Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2015, Az. VII ZB 50/14

7. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 10878

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Gegenstand

Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen: Pfändbarkeit eines Anspruchs eines Hafenlotsen in Bremen auf Zahlung anteiligen Lotsgeldes


Leitsatz

Zur Pfändung eines Anspruchs eines Hafenlotsen auf Zahlung anteiligen Lotsgeldes.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Drittschuldnerin wird der Beschluss des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des [X.] vom 24. September 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichter) zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben, § 21 GKG.

Gegenstandswert: 200.000 €

Gründe

I.

1

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einer vollstreckbaren notariellen Urkunde.

2

Der Schuldner ist [X.] der [X.] und gemäß §§ 1, 5 [X.] (Lotsenordnung für das [X.]nwesen in [X.] vom 28. November 1979, [X.]. [X.]. [X.]) als solcher Mitglied der als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Drittschuldnerin. Die [X.]n üben ihre Tätigkeit gemäß § 23 [X.] als freien, nicht gewerblichen Beruf aus. Der Drittschuldnerin obliegt die Selbstverwaltung des [X.]nwesens. In diesem Rahmen verwaltet sie gemäß § 35 Nr. 6 [X.] die Lotsgelder, die die ihr angehörenden [X.]n aufgrund der jeweils geschlossenen Verträge zwischen ihnen und den Reedern der zu lotsenden Schiffe beanspruchen können und die gemäß § 43 [X.] von dem zuständigen Hafenamt oder einem beauftragten Dritten eingezogen werden. Die eingezogenen Lotsgelder werden auf ein von der Drittschuldnerin geführtes [X.] geleitet und von ihr nach Maßgabe der von den Mitgliedern beschlossenen [X.] - nach Abzug näher bestimmter Kosten - regelmäßig zu gleichen Teilen an die [X.]n ausgezahlt. Die Auszahlungen erfolgen monatlich in Form einer vom jeweiligen Kassenbestand abhängigen Abschlagszahlung; ein zum Ablauf des Kalenderjahres etwa vorhandener Überschuss wird gleichmäßig auf alle Mitglieder aufgeteilt.

3

Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - einen Beschluss erlassen, mit dem wegen eines Teilbetrages in Höhe von 200.000 € der titulierten Hauptforderung unter anderem die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Zahlung des gesamten gegenwärtigen und künftigen Arbeitseinkommens sowie auf Vergütungen aus Werk- und Dienstleistungsverträgen gepfändet und zur Einziehung überwiesen worden sind. Die von der Drittschuldnerin eingelegte Erinnerung hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Drittschuldnerin ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen richtet sich die von dem Einzelrichter zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der die Drittschuldnerin ihr Begehren weiterverfolgt.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat.

6

2. Die Entscheidung des Einzelrichters unterliegt der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Einzelrichter durfte über die Zulassung nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der Kammer übertragen müssen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. März 2003 - [X.] 134/02, [X.]Z 154, 200, 202; vom 10. April 2003 - [X.], [X.], 1252, 1253; vom 11. September 2003 - [X.], NJW 2003, 3712; vom 24. Juli 2008 - [X.], juris Rn. 7; vom 5. Mai 2011 - [X.], juris Rn. 5; vom 24. November 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 441 Rn. 6 ff.; vom 12. Januar 2012 - [X.], juris Rn. 4).

7

3. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den Einzelrichter, der den angefochtenen Beschluss erlassen hat.

8

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

9

a) aa) Die Rechtsbeschwerde macht geltend, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei schon deshalb aufzuheben, weil nicht die zutreffenden Verfahrensvorschriften angewandt worden seien. Hier komme nur eine Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte in Betracht. Dem einzelnen [X.]n stehe an der Geldforderung aller [X.]n gegen die Drittschuldnerin eine Bruchteils-Mitberechtigung in Höhe des jeweils zur Verteilung anstehenden Betrages zu. In dieses Vermögensrecht sei nach Maßgabe des § 857 Abs. 1 ZPO zu vollstrecken, wobei Drittschuldner auch die übrigen [X.]n als weitere Mitberechtigte seien.

bb) Diese Rechtsansicht überzeugt nicht. Die Pfändung und Überweisung einer angeblichen Forderung darf nur dann abgelehnt werden, wenn sie dem Schuldner gegenüber dem bezeichneten Drittschuldner nach keiner vertretbaren Rechtsansicht zustehen kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Oktober 2012 - [X.], [X.], 2247 Rn. 7 f. und vom 12. Dezember 2007 - [X.], NJW-RR 2008, 733 Rn. 10). Diese Voraussetzungen dürften vorliegend nicht erfüllt sein.

(1) Die Gläubigerin hat die angeblichen Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Zahlung des gesamten gegenwärtigen und künftigen Arbeitseinkommens sowie auf Vergütungen aus Werk- und Dienstleistungsverträgen gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. Dies beinhaltet die hier in Rede stehenden Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf monatliche Zahlung der auf ihn entfallenden anteiligen Lotsgelder sowie auf Zahlung eines etwaigen Überschusses zum Ablauf des Kalenderjahres.

(2) Dem Schuldner können solche Ansprüche gegen die Drittschuldnerin auf der Grundlage der Regelung des § 35 Nr. 6 [X.] in Verbindung mit der betreffenden [X.] B. zustehen.

Nach der Ausgestaltung der Selbstverwaltung des [X.]nwesens handelt es sich dabei um Ansprüche des einzelnen [X.]n gegen die die Lotsgelder verwaltende Drittschuldnerin als eigenständige juristische Person. Die [X.]n bilden entgegen der Auffassung der Beschwerde keine Bruchteilsgemeinschaft hinsichtlich der die Lotsgelder betreffenden Ansprüche mit der Folge, dass eine Anteilspfändung gemäß § 857 Abs. 1 ZPO erforderlich wäre. Sie sind vielmehr in der Weise organisiert, dass sie als Mitglieder der Drittschuldnerin angehören, bei der es sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts um eine juristische Person handelt. Aufgabe der Drittschuldnerin ist unter anderem die Verwaltung der von den [X.]n insgesamt erwirtschafteten Lotsgelder. Diese Aufgabe ist nach § 35 Nr. 6 [X.] in Verbindung mit der [X.] B. derart geregelt, dass die Drittschuldnerin verpflichtet ist, ein [X.] zu führen und nach Abzug der festgelegten Kosten von den eingehenden Lotsgeldern anteilige monatliche Zahlungen als Abschläge an ihre jeweiligen Mitglieder vorzunehmen und nach Ablauf des Kalenderjahres etwaige Überschüsse auszukehren. Mit dieser Verpflichtung der Drittschuldnerin korrespondiert das Bestehen entsprechender Zahlungsansprüche der einzelnen Mitglieder gegen sie. Daraus folgt weiter, dass sich diese Zahlungsansprüche ausschließlich gegen die Drittschuldnerin richten und deren - im Bestand wechselnde - Mitglieder insoweit nicht als weitere Drittschuldner einzubeziehen sind.

(3) Die danach in Betracht kommenden gesonderten Zahlungsansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin, die auf den ihm zustehenden Anteil an dem gemeinsam erwirtschafteten Gewinn gerichtet sind, können zum Gegenstand eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gemäß §§ 829, 835 ZPO gemacht werden. Sie gehören ausschließlich zu dessen Vermögen. Eine Einschränkung der Pfändbarkeit ergibt sich auch nicht aus § 851 ZPO. Das Beschwerdegericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass diese Ansprüche übertragbar sind.

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zu beanstanden, dass der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO in Bezug nimmt. Denn die von dem Beschluss erfassten Forderungen sind als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 2 ZPO einzuordnen. Der Umstand, dass der [X.] seine Tätigkeit als freien Beruf ausübt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich bei den erwirtschafteten Lotsgeldern, die von der Drittschuldnerin nach Maßgabe der Regelung des § 35 Nr. 6 [X.] in Verbindung mit der [X.] jeden Monat anteilig an ihre Mitglieder ausgezahlt werden, um Vergütungen handelt, die die Existenzgrundlage der Mitglieder bilden, weil sie deren Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen (vgl. [X.], Urteil vom 5. Dezember 1985 - [X.], [X.]Z 96, 324, 326 ff. m.w.N.). Dies führt zur Anwendbarkeit des § 850c ZPO. Dem Schuldner bleibt die Möglichkeit, durch einen Antrag nach § 850f ZPO gegebenenfalls eine höhere Pfändungsfreigrenze zu erreichen. Ein solcher Antrag ist hier nicht gestellt worden.

[X.]                        Halfmeier                        [X.]

            Jurgeleit                           [X.]

Meta

VII ZB 50/14

20.05.2015

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Stade, 24. September 2014, Az: 9 T 62/14

§ 829 ZPO, § 835 ZPO, § 850 Abs 2 ZPO, § 850c ZPO, § 1 LotsBRHO BR, § 4 LotsBRHO BR, § 5 LotsBRHO BR, § 23 LotsBRHO BR, § 35 Nr 6 LotsBRHO BR, § 43 LotsBRHO BR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2015, Az. VII ZB 50/14 (REWIS RS 2015, 10878)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10878

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