Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 23.08.2018, Az. 5 RVs 98/18

5. Strafsenat | REWIS RS 2018, 4481

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Tenor

  • 1.

    Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

  • 2.

    Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe

Gründe:

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Essen vom 07. November 2017, Az. 40 Ds – 12 Js 1307/17 – 418/17, wurde der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt (vgl. Blatt 203 ff Band I der Akten). Die abgeurteilten Taten datieren vom 14. Juli 2016 (vgl. Staatsanwaltschaft Essen 12 Js 1525/17) und 19. April 2017 (vgl. Staatsanwaltschaft Essen 12 Js 1307/17 = führendes Aktenzeichen; Anmerkung des Senats: die polizeiliche Strafanzeige, vgl. Blatt 1 Band I der Akten, sowie die Anklageschrift vom 21. Juni 2017, vgl. Blatt 90 ff Band I der Akten, nennen den 13. April 2017).

Zweitinstanzlich wurde der Angeklagte mit dem hier angefochtenen Urteil der XXVI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 16. Februar 2018 unter Abänderung des vorgenannten erstinstanzlichen Urteils unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 04. November 2016, Az. 93 Cs – 36 Js 2259/16 – 309/16, wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt (vgl. Blatt 249 ff Band II der Akten).

Des Weiteren wurde er wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetzes zu einer weiteren Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Auch die Vollstreckung dieser weiteren Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Durch den o.g. Strafbefehl vom 04. November 2016, rechtskräftig seit dem 24. November 2016, war gegen ihn wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz, begangen am 25. August 2016, eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je zehn Euro verhängt worden. Die Strafe ist noch nicht vollstreckt (vgl. Vollstreckungsblatt VG 10, Blatt 354 Band II der Akten).

Gegen den Angeklagten wurde ferner am 23. März 2017 im Strafbefehlswege durch das Amtsgericht Essen wegen Bedrohung sowie vorsätzlicher Körperverletzung, jeweils begangen am 11. November 2016, eine Gesamtgeldstrafe von 135 Tagessätzen zu je zehn Euro verhängt (vgl. Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 23. März 2017, Az. 47 Cs – 13 Js 2533/16 – 94/17, Blatt 49 der Beiakte). Der Strafbefehl ist seit dem 12. April 2017 rechtskräftig. Die Strafe ist nunmehr seit dem 19. April 2018 vollstreckt (vgl. Vollstreckungsblatt VG 10, Blatt 354 Band II der Akten).

Mit weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 22. Mai 2017, rechtskräftig seit dem 25. August 2017, Az. 40 Cs – 12 Js 971/17 – 317/17, wurde gegen den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie Beleidigung, begangen jeweils am 24. Februar 2017, eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je zehn Euro verhängt (vgl. Blatt 129 Band I der Akten). Hierbei hat das Amtsgericht auf Einzelgeldstrafen von 40 Tagessätzen für die vorsätzliche Körperverletzung und 30 Tagessätzen für die Beleidigung erkannt. Die Gesamtgeldstrafe ist bislang nicht vollstreckt (vgl. Vermerk des Strafkammervorsitzenden vom 13. Februar 2018, Blatt 313 Band II der Akten).

Gegen das Berufungsurteil der XXVI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 16. Februar 2018 hat der Angeklagte mit Schriftsatz seiner Wahlverteidigerin Rechtsanwältin P vom 22. Februar 2018, eingegangen per Telefax-Schreiben beim Landgericht Essen am 23. Februar 2018, Revision eingelegt und zugleich die Verletzung sachlichen Rechts gerügt (vgl. Blatt 327 Band II der Akten).

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Von der ihnen eingeräumten Möglichkeit, zu der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Hamm zu nehmen, haben die Verteidiger des Angeklagten keinen Gebrauch gemacht.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten ist offensichtlich unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

Durchgreifende Rechtsfehler, die geeignet wären, die von dem Angeklagten allein erhobene, nicht näher ausgeführte Verletzung materiellen Rechts zu begründen, sind nicht ersichtlich.

1.

Die von dem Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung erklärte Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist formell und materiell wirksam.

Gemäß § 303 S. 1 StPO kann, wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel aufgrund mündlicher Verhandlung stattzufinden hat, die Zurücknahme des Rechtsmittels nach Beginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Gegners erfolgen. Dies gilt auch für eine nachträgliche Beschränkung (Teilrücknahme) des Rechtsmittels (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage 2017, § 303 Rn. 1, m.w.N.). Die seitens des Angeklagten und seines Verteidigers erklärte Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß im Berufungshauptverhandlungstermin vom 16. Februar 2018 bedurfte demgemäß der Zustimmung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft. Eine solche ausdrücklich erklärte Zustimmung ist dem Sitzungsprotokoll vom 16. Februar 2018 nicht zu entnehmen. Nach der Protokollierung der Beschränkung findet sich lediglich der Zusatz „vorgelesen, übersetzt und genehmigt“. Die Zustimmungserklärung kann indes auch in schlüssigen Handlungen liegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 5). Auch ein Schweigen kann als Zustimmung gewertet werden (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 6). Insoweit gilt die negative Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 StPO nicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.).

Vorliegend kommt dem Umstand, dass sich die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht ausdrücklich zu der erklärten Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolge erklärt, sondern geschwiegen hat, eine konkludente Erklärungswirkung im Sinne einer Zustimmung zu. Zunächst ist entsprechend den insoweit zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Hamm in ihrer Antragsschrift davon auszugehen, dass die Sitzungsvertreterin die Erklärung, die vorgelesen und genehmigt wurde, wahrgenommen hat. Überdies wurden im Anschluss hieran die sämtlichen Zeugen hereingerufen und sodann die Zeugen H und E im allseitigen Einverständnis, also auch dem der Sitzungsvertreterin, entlassen. Die nachfolgende Beweisaufnahme durch Vernehmung der Polizeibeamten L und M sowie der sozialpädagogischen Familienhelferin C verhielt sich dann auch nicht mehr zu den infolge der Beschränkung rechtskräftigen, erstinstanzlichen Feststellungen zum Tatgeschehen, sondern diente ergänzenden Feststellungen im Hinblick auf eine Alkoholisierung des Angeklagten bei der Tat vom 14. Juli 2017. Im Übrigen dienten die Beweiserhebungen (wie die teilweise Verlesung der Vorverurteilungen) weiterer Feststellungen zum Rechtsfolgenbereich. Zudem verhält sich der Antrag der Sitzungsvertreterin wesentlich zum Strafmaß, so dass auch dies für eine konkludente Zustimmung spricht.

Die in der Berufungshauptverhandlung erklärte Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist auch materiell wirksam. Der Senat tritt den auch insoweit zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Hamm bei. Die Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unzulässig, wenn die Feststellungen zur Tat, sei es auch nur zur inneren Tatseite, so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie eine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung nicht bilden. Vorliegend ermöglichen die erstinstanzlichen Feststellungen eine Überprüfung des Urteils. Sie tragen die Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz. Soweit hinsichtlich der Tat vom 14. Juli 2016 ausdrückliche Feststellungen zum Körperverletzungsvorsatz des Angeklagten nicht getroffen worden sind, führt dies nicht zu einer Unvollständigkeit, da die Darstellung des äußeren Geschehensablaufes einen hinreichend sicheren Schluss auf die innere Tatseite erlaubt.

2.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung lässt Rechtsfehler bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Ergebnis nicht erkennen.

Gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 StGB sind die §§ 53, 54 StGB auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat, sog. nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe.

Vorliegend liegen mit den Strafbefehlen des Amtsgerichts Essen vom 04. November 2016, 23. März 2017 und 22. Mai 2017 insgesamt drei unerledigte Vorverurteilungen vor.

Die hier abzuurteilende zeitlich erste Tat vom 14. Juli 2016 (vorsätzliche Körperverletzung) ist vor der ersten unerledigten Vorverurteilung mit Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 04. November 2016 begangen worden. Die zweite hier abgeurteilte Tat datiert vom 19. April 2017 und liegt mithin zwischen der zweiten (23. März 2017) und dritten (22. Mai 2017) unerledigten Vorverurteilung. Hierbei ist auch der Strafbefehl vom 23. März 2017 grundsätzlich noch geeignet, eine sogenannte Zäsurwirkung herbeizuführen. Die Erledigung im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe ist hier nämlich erst am 19. April 2018 und mithin nach Erlass des Berufungsurteils eingetreten (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 55 Rn. 10).

Ausgehend hiervon hat das Landgericht den Angeklagten zunächst zu Recht unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 04. November 2016 wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

Die zweite hier abzuurteilende Tat datiert vom 19. April 2017 und liegt damit – wie bereits dargestellt – zwischen zwei rechtskräftigen, unerledigten Vorverurteilungen. Diese beiden Vorverurteilungen sind ihrerseits gesamtstrafenfähig i.S.d. § 55 StGB, da die dem Strafbefehl vom 22. Mai 2017 zugrunde liegende Tat am 24. Februar 2017 begangen wurde und mithin bereits in dem Strafbefehl vom 23. März 2017 hätte mit abgeurteilt werden können.

Wurde die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abgeurteilte Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden (vgl. Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 55 Rn. 12; BGH Beschluss vom 17. Juli 2007, 4 StR 266/07 – zitiert nach juris; BGH Beschluss vom 08. Juni 2016, 4 StR 73/16 – zitiert nach juris). Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH Beschluss vom 08. Juni 2016, a.a.O.; BGH Beschluss vom 18. Dezember 2013, 4 StR 356/13, NStZ-RR 2014, 74). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 08. Juni 2016, a.a.O.; vom 17. November 2015,  4 StR 276/15, StraFo 2016, 82; vom 7. Mai 2013,  4 StR 111/13, wistra 2013, 354; Urteil vom 12. August 1998, 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 180 f.; Beschluss vom 22. Juli 1997,  1 StR 340/97, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13) oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 08. Juni 2016, a.a.O.; vom 21. Juli 2009,  5 StR 269/09; vom 17. Juli 2007,  4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369 f.; vom 7. Dezember 1983,  1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193).

So liegt es hier. Der letzten Vorverurteilung mit Strafbefehl vom 22. Mai 2017 kommt demgemäß gesamtstrafenrechtlich keine Bedeutung zu; sie bildet vielmehr eine Zäsur (vgl. Fischer, a.a.O.). Das Landgericht hat mithin im Ergebnis zu Recht aus den in dem Strafbefehl vom 22. Mai 2017 verhängten Einzelgeldstrafen und der erkannten Freiheitsstrafe für die Tat vom 19. April 2017 keine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet.

3.

Der Senat schließt sich den im Übrigen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Hamm in der Antragsschrift vom 19. Juli 2018 an und macht diese zum Gegenstand seiner Entscheidung.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Meta

5 RVs 98/18

23.08.2018

Oberlandesgericht Hamm 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: RVs

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 23.08.2018, Az. 5 RVs 98/18 (REWIS RS 2018, 4481)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4481

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 73/16

4 StR 356/13

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4 StR 266/07

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