Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.06.2014, Az. 2 StR 656/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 5081

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Gegenstand

Anfrage an die übrigen Strafsenate des BGH: Voraussetzungen der Verwertung einer während der richterlichen Vernehmung getätigten Zeugenaussage bei Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung


Tenor

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Die Verwertung einer früheren richterlichen Vernehmung eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen [X.] ist nur dann zulässig, wenn dieser [X.] den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch qualifiziert über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hat.

2. Der Senat beabsichtigt, entgegenstehende eigene Rechtsprechung aufzugeben, und fragt bei den übrigen Strafsenaten an, ob diese an entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des [X.]s tötete er seine Ehefrau am 22. September 2012 durch insgesamt 60 Stiche und Schnitte mit einem Messer. Hintergrund der Tat war die Eifersucht des Angeklagten auf einen Nebenbuhler, mit dem seine Ehefrau seit längerer Zeit eine auch intime Beziehung unterhielt, und seine mangelnde Bereitschaft, eine von dem Tatopfer angekündigte Trennung hinzunehmen. Das Schwurgericht hat insoweit angenommen, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt.

I.

2

Die Revision des Angeklagten erhebt die allgemeine Sachrüge und macht mit der Verfahrensrüge eine Verletzung der §§ 252, 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 [X.] geltend. Das [X.] habe seine Überzeugung vom [X.] maßgeblich auch auf Angaben der Tochter des Angeklagten gestützt, die diese im Ermittlungsverfahren gegenüber einem nunmehr in der Hauptverhandlung vernommenen [X.] gemacht hatte, ohne dass sie zuvor darüber belehrt worden sei, dass bei späterer Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung ihre zuvor beim [X.] gemachten Angaben verwertet werden könnten. Dies müsse zu einem Verwertungsverbot führen, nachdem sie in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 [X.] Gebrauch gemacht habe und sich mit einer Verwertung ihrer Angaben im Ermittlungsverfahren nicht einverstanden erklärt habe. Die bisher in der Rechtsprechung anerkannte Ausnahme einer Vernehmung der richterlichen Verhörsperson stehe mit dem Schutzzweck des § 252 [X.] nicht in Einklang, jedenfalls sei es notwendig, den Zeugen vor einer ermittlungsrichterlichen Befragung qualifiziert auf die spätere Verwertbarkeit der Angaben hinzuweisen.

3

Der Senat hält die Verfahrensrüge für erfolgversprechend (unten II.), hat aber auch Bedenken hinsichtlich der Annahme des [X.] der niedrigen Beweggründe (unten III.).

II.

4

1. § 252 [X.] schließt es aus, die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen zu verlesen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht Gebrauch macht, das Zeugnis zu verweigern. Über den Wortlaut hinaus enthält die Vorschrift nach ständiger Rechtsprechung des [X.] nicht nur ein [X.], sondern auch ein Verwertungsverbot. Dieses schließt auch jede andere Verwertung der bei einer früheren Vernehmung gemachten Aussage aus, wenn ein Zeuge in der Hauptverhandlung nach § 52 [X.] berechtigt das Zeugnis verweigert und nicht ausdrücklich die Verwertung seiner früheren Bekundungen gestattet. Auch die Vernehmung einer Vernehmungsperson über den Inhalt der früheren Vernehmung ist unzulässig. Von diesem Verbot sind nur solche Bekundungen ausgenommen, die der Zeuge - nach Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht - vor einem [X.] gemacht hat. Sie dürfen durch Vernehmung des [X.]s in die Hauptverhandlung eingeführt und bei der Urteilsfindung verwertet werden (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa [X.]St 45, 342, 345; 46, 189, 195; 49, 68, 76 f.; 57, 254, 256, jew. mwN).

5

a) Diese differenzierende Behandlung im Umgang mit dem Verwertungsverbot des § 252 StGB begründet der [X.] mit dem Unterschied zwischen richterlichen und nichtrichterlichen Vernehmungen. In älteren Entscheidungen hat er sich in erster Linie darauf berufen, dass der [X.] - anders als der vernehmende Polizeibeamte oder der Staatsanwalt - verpflichtet sei, Zeugen auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht hinzuweisen ([X.]St 2, 99, 106). Seit Inkrafttreten des § 163a Abs. 5 [X.], der auch für Vernehmungen durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft eine Belehrung der Zeugen über ihr Zeugnisverweigerungsrecht vorschreibt, sieht die Rechtsprechung das tragende Argument für die unterschiedliche Behandlung richterlicher und nichtrichterlicher Vernehmungen darin, dass das Gesetz - wie aus § 251 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] zu entnehmen sei - richterlichen Vernehmungen ganz allgemein höheres Vertrauen entgegenbringe ([X.]St 21, 218, 219; 36, 385, 386). Zusätzlich wird die Zulässigkeit der Vernehmung der richterlichen Verhörsperson mit der für den Zeugen erkennbaren und regelmäßig von ihm empfundenen erhöhten Bedeutung der richterlichen Vernehmung für das Strafverfahren gerechtfertigt. Diesem stehe nach der Belehrung durch den [X.] deutlicher als bei einer polizeilichen Vernehmung vor Augen, dass er sich zwar aus dem ihn treffenden Interessenwiderstreit durch Gebrauchmachen von dem Zeugnisverweigerungsrecht befreien, aber im Falle der Aussage seine Angaben nicht ohne Weiteres wieder beseitigen könne ([X.]St 49, 72, 77). Schließlich soll die Ungleichbehandlung von Aussagen vor einem Ermittlungsrichter und vor nichtrichterlichen Ermittlungspersonen einen sachlichen Grund darin finden, dass der Ermittlungsrichter in besonderer Weise geeignet - und in vielfältiger Weise vom Gesetzgeber dafür vorgesehen - sei, präventiven Rechtsschutz zu gewährleisten ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats des [X.] vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2491/07, juris Rn.4).

6

b) Ihre materielle Rechtfertigung findet die Ausnahme vom Verwertungsverbot des § 252 [X.] nach der Rechtsprechung des [X.] in einer Güterabwägung. Angesichts eines nach Belehrung bewusst erklärten Verzichts auf die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts in der verfahrensrechtlich hervorgehobenen Situation einer richterlichen Vernehmung ist das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege von höherem Gewicht als das Interesse des Zeugen, sich die Entscheidungsfreiheit über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts bis zur späteren Hauptverhandlung erhalten zu können (vgl. [X.]St 45, 342, 346; 46, 189, 195; [X.], Urteil vom 25. März 1998 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 252 Verwertungsverbot 14). Durch diese Ausnahme vom Verwertungsverbot ist den Ermittlungsbehörden im Regelfall durch Herbeiführung einer richterlichen Vernehmung der Weg eröffnet, eine verwertbar bleibende Aussage zu erhalten.

7

2. Voraussetzung für eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verwertungsverbot des § 252 [X.] ist eine ordnungsgemäße richterliche Belehrung über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts und die sich daraus ergebende Möglichkeit für den Zeugen, aus diesem Grund keine Angaben zur Sache zu machen. Nicht erforderlich ist es hingegen nach der bisherigen, vom 2. Strafsenat begründeten Rechtsprechung des [X.], den aus-sageverweigerungsberechtigten Zeugen über die Folgen eines Verzichts auf das Auskunftsverweigerungsrecht, insbesondere über die weitere Verwertbarkeit auch im Falle einer späteren Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung, "qualifiziert" zu belehren ([X.]St 32, 25, 31 f.; [X.], Beschluss vom 12. April 1984 - 4 StR 229/84, [X.], 326; Urteil vom 30. August 1984 - 4 StR 475/84, [X.], 36). Begründet wurde dies mit der Erwägung, dass ein Zeuge nicht einmal auf die Möglichkeit des Widerrufs eines erklärten Verzichts auf sein Zeugnisverweigerungsrecht noch während der laufenden Vernehmung hingewiesen werden müsse; umso weniger sei es deshalb geboten, ihn schon vorsorglich für den Fall, dass er in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigern sollte, über die Auswirkungen auf die Verwertbarkeit seiner Aussage hinzuweisen ([X.]St 32, 25, 32). Ergänzend wurde angeführt, für die Annahme einer solchen Belehrungs- oder Hinweispflicht fehle es an einer gesetzlichen Grundlage ([X.], [X.], aaO). Diese Begründung erscheint dem Senat nicht mehr tragfähig.

8

3. a) Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. [X.]E 80, 244, 255; 95, 96, 140), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle [X.] nicht verwirklichen lässt (vgl. [X.]E 122, 248, 270 mwN).

9

Die Wahrheitserforschung im Strafprozess hat jedoch Grenzen, zur Wahrung des Schutzes eines Beschuldigten oder auch anderer Verfahrensbeteiligter, die nicht zum Objekt des Verfahrens gemacht werden dürfen und in der Strafprozessordnung wie auch in der Verfassung deshalb mit eigenen pro-zessualen Rechten ausgestattet sind, die der Wahrheitserforschung im Wege stehen können. Das Recht eines als Zeugen vernommenen Angehörigen des Beschuldigten im Sinne von § 52 Abs. 1 [X.], das Zeugnis - ohne Angabe von Gründen - zu verweigern, ist ein solches Recht (vgl. [X.], [X.], 18, 19). Es gründet sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des verwandten Zeugen aus Art. 2 Abs. 1 GG, das die Aufgabe hat, die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen ([X.]E 54, 148, 153; 72, 155, 170). Es umfasst sowohl die in § 52 [X.] geregelte Freiheit, ein Zeugnis betreffend eines nahen Angehörigen verweigern zu können, wie auch die Option, früher getätigte Aussagen der Verwertung im Strafverfahren wieder zu entziehen.

§ 52 [X.] trägt der besonderen Lage eines Zeugen Rechnung, der als Angehöriger des Beschuldigten der Zwangslage ausgesetzt sein kann, seinen Angehörigen zu belasten oder die Unwahrheit sagen zu müssen. Niemand soll gezwungen sein, aktiv zur Überführung eines Angehörigen beizutragen, weil der Zwang zur Belastung von Angehörigen mit dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen unvereinbar wäre wie ein gegen den Zeugen geübter Zwang zur Selbstbelastung ([X.], [X.], 18, 19). Die Regelung lässt das öffentliche Interesse an möglichst unbehinderter Strafverfolgung hinter das persönliche Interesse des Zeugen zurücktreten, nicht gegen einen Angehörigen aussagen zu müssen ([X.]St 12, 235, 239).

Die Konfliktsituation zwischen Wahrheitspflicht und [X.] wirkt zeitlich regelmäßig über die erste Zeugenaussage vor der Polizei hinaus fort. Aus diesem Grund erweitert § 252 [X.] den Schutz des Zeugen, der eine einmal gemachte Aussage bis zur Hauptverhandlung für ihn folgenlos wieder rückgängig machen kann, ohne sie durch eine neue Aussage ersetzen zu müssen, bei deren Abgabe er wiederum dem beschriebenen Spannungsverhältnis ausgesetzt wäre. Allein die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung nach § 52 [X.] würde die Zwangslage nicht beseitigen, wenn bereits eine zuvor getätigte Aussage vorliegt, die über die Verlesung dieser Aussage oder auch über die Vernehmung der Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden könnte. § 252 [X.] löst damit - auch im Verständnis des [X.], der, wie dargelegt, § 252 [X.] nicht nur als [X.], sondern als Verwertungsverbot versteht - grundsätzlich den Konflikt zwischen [X.] und Zeugenschutz.

b) Die in der Rechtsprechung seit jeher anerkannte Ausnahme von der vorstehenden Regel durch Vernehmung einer früheren richterlicher Vernehmungsperson - unter der Voraussetzung damaliger Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht - führt zu einer Austarierung von öffentlichem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung und den die Regelung der §§ 52, 252 [X.] tragenden Schutzzwecküberlegungen, die auch heute noch - trotz der hiergegen in der Literatur seit jeher (vgl. aus älterer Zeit etwa: [X.]. [X.], [X.] 1959, 369, 373; [X.], [X.] 1966, 489, 497 f.; [X.], [X.] 1967, 467 f.; [X.], [X.], 488, 489; Fezer, [X.] 1990, 875, 876; Geerds, [X.], 199, 200) erhobenen Einwendungen ([X.]/[X.], in: Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 252, Rn. 10: kriminalpolitische Zweckmäßigkeitsentscheidung, die weder im Wortlaut noch im Regelungszweck des § 252 [X.] eine Stütze finde; so auch: [X.], in: [X.]/[X.], [X.], § 252, Rn. 25; s. ferner: [X.], in: SK-[X.], 4. Aufl., § 252, Rn. 4; [X.]/Schuhr, in: SSW-[X.], § 252, Rn. 20; [X.], in: [X.], [X.] im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 881) - gerechtfertigt erscheint (vgl. aber auch [X.]St 49, 72, 78 f., wo der [X.] auf den Wertungswiderspruch hinweist, dass auf eine Bild-TonAufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung nach § 255a Abs. 1 [X.] nicht, hingegen auf die Vernehmung des [X.]s als weniger zuverlässigem Beweismittel zurückgegriffen werden kann, ohne die althergebrachte Rechtsprechung in Frage zu stellen) und auch nicht zu einer bedenklichen Einschränkung von Zeugenrechten führt.

Schon in seiner Grundsatzentscheidung im Jahre 1952 hat der [X.] diese Rechtsprechung nicht allein auf die formale Überlegung gestützt, dass der [X.] - im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft - zur Belehrung über ein Auskunftsverweigerungsrecht verpflichtet sei. Er hat zudem auf die für den Zeugen erkennbare und regelmäßig von ihm empfundene (sich auch aus § 251 [X.] ergebende) erhöhte Bedeutung der richterlichen Vernehmung (dazu auch: [X.], aaO, § 252, Rn. 25) und dessen nach ordnungsgemäßer Belehrung und in Kenntnis der Tragweite seines Verhaltens getroffene Entschließung abgestellt, an welcher er im Interesse der Wahrheitsfindung festgehalten werden könne. Dieses Argument trägt auch heute noch grundsätzlich - ohne dass es auf die von der Revision angezweifelte besondere "Qualität" oder "Dignität" einer richterlichen Vernehmung ankäme (vgl. insoweit auch [X.], [X.], 488; Geerds, [X.], 199, 200) - die Differenzierung zwischen polizeilich getätigten Aussagen und solchen, die in einer richterlichen Vernehmung gemacht werden (zustimmend: [X.], in: [X.] Kommentar zur [X.], 7. Aufl., § 252, Rn. 22, 26; [X.]/[X.], [X.], 57. Aufl. § 252, Rn. 14). Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass damit spätere unlautere [X.] auf einen Zeugen, durch welche die Wahrheitsermittlung im Strafverfahren Not leiden würde, genauso verhindert werden können (vgl. [X.]St 2, 99, 109; 27, 139, 143; 45, 342, 347) wie wirksam der Gefahr begegnet werden kann, dass sich ein Zeuge zum Herrn des Verfahrens macht und dadurch die Wahrheitsermittlung vereitelt (vgl. schon [X.]St 2, 199, 107 f.; s. auch [X.]St 45, 342, 347 f.).

Ob an diesen Grundsätzen für richterliche Vernehmungen außerhalb eines Ermittlungsverfahrens festzuhalten ist, etwa für Angaben in einem familiengerichtlichen Verfahren, in dem ein Interesse daran bestehen kann, in diesem Verfahren Angaben zu machen, ohne dass eine Strafverfolgung gewünscht oder beabsichtigt ist, bedarf hier keiner Entscheidung (gegen die Möglichkeit der Verwertung insoweit mit beachtlichen Argumenten [X.]/[X.], aaO, § 252, Rn. 30; vgl. auch [X.]St 36, 384 ff. m. Anm. [X.] [X.] 1990, 1023, 1024; dazu auch [X.], in: [X.] Kommentar zur [X.], 5. Aufl., § 252, Rn. 10; Fezer, [X.] 1990, 875, 876; Geerds, [X.], 199, 201).

c) Abweichend von der bisherigen Rechtsprechung sieht der Senat diese Ausgangs-Überlegung aber nur dann als gerechtfertigt an, wenn der Zeuge in der im Ermittlungsverfahren durchgeführten richterlichen Vernehmung ausdrücklich auch darüber belehrt worden ist, dass eine jetzt gemachte Aussage auch dann verwertbar bleibt, wenn er in einer späteren Hauptverhandlung vom Recht der Aussageverweigerung Gebrauch macht (so auch [X.], aaO, § 252, Rn. 2; a. A. ohne nähere Begründung etwa [X.], aaO, § 252, Rn. 28; weitere abweichende Meinungen zitieren gleichfalls nur die genannte Rechtsprechung). Erforderlich ist daher eine "qualifizierte" Belehrung, welche den Zeugen umfassend in die Lage versetzt, über seine Aussagebereitschaft und deren mögliche Folgen für das spätere Verfahren zu entscheiden, und zugleich die Ausnahme von einem umfassenden Verwertungsverbot bei einer richterlichen Vernehmung legitimiert.

aa) Zu Recht hat der [X.] vielfach auf die besondere Bedeutung der Belehrung des Zeugen für dessen Entscheidung hingewiesen, Angaben zu machen ([X.]St 2, 99, 106; zur Bedeutung der Belehrung s. auch [X.]St 9, 195, 197; 32, 25, 30 f.; so auch [X.], aaO, § 252, Rn. 28). Zu der hierfür erforderlichen umfassenden Information gehört aber nicht allein die Kenntnis eines zum Zeitpunkt der Vernehmung bestehenden Zeugnisverweigerungsrechts, sondern auch die Kenntnis über die möglichen verfahrensrechtlichen Konsequenzen der Aussagebereitschaft. Denn für die in den meisten Fällen nicht rechtskundigen Zeugen liegt es in der Regel fern, sich zum Zeitpunkt einer (richterlichen) Vernehmung im Ermittlungsverfahren von sich aus Gedanken darüber zu machen, ob auch bei späterer Aussageverweigerung - für welche es eine Vielzahl nicht zu überprüfender Gründe geben kann - ihre Aussage verwertbar bleibt. Die von §§ 52, 252 [X.] geschützten Interessen gebieten es vor diesem Hintergrund, den Zeugen auch darüber zu belehren, dass er an zu diesem Zeitpunkt endgültig und unwiderruflich über die Wahrnehmung des ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts zu entscheiden hat. Geschieht dies - wie bisher - nicht, leidet der Entschluss des Zeugen an einem durchgreifenden Mangel, weil er sich dieser Konsequenz seines Handelns nicht bewusst ist (vgl. zur notwendigen Belehrung eines Zeugen, der Angaben in der Hauptverhandlung verweigern, aber der Verwertung zuvor gemachter polizeilicher Angaben zulassen möchte, [X.], Beschluss vom 18. Juli 2007 - 1 StR 296/07, [X.], 712, 713).

Eine in diesem Sinn qualifizierte Belehrung bietet hingegen eine sichere Grundlage für die Entscheidung des Zeugen. Sie kann zudem seinen Blick auf die bei ihm bestehende Konfliktsituation schärfen, die ansonsten für den Angehörigen oft erst unmittelbar vor und während der Hauptverhandlung erkenn- und spürbar wird (vgl. [X.], [X.], 488, 489; so auch [X.]/[X.], aaO, § 252, Rn. 10).

Sofern man anders als der Senat davon ausginge, der Zeuge sei angesichts des [X.] ohnehin meist der Ansicht, dass mit der richterlichen Vernehmung seine Angaben für eine spätere Hauptverhandlung gesichert werden sollen, würde dies keinen genügenden Grund darstellen, von einer entsprechenden [X.] abzusehen. Diese würde insoweit jedenfalls die "Ausnahmefälle" erfassen, in denen es an der entsprechenden Kenntnis fehlt; für die Praxis der Strafverfolgung hätte sie überdies keine besondere Relevanz, weil die maßgeblichen Entscheidungen der Zeugen schon jetzt in umfassender Kenntnis der damit verbundenen Auswirkungen getroffen würden.

bb) Der Annahme einer [X.] stehen die bisher in der Rechtsprechung des [X.] hiergegen vorgebrachten Erwägungen nicht entgegen. Dass es an einer gesetzlichen Grundlage hierfür fehle (so [X.], Urteil vom 30. August 1984 - 4 StR 475/84, [X.], 36), ist zwar zutreffend, schließt aber die vom Senat befürwortete Anerkennung einer entsprechenden Belehrung gerade nicht aus. Denn es handelt sich um Erwägungen und Anforderungen im Bereich der richterrechtlich begründeten Ausnahme von dem Beweisverwertungsverbot des § 252 [X.]. Es wäre widersprüchlich, ungeschriebene Ausnahmen von einem Verwertungsverbot zuzulassen, für deren rechtsstaatliche Begrenzung aber eine gesetzliche Grundlage zu verlangen. Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Rechtsprechung auch in anderen Bereichen gesetzlich nicht vorgesehene [X.] entwickelt hat, etwa im Zusammenhang mit § 136a [X.].

Soweit der Senat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1983 ([X.]St 32, 25, 31 f.) die Ansicht vertreten hat, die Annahme einer [X.] bei einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung sei nicht geboten, weil auch bei einer Vernehmung in der Hauptverhandlung kein Hinweis vonnöten sei, dass der in der Aussage liegende Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht jederzeit, auch noch während laufender Vernehmung, widerrufen werden könne, hält er daran nicht fest. Die Situation eines Zeugen, der sich in der Hauptverhandlung dazu entschlossen hat, trotz Bestehen eines Auskunftsverweigerungs-rechts Angaben zu machen, ist nicht mit der Lage zu vergleichen, in der sich der Zeuge bei einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung befindet. Entscheidet sich die ordnungsgemäß belehrte [X.] in der Hauptverhandlung zu einer Aussage, liegt dem regelmäßig eine in Kenntnis der Folgen für den verwandten Angeklagten getroffene bewusste Entscheidung zugrunde, die keinen Anhalt für einen bestehenden Willensmangel oder eine kurzfristig (während der Vernehmung) zu erwartende Willensänderung bietet. Bei einer Vernehmung durch einen [X.] im Ermittlungsverfahren ist hingegen - wie oben dargelegt -nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Zeuge sich der Endgültigkeit seiner Entscheidung, die schon mit Blick auf den zu erwartenden Zeitablauf zwischen dieser Vernehmung und einer späteren Hauptverhandlung und die sich in dieser Zeitspanne möglicherweise ergebenden Entwicklungen im Verhältnis zwischen dem Angeklagten und dem verwandten Zeugen vom Schutzzweck getragene Änderungen unterliegen kann, bewusst ist. Ihn darauf hinzuweisen, ist - anders als in der Hauptverhandlung - ein Gebot, das es ihm erst ermöglicht, verantwortungsvoll über die Wahrnehmung seiner Rechte in der vom Gesetz grundsätzlich als schützenswert angesehenen Situation zu entscheiden.

cc) Die vom Senat für notwendig erachtete [X.] würde die Effektivität der Strafverfolgung nicht in nennenswertem Umfang in Frage stellen. Es ist nicht zu befürchten, dass die Entscheidungen der großen Mehrzahl der Zeugen nach einer solchen Belehrung anders ausfallen könnte als bisher, selbst wenn es einzelne Zeugen geben mag, für die eine solche Belehrung Anlass sein könnte, von einer Zeugenbekundung Abstand zu nehmen oder auf sie jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt zu verzichten. Dies wäre hinzunehmen, denn es entspricht der gesetzgeberischen Wertung, dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen insoweit durch Einschränkung der Wahrheitsermittlung und damit letztlich auch der Strafverfolgung Rechnung zu tragen, und räumt dem Zeugen damit noch keine Befugnisse ein, die ihn - fernab des Konflikts, in dem er sich befindet und den er berechtigt für sich auch durch den Verzicht auf eine Aussage lösen kann - zum "Herren über das Verfahren" machen würde. Eine Effektivität der Strafrechtspflege, welche [X.] wesentlich darauf stützte, dass Personen, deren Rechte dem Schutz des Gesetzes und der [X.] anvertraut sind, bewusst unzureichend über ihre Rechtsstellung aufgeklärt werden, wäre eines Rechtsstaats nicht würdig.

III.

Auch die Sachrüge erscheint dem Senat erfolgversprechend.

Der Senat hat Bedenken hinsichtlich der Annahme des [X.] der niedrigen Beweggründe. Das [X.] ist davon ausgegangen, das der Tat ihr Gepräge gebende Hauptmotiv sei die Eifersucht des Angeklagten und seine Weigerung, die Trennung von seiner Ehefrau zu akzeptieren; dies stehe sittlich auf niedrigster Stufe. Dabei hat es zwar das ambivalente Verhalten des [X.] in den Blick genommen; die Begründung, mit der die [X.] dieses Verhalten als unbeachtlich angesehen hat, erscheint aber bedenklich. Dass der Angeklagte "Handlungsalternativen" gehabt hat und die Situation anders als durch Tötung seiner Ehefrau hätte lösen können, ist in diesem Zusammenhang unerheblich und vermag nicht, dem Opferverhalten, das im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist, seine Bedeutung zu nehmen.

IV.

Dass der Senat insoweit die landgerichtliche Entscheidung aufheben könnte, ohne dass eine Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage notwendig wäre, ändert aus seiner Sicht allerdings nichts an der Entscheidungserheblichkeit dieser Rechtsfrage (als Voraussetzung einer möglichen Divergenzvorlage). Eine allein auf die Sachrüge gestützte Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung würde unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres dazu führen, dass die Schwurgerichtskammer ihrer Entscheidung erneut die über die Vernehmung des Ermittlungsrichters in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben der Tochter des Angeklagten zugrunde legen und sich damit aus der Sicht des Senats erneut rechtsfehlerhaft über die geschützten Interessen der Zeugin hinwegsetzen müsste.

Fischer                            [X.]                      Krehl

                Eschelbach                       Zeng

Meta

2 StR 656/13

04.06.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 3. Juli 2013, Az: 105 Ks 18/12

§ 52 StPO, § 57 StPO, § 252 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.06.2014, Az. 2 StR 656/13 (REWIS RS 2014, 5081)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5081


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 StR 656/13

Bundesgerichtshof, 2 StR 656/13, 22.03.2017.

Bundesgerichtshof, 2 StR 656/13, 24.02.2016.

Bundesgerichtshof, 2 StR 656/13, 24.02.2016.

Bundesgerichtshof, 2 StR 656/13, 18.03.2015.

Bundesgerichtshof, 2 StR 656/13, 04.06.2014.


Az. GSSt 1/16

Bundesgerichtshof, GSSt 1/16, 15.07.2016.


Az. 5 ARs 64/14

Bundesgerichtshof, 5 ARs 64/14, 27.01.2015.


Az. 1 ARs 21/14

Bundesgerichtshof, 1 ARs 21/14, 14.01.2015.


Az. 3 ARs 20/14

Bundesgerichtshof, 3 ARs 20/14, 08.01.2015.


Az. 4 ARs 21/14

Bundesgerichtshof, 4 ARs 21/14, 16.12.2014.


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