Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.09.2019, Az. 2 StR 68/19

2. Strafsenat | REWIS RS 2019, 3745

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Gegenstand

Minder schwerer Fall bei Betäubungsmittelhandel


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. September 2018 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen, soweit es ihn betrifft und er verurteilt ist, aufgehoben

a) im Einzelstrafausspruch zu [X.] der Urteilsgründe sowie im [X.],

b) hinsichtlich der Einziehung des Smartphones [X.] mit SIM-Karte,

c) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Bestimmens einer Person unter 18 Jahren zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 21 Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Außerdem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen.

2

1. [X.] wie auch die [X.] in den Fällen II.1 bis 21 der Urteilsgründe weisen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

3

2. a) Hingegen begegnet der Strafausspruch im [X.] der Urteilsgründe durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

4

Die [X.] hat in diesem Fall, in dem es den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln verurteilt hat, die Annahme eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG verneint. Es hat im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung eine Reihe von [X.] angeführt (über die Anklage hinausreichendes Geständnis, weiche Droge, aufgrund eigenen [X.]s gegebene Tatgeneigtheit des „praktisch über keine Voreintragungen verfügenden“ Angeklagten, teilweise Sicherstellung des Marihuanas) und dem - insoweit als gegen den Angeklagten sprechenden Umstand - die Menge der sichergestellten (zutreffend: gehandelten) Betäubungsmittel mit einem Wirkstoffgehalt von 19,1 %, die „fast um ein Drittel die Grenze der nicht geringen Menge“ übersteige, gegenüber gestellt. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist zwar die Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge bei der Prüfung eines minder schweren Falles grundsätzlich von Bedeutung. Indes spricht nicht jede über dem Grenzwert liegende Wirkstoffmenge als möglicher strafschärfender Umstand gegen die Annahme eines minder schweren Falles. Je geringer die Überschreitung des Grenzwerts ist, desto näher kann die Annahme eines minder schweren Falles liegen. Eine nur geringe Grenzwertüberschreitung wird deshalb ein Kriterium für die Annahme eines minder schweren Falles sein, während eine ganz erhebliche Überschreitung gegen die Annahme eines solchen spricht (BGHSt 62, 90, 93; Beschluss vom 16. Januar 2019 - 2 StR 488/18).

6

bb) Die im [X.] der Urteilsgründe gehandelten Betäubungsmittel wiesen einen Wirkstoffgehalt von rund 19 g THC auf, was einer Überschreitung des Grenzwerts um das 2,5-fache entspricht. Dies stellt entgegen der Ansicht des [X.]s jedenfalls keinen bestimmenden [X.] dar. Angesichts des Umstands, dass das [X.] weitere strafschärfende Umstände nicht in die Gesamtabwägung eingestellt und im Übrigen eine Reihe von [X.] bei seiner Gesamtwürdigung berücksichtigt hat, kann der [X.] nicht ausschließen, dass das [X.] ohne die beanstandete Erwägung zur Annahme eines minder schweren Falles und damit auch zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.

7

b) Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs entzieht auch dem [X.] die Grundlage.

8

3. Auch die Einziehung des Smartphones [X.] mit SIM-Karte begegnet - im Gegensatz zu den weiteren Einziehungsentscheidungen der [X.] - durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

9

Das [X.] hat dieses Smartphone wie auch das andere eingezogene Mobiltelefon (Typ [X.] 1200 i) als Tatmittel im Sinne von § 74 Abs. 1 StGB angesehen, hat aber nicht durch Tatsachen belegt, dass es tatsächlich zur Begehung oder Vorbereitung einer der Taten gebraucht worden ist. Während die [X.] festgestellt hat, dass das Mobiltelefon vom Typ [X.] 1200 i der Kontaktaufnahme mit den Betäubungsmittelhändlern diente und gelegentlich stundenweise dem gesondert verfolgten [X.] überlassen wurde, fehlen Hinweise darauf, inwieweit auch das Smartphone [X.] im Rahmen der abgeurteilten Taten Verwendung gefunden hat oder hätte finden sollen. Auch den Ausführungen des [X.]s zu den „Erkenntnissen der Telekommunikationsüberwachung und der Mobilfunkauswertung“ lässt sich dies nicht entnehmen.

4. Schließlich erweist sich die landgerichtliche Entscheidung auch insoweit als rechtsfehlerhaft, als die [X.] keine ausdrückliche Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB getroffen hat.

a) Nach den Feststellungen des [X.]s begann der Angeklagte, der aufgrund seines Marihuanakonsums tatgeneigt war und das Marihuana teilweise auch zum Eigenkonsum erwarb, um das [X.] herum damit, Marihuana zu konsumieren. Er steigerte seinen [X.] allmählich bis zu einer Dosis von insgesamt 2 g täglich. Dies diente nach den Angaben des Angeklagten dazu, Alltagsprobleme und Stress zu bewältigen. Im Rahmen seiner Inhaftierung ist es dem Angeklagten nach seinen eigenen Angaben gelungen, seinen Marihuanakonsum vollständig einzustellen. Das [X.] hat „im Hinblick auf den im Tatzeitraum praktizierten [X.] durch den Angeklagten und seine Taten sowie der nach dem Eindruck gefestigten Bereitschaft des Angeklagten, sich in naher Zukunft einer Entwöhnungstherapie zu unterziehen, die Zustimmung für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG bereits zum jetzigen Zeitpunkt erteilt“.

b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen erweist sich die fehlende Erörterung der Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Die mitgeteilten Umstände des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten und dessen Auswirkungen auf die Begehung der abgeurteilten Straftaten weisen zumindest darauf hin, dass der Angeklagte nicht nur den Hang hat, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, sondern dass auch ein symptomatischer Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten gegeben ist. Soweit die [X.] § 64 Satz 1 StGB möglicherweise deswegen nicht erkennbar geprüft hat, weil der Angeklagte nach seinen Angaben seit seiner Inhaftierung nicht mehr konsumierte, hätte sie der Beurteilung ein zu enges Verständnis des Hangs zugrunde gelegt (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], [X.], 330). Im Übrigen ist das [X.] - wie sich den Ausführungen zur Zustimmung einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG entnehmen lässt - (wohl) selbst von einer noch bestehenden Abhängigkeit des Angeklagten ausgegangen. Da sich den Urteilsgründen auch keine Umstände entnehmen lassen, welche die Prognose zuließen, dass eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB nicht besteht, weitergehend sogar von einer „gefestigten Bereitschaft des Angeklagten“ auszugehen ist, sich in naher Zukunft einer Entwöhnungstherapie zu unterziehen, und damit die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht einer Unterbringung nahe liegt, versteht sich die Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB auch insoweit nicht von selbst.

c) Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf daher neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (BGHSt 38, 362).

Franke     

        

Krehl     

        

Eschelbach

        

Zeng     

        

Meyberg     

        

Meta

2 StR 68/19

11.09.2019

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 25. September 2018, Az: 92 KLs 3/18

§ 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 29a Abs 2 BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.09.2019, Az. 2 StR 68/19 (REWIS RS 2019, 3745)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3745

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 452/23

2 StR 327/23

1 StR 335/22

202 StRR 11/23

1 StR 350/20

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