Bundessozialgericht, Urteil vom 19.04.2016, Az. B 1 KR 33/15 R

1. Senat | REWIS RS 2016, 12808

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Krankenhaus - Vergütung für Krankenhausbehandlung - Nachforderung bis zum Ablauf der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung - Nichtanwendung des Gebots der Waffengleichheit


Leitsatz

Ein Krankenhaus kann nach Rechnungstellung jede Vergütung für die Behandlung Versicherter bis zum Ablauf der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung nachfordern, solange sein Recht nicht verwirkt ist (Aufgabe von BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 12/08 R = BSGE 105, 150 = SozR 4-2500 § 109 Nr 20).

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 27. August 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 922,57 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.

2

Die klagende Krankenhausträgerin behandelte die bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte A.M. (im Folgenden: Versicherte) vom 23.9. bis 20.10.2009 stationär und berechnete hierfür 23 292,62 [X.] (Schlussrechnung vom 26.10.2009), die die Beklagte beglich. Die Klägerin korrigierte wegen nicht abgerechneter Beatmungsstunden den Rechnungsbetrag auf 24 215,19 [X.] und forderte weitere 922,57 [X.] (29.12.2009). Die [X.] lehnte eine Zahlung ab, weil eine Rechnungskorrektur durch das Krankenhaus nur innerhalb von sechs Wochen nach Erstellung der Schlussrechnung möglich sei. Das [X.] hat die Beklagte zur Zahlung von 922,57 [X.] nebst Zinsen hieraus in Höhe von [X.] seit dem [X.] verurteilt (Urteil vom 29.10.2013). Das L[X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen: Die Rechnungskorrektur sei im selben Haushaltsjahr innerhalb der Frist des § 11 Abs 2 des Vertrages "Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung" (§ 112 Abs 1 iVm Abs 2 S 1 Nr 1 [X.]B V) zwischen der [X.] einerseits und der [X.] sowie weiteren [X.]n andererseits [X.] (im Folgenden: KHBV) erfolgt. Der [X.] liege - wie vom B[X.] verlangt - über dem Wert der Aufwandspauschale des § 275 Abs 1c [X.] [X.]B V. Der vom B[X.] zudem aufgestellten Voraussetzung, dass die Nachforderung mehr als [X.] der Rechnungssumme betragen müsse, sei nicht zu folgen (Urteil vom 27.8.2015).

3

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des § 275 Abs 1c [X.]B V und des § 242 BGB.

4

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 27. August 2015 und des [X.] vom 29. Oktober 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des [X.] vom 27. August 2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der beklagten [X.] ist unbegründet. Zu Recht hat das [X.] die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die klagende Krankenhausträgerin hat einen Anspruch auf Zahlung weiterer 922,57 Euro [X.] nebst Zinsen. Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden [X.] zulässig (vgl zB [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.] 9 mwN; [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]2; [X.], 209 = [X.]-2500 § 115a [X.], Rd[X.]). Die Klägerin hat gegen die Beklagte den geltend gemachten Restanspruch (dazu 1.). Sie war trotz der Unwirksamkeit des § 11 Abs 2 [X.]BV nach Begleichung einer "Endabrechnung" nicht nach [X.] und Glauben gehindert, eine weitere Vergütung wegen der bereits abgerechneten Leistung geltend zu machen (dazu 2.).

8

1. Die Voraussetzungen des Anspruchs der Klägerin auf Zahlung weiterer 922,57 Euro [X.] für die Behandlung der Versicherten im [X.]raum vom 23.9. bis zum [X.] sind erfüllt. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses und dazu korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer [X.] entstehen - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 [X.] V erforderlich ist (stRspr, vgl zB [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]1; [X.], 181 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.]; [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]; BSG [X.]-2500 § 109 [X.]7 Rd[X.] 9; BSG [X.]-7610 § 204 [X.], Rd[X.]). Die Klägerin berechnete hierfür nach den [X.], den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) rechtmäßig insgesamt 24 215,19 Euro. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die Beklagte zahlte hierauf lediglich 23 292,62 Euro; danach verbleibt ein von der Beklagten zu zahlender (Rest-)Vergütungsanspruch iHv 922,57 Euro.

9

2. Die Klägerin war nicht daran gehindert, ihren Restzahlungsanspruch nach Ablauf von sechs Wochen nach der Erstellung der Schlussrechnung gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Zwar ist die Zahlungsregelung des § 11 Abs 2 [X.]BV unwirksam (dazu a). Hieraus folgt aber nur, dass die für die (Nach-)Forderung von [X.] gesetzlich vorgesehenen Fristen gelten (dazu b). Die Klägerin war mit der Geltendmachung der Nachforderung am [X.] hingegen nicht nach dem Grundsatz von [X.] und Glauben (§ 242 BGB) wegen Ablaufs der [X.] des § 275 Abs 1c [X.] ausgeschlossen (dazu c).

a) [X.] des § 11 Abs 2 [X.]BV ist unwirksam. Nach dieser Regelung können Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art auch nach Bezahlung der Rechnung (nur) innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht werden (Satz 1). Die gleiche, von der Klägerin eingehaltene Frist von sechs Monaten gilt auch für Nachforderungen der Krankenhäuser (Satz 2). Nach der Rspr des erkennenden Senats verbietet das Wirtschaftlichkeitsgebot, Überprüfungsmöglichkeiten der [X.]n gegenüber Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser über die allgemeinen gesetzlichen Rahmenvorgaben hinaus zeitlich einzuschränken ([X.], 156 = [X.]-2500 § 114 [X.], Rd[X.] 35 ff; [X.], 141 = [X.]-2500 § 275 [X.], Rd[X.]5; zum Ausschluss von [X.] Urteil vom [X.] - B 1 KR 11/15 R - vorgesehen für [X.]-2500 § 69 [X.]0). [X.] Ausschlussfristen zu Lasten der Versichertengemeinschaft haben nämlich zur Folge, dass [X.]n verpflichtet werden, im Wi[X.]pruch zum Wirtschaftlichkeitsgebot Vergütungen auch für nicht erforderliche Krankenhausbehandlungen zu zahlen, und zudem gehindert sind, eigene Erstattungsansprüche im Falle von ungerechtfertigten Überzahlungen geltend zu machen.

Um eine solche, die Überprüfungsmöglichkeit der [X.]n zeitlich einschränkende materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt es sich, wenn Einwendungen rechnerischer und sachlicher Art (auch nach Bezahlung der Rechnung) nur innerhalb von sechs Monaten nach [X.] geltend gemacht werden können. Denn [X.]n sind jederzeit berechtigt, die sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung von [X.] mit Blick auf Leistungsverweigerungsrechte oder nicht verjährte Erstattungsforderungen zu überprüfen (BSG [X.]-2500 § 301 [X.] Rd[X.]0 = [X.]-2500 § 275 [X.]0). § 275 Abs 1c [X.] (eingefügt durch das Gesetz zur Stärkung des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung vom [X.], [X.]) steht dem nicht entgegen. Nach § 275 Abs 1c [X.] V ist bei Krankenhausbehandlung nach § 39 [X.] eine Prüfung wegen einer Auffälligkeit nach § 275 Abs 1 [X.] [X.] spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der [X.] einzuleiten. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 275 Abs 1c [X.] ist - bezogen auf die Behandlung der Versicherten vom 23.9. bis [X.] - eröffnet. Er ergreift nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats entsprechend den allgemeinen für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen alle Behandlungen, die - wie hier - nach dem [X.] begonnen haben (vgl BSG [X.]-2500 § 275 [X.] Rd[X.]; [X.], 130 = [X.]-2500 § 276 [X.], Rd[X.]8). Der ungenutzte Ablauf der [X.] des § 275 Abs 1c [X.] V bewirkt aber schon vom rechtlichen Ansatz her keinen Einwendungsausschluss ([X.], 156 = [X.]-2500 § 114 [X.], Rd[X.] 39 mwN ). Für Prüfungen sachlich-rechnerischer Art, die auch der Regelung des § 11 Abs 2 S 1 [X.]BV unterfallen, hat der erkennende Senat zudem entschieden, dass das Überprüfungsrecht der [X.]n auf sachlich-rechnerische Richtigkeit unabhängig von den engeren Anforderungen einer Auffälligkeitsprüfung besteht ([X.] vom [X.] KR 20/14 R - vorgesehen für [X.] und [X.]-2500 § 108 [X.], Rd[X.]4 f unter Hinweis auf [X.], 165 = [X.]-2500 § 301 [X.] und BSG [X.]-2500 § 301 [X.] 3).

Die wegen Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot bestehende Teilnichtigkeit des § 11 Abs 2 S 1 [X.]BV hat die Gesamtnichtigkeit der Regelung und damit auch die Nichtigkeit des § 11 Abs 2 S 2 [X.]BV zur Folge. Er sieht entsprechend § 11 Abs 2 S 1 [X.]BV eine Ausschlussfrist von sechs Monaten (auch) für Nachforderungen des Krankenhauses vor. Denn die Vertragsparteien haben in § 11 Abs 2 [X.]BV die Frist von sechs Monaten für Nachforderungen des Krankenhauses als Kehrseite der Frist für Beanstandungen der [X.] im Sinne einer ausgewogenen Gesamtregelung konzipiert. Da nicht anzunehmen ist, dass die Vertragsparteien § 11 Abs 2 [X.]BV auch ohne den nichtigen Teil erlassen hätten (vgl dazu [X.] vom [X.] - B 1 KR 11/15 R - Juris Rd[X.]1, vorgesehen für [X.]-2500 § 69 [X.]0), ist nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB (Teilnichtigkeit) die gesamte Regelung in § 11 Abs 2 [X.]BV nichtig.

b) Da § 11 Abs 2 [X.]BV nichtig ist, sind für die Nachforderung von [X.] die gesetzlich vorgesehenen Fristen maßgebend. Vergütungsansprüche der Krankenhäuser für die Behandlung Versicherter unterliegen der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung (stRspr vgl zB BSG [X.]-2500 § 69 [X.]; [X.] 95, 141 Rd[X.]6 = [X.]-2500 § 83 [X.] Rd[X.] 34; BSG [X.]-1200 § 45 [X.]; [X.] 115, 40 = [X.]-2500 § 302 [X.], Rd[X.]3; [X.] vom 1.7.2014 - B 1 KR 47/12 R - [X.] 2014, 497, Juris Rd[X.] 9). Dies gilt grundsätzlich auch für eine Nachforderung, die das Krankenhaus geltend macht. Nur in engen Grenzen ist die Geltendmachung einer Nachforderung von [X.] durch das Krankenhaus vor Ablauf der kurzen vierjährigen Verjährung ausgeschlossen. Ein solcher Fall liegt indessen nicht vor (dazu c.).

c) Zu Unrecht schließt die Beklagte aus der Nichtigkeit des § 11 Abs 2 [X.]BV, dass die Klägerin ihre Nachforderung innerhalb einer Frist von sechs Wochen hätte geltend machen müssen. Weder ist der Anspruch verwirkt (dazu [X.]), noch ergibt sich dies aus dem Gebot der Waffengleichheit (dazu bb) noch aus den Folgen einer unzulässigen Rechtsausübung wegen wi[X.]prüchlichen Verhaltens (dazu [X.]).

[X.]) Die Klägerin war nicht wegen Verwirkung (§ 242 BGB) daran gehindert, ihren Vergütungsanspruch gegenüber der Beklagten im Dezember 2009 klageweise geltend zu machen. Ihr verbliebener Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten im [X.]raum vom 23.9. bis [X.] ist nicht verwirkt.

Das [X.] passt als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht. Es findet nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (vgl BSG [X.]-2500 § 264 [X.] Rd[X.]; [X.], 141 = [X.]-2500 § 275 [X.], Rd[X.] 37 mwN), etwa wenn sich ein Krankenhaus länger als ein ganzes Rechnungsjahr [X.] lässt, um eine ohne rechtsbedeutsamen Vorbehalt erteilte "Schlussrechnung" im Wege der Nachforderung mit Blick auf Grundlagen zu korrigieren, die dem eigenen Verantwortungsbereich entstammen (BSG [X.]-2500 § 109 [X.]7 Rd[X.]4; BSG [X.]-2500 § 109 [X.]9). Um eine solche Nachforderung geht es indes nicht. Die Schlussrechnung der Klägerin wurde am [X.] gestellt, die Nachforderung erfolgte bereits unter dem [X.].

bb) Die Beklagte kann dem Anspruch der Klägerin auch nicht erfolgreich mit dem überpositiven Rechtsgedanken der "Waffengleichheit" vermeintlich spiegelbildlich zu § 275 Abs 1c [X.] entwickelte Eingrenzungen von Nachforderungen für [X.] entgegenhalten. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl zum Ganzen [X.], 130 = [X.]-2500 § 276 [X.], Rd[X.]9 f) findet das Bild von der "Waffengleichheit" einen angemessenen Ort im [X.] der Gleichbehandlung im Prozessrecht (vgl zB [X.] Beschluss vom 11.5.2009 - 1 BvR 1517/08 - NJW 2009, 3417 Rd[X.]6; [X.], NStZ 2004, 181 ff; Vollkommer in Festschrift für [X.] zum 70. Geburtstag 1990, [X.] ff; Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit, 1984, [X.] ff, abgrenzend [X.], [X.]), mag es auch von diesem Ausgangspunkt her ins materielle Recht ausstrahlen (etwa in den Grenzbereich: Beweislastregeln, vgl zB [X.]E 52, 131, 144, 165; vgl [X.] in Festschrift für [X.] zum 65. Geburtstag 2008, [X.] ff). Das Gebot der "Waffengleichheit" wirkt dort einer Ungleichgewichtslage zwischen den [X.]en eines Prozesses als Ausprägung der Rechtsst[X.]tlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes entgegen (vgl zB [X.]E 52, 131, 143 f; [X.]K 14, 118, 121). Es gewährleistet die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der [X.]en vor [X.] (vgl [X.]E 52, 131, 144; 69, 248, 254; 117, 163, 185 mwN) und betrifft einen besonderen Aspekt der Rechtsschutzgleichheit und des fairen Verfahrens (vgl zB [X.] Beschluss vom 28.1.2013 - 1 BvR 274/12 - NJW 2013, 1727 Rd[X.]0 f; [X.] Beschluss vom 24.3.2011 - 1 BvR 2493/10 - NZS 2011, 775 Rd[X.]8; [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 681/07 - NJW-RR 2007, 1713, 1714; [X.]E 110, 226, 253 mwN; zu den Grenzen aufgrund rollenspezifischer Funktionsdifferenzierung vgl zB [X.]E 133, 168 Rd[X.] 59 mwN; [X.]E 122, 248, 275 mwN) sowie der Garantie [X.] effektiven Rechtsschutzes (vgl zB [X.] Beschluss vom 18.12.2001 - 1 BvR 391/01 - NZS 2002, 420).

Eine Übertragung des Bildes der "Waffengleichheit" ins materielle Recht wirkt dagegen verwässernd. Mag eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Waffengleichheit trotz genuin ungleicher Waffen der Kontrahenten noch als "Kampfparität" im [X.] verwendbar sein (vgl Art 9 Abs 3 GG; hierzu zB [X.], 291 und [X.] NJW 2014, 1874 Rd[X.] 36), so verliert es bei einer weiteren Ausweitung - etwa auf Mittel zum Ausgleich ungleicher Machtverhältnisse (vgl [X.], [X.] 166 <1966>, 30, 65 ff) - völlig an Substanz. Gesetzliche Wertungen - hier insbesondere des [X.] zum Verhältnis zwischen Krankenhäusern und [X.]n - können mit einem schlichten Hinweis auf ein nicht weiter abgeleitetes und konkretisiertes, quasi überpositives "Gebot der Waffengleichheit" nicht überspielt werden. Das Gesetz zielt gerade darauf ab, bestehende Ungleichgewichte auszugleichen, etwa das [X.] zwischen Krankenhaus und [X.] durch Informationsgebote (zB §§ 301, 276 Abs 2 [X.]) und die Ablehnung einer Vermutung für die Richtigkeit der Krankenhausabrechnung (vgl dazu [X.] 99, 111 = [X.]-2500 § 39 [X.]0, Rd[X.]9; [X.], 181 = [X.]-2500 § 109 [X.], [X.] und Rd[X.]0-22 mwN) oder die Vorleistungspflicht des Krankenhauses durch das kompensatorische Beschleunigungsgebot (vgl [X.], 141 = [X.]-2500 § 275 [X.], Rd[X.]7).

Die Rechtsprechung des früher ebenfalls für das Leistungserbringungsrecht der Krankenhäuser zuständigen 3. BSG-Senats schränkte die Möglichkeit ein, [X.] von [X.]n nach Ablauf einer Frist von sechs Wochen seit Rechnungsstellung nachzufordern. Diese Rechtsprechung berief sich auf den Grundsatz der "Waffengleichheit", die Regelung des § 275 Abs 1c [X.] und [X.] und Glauben. Sie erlaubte eine Nachforderung - von offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen - nur noch dann, wenn sie über 100 Euro (ab 25.3.2009: über 300 Euro) lag und zudem [X.] des Ausgangsrechnungswerts erreichte (vgl zum Ganzen [X.] 105, 150 = [X.]-2500 § 109 [X.]0 LS 1 und 2). Der für das Krankenhausrecht nunmehr allein zuständige erkennende Senat gibt diese aus dem Grundsatz der "Waffengleichheit" gefolgerte Rechtsauffassung auf (kritisch auch Leber, [X.] 2010, 665; [X.], [X.] 2011, 48). Soweit aus einem Hinweis des erkennenden Senats in einem obiter dictum, dass die zitierte Rechtsprechung des 3. BSG-Senats den vom erkennenden Senat genutzten Grundsätzen nicht entgegensteht, sondern hierauf aufbaut und sie ergänzt, eine Billigung ableitbar ist (BSG [X.]-2500 § 109 [X.]7 Rd[X.]0), hält er hieran klarstellend nicht mehr fest.

[X.]) Die nachträgliche Geltendmachung von "[X.]" (dazu [X.], [X.] 6/2011 [X.] 5; [X.] NZS 2013, 685, 691) ist dem Krankenhaus auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Rechtsausübung wegen wi[X.]prüchlichen Verhaltens verwehrt. Die Rechtsordnung sanktioniert wi[X.]prüchliches Verhalten einer [X.] grundsätzlich nicht mit einem automatischen [X.] (vgl etwa [X.], 169, 177: "Es verstößt grundsätzlich nicht gegen [X.] und Glauben, wenn eine [X.] sich nachträglich auf die Unwirksamkeit einer von ihr abgegebenen Willenserklärung beruft"; [X.] Urteil vom 5.12.1991 - [X.] - NJW 1992, 834). Wi[X.]prüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist ([X.]Z 32, 273, 279; [X.] Urteil vom 6.3.1985 - [X.] - NJW 1985, 2589, 2590; [X.] Urteil vom 20.3.1986 - III ZR 236/84 - NJW 1986, 2104, 2107) oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen ([X.]Z 50, 191, 196; [X.]Z 94, 344, 354). Danach ist ein Krankenhaus nur dann unter dem Gesichtspunkt wi[X.]prüchlichen Verhaltens daran gehindert, eine Nachforderung zur Schlussrechnung geltend zu machen, wenn die [X.] auf die Schlussrechnung vertraut hat und ihr Vertrauen schutzwürdig ist. In jedem Einzelfall müssen die Interessen des Krankenhauses und die der [X.] umfassend geprüft und gegeneinander abgewogen werden. Die Schutzwürdigkeit der [X.] kann sich insbesondere daraus ergeben, dass sie auf eine abschließende Berechnung der [X.] vertraut hat und vertrauen durfte und sich darauf in einer Weise eingerichtet hat, dass ihr eine Nachforderung nach [X.] und Glauben nicht zugemutet werden kann (vgl auch [X.]Z 120, 133, 139 f; [X.] Urteil vom 19.2.1998 - [X.] - Juris Rd[X.] 37). Ein solcher (Einzel-)Fall liegt hier nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass und welcher Art sich die Beklagte nach der erteilten Schlussrechnung vom [X.] darauf eingestellt haben soll, dass die Klägerin im noch laufenden Geschäfts- bzw Rechnungsjahr keine Nachforderung geltend macht (bei Nachforderungen nach Ablauf eines Geschäftsjahrs s BSG [X.]-2500 § 109 [X.]7 Rd[X.]4; BSG [X.]-2500 § 109 [X.]9). Bei einer sowohl auf Seiten der [X.] als auch auf Seiten des Krankenhauses bestehenden Massenverwaltung sind Korrekturen aufgrund unbeabsichtigter Abrechnungsfehler zu erwarten (vgl auch [X.] NZS 2013, 685, 691). Es bedarf grundsätzlich einzelfallbezogener besonderer Umstände, um ein schützenswertes Vertrauen der [X.] darauf zu begründen, dass keine Nachberechnung erfolgt.

Die Beklagte kann sich zur Begründung auch nicht auf eine sinngemäße Anwendung der Rechtsgedanken der Regelung des § 275 Abs 1c [X.] V stützen. Der ungenutzte Ablauf der [X.] des § 275 Abs 1c [X.] V bewirkt schon vom rechtlichen Ansatz her keinen Einwendungsausschluss ([X.], 156 = [X.]-2500 § 114 [X.], Rd[X.] 39 mwN). Er führt lediglich dazu, dass [X.] und [X.] bei einzelfallbezogenen Auffälligkeitsprüfungen nach Ablauf der Frist auf die Daten beschränkt sind, die das Krankenhaus der [X.] im Rahmen seiner Informationsobliegenheiten bei der Krankenhausaufnahme und zur Abrechnung - deren vollständige Erfüllung vorausgesetzt - jeweils zur Verfügung gestellt hat (vgl [X.], 156 = [X.]-2500 § 114 [X.], Rd[X.] 39 mwN; BSG [X.]-2500 § 301 [X.] Rd[X.]8 mwN). Dies hindert das Krankenhaus nach Fristablauf nicht daran, dem [X.] angeforderte Sozialdaten aus freien Stücken zur Verfügung zu stellen. Es ist bloß berechtigt, entsprechende Anforderungen zu verweigern und ggf abzuwehren. Ebenso bleibt das Recht der [X.] unberührt, für eine Prüfung andere zulässige Informationsquellen zu nutzen (vgl zB BSG [X.]-2500 § 301 [X.] Rd[X.] 33, 35). Der ungenutzte Ablauf der Frist des § 275 Abs 1c [X.] V hindert hingegen die [X.]n nicht, die Abrechnung des Krankenhauses auf dieser Grundlage wegen Auffälligkeit zu prüfen. Das Recht der [X.]n, die Abrechnung sachlich und rechnerisch zu prüfen, bleibt gänzlich unberührt.

Schließlich fehlt für die Voraussetzung, dass die Nachforderung des Krankenhauses [X.] des Ausgangsrechnungswerts betragen muss, im [X.]srecht jegliche Stütze. Der erkennende Senat sieht in den Grundsätzen von [X.] und Glauben (§ 242 BGB) keine hinreichende Rechtsgrundlage, um eine solche gegriffene Bagatellgrenze gesetzesgleich zu begründen, zumal sie bei kostenintensiven stationären Behandlungen erhebliche wirtschaftliche Bedeutung erlangen kann (vgl zur Kritik zB [X.], [X.] 1/2011 [X.] 5; [X.], NZS 2013, 685, 691; [X.], [X.] 6/2011 [X.] 5).

Ein möglicher Ausgleichsmechanismus für den Mehraufwand der [X.]n bei Nachforderungen, auf den die Beklagte generell hinweist, kann sich aus - der Höhe nach ggf zu schätzenden (§ 287 ZPO) - Schadensersatzansprüchen ergeben. Verletzen Krankenhäuser schuldhaft die sich aus ihren Rechtsbeziehungen zu [X.]n ergebenden (Neben-)Pflichten (§ 69 Abs 1 [X.]), können [X.]n solche Ansprüche geltend machen. Die Beklagte hat derartige Ansprüche hier aber nicht (im Wege der Aufrechnung oder der Widerklage) geltend gemacht.

3. Der Zinsanspruch beruht auf § 12 [X.]BV iVm § 14 [X.]BV iVm § 286 Abs 1 S 2, § 288 BGB (vgl BSG [X.]-2500 § 69 [X.] 7).

4. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

Meta

B 1 KR 33/15 R

19.04.2016

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Hamburg, 29. Oktober 2013, Az: S 28 KR 217/11, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 45 SGB 1, § 12 Abs 1 SGB 5, § 39 Abs 1 S 2 SGB 5, § 109 Abs 4 S 3 SGB 5, § 112 Abs 1 SGB 5, § 112 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 5, § 275 Abs 1c S 2 SGB 5, § 242 BGB, § 287 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.04.2016, Az. B 1 KR 33/15 R (REWIS RS 2016, 12808)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12808

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1 BvR 274/12

1 BvR 2493/10

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