Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.09.2013, Az. 1 ABR 26/12

1. Senat | REWIS RS 2013, 2749

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Gegenstand

Auskunftsanspruch des Betriebsrats - erteilte und beabsichtigte Abmahnungen


Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 17. Februar 2012 - 10 TaBV 63/11 - aufgehoben.

2. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 13. April 2011 - 1 [X.] - abgeändert.

Der Antrag des Betriebsrats wird abgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Betriebsrats auf Vorlage erteilter Abmahnungen.

2

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie. Antragsteller ist der im Betrieb N gebildete Betriebsrat. Dieser verlangt von der Arbeitgeberin die Übergabe von Kopien bereits erteilter Abmahnungen sowie die Vorlage beabsichtigter Abmahnungen vor Übergabe an den betreffenden Arbeitnehmer.

3

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, er benötige die Abmahnungen, um vor dem Ausspruch von Kündigungen regulierend und arbeitsplatzerhaltend eingreifen und auf die Arbeitgeberin einwirken zu können. Die Vorlage sei auch erforderlich, um bestehende Mitbestimmungsrechte nach § 87 [X.] ausüben zu können. Den ihm von Arbeitnehmern in der Vergangenheit übergebenen Abmahnungen sei zu entnehmen, dass die Arbeitgeberin ua. wegen der Weigerung, Überstunden zu leisten, des Nichtbeachtens der Anweisung, nur bestimmte Toilettenräume aufzusuchen, sowie wegen Verstößen gegen Rauchverbote und das angeordnete Verbot von Radiohören im Betrieb Abmahnungen erteilt habe, ohne zuvor den Betriebsrat bei Erlass dieser Anweisungen beteiligt zu haben.

4

Der Betriebsrat hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - zuletzt beantragt,

        

1.    

die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihm über die ab dem 1. September 2010 bei ihr beschäftigten Mitarbeiter sowohl im gewerblichen als auch im [X.] mit Ausnahme der leitenden Angestellten und der Geschäftsführung erteilten Abmahnungen durch Vorlage des [X.] in anonymisierter Form Auskunft zu erteilen;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. der Arbeitgeberin wegen Nichtvornahme aus der Verpflichtung gemäß Ziff. 1 ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro anzudrohen.

5

Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.

6

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt diese ihren Abweisungsantrag weiter.

7

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben den Anträgen zu Unrecht entsprochen. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf die begehrte Auskunft. Der Antrag zu 2. fällt dem Senat deshalb nicht zur Entscheidung an.

8

I. Der Antrag zu 1. ist zulässig.

9

1. Das Auskunftsverlangen des Betriebsrats betrifft in der gebotenen Auslegung nur schriftlich erteilte Abmahnungen der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten und Mitglieder der Geschäftsführung. In zeitlicher Hinsicht reicht der Antrag bis zum 1. September 2010 zurück und enthält darüber hinaus ein zeitlich unbefristetes Dauerbegehren für die Zukunft. Anhaltspunkte für eine gewollte zeitliche Beschränkung lassen sich weder dem Wortlaut noch der Begründung entnehmen. Nach dem Vortrag des Betriebsrats ist mit „anonymisierter Form“ gemeint, dass die den abgemahnten Arbeitnehmer unmittelbar identifizierenden Merkmale (Name und Adresse) unkenntlich gemacht werden sollen.

2. So verstanden ist der Antrag hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es handelt sich hierbei um einen Globalantrag, der alle denkbaren schriftlichen Abmahnungen der im Antrag bezeichneten Personengruppe erfasst. Dies steht der Bestimmtheit des Antrags jedoch nicht entgegen. Ob der Antrag in allen Fällen berechtigt ist, betrifft seine Begründetheit und nicht seine Zulässigkeit ([X.] 20. November 2012 - 1 [X.] - Rn. 27 mwN).

3. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Antrag auch die Verpflichtung zur Vorlage solcher [X.] einschließt, die erst künftig nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens erteilt werden. Ein auf künftige Leistungen gerichteter Antrag ist nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 259 ZPO zulässig, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung entziehen ([X.] 6. Mai 2003 - 1 [X.] [X.] 2 b der Gründe mwN, [X.]E 106, 111). Dies ist hier der Fall. Die Arbeitgeberin hat sich in der Vergangenheit und in dem gesamten Rechtsstreit geweigert, die begehrten Auskünfte zu erteilen. Es ist daher zu besorgen, dass sie sich auch in Zukunft einer rechtzeitigen Leistung iSd. § 259 ZPO entziehen werde. Die Auskunft und Vorlage von Unterlagen nach § 80 Abs. 2 [X.] kann vom Betriebsrat „jederzeit“ ohne besonderen Anlass verlangt werden (vgl. [X.] 19. Februar 2008 - 1 [X.] - Rn. 25).

II. Der Antrag zu 1. ist unbegründet. Der vom Betriebsrat erhobene Anspruch besteht nicht.

1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 [X.] hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und nach Satz 2 Halbs. 1 dieser Bestimmung auf Verlangen die zur Durchführung der Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Hieraus folgt ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats, wenn die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist. Anspruchsvoraussetzung ist damit zum einen, dass überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben ist und zum andern, dass im Einzelfall die begehrte Information zur Wahrnehmung dieser Aufgabe erforderlich ist ([X.] 7. Februar 2012 - 1 [X.] - Rn. 7, [X.]E 140, 350). Dies hat der Betriebsrat darzulegen. Anhand seiner Angaben kann der Arbeitgeber und im Streitfall das Arbeitsgericht prüfen, ob die Voraussetzungen der Vorlagepflicht vorliegen ([X.] 16. August 2011 - 1 [X.] - Rn. 34, [X.]E 139, 25).

2. Nach diesen Grundsätzen besteht der vom Betriebsrat geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht. Es ist keine betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe des Betriebsrats ersichtlich, die die Vorlage aller [X.] erforderlich machen könnte.

a) Aus der individualrechtlichen Bedeutung der Abmahnung ergibt sich eine solche Aufgabe des Betriebsrats nicht. Dieser ist außerhalb des [X.] bei Kündigung nach § 102 [X.] bei der Erteilung von Abmahnungen nicht zu beteiligen. Mitwirkungsrechte des Betriebsrats entstehen erst dann, wenn der Arbeitgeber das Unterrichtungsverfahren nach § 102 Abs. 1 [X.] einleitet. Der Ausspruch von Abmahnungen unterliegt dagegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats ([X.] 17. Oktober 1989 - 1 ABR 100/88 - zu [X.] 3 a der Gründe, [X.]E 63, 169). Da sich der Globalantrag des Betriebsrats jedoch auch auf die Fälle der Erteilung von Abmahnungen vor Einleitung des [X.] nach § 102 Abs. 1 [X.] bezieht, ist schon die individualrechtliche Wirkung der Abmahnung nicht geeignet, den Antrag des Betriebsrats zu begründen.

b) Soweit der Betriebsrat geltend macht, die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben erfordere die Vorlage aller [X.], führt auch dies nicht zur Begründetheit des Antrags. Der Betriebsrat hat nicht aufgezeigt, für welche Aufgaben er die [X.] benötigt. Der allgemeine Hinweis auf Mitbestimmungsrechte aus § 87 [X.] ist unzureichend. Dem steht bereits entgegen, dass Abmahnungen keineswegs notwendig Sachverhalte betreffen, in denen diese Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats betroffen sind. So sind etwa bei Arbeitsvertragsverletzungen wie Tätlichkeiten oder Beleidigungen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 [X.] offensichtlich nicht berührt.

c) Der Betriebsrat hat auch nicht dargelegt, dass die Vorlage der Abmahnungen zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist. Er hat vielmehr eine Vielzahl von Abmahnungen vorgelegt, aber nicht aufgezeigt, aus welchen Gründen er ungeachtet dessen die Vorlage weiterer Abmahnungen zur Wahrnehmung und Ausübung der auf diese Sachverhalte bezogenen Mitbestimmungsrechte benötigt. Sollte der Betriebsrat der Auffassung sein, dass die den Abmahnungen zugrunde liegenden Anweisungen der Arbeitgeberin nach § 87 Abs. 1 [X.] mitbestimmungspflichtig waren und diese ihn gleichwohl nicht beteiligt hat, kann er die seiner Auffassung nach gebotenen Maßnahmen ohnehin ergreifen. Es ist weder vorgetragen noch offenkundig, dass hierzu ein weitergehender Informationsbedarf des Betriebsrats besteht. Als Globalantrag erweist sich der Antrag des Betriebsrats auch deshalb als unbegründet.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    Linck    

        

        

        

    Fasbender    

        

    Berg    

                 

Meta

1 ABR 26/12

17.09.2013

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Siegen, 13. April 2011, Az: 1 BV 30/10, Beschluss

§ 80 Abs 2 BetrVG, § 87 BetrVG, § 102 BetrVG, § 253 ZPO, § 259 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.09.2013, Az. 1 ABR 26/12 (REWIS RS 2013, 2749)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2749


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 10 TaBV 63/11

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 63/11, 17.02.2012.


Az. 1 ABR 26/12

Bundesarbeitsgericht, 1 ABR 26/12, 17.09.2013.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

9 TaBV 60/15

11 TaBV 36/15

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