Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2011, Az. 2 StR 338/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10092

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 338/10 vom 26. Januar 2011 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen besonders schweren Raubes pp. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 26. Januar 2011, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Prof. Dr. [X.] und [X.] am [X.] Prof. [X.], [X.], Prof. Dr. [X.], [X.], Oberst[X.]tsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. November 2009 mit den Feststellungen aufge-hoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Gründe: Das [X.] hat die Angeklagten [X.]und [X.]

wegen beson-ders schweren Raubs jeweils zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, den [X.] [X.]wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub zu einer Frei-heitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO Erfolg, da die [X.] nicht vorschriftsmäßig besetzt war. 1 1. Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Vor Beginn der Hauptverhandlung teilte die Schöffin

S. dem [X.] mit, sie wolle von ihrem [X.]amt zurücktreten, da sie —sehr schlecht deutschfi könne. Am 8. Oktober 2009 führt die Vorsitzende der [X.] ein Telefonat mit der Schöffin. Sie vermerkt, diese habe sehr gebrochen deutsch gesprochen und das Telefon wegen Verständigungsschwierigkeiten an eine Kollegin weiterge-reicht. Den Antrag der Schöffin, sie von der [X.]liste zu streichen, wies das 2 - 4 - [X.] durch [X.]uss vom 9. Oktober 2009 zurück, da ein gesetzlicher Grund nicht gegeben sei. In der Hauptverhandlung war die Kammer mit S. als nach der [X.]liste zuständigen Schöffin besetzt. An sämtlichen Hauptverhandlungstagen nahm eine Dolmetscherin für die [X.], die für die Schöffin herangezogen worden war, an der Sitzung teil. Sie war auch bei allen Beratungen der Kammer einschließlich der Urteilsberatung anwesend. Vor Vernehmung der Angeklagten zur Sache erhoben deren Verteidiger jeweils einen [X.], mit dem sie beanstandeten, die mangelnden Deutschkenntnisse der Schöffin S.
begründeten deren Unfähigkeit zum Füh-ren des [X.]amts. Durch [X.]uss vom 28. Oktober 2009 hat die Kammer den Einwand zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Fall ei-nes der [X.] nicht hinreichend mächtigen Richters sei gesetzlich nicht geregelt. Es sei daher davon auszugehen, dass [X.] an der Ausübung des Amts nicht gehindert sei; die Hinzuziehung eines Dolmetschers sei deshalb zulässig und geboten. 3 2. Die Rüge hat Erfolg weil die Schöffin aufgrund ihrer unzureichenden Deutschkenntnisse an der Verhandlung nicht teilnehmen durfte, so dass die Kammer nicht vorschriftsmäßig besetzt war, § 338 Nr. 1 StPO. 4 a) Es ist anerkannt, das Mängel in der Person eines Richters oder Schöf-fen, die seine Unfähigkeit zur Teilnahme an Verhandlungen begründen, zu [X.] [X.]. § 338 Nr. 1 StPO führen ([X.] StPO 53. Aufl. § 338 Rn. 10; [X.]/[X.] 26. Aufl. § 46 Rn. 36). So ist, obwohl dies gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist, [X.] regelmäßig nicht fähig, an Verhandlungen teilzunehmen. Dies folgt aus dem die Hauptverhandlung be-herrschenden Grundsatz der Mündlichkeit, der die Fähigkeit voraussetzt, [X.] - 5 - sprochenes akustisch wahrzunehmen und sich in dem durch Rede und [X.] gekennzeichneten Gang der Hauptverhandlung mündlich zu äußern (vgl. BGHSt 4, 191, 193; [X.] in [X.] Kommentar 6. Aufl. § 338 Rn. 50; [X.] StPO 5. Aufl. § 338 Rn. 10). 6 Nach ständiger Rechtssprechung kann [X.] nicht an einer tatrichterlichen Hauptverhandlung in Strafsachen mitwirken, da dies ge-gen den [X.] verstößt (BGHSt 4, 191, 193 f.; 34, 236, 238; 35, 164, 166). Das [X.] hat die Streichung eines blinden [X.] von der [X.]liste unter Hinweis auf den strafprozessualen [X.] als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ange-sehen (vgl. [X.]. v. 7. November 1989 [X.] 2 BvR 467/89; [X.] NJW 2004, 2150). b) Entsprechendes gilt für einen [X.], der der [X.] nicht hinreichend mächtig ist. 7 [X.]) Bis zum 29. Juli 2010 war die Frage der Notwendigkeit einer Sprach-kompetenz von [X.] gesetzlich nicht geregelt, so dass insoweit eine Ge-setzeslücke bestand. § 31 Satz 2 [X.] regelt ausdrücklich nur, dass das [X.] —nur von Deutschenfi versehen werden kann. Die [X.] St[X.]tsange-hörigkeit setzt aber nicht notwendig die Beherrschung der [X.] voraus. [X.] war die Frage, ob ein sprachunkundiger Schöffe ge-hindert ist, an Verhandlungen teilzunehmen, nicht entschieden; in der Literatur wurde sie kontrovers diskutiert. Von der Instanzrechtsprechung und Teilen der Literatur wurde vertreten, dass fehlende Sprachkenntnisse die Unfähigkeit ei-nes [X.] zum Führen dieses Amts begründeten (so [X.], 3227; [X.], [X.]. v. 2. November 2005, [X.]. 501 Schöff 271/04; [X.] [X.]. v. 16. März 2006, [X.]. 3221b [X.]; [X.] 8 - 6 - 53. Aufl. § 31 Rn. 3; [X.] Lehrkommentar zur StPO und zum [X.] § 31 Rn. 4; [X.] in [X.] § 31 [X.] Rn. 5). Die [X.] ([X.]. § 31 [X.] Rn. 3; [X.]/[X.] [X.] 6. Aufl. § 31 [X.] Rn. 11 sowie § 193 Rn. 20; [X.] StPO 4. Aufl. § 31 [X.] Rn. 3; zweifelnd [X.] in [X.] 25. Aufl. § 193 [X.] Rn. 29; in diese Richtung auch [X.] in [X.] Kommentar 6. Aufl. § 31 [X.] Rn. 2) berief sich auf eine Entscheidung des [X.] ([X.], 399, 400) aus dem [X.], die sich auf Geschworene im Sinne der damali-gen Gerichtsverfassung bezog und annahm, das Gesetz lasse eine Anfechtung des Spruchs der Geschworenen nicht deshalb zu, weil einer der Geschworenen wegen Mängel der erforderlichen geistigen Fähigkeiten, Unaufmerksamkeit oder mangelhafter Kenntnis der [X.] zur pflichtgemäßen Abgabe des Spruchs nicht imstande gewesen sei. [X.]) Der Gesetzgeber hat das Bedürfnis gesehen, diese Rechtsfrage ei-ner Klärung zuzuführen; er hat durch das Vierte Gesetz zur Änderung des [X.] vom 24. Juli 2010 ([X.]) erstmals eine Regelung zur notwendigen Sprachkompetenz von [X.] geschaffen. § 33 Nr. 5 [X.] in der ab 30. Juli 2010 geltenden Fassung sieht vor, dass —[X.], die mangels ausreichender Beherrschung der [X.] für das Amt nicht geeignet sindfi, zum [X.]amt nicht berufen werden sollen (vgl. schon Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 15/5950). Wird gegen die Soll-Vorschrift des § 33 [X.] verstoßen, ist der Schöffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 [X.] von der [X.]liste zu streichen. Zwar handelt es sich bei § 33 [X.] um eine bloße Ordnungsvorschrift; aus einem Verstoß hiergegen ergibt sich nicht schon ohne Weiteres eine gesetzwidrige Besetzung (BGHSt 30, 255, 257; 33, 261, 269). Der [X.] greift vielmehr nur durch, wenn der der Ungeeignetheit [X.]. § 33 [X.] zugrunde liegende Umstand die Unfähigkeit 9 - 7 - des [X.] begründet, der Verhandlung zu folgen. Die Neuregelung in § 33 Nr. 5 [X.] und die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 17/2350) lassen aber den eindeutigen Willen des Gesetzgebers erkennen, dass nicht hinreichend sprach-kundige [X.] dieses Amt nicht ausüben sollen. Der Umstand, das der Ge-setzgeber auf die Anordnung einer rückwirkenden Anwendung von § 33 Nr. 5 [X.] auf am 30. Juli 2010 bereits anhängige Verfahren verzichtet hat, beruht auf der Zielsetzung, diese Prozesse nach alter Rechtslage abschließen zu [X.]. Sie bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber für die [X.] vor Inkrafttreten des § 33 Nr. 5 [X.] die Erforderlichkeit der Sprachkompetenz von [X.] abwei-chend hätte beurteilen wollen. [X.]) Der Senat bejaht die Erforderlichkeit einer hinreichenden Sprach-kompetenz bei [X.] auch für die Rechtslage vor der Neuregelung in § 33 Nr. 5 [X.]. Der in der Strafprozessordnung verankerte Verfahrensgrundsatz der Unmittelbarkeit (§§ 261, 264 StPO) verlangt, dass das Urteil auf einer um-fassenden Würdigung der unmittelbar vor dem erkennenden Gericht erhobenen Beweise beruht. Hierzu ist erforderlich, dass der erkennende Tatrichter Pro-zessabläufe akustisch und optisch wahrnehmen und verstehen und sich [X.] - ohne Zuhilfenahme von Sprachmittlern - mit den übrigen Verfahrensbe-teiligten in der [X.] - diese ist gemäß § 184 Satz 1 [X.] deutsch - verständigen kann. Hieraus folgt, dass [X.] der [X.]n Spra-che mächtig sein müssen. § 186 [X.] regelt folgerichtig die Verständigung des Gerichts mit hör- und sprachbehinderten Personen, nicht aber umgekehrt die Verständigung bei Vorliegen einer entsprechenden Behinderung auf Seiten ei-nes Richters. Soweit § 185 [X.] die Hinzuziehung eines Dolmetschers für den Fall bestimmt, dass —unter [X.] von Personen verhandelt wird, die der [X.] nicht mächtig sind, ergibt die systematische Stellung der Vorschrift, dass diese nicht den Fall eines sprachunkundigen Richters regelt. 10 - 8 - 11 Für das aus dem [X.] abzuleitende Erfordernis ei-ner Kommunikation der Kollegialrichter untereinander in der [X.] sprechen auch Sinn und Zweck des § 193 [X.]. Dieser benennt in Abs. 1 und 2 die Personen, die an einer Beratung und Abstimmung teilnehmen dürfen, ab-schließend. Wie das [X.] ausgeführt hat, enthält § 193 [X.] ein gesetzgeberisches Leitbild, wonach die richterliche Meinungsbildung in Gremien nur den zugehörigen [X.] zur Kenntnis zu gelangen habe; hiervon ist die Öffentlichkeit grundsätzlich ausgeschlossen. Dies erst [X.] eine unbeeinflusste, sich in freier Rede und Gegenrede entwickelnde Mei-nungsbildung ([X.], [X.]. v. 28. November 2007 - 2 BvR 1431/07 Rn. 15). § 193 [X.] dient dem Schutz des [X.] gemäß §§ 43, 45 Abs. 1 Satz 2 DRiG und damit nach ständiger Rechtsprechung auch der Unab-hängigkeit der Gerichte (vgl. BGHSt 41, 119, 121). Die Vorschrift hat daher eine hohe Bedeutung für die Umsetzung des Rechtsst[X.]tsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und den Schutz der Strafrechtspflege; sie ist eng auszulegen. Sprachunkundigkeit eines erkennenden Richters ist daher im Ergebnis dem Fall der Unfähigkeit zum Sprechen oder Sehen gleichzusetzen. Zwar kann ein sprachunkundiger Schöffe Prozessvorgänge grundsätzlich akustisch wahr-nehmen und mit Hilfe eines Dolmetschers auch mit den Prozessbeteiligten kommunizieren. Es ist ihm allerdings nicht möglich, sich mit den übrigen [X.] unmittelbar zu verständigen. Er kann daher an einer Hauptverhandlung in Strafsachen nicht als Laienrichter teilnehmen. Dies hat der Gesetzgeber des [X.] zum [X.] klargestellt. 12 - 9 - Da die Rüge des Verstoßes gegen § 338 Nr. 1 StPO durchgreift, kommt es auf die gesondert erhobene Rüge eines Verstoßes gegen § 193 [X.] nicht mehr an. 13 Frau Vors. [X.] Prof. Dr. [X.] ist wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer Fischer

[X.]Herr RiBGH [X.] ist

wegen Erkrankung an der Unterschriftsleistung gehindert. [X.]

Meta

2 StR 338/10

26.01.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2011, Az. 2 StR 338/10 (REWIS RS 2011, 10092)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10092

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