Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.07.2016, Az. 8 B 5/16

8. Senat | REWIS RS 2016, 8467

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Gegenstand

Ausgleichsleistung für Enteignung; Kriegsverbrecher; Selbstbindung des Revisionsgerichts


Gründe

1

Die Klägerin begehrt eine Ausgleichsleistung für die Enteignung des früheren Rittergutes [X.] an ihren Geschäftsführer, dem sie den Anspruch nach Klageerhebung abgetreten hat. Das Rittergut [X.] stand ebenso wie das Rittergut [X.] - für das [X.] in einem anderen Verfahren geltend gemacht werden - bis zum 3. Mai 1945 im Eigentum des an diesem Tag verstorbenen Landeshauptmanns [X.] Beide Güter wurden nach der Verordnung über die Bodenreform in der [X.] vom 6. September 1945 entschädigungslos enteignet. Die Erben nach [X.] traten ihre Ansprüche nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz für das [X.] an die Klägerin ab. Deren [X.] lehnte das [X.] zur Regelung offener Vermögensfragen [X.] mit Bescheid vom 19. August 2010 ab. Der Anspruch sei nach § 1 Abs. 4 Ausgleichsleistungsgesetz ([X.]) i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 ([X.] I [X.] 1665), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. März 2011 ([X.] I [X.] 450) wegen des Verhaltens [X.] im Nationalsozialismus ausgeschlossen. Der dagegen erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 1. März 2012 stattgegeben, da die unmittelbar von der Enteignung betroffenen Erben und [X.] nicht nach § 1 Abs. 4 [X.] belastet gewesen seien. Das [X.] hat diese Entscheidung mit Urteil vom 14. März 2013 aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen mit der Begründung, in die Prüfung des § 1 Abs. 4 [X.] seien auch im Zeitpunkt der Enteignung bereits verstorbene Personen einzubeziehen, sofern die Enteignung auf sie abgezielt habe. Mit dem angegriffenen, aufgrund mündlicher Verhandlung vom 12. Februar 2015 ergangenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Enteignung habe auf [X.] abgezielt, der dem [X.] System in erheblicher Weise Vorschub geleistet habe. Die Revision gegen dieses Urteil hat das Verwaltungsgericht nicht zugelassen.

2

Die dagegen eingelegte Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 [X.] beruft und Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 [X.] geltend macht, hat keinen Erfolg.

3

1. Der Beschwerdebegründung ist keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 [X.] zu entnehmen. Sie wirft keine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts auf, die in einem - weiteren - Revisionsverfahren zu klären wäre.

4

a) Eine Klärung der Frage:

"Was konkret sind die Voraussetzungen einer 'Mitursächlichkeit' des Verhaltens oder der Person des [X.] des [X.] für eine Enteignung von über 100 ha Betrieben im Rahmen der Enteignungsentscheidung, die der Senat in seinem Urteil vom 14. März 2013 als maßgeblich für das Vorliegen eines '[X.]' der Enteignung auf den Rechtsvorgänger des Enteignenden [gemeint wohl: [X.]] ansieht?"

in einem weiteren Revisionsverfahren ist weder erforderlich noch möglich. Die rechtlichen Voraussetzungen der Mitursächlichkeit ergeben sich bereits aus dem zitierten Urteil (BVerwG, Urteil vom 14. März 2013 - 5 [X.] 15.12 - [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 25 Rn. 29). Danach genügt es, dass die Person oder das Verhalten des im Enteignungszeitpunkt bereits verstorbenen [X.] des [X.] einer der Gründe für die Enteignung war. Es ist also unschädlich, wenn diese daneben an weitere Umstände - etwa an einen Grundbesitz von mehr als 100 ha Land oder an sonstige Merkmale - anknüpfte. Aus dem angegriffenen Urteil ergibt sich auch, dass das Vorliegen eines nach damaligem Recht zureichenden Enteignungsgrundes wie einer Größe des zu enteignenden Grundbesitzes von mehr als 100 ha einen zusätzlichen Einfluss weiterer Gründe auf die konkrete Enteignungsmaßnahme nicht ausschließt. Das gilt erst recht (aber nicht nur), wenn diese Gründe - beispielsweise eine Einstufung als "Kriegsverbrecher" oder "Kriegsschuldiger" - die Enteignung nach damaligem Recht ebenfalls schon für sich genommen hätten tragen können. Wegen der aus § 144 Abs. 6 [X.] abzuleitenden Selbstbindung des [X.] an das vorherige, zurückverweisende Revisionsurteil (dazu im Einzelnen Rn. 9 ff.) wäre in einem zweiten Revisionsverfahren auch keine erneute oder gar abweichende Klärung möglich. Ob eine Anknüpfung der Enteignung - auch - an das Verhalten des [X.] nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu verneinen war, ist keine Rechts-, sondern eine Tatsachenfrage. Rechtsgrundsätzliche Fragen zu den rechtlichen Voraussetzungen des Anscheinsbeweises zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.

5

Die Frage:

"Genügt insbesondere für eine solche 'Mitursächlichkeit' die bloße Erwähnung des Wortes 'Kriegsverbrecher' auf irgendwelchen Listen oder bedarf es einer konkreten Darlegung und eines konkreten Beweises dafür, dass die enteignende Person, insbesondere die zuständige Bodenkommission[,] sich tatsächlich bei ihrer Enteignungsentscheidung zumindest mit davon leiten ließ, der Betreffende sei ein 'Kriegsverbrecher' gewesen?"

würde sich im angestrebten Revisionsverfahren so nicht stellen. Das Verwaltungsgericht ist nicht davon ausgegangen, die "bloße Erwähnung des Wortes Kriegsverbrecher auf irgendwelchen Listen" belege schon die Mitursächlichkeit eines mit diesem Wort charakterisierten Verhaltens des [X.] für die Enteignung. Es ist vielmehr aufgrund seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung der in das Verfahren eingeführten Unterlagen und Indizien - darunter des handschriftlichen Zusatzes "Kriegsverbrecher" im Verzeichnis der verlassenen Wirtschaften zum [X.] - zu dem (tatsächlichen) Schluss gelangt, [X.] sei im Verfahren der Enteignung seiner Vermögenswerte von den enteignenden Stellen ausdrücklich schriftlich als Kriegsverbrecher bezeichnet worden. Dies hat es materiell-rechtlich als Abzielen der Enteignung gerade auch auf die Person [X.] gewürdigt ([X.]). Die Frage, ob eine konkrete Darlegung und ein konkreter Beweis der Mitursächlichkeit erforderlich seien, richtet sich der Sache nach gegen die verwaltungsgerichtliche Indizienbeweisführung und Subsumtion, die nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein können. Unabhängig davon wird eine fallübergreifende Relevanz der aufgeworfenen Frage nicht substantiiert dargelegt.

6

b) Die weiter aufgeworfene Frage:

"Ist das Kriterium des '[X.]' der Enteignung im Rahmen des § 1 Abs. 4 [X.] rein personenbezogen zu verstehen, d.h. geht es um ein Abzielen von jedweder denkbaren Enteignungsmaßnahme auf eine bestimmte Person und sind unterschiedliche Enteignungsmaßnahmen insoweit stets gleich zu bewerten oder ist für jeden einzelnen Enteignungsfall zu prüfen, ob die Enteignung auf den belasteten Rechtsvorgänger des [X.] abzielte?"

wäre im angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, weil sich bereits aus der Anknüpfung des § 1 Abs. 4 [X.] an die Schädigung von Vermögenswerten im Sinne des Absatzes 1 der Vorschrift ergibt, dass es auf die Mitursächlichkeit für die Enteignung des jeweiligen Vermögenswertes ankommt. Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt daraus allerdings nicht, dass als Beweismittel für einen Verursachungsbeitrag zur konkreten Enteignung nur auf das jeweilige Verfahren oder dessen Gegenstand bezogene Umstände und nicht auch anderweitig festzustellende personenbezogene Tatsachen verwertbar wären. Vielmehr bleibt es auch insoweit bei den Grundsätzen der Amtsaufklärung und der freien Beweiswürdigung (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 [X.]).

7

c) Die von der Klägerin für rechtsgrundsätzlich gehaltene Frage:

"Ist für die Frage, ob die Enteignung auf den Rechtsvorgänger des [X.] abzielte und damit auch dessen 'Würdigkeit' im Sinne des § 1 Abs. 4 [X.] zu prüfen ist, alleine maßgeblich, ob die damaligen [X.] den betreffenden Rechtsvorgänger als 'Kriegsverbrecher' (im Enteignungsverfahren) bezeichnet haben oder ist maßgeblich, ob er tatsächlich ein solcher 'Kriegsverbrecher' war?"

würde sich im angestrebten Revisionsverfahren ebenfalls nicht stellen. Nach den nicht wirksam gerügten Tatsachenfeststellungen des [X.] (dazu Rn. 13 ff.) wäre nicht nur die erste, sondern auch die zweite Alternative zu bejahen. [X.] zählte zu den führenden Staatsbeamten im Sinne der Ausführungsverordnung Nr. 2 zur Durchführung der Bodenreform vom 11. September 1945 ([X.]. der Provinzialverwaltung Mark [X.] Nr. 1 vom 20. Oktober 1945 [X.] 11) und damit zur Gruppe der "[X.]", die den "Kriegsverbrechern" nach Art. II Ziff. 2 Buchst. a der Verordnung über die Bodenreform in der [X.] vom 6. September 1945 ([X.]. der Provinzialverwaltung Mark [X.] Nr. 1 vom 20. Oktober 1945 [X.] 8) gleichgestellt waren. Sollte es für das Abzielen der Enteignung auf die Begründetheit eines damaligen Vorwurfs maßgeblicher Mitverantwortung für das [X.] Unrecht ankommen, wäre nach dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 4 [X.] eine "falsa demonstratio" eines "[X.]" als "Kriegsverbrecher" jedenfalls unerheblich.

8

Unabhängig davon wäre in einem weiteren Revisionsverfahren schon wegen der aus § 144 Abs. 6 [X.] abzuleitenden Selbstbindung des [X.] an die rechtliche Beurteilung im zurückverweisenden Revisionsurteil vom 14. März 2013 - 5 [X.] 15.12 - ([X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 25 Rn. 16 ff., 28 f.; dazu im Einzelnen Rn. 9 ff.) davon auszugehen, dass ein Rechtsvorgänger des unmittelbar Geschädigten in die Prüfung des § 1 Abs. 4 [X.] einzubeziehen ist, wenn die Enteignung auf ihn abzielte, weil seine Person oder sein Verhalten aus der Sicht des Enteignenden der Grund - oder einer von mehreren Gründen - für die Enteignung waren. Danach ist - ebenso wie nach der bisherigen Rechtsprechung (BVerwG, Urteile vom 24. Februar 2005 - 3 [X.] 16.04 - [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 4 [X.] 7 und vom 23. Februar 2006 - 3 [X.] 22.05 - [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 6 Rn. 15) - die tatsächliche Anknüpfung der Enteignungsmaßnahme und nicht die Rechtmäßigkeit dieser Anknüpfung - oder der Enteignung - nach damaligen Vorschriften maßgeblich. Zum Anspruchsausschluss führt die Einbeziehung des [X.] in die Prüfung des § 1 Abs. 4 [X.] nur, wenn jener im Sinne des gesetzlichen Tatbestands belastet ist. Auch dafür kommt es nicht auf die Voraussetzungen einer besatzungshoheitlichen Enteignungsregelung oder die Rechtmäßigkeit ihrer Anwendung an. Entgegen der Darstellung der Klägerin werden daher nicht "Motive der stalinistischen [X.]" zum Auslegungsmaßstab erhoben oder gebilligt.

9

d) Mit der Frage:

"Ist es mit dem Grundgesetz zu vereinbaren, wenn man mit dem Urteil des Senats vom 14. März 2013 auch in Fällen der Enteignung von über 100 ha annimmt, dass in die Prüfung des § 1 Abs. 4 [X.] derjenige einzubeziehen sei, auf den die entschädigungslose Enteignung auf [X.] oder besatzungshoheitlicher Enteignung [gemeint wohl: Grundlage] abgezielt hat, auch wenn dieser zum Zeitpunkt der Enteignung bereits verstorben war?",

und den zu ihrer Konkretisierung erhobenen verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die angegriffene Auslegung des § 1 Abs. 4 VermG im zitierten Urteil wird ebenfalls keine höchstrichterlich noch ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen, die in einem - weiteren - Revisionsverfahren zu klären wäre. Dabei kann offen bleiben, ob der Vortrag, die beanstandete Auslegung führe zu einer willkürlichen und rechtsstaatswidrigen, sippenhaftähnlichen Benachteiligung unbelasteter, von der Enteignung betroffener Erben und widerspreche der sozialstaatlichen Verpflichtung, diesen Entschädigung zu gewähren, gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 [X.] ausreichend substantiiert wurde und in der Sache zutrifft. Wegen der aus § 144 Abs. 6 [X.] abzuleitenden Selbstbindung des [X.] könnte die Frage der zutreffenden Auslegung des § 1 Abs. 4 [X.] im angestrebten zweiten Revisionsverfahren nicht - nochmals - geklärt werden. Vielmehr wäre der Senat im selben Umfang wie die Vorinstanz an die rechtliche Beurteilung im zurückverweisenden Urteil vom 14. März 2013 gebunden. Danach ist die Einbeziehung eines im Enteignungszeitpunkt bereits verstorbenen [X.] der [X.] in die Würdigkeitsprüfung des § 1 Abs. 4 [X.] auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben (vgl. Urteil vom 14. März 2013 - 5 [X.] 15.12 - [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 25 Rn. 16 f., 20 f.) nicht von der Größe des enteigneten Grundbesitzes abhängig zu machen, sondern ebenso wie bei der Enteignung kleinerer Flächen nur davon, ob die Person oder das Verhalten des verstorbenen [X.] für die Enteignung (mit-)ursächlich waren, weil diese - zumindest auch - daran anknüpfte.

Der Grundsatz der Selbstbindung des [X.] lässt sich aus dem Regelungszweck des § 144 Abs. 6 [X.] herleiten und erstreckt die dort ausdrücklich angeordnete Bindung der Vorinstanz an das zurückverweisende Urteil auf das [X.]. Er gewährleistet die Stetigkeit der Rechtsprechung im selben Streitverfahren und gibt den Beteiligten für die weitere Prozessführung Rechtssicherheit. Gleichzeitig vermeidet er ein Hin- und [X.] des Verfahrens zwischen Vorinstanz und [X.] ([X.], Beschluss vom 6. Februar 1973 - [X.] 1/72 - BVerwGE 41, 363 <367>; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1977 - 8 [X.] 49.76 - BVerwGE 54, 116 <121 f.>; Beschluss vom 16. September 2011 - 8 B 32.11 - [X.] 310 § 144 [X.] Nr. 79 Rn. 3; Eichberger, in: [X.]/[X.]/Bier, [X.], [X.], Stand: Oktober 2015, § 144 Rn. 127 f., 130; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl. 2014, § 144 Rn. 79 f.; [X.], in: [X.], [X.], 14. Aufl. 2014, § 144 Rn. 29). Der zwischenzeitliche Übergang der Entscheidungszuständigkeit vom 5. auf den 8. Revisionssenat infolge der Änderung der Geschäftsverteilung des [X.]s zum 1. Januar 2016 lässt die Selbstbindung nicht entfallen. Sie trifft das [X.] als solches und nicht nur den Spruchkörper, der das zurückverweisende Urteil gefällt hat (Eichberger, a.a.[X.] Rn. 128). Der Umfang der Selbstbindung entspricht dem Umfang der Bindung der Vorinstanz nach § 144 Abs. 6 [X.]. So entfällt die Selbstbindung bei einer Änderung der maßgeblichen Sach- oder Rechtslage oder bei einer zwischenzeitlichen Änderung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ([X.], Beschluss vom 6. Februar 1973 - [X.] 1/72 - BVerwGE 41, 363 <367 ff.>; BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1973 - 8 [X.] 159.72 - BVerwGE 42, 243 <247>; Beschluss vom 16. September 2011 - 8 B 32.11 - [X.] 310 § 144 [X.] Nr. 79 Rn. 3; Eichberger, a.a.[X.] Rn. 129 mit Verweis auf Rn. 125 f.). Solche Umstände liegen hier nicht vor.

Der Auffassung, die Selbstbindung des [X.] entfalle auch, wenn es beabsichtige, seine Rechtsprechung aus Anlass des zweiten Revisionsverfahrens zu ändern (vgl. dazu [X.], a.a.[X.] Rn. 80; [X.]/[X.], [X.], 22. Aufl. 2016, § 144 Rn. 16), vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Eine Befugnis des [X.], seine Rechtsprechung in ein- und demselben Verfahren ohne jede Änderung entscheidungserheblicher Umstände abzuändern, würde die Selbstbindung zur Disposition des Gerichts stellen und damit aufheben. Der bisherige Ertrag des Prozesses wäre nicht mehr zu sichern und ein Hin- und [X.] des Verfahrens zwischen den Instanzen nicht mehr ausgeschlossen (BVerwG, Beschlüsse vom 16. September 2011 - 8 B 32.11 - [X.] 310 § 144 [X.] Nr. 79 Rn. 4 und vom 4. Juli 2011 - 7 B 26.11 - juris Rn. 9, je m.w.N.; Eichberger, a.a.[X.] Rn. 130).

Eine abweichende Beurteilung ist nicht mit der Befugnis des [X.] zu begründen, seine Rechtsprechung in einem anderen Verfahren - auch in einem Parallelverfahren derselben Beteiligten (BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 2009 - 8 B 93.08 - [X.] 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 40 Rn. 8 f.) - zu ändern und die geänderte Rechtsprechung einer späteren zweiten Revisionsentscheidung im anhängigen Verfahren zu Grunde zu legen (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2011 - 7 B 26.11 - juris Rn. 9). Darin liegt kein Widerspruch zu den oben dargestellten, aus § 144 Abs. 6 [X.] abgeleiteten Grundsätzen. Die Vorschrift begründet eine Bindungswirkung nur für ein- und dasselbe Streitverfahren (BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 2009 - 8 B 93.08 - [X.] 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 40 Rn. 8). Dies dient dem Ausgleich zwischen der [X.], der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz einerseits sowie dem Interesse an einer Fortentwicklung der Rechtsprechung andererseits. Danach müssen die Beteiligten sich auf eine zwischenzeitliche Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung anlässlich eines anderen Verfahrens ebenso einstellen wie auf eine zwischenzeitliche Änderung der Rechts- oder Sachlage. Daraus folgt jedoch nicht, dass auch die Selbstbindung in ein- und demselben Verfahren zur Disposition des [X.] stünde.

2. Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 [X.] greifen ebenfalls nicht durch. Die geltend gemachten Verfahrensmängel sind teils nicht substantiiert im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 [X.] dargetan und liegen im Übrigen nicht vor.

a) Der Beschwerdebegründung ist hinsichtlich der Annahme des [X.], die Enteignung des [X.]es [X.] habe auf die Person des [X.] abgezielt, weder der gerügte Verstoß gegen die Gewährleistung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 [X.] noch die geltend gemachte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes gemäß § 108 Abs. 1 [X.] zu entnehmen.

Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, dass die Vorinstanz aus deren Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht bei der Entscheidungsbegründung berücksichtigt hätte. Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag der Klägerin, ein Abzielen der Enteignung des [X.]es [X.] auf die Person [X.] sei schon mangels geeigneter Nachweise in den Unterlagen zur Enteignung dieses [X.]es zu verneinen, ausweislich des Tatbestands des angegriffenen Urteils (vgl. [X.]) ebenso zur Kenntnis genommen wie die Einwände der Klägerin gegen entsprechende Schlussfolgerungen aus dem Verfahren zur Bodenreformenteignung des nicht verfahrensgegenständlichen [X.]es [X.] ([X.] dritter Absatz, [X.] 4 oben und [X.]). Das Verwaltungsgericht hat auch das aus seiner Sicht wesentliche Vorbringen der Klägerin zur Bedeutung der zu den Enteignungen vorgelegten Unterlagen einschließlich der Eintragungen des Ortsbürgermeisters [X.] im Betriebsfragebogen zum [X.] wiedergegeben und in den Gründen seiner Entscheidung gewürdigt. Dass es die Einschätzung der Klägerin, beim Verzeichnis der verlassenen Wirtschaften zum [X.] handele es sich nur um ein Bestandsverzeichnis, nicht eigens wiedergegeben hat, lässt nicht auf ein Übergehen des entsprechenden Vortrags schließen. Nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des [X.] kam es maßgeblich nicht auf den ursprünglichen Zweck des Verzeichnisses an, sondern auf die Bedeutung des handschriftlichen Zusatzes "Kriegsverbrecher". Mit Blick auf die Terminologie des Art. II Ziff. 2 Buchst. a der Bodenreformverordnung, die in der dazu ergangenen Ausführungsverordnung Nr. 2 erläutert wurde, ist es von einer Gleichstellung von Kriegsverbrechern und [X.] einschließlich der leitenden Beamten des [X.] ausgegangen und hat nach dem Grundsatz, dass eine eventuelle Verwechslung beider Bezeichnungen durch die enteignenden Stellen unschädlich sei, auf ein Abzielen der Bodenreformenteignung - auch - des [X.]es [X.] auf die Person [X.] geschlossen.

Ein Verstoß dieser Indizienbeweiswürdigung gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 [X.]) ist nicht dargetan. Angebliche Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Eine Ausnahme kommt im Bereich des Indizienbeweises bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung in Betracht (stRspr; z.B. BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - [X.] 442.09 § 18 [X.] Nr. 65). [X.] setzt einen zweifelsfreien, ohne weitere Beweiserhebung offensichtlichen Widerspruch zwischen den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz und dem Akteninhalt voraus (BVerwG, Beschluss vom 19. November 1997 - 4 B 182.97 - [X.] 406.11 § 153 BauGB Nr. 1). Einen solchen Widerspruch legt die Beschwerdebegründung nicht dar. Sie setzt der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung des handschriftlichen Vermerks "Kriegsverbrecher" als für die Enteignung mitursächliche Einstufung [X.] lediglich eine abweichende eigene Beweiswürdigung entgegen. Dabei misst sie der vom Verwaltungsgericht für unergiebig gehaltenen Äußerung des Bürgermeisters [X.] entscheidende Bedeutung zu, weil sie davon ausgeht, für die Enteignung eines [X.]es sei allein oder jedenfalls maßgeblich die [X.] zuständig gewesen. Diese Prämisse ergibt sich jedoch weder zwangsläufig aus dem Akteninhalt noch aus den [X.]. Vielmehr durfte das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Bodenreformverordnung von einer Beteiligung mehrerer Stellen ausgehen (vgl. den Plural auf [X.]). Nach Art. [X.] Ziff. 1 der Verordnung war die Bodenreform von den Kreis- und Gemeindeverwaltungen unter der Kontrolle der Provinzialverwaltung durchzuführen. Die Erfassung der zu enteignenden Güter oblag nicht allein der Gemeinde- sondern auch der [X.], von deren Bestätigung außerdem die Gesetzeskraft des Aufteilungsbeschlusses der jeweiligen [X.] abhing (vgl. Art. [X.] Ziff. 5 und 8). Weitere Zuständigkeiten waren auf die [X.] und die [X.] verteilt (vgl. Art. [X.] Ziff. 2, 7, 10; Ausführungsverordnung Nr. 2, vgl. zu Art. II Ziff. 2 Punkt b betreffend die Enteignung der sogenannten "Naziführer"). Angesichts der Zuständigkeit der [X.] und weiterer übergemeindlicher Stellen erscheint die Schlussfolgerung, eine in den Unterlagen zum [X.] enthaltene Bezeichnung als "Kriegsverbrecher" könne als Indiz für einen Personenbezug - auch - der Enteignung des (im Übrigen nach unbestrittenem Beklagtenvorbringen damals ebenfalls im [X.] belegenen) [X.]es [X.] Bedeutung gewinnen, weder denklogisch ausgeschlossen noch willkürlich.

b) Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 2 [X.] ist auch in Bezug auf die verwaltungsgerichtliche Annahme, die Enteignung habe nicht auf die Erben [X.] abgezielt, nicht dargelegt. Mit dem Vorwurf, diese Annahme beruhe auf einer einseitigen, gleichheitswidrigen Beweiswürdigung, sind die oben erläuterten Voraussetzungen einer Denkfehlerhaftigkeit, [X.] oder sonstigen Willkürlichkeit nicht substantiiert dargetan. Dazu genügt auch nicht die Behauptung, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass den Enteignungsbehörden der Tod [X.] bekannt gewesen sein müsse. Sie unterstellt, von der (angenommenen) Wahrscheinlichkeit einer Kenntnis sei auf deren Vorliegen zu schließen, und ersetzt die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des [X.] durch eine eigene, abweichende Indizienbeweisführung, ohne darzutun, dass die Gesetze der Logik keine andere als die von ihr gezogene Schlussfolgerung zuließen. Ebenso wenig legt sie dar, dass diese auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätte führen können.

c) Die Annahme des [X.], [X.] habe dem Nationalsozialismus in erheblicher Weise Vorschub geleistet, wird ebenfalls nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen. Ein Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist nicht mit Einwänden gegen die Stichhaltigkeit der einschlägigen Erwägungen des [X.] darzutun. Ebenso wenig lässt sich eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör damit begründen, dass das angegriffene Urteil nicht im Einzelnen auf den Vortrag der Klägerin zu den damaligen Rechtsgrenzen der Kompetenzen des Oberpräsidenten und seines Vertreters [X.] eingeht. Nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz kam es nicht auf die damaligen [X.] an, sondern darauf, ob [X.] die Entwicklung des [X.] Systems in nicht nur unbedeutendem Ausmaß mit einer gewissen Stetigkeit förderte (vgl. UA [X.] 11). Dies bejaht das angegriffene Urteil aufgrund der Feststellung, dass [X.] seine Position als Landesdirektor bzw. Landeshauptmann und als Vertreter des Oberpräsidenten dazu nutzte, die [X.] Rassenpolitik aktiv umzusetzen und die unter dem Decknamen "[X.]" organisierte systematische Ermordung von Patienten der Heil- und Pflegeanstalten in der Provinz [X.] in Kenntnis des Gegenstands dieser Maßnahme eigenverantwortlich zu stützen und zu fördern. Die entsprechende Würdigung der Mitteilung [X.] an den Amtsrichter [X.], er habe die [X.] zur Verlegung von Patienten ohne Einholen der Zustimmung des Richters angewiesen, ist weder aktenwidrig, noch beruht sie auf unzureichender Sachaufklärung. Weder die Unterzeichnung des Schreibens als Vertreter des Oberpräsidenten noch der Hinweis auf die Anordnung des Reichsverteidigungskommissars schließen die eigene Verantwortung des Unterzeichners für den Inhalt und das Absenden des Schreibens aus. Dies gilt erst recht im Fall einer etwaigen Kompetenzanmaßung. Die weitere - und ungerügte - Feststellung, dass [X.] nach eigenen Angaben weitere als die ihm zustehenden Handlungsspielräume belassen wurden, war aus der Sicht des [X.] deshalb nicht entscheidend.

d) Entgegen dem Beschwerdevorbringen verletzt die Annahme des [X.], es bestünden keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung [X.] am Widerstand gegen das [X.] Regime, nicht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör. Der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe einfach die Einschätzung der [X.] übernommen, ohne die von der Klägerin dargelegte Möglichkeit eines Irrtums der [X.] in Rechnung zu stellen, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat Anhaltspunkte für eine Beteiligung [X.] am Widerstand einschließlich seinerzeit nicht bekannter Tatsachen, die das Ermittlungsergebnis der [X.] in Frage stellen könnten (vgl. UA [X.] 16), erwogen und verneint.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 [X.].

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Meta

8 B 5/16

11.07.2016

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Greifswald, 12. Februar 2015, Az: 2 A 1171/13, Urteil

§ 144 Abs 6 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, § 1 Abs 4 AusglLeistG, Art 4 BodRefV BB, BodRefVAV BB 2

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.07.2016, Az. 8 B 5/16 (REWIS RS 2016, 8467)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8467

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