungen frei zugänglich seien oder irgendwie mit einer frei zugänglichen Software in Zusammenhang stünden, begründet dies noch nicht das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft. Denn der Umstand, dass eine Marke als sprechendes Zeichen beschreibende Anklänge aufweist, steht der Annahme von Unterscheidungskraft nicht entgegen (vgl. [X.] 2018, 301 Rn. 18 – [X.]; [X.], Beschluss vom 06.08.2019, 29 W (pat) 593/17 - [X.]S[X.]GNDSCHUNGEL). Ein der Annahme der Unterschei-dungskraft entgegenstehender Aussagegehalt der Marke muss vielmehr so deutlich und unmissverständlich hervortreten, dass er für die beteiligten Verkehrskreise, die die Marke so wahrnehmen, wie sie ihnen entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen, unmittelbar und ohne Weiteres Nachdenken erkennbar ist (vgl. [X.] 2012, 270 Rn. 12 – Link economy). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Wenngleich der Verkehr in das Anmeldezeichen verschiedene Anspielungen hineinlesen mag, so wird er in diesem nicht lediglich einen rein sachbeschreibenden Hinweis auf die Merkmale der beanspruchten Waren und Dienstleistungen sehen, so dass der Bezeichnung „[X.]“ insoweit nicht die Eignung als betrieblicher Herkunftshinweis abgesprochen werden kann.

d) Dem angemeldeten Zeichen fehlt die Unterscheidungskraft schließlich auch nicht deshalb, weil es sich um ein gebräuchliches Wort handelt, das von den angesprochenen Verkehrskreisen – beispielsweise wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solches und nicht als Unter-scheidungsmittel verstanden wird. Eine rein werbliche Verwendung des Anmeldezeichens „[X.]“ konnte der [X.] nicht ermitteln.

3. Da sich nicht feststellen lässt, dass das angemeldete Wortzeichen „[X.]“ zur Beschreibung von Merkmalen der beanspruchten Waren und Dienstleistungen geeignet ist, unterliegt dieses auch keinem Freihaltebedürfnis i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.].

Meta

29 W (pat) 53/20

29.10.2020

Bundespatentgericht 29. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG, § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 29.10.2020, Az. 29 W (pat) 53/20 (REWIS RS 2020, 255)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 255

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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