Bundessozialgericht, Urteil vom 06.03.2012, Az. B 1 KR 17/11 R

1. Senat | REWIS RS 2012, 8517

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Kostenübernahme einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme im Ausland (hier: Jordanien) - Vorliegen eines qualitativen oder quantitativen Versorgungsdefizits - Voraussetzungen für eine Kostenerstattung - sozialgerichtliches Verfahren - Verstoß gegen Amtsermittlungspflicht und gegen Ermittlung allgemeiner Tatsachen


Leitsatz

1. Leistungen der medizinischen Reha im Ausland (außerhalb der EU, des EWR und der Schweiz) kommen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nur unter der Voraussetzung eines qualitativen oder quantitativen Versorgungsdefizits in Betracht und nicht schon dann, wenn sie dort wirtschaftlicher ausgeführt werden können.

2. Ein Versicherter kann Erstattung der Kosten einer nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse nur im Ausland möglichen Behandlung ohne vorangegangene Entscheidung der Krankenkasse beanspruchen, wenn sie unaufschiebbar ist oder die Krankenkasse ihn durch Irreführung davon abgehalten hat, seine Obliegenheiten zu beachten.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 14. Oktober 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für Klimaheiltherapien in [X.] in den Jahren 2006 und 2007.

2

Die bei der beklagten [X.] versicherte Klägerin leidet an der Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) mit einer generalisierten und progredienten [X.]. 1995 und 2005 erhielt die Klägerin auf Kosten der Beklagten Klimaheiltherapien am [X.]. Im Febr[X.]r 2006 beantragte die Klägerin, ihr eine Klimaheiltherapie nach [X.] vom [X.] bis 14.6.2006 als stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation (Reha) zu gewähren. Die [X.] in [X.] praktizierende Dermatologin [X.] fährt hierzu regelmäßig mit einer größeren Gruppe von Patienten nach [X.] in das "[X.] M.C./[X.] S1 Hotel". Die Therapie besteht im Wesentlichen aus einer Kombination von topischer Substitutionstherapie mit einer von ihr selbst entwickelten und nur über sie direkt beziehbaren Pseudokatalase-Creme ([X.]) sowie regelmäßigen Bädern im [X.] mit anschließenden Sonnenlichtexpositionen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nord ([X.]) vertrat die Auffassung, ausreichend sei eine ambulante fachärztliche Therapie am Wohnort der Klägerin. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 19.5.2006). Der Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, dass die zwischenzeitlich auf eigene Kosten in Höhe von 2569,50 Euro durchgeführte Kurbehandlung erfolgreich gewesen sei, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.8.2006).

3

Während des sich anschließenden Klageverfahrens beantragte die Klägerin im März 2007, ihr vom 28.5. bis 18.6.2007 eine weitere Klimaheiltherapie nach [X.] zu gewähren, und nahm auf eigene Kosten in Höhe von 2767,51 Euro hieran teil. Die Beklagte holte zwei weitere [X.]-Gutachten ein und lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 9.11.2007; Widerspruchsbescheid vom 10.1.2008).

4

Das [X.] hat die Klageverfahren verbunden, [X.] erhoben und die Klage mit der Begründung abgewiesen, es liege keine Maßnahme der medizinischen Reha in einer Reha-Einrichtung vor (Urteil vom 21.11.2008). Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen: Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage § 18 Abs 1 [X.]B V seien nicht erfüllt. Es gebe keinen Konsens über die Zweckmäßigkeit der durchgeführten Vitiligo-Therapie, der sich aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Studien in Form von Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ableiten ließe. Den Beweisanträgen der Klägerin habe nicht stattgegeben werden müssen (Urteil vom 14.10.2010).

5

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 103 iVm § 106 [X.]G und des § 18 [X.]B V. Das L[X.] habe fachmedizinische Literatur bewertet, ohne sich hierbei sachverständiger Hilfe zu bedienen. Vor Therapiebeginn 2007 habe ein Mitarbeiter der Beklagten der Klägerin zugesichert, dass ihr durch den vorzeitigen Antritt der Maßnahme keine Nachteile entstünden. Die Beklagte habe mit der zweimaligen Finanzierung einer Klimaheiltherapie in der Vergangenheit einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der ihr Ermessen auf Null reduziere.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 14. Oktober 2010 und des [X.] vom 21. November 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 9. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Jan[X.]r 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 5337,01 Euro Kosten der vom 24. Mai bis 14. Juni 2006 und vom 28. Mai bis 18. Juni 2007 am [X.] in [X.] durchgeführten Klimaheiltherapien zu erstatten,

hilfsweise,

das Urteil des [X.] vom 14. Oktober 2010 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet ( § 170 Abs 2 [X.] SGG ). Das angefochtene [X.]-Urteil ist aufzuheben. Das [X.] hat materielles Recht verletzt und es unter Verstoß gegen § 103 SGG abgelehnt, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Der erkennende Senat ist an einer abschließenden Entscheidung gehindert. Die Feststellungen des [X.], die unangegriffen und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), reichen nicht für eine abschließende Entscheidung aus. Die Entscheidung des [X.] erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend.

Im Ergebnis zu Recht ist das [X.] davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs gegen die beklagte [X.] nicht § 13 Abs 3 [X.], § 40 [X.] iVm §§ 15, 18 [X.] (dazu 1.), sondern lediglich § 18 Abs 1 und 2 [X.] in Betracht kommt (dazu 2.).

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind allein die Bescheide, mit denen die Beklagte die Kostenübernahme bzw Kostenerstattung für die beantragten Leistungen in den Jahren 2006 und 2007 abgelehnt hat. Nicht streitgegenständlich sind die weiteren Bescheide, mit denen die Beklagte die Kostenerstattung für die beantragte Leistung im [X.] versagt hat. Wegen ihres unterschiedlichen Regelungsgegenstands ersetzen oder ändern sie die früher ergangenen Bescheide nicht (vgl § 96 Abs 1 SGG idF des [X.], [X.] 444; zum weiteren Anwendungsbereich der früheren Fassung vgl ebenso bereits [X.]-2500 § 18 [X.] Rd[X.] 14 - [X.]). Sie sind Gegenstand des ebenfalls am 6.3.2012 entschiedenen [X.] 1 KR 18/11 R.

1. Im Ergebnis zutreffend hat das [X.] einen Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs 3 [X.], § 40 [X.] iVm § 15 Abs 1 S 4, § 18 S 1 [X.] verneint. Diese Anspruchsgrundlage kommt tatbestandlich allerdings in Betracht, weil die Anträge der Klägerin auch auf einen Anspruch auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation (Reha) in Form von Klimaheiltherapien am [X.] gerichtet sind. Zwar kann § 13 Abs 3 [X.] bei im Ausland zu erbringenden Leistungen nach Maßgabe weiterer Voraussetzungen Anwendung finden, wenn die Voraussetzungen des § 18 [X.] nicht erfüllt sind (dazu a). Versicherte können jedoch Klimaheiltherapien in [X.] als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) zur medizinischen Reha nur unter den Voraussetzungen des § 18 [X.] beanspruchen. § 40 [X.] beschränkt den Anspruch auf medizinische Reha auf Fälle der wohnortnahen ambulanten Versorgung und der stationären Versorgung in Reha-Einrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 [X.] besteht oder zumindest geschlossen werden könnte (dazu b). Hierzu zählen die für die Klägerin relevanten Auslandseinrichtungen außerhalb von [X.] und [X.] nicht.

a) § 13 Abs 3 [X.] kann auf [X.] Anwendung finden, ohne dass § 18 [X.] eine Sperrwirkung entfaltet. Nach § 13 Abs 3 [X.] [X.] werden die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Reha nach dem [X.] gemäß § 15 [X.] erstattet. § 18 [X.] verdrängt lediglich in seinem Anwendungsbereich als Spezialnorm, die weiterreichende Ansprüche vermittelt, § 13 Abs 3 [X.] (vgl [X.] in [X.], Handbuch der Krankenversicherung [X.], Stand: 1.9.2011, § 13 [X.] Rd[X.] 69 iVm 105). Im Übrigen greift die Regelung des § 13 Abs 3 [X.] über Kostenerstattung bei Systemversagen stets ein, wenn anderweitig nicht schließbare Lücken im Versorgungssystem der [X.] bestehen (vgl [X.], 161 = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] 23), auch wenn es um Leistungen im Ausland geht, jedenfalls wenn [X.] Recht berufen ist und dieses die Anwendung des § 13 Abs 3 [X.] zulässt (vgl zB [X.], 94 = [X.]-2500 § 13 [X.] 4; [X.], 257 = [X.]-6928 Allg [X.] 1, Rd[X.] 25, 28; [X.], 1 = [X.]-2500 § 13 [X.] 23; vgl zum Ganzen auch [X.] in [X.], Handbuch der Krankenversicherung [X.], Stand: 1.9.2011, § 13 [X.] Rd[X.] 175; [X.] Sächsisches [X.] Urteil vom [X.] KR 1/03 - juris Rd[X.] 30; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand April 2011, § 18 Rd[X.] 7).

b) Die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 [X.] [X.] sind nicht erfüllt, weil - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 18 [X.] - Klimaheiltherapien in [X.] nicht als [X.]-Leistungen zur medizinischen Reha nach dem [X.] in Betracht kommen. § 40 [X.] regelt [X.]-Leistungen zur medizinischen Reha. Die Norm begrenzt den Anspruch auf medizinische Reha auf Fälle der wohnortnahen ambulanten Versorgung und der stationären Versorgung in Reha-Einrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 [X.] besteht (so die bis [X.] geltende Fassung des § 40 [X.] idF durch Art 1 [X.] 31 [X.]-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, [X.] 2190) oder zumindest geschlossen werden könnte (so im Ergebnis auch § 40 idF durch Art 1 [X.] 26 [X.]-Wettbewerbsstärkungsgesetz <[X.]-WSG> vom [X.], [X.] 378, der lediglich von einem Vertragsschluss nach § 111 [X.] entpflichtet, nicht aber von den Qualitätserfordernissen für einen solchen Vertrag; vgl zum fehlenden Auslandsbezug des Regelungszwecks der Gesetzesänderung auch Gesetzentwurf der Fraktionen der [X.] und [X.] eines [X.]-WSG, BT-Drucks 16/3100 [X.] Zu [X.] 26 Zu Buchst b). § 111 [X.] sieht nach seiner gesamten Konzeption als Instrument der Sicherung hochqualitativer Versorgungsstrukturen durch regional erreichbare Reha-Einrichtungen für die stationäre Versorgung keine Versorgungsverträge mit Einrichtungen vor, die sich außerhalb der [X.], dem [X.] und der [X.] befinden. So ist etwa mit der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde Einvernehmen über Abschluss und Kündigung des Versorgungsvertrags anzustreben (§ 111 Abs 4 S 3 [X.]).

Wortlaut, Zweck und Regelungssystem der §§ 40, 111 [X.] lassen es nicht zu, entsprechende Versorgungsverträge unter Berücksichtigung von § 18 [X.] mit Einrichtungen außerhalb der [X.], des [X.] und der [X.] zu schließen (im Ergebnis zutreffend die überwiegende Literatur, zB [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand Februar 2012, § 40 Rd[X.]0; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand April 2011, § 18 Rd[X.] 11 [X.]; [X.] wohl [X.] in jurisPK-[X.], Stand 1.2.2010, § 18 Rd[X.] 10 [X.]; zu Leistungen innerhalb der [X.] Fuhrmann/Heine NZ[X.]006, 341, 342, 344). Zwar werden Leistungen zur medizinischen Reha iS von § 11 Abs 2 S 1 [X.] grundsätzlich unter Beachtung des [X.] erbracht, doch gilt dies nur, soweit im [X.] nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs 2 S 3 [X.]). § 40 [X.] bestimmt mit der Anbindung an § 111 [X.] für die Anwendbarkeit des § 18 [X.] in diesem Sinne etwas anderes, nämlich den Ausschluss von den hier betroffenen Auslandseinrichtungen.

2. Der Senat kann mangels hinreichender Feststellungen nicht abschließend über den einzig in Betracht kommenden Anspruch auf Kostenerstattung aus § 18 Abs 1 und 2 [X.] entscheiden. Die Regelung begründet Ansprüche auf Kostenerstattung (dazu a). Ihre Anwendbarkeit ist nicht durch § 40 [X.] ausgeschlossen (dazu b). Der Anspruch scheitert nicht an den bisher vom [X.] getroffenen Feststellungen zum allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, da sie verfahrensfehlerhaft und nicht an den materiellen gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen ausgerichtet sind (dazu c). Das [X.] wird auch abzuklären haben, dass die Vitiligo der Klägerin überhaupt einen Behandlungsanspruch ausgelöst hat (dazu d).

a) Nach der Rechtsprechung des Senats ermöglicht § 18 [X.] es einer Krankenkasse nicht nur, Kosten einer "notwendigen" (§ 27 Abs 1 S 1 [X.]) "Behandlung einer Krankheit" (Abs 1 S 1) sowie "weitere Kosten für den Versicherten" und Kosten "für eine erforderliche Begleitperson" (Abs 2) ganz oder teilweise zu übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland möglich ist. Weitergehend lässt die Regelung auch - nach entsprechender vorheriger Antragstellung und (rechtswidriger) Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse - Kostenerstattung zu (vgl [X.]-2500 § 18 [X.] 1 Rd[X.] - Auslandsbehandlung nach Petö; [X.], 164 = [X.]-2500 § 18 [X.] 2, Rd[X.] 7; [X.]-2500 § 18 [X.] Rd[X.] 17 mwN - [X.]). Die Ausweitung der Rechtsfolge auf Kostenerstattung beruht darauf, dass § 18 [X.] mit dem Anspruch auf Kostenübernahme zunächst den [X.] auf Krankenbehandlung in den Blick nimmt, wenn qualitätsgerecht lediglich eine Auslandsbehandlung möglich ist. Die Art und Weise, in welcher die Krankenkasse den [X.] auf Krankenbehandlung erfüllt, bleibt dabei offen. Erfüllung kann sowohl als Leistung in Natur - auf der Basis öffentlich-rechtlicher Verträge nach § 53 [X.] - als auch im Wege der bloßen Kostentragung (Kostenfreistellung oder Kostenerstattung) für eine vom Versicherten selbst organisierte Krankenbehandlung erfolgen. Denn im Ausland kann die [X.] nicht umfassend [X.] anbieten, sondern nur dann, wenn die Krankenkassen die erforderlichen Verträge mit Leistungserbringern geschlossen haben. Nach diesen Grundsätzen ist ein Erstattungsanspruch der Klägerin für die Behandlung im Jahr 2006 möglich, wäre indes für die Therapie in 2007 ausgeschlossen, weil letztere vor der ablehnenden Entscheidung der [X.] erfolgte.

Im Ausnahmefall kann ein Versicherter - wie die Klägerin für die Behandlung in 2007 - auch nach Antragstellung bei seiner Krankenkasse Kostenerstattung beanspruchen, obwohl die Krankenkasse den Antrag noch nicht (rechtswidrig) abgelehnt hat. Das Gesetz geht zwar für den Regelfall davon aus, dass Versicherte sich vor Inanspruchnahme der Behandlung im Ausland an ihre Krankenkasse wenden, die Leistung beantragen (§ 19 SGB IV) und die Entscheidung der Krankenkasse hierüber abwarten. Das unterstreicht auch die Wertung des § 18 Abs 3 S 1 [X.], der eine Vorab-Befassung der Krankenkasse sicherstellt. Das [X.] verpflichtet die Krankenkasse zudem ausdrücklich vor Durchführung der Maßnahme, durch den [X.] prüfen zu lassen, ob die begehrte Krankenbehandlung nur im Ausland möglich ist (§ 275 Abs 2 [X.] 3 [X.]). Auch für Behandlungen im Ausland gilt daher der Grundsatz, dass der Krankenkasse eine Möglichkeit zur Überprüfung des Leistungsbegehrens einzuräumen ist, bevor dem Versicherten erlaubt wird, sich die benötigte Leistung außerhalb des Sachleistungssystems selbst zu beschaffen ([X.]-2500 § 18 [X.] 1 Rd[X.] - Auslandsbehandlung nach Petö). Kommt die Krankenkasse ihrer Pflicht aus § 275 Abs 2 [X.] 3 [X.] nicht zeitgerecht nach, haben Versicherte dem Rechtsgedanken des § 13 Abs 3 S 1 Alt 1 [X.] entsprechend Anspruch auf Kostenerstattung für selbst beschaffte Krankenbehandlung, die nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nur im Ausland [X.] ist, wenn die Krankenkasse diese Leistung nicht rechtzeitig erbringt, sie aber nach vollständigem Antrag und umgehender [X.]-Überprüfung hätte erbringen können und die Behandlung unaufschiebbar ist. [X.] liegt vor, wenn ein Zuwarten dem Versicherten aus medizinischen Gründen unzumutbar ist, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder aus anderen medizinischen Gründen - zB wegen der Intensität der Schmerzen - ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zumutbar ist (zum Begriff der [X.] vgl auch [X.], 26 = [X.]-2500 § 13 [X.] 12, Rd[X.] 23 mwN). § 18 Abs 1 [X.] ist zwar darauf ausgerichtet, Versicherten nach Antrag und Überprüfung zeitgerecht die Krankenbehandlung zu gewähren, die nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nur im Ausland [X.] ist. Die sich aus § 18 [X.] ergebenden Anforderungen an die Mitwirkungsobliegenheiten des Versicherten sind aber nicht geringer als nach § 13 Abs 3 [X.].

Selbst wenn die Behandlung aufschiebbar war, ist die Krankenkasse nach [X.] und Glauben gehindert, sich darauf zu berufen, dass Versicherte nicht ihre Entscheidung abgewartet haben, wenn sie Versicherte durch Irreführung von ihren Obliegenheiten abgehalten hat (vgl [X.], 180 = [X.]-2500 § 13 [X.] 15, Rd[X.] 27 f; vgl auch [X.] in [X.], Handbuch der Krankenversicherung [X.], Stand 1.9.2011, § 13 [X.] Rd[X.] 254). In derartigen Fällen kommt es nicht auf die [X.] der Behandlung an. Das [X.] hat zu beiden Aspekten - von seiner Rechtsauffassung her folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Sowohl der Verfahrensablauf - Antrag im März, [X.]-Gutachten im Mai, danach Reiseantritt, Ablehnung des Antrags am 9.11.2007 - als auch das Vorbringen der Klägerin, ein zuständiger Mitarbeiter der [X.] habe ihr ausdrücklich bestätigt, sie könne die Behandlung ohne [X.] beginnen, geben indes dem [X.] bei seiner erneuten Entscheidung Anlass zu weiterer Aufklärung.

b) § 18 [X.] ist auch dann anwendbar, wenn die Klimaheiltherapie eine Leistung zur medizinischen Reha iS von § 40 [X.] und nicht eine sonstige Maßnahme der Krankenbehandlung ist. Zwar begrenzt § 40 [X.] grundsätzlich den Anspruch auf medizinische Reha auf Fälle der wohnortnahen ambulanten Versorgung und der stationären Versorgung in Reha-Einrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 [X.] besteht oder zumindest geschlossen werden könnte (vgl oben II. 1. b). Die Regelung ist aber nur an dem Regelfall ausreichender Binnenversorgung ausgerichtet. Besteht dagegen eine qualitative oder quantitative Versorgungslücke, will § 18 [X.] diese auch dann schließen, wenn eine medizinische [X.] betroffen ist.

c) Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin nach § 18 [X.] ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil das [X.] festgestellt hat, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht nur außerhalb [X.] und außerhalb des [X.] möglich ist. Diese Feststellung ist für den erkennenden Senat nicht bindend (§ 163 SGG), weil die Klägerin sie mit einer durchgreifenden Verfahrensrüge angegriffen hat: Das [X.] hat seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt. Das [X.] bestimmt im Rahmen seines Ermessens die Ermittlungen und Maßnahmen, die nach seiner materiell-rechtlichen Auffassung zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind. Sein Ermessen ist dabei durch die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem für die Entscheidung erforderlichen Umfang begrenzt. Ein Verstoß gegen § 103 SGG liegt dann vor, wenn das Berufungsgericht sich zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr, vgl zB [X.], 137 = [X.]-2500 § 137c [X.] 2, Rd[X.] 34; BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R mwN, zur [X.] vorgesehen in [X.] und [X.]; [X.] in [X.], SGG, Stand Dezember 2011, § 103 Rd[X.]6 ff mwN). So liegt es hier.

Das [X.] hat nämlich medizinische Kenntnisse für sich in Anspruch genommen, ohne hierüber belegbar zu verfügen. Das [X.] hat es als entscheidungserheblich angesehen und trotz des auf den Beweis des Gegenteils gerichteten Antrags der Klägerin verneint, dass die [X.] nach [X.] dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Hierzu hat es eine aktuelle [X.] von [X.] inhaltlich mit dem Hinweis bewertet, schon aufgrund der geringen Fallzahl, der methodischen Schwächen und des Umstandes, dass die einzige Untersuchung der Behandlungsmethode auf ihre Wirksamkeit von [X.] selbst stamme, könne von einem wissenschaftlichen Konsens in Fachkreisen nicht ausgegangen werden. Die Ausführungen des [X.], vorliegend gehe es nicht um die inhaltliche Auswertung und qualitative Bewertung von vorhandenen Studien, sondern um die Frage, ob es entsprechende Untersuchungen überhaupt gebe, belegen weder die für diese Aussage nötigen medizinischen Fachkenntnisse noch deren Entbehrlichkeit.

Neben dem Verstoß gegen die Aufklärungspflicht verletzt das [X.]-Urteil auch § 18 Abs 1 S 1 [X.], weil Feststellungen dazu, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur außerhalb [X.] und außerhalb des [X.] möglich ist, auf breiter Grundlage zu treffen sind. Denn es geht um die Feststellung allgemeiner Tatsachen. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es bei deren Ermittlung in besonderer Weise darauf an, Erkenntnisse auf einer möglichst breiten Grundlage zu gewinnen (vgl [X.]-2500 § 18 [X.] Rd[X.] 30 - [X.]). Nur ein solches Vorgehen sichert die von Art 3 Abs 1 GG geforderte Rechtsanwendungsgleichheit, für welche die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses im Inland sorgen. Das [X.] wird bei den gebotenen weiteren Ermittlungen hierzu dementsprechend Erkenntnisse mit sachverständiger Hilfe auf einer möglichst breiten Grundlage zu gewinnen haben (vgl beispielhaft zu Möglichkeiten [X.]-2500 § 18 [X.] Rd[X.] 31 ff - [X.]).

d) Die Aktenlage, auf die das [X.] Bezug genommen hat, legt im Übrigen nahe, dass das [X.] Feststellungen dazu trifft, dass die Vitiligo der Klägerin überhaupt einen Behandlungsanspruch ausgelöst hat. Die Klägerin kann nach § 27 Abs 1 S 1 [X.] Krankenbehandlung nur verlangen, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, vgl zB [X.], 252 = [X.]-2500 § 27 [X.] 3, Rd[X.] 4 mwN; zum Verhältnis zu den Ansprüchen aus dem [X.] vgl [X.], 277 = [X.]-2500 § 40 [X.] 4, Rd[X.] 18 f, - Adaptionsmaßnahme). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt.

Um insbesondere eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit auslöst, und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der [X.] zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der [X.] ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein (vgl näher [X.] 100, 119 = [X.]-2500 § 27 [X.] 14, Rd[X.] 13 f mwN).

Sollten die Ermittlungen des [X.] ergeben, dass die Klägerin zu den [X.] an einer - im dargelegten Sinne - behandlungsbedürftigen Erkrankung litt und die in [X.] vorgesehene Behandlungsmethode zum Behandlungszeitpunkt im aufgezeigten Sinne dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach, muss es weiter genauer feststellen, dass eine Behandlung mit demselben Behandlungsziel wie dem bei der Klägerin angestrebten zum vorgesehenen Behandlungszeitpunkt in [X.] oder der [X.] oder dem [X.] allgemein und konkret für die Klägerin unter qualitativen und quantitativen Gesichtspunkten nicht verfügbar bzw zumutbar war ([X.]). Auch insoweit reichen die Feststellungen des [X.] für eine Entscheidung nicht aus.

Der Anspruch aus § 18 [X.] ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im [X.]/[X.]-Inland überhaupt nicht zu erlangen ist, sondern besteht auch, wenn eine Behandlung zwar dort erfolgen kann, der im [X.]/[X.]-Ausland praktizierten anderen Methode jedoch ein qualitativer Vorrang gegenüber den im [X.]/[X.]-Inland angewandten Methoden gebührt. Letzteres ist der Fall, wenn die begehrte Behandlung der [X.]/[X.]-Inlandsbehandlung aus medizinischen Gründen "eindeutig überlegen" ist (vgl [X.]-2500 § 18 [X.] Rd[X.] 37 f mwN - [X.]). Die Überlegenheit kann sich auch im Rahmen eines Vergleichs lediglich symptomatisch behandelnder Therapien ergeben.

3. [X.] bleibt dem [X.] vorbehalten.

Meta

B 1 KR 17/11 R

06.03.2012

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Hamburg, 21. November 2008, Az: S 32 KR 760/06, Urteil

§ 19 SGB 4, § 2 Abs 1 S 3 SGB 5, § 11 Abs 2 S 1 SGB 5, § 11 Abs 2 S 3 SGB 5, § 13 Abs 3 S 1 Alt 1 SGB 5, § 13 Abs 3 S 2 SGB 5, § 18 Abs 1 SGB 5, § 18 Abs 2 SGB 5, § 18 Abs 3 S 1 SGB 5, § 27 Abs 1 S 1 SGB 5, § 27 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB 5, § 40 SGB 5 vom 14.11.2003, § 40 SGB 5 vom 26.03.2007, § 111 SGB 5, § 275 Abs 2 Nr 3 SGB 5, § 15 Abs 1 S 4 SGB 9, § 18 S 1 SGB 9, § 103 SGG, § 106 SGG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.03.2012, Az. B 1 KR 17/11 R (REWIS RS 2012, 8517)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8517

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