Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.10.2021, Az. 3 StR 213/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 2088

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Gegenstand

Gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern: Unerlaubte Einreise von Ausländern auf dem Luftweg


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. März 2021 aufgehoben,

a) soweit es den Angeklagten [X.]          betrifft, im

aa) Schuldspruch in den Fällen 3 bis 5 unter [X.] der Urteilsgründe,

bb) gesamten Strafausspruch,

cc) Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, der den Betrag von 5.000 € übersteigt;

jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten;

b) soweit das Urteil den Angeklagten S.                betrifft; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der jeweiligen Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]          wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier tateinheitlichen Fällen sowie wegen vier weiterer Fälle des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat den Angeklagten S.               des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in drei Fällen schuldig gesprochen und mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren belegt. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet, gegen den Angeklagten [X.]          in Höhe von 8.000 €, gegen den Angeklagten S.              in Höhe von 3.000 €. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen haben den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die sachlichrechtliche Nachprüfung des allein den Angeklagten [X.]           betreffenden Schuldspruchs in den Fällen 1 und 2 (unter [X.] der Urteilsgründe) hat aus den in der Antragsschrift der [X.] dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.

3

2. Die Verurteilung beider Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in den Fällen 3 bis 5 (unter [X.] der Urteilsgründe) begegnet hingegen durchgreifenden materiellrechtlichen Bedenken.

4

a) Insoweit hat das [X.] aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung folgende Feststellungen getroffen:

5

Der Angeklagte [X.]          schloss sich spätestens im September 2018 mit mindestens zwei weiteren Personen zusammen, um auf unbestimmte Dauer [X.] Staatsangehörige gegen Bezahlung mittels erschlichener Geschäftsvisa für Kurzaufenthalte in die [X.] zu verbringen. Nach der Tatbegehung in den Fällen 1 und 2 trat spätestens im November 2019 der Angeklagte S.                 dem Personenzusammenschluss bei.

6

In Änderung des Modus Operandi gingen die Beteiligten dazu über, aufenthaltstitelpflichtige [X.] Staatsangehörige gegen Bezahlung mittels "Bordkarten Swapping" auf dem Luftweg aus [X.] über [X.] nach [X.] "einzuschleusen". Zu diesem Zweck reiste S.               im November 2019 (Fall 3), Dezember 2019 (Fall 4) und Januar 2020 (Fall 5) nach [X.] und tauschte im Transitbereich des Flughafens seine Bordkarte nach [X.] mit derjenigen einer zeitgleich aus dem [X.] angereisten Person. [X.]          stand währenddessen in Kontakt mit beiden. Nach dem Tausch flog die aus dem [X.] angereiste Person unter Verwendung der ihr überlassenen Bordkarte nach [X.]. Am Flughafen in [X.] bzw. [X.] konnte sie bei der Einreisekontrolle keinen zur Einreise berechtigenden Aufenthaltstitel vorweisen und stellte einen Asylantrag. Die auf diese Weise "geschleusten" drei [X.]n Staatsangehörigen hatten jeweils um die 10.000 € an einen sich im [X.] aufhaltenden Partner der Angeklagten gezahlt. Pro an den [X.] Flughafen verbrachter Person erhielt jeder Angeklagte mindestens 1.000 €.

7

b) Wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat, vermögen diese Feststellungen die Schuldsprüche des (dreifachen) banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b, § 97 Abs. 2 [X.] nicht zu tragen.

8

Mit § 96 Abs. 1 [X.] hat der Gesetzgeber die nach den allgemeinen Regeln als Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) strafbare Beteiligung an den in dieser Vorschrift genannten einzelnen Taten des § 95 [X.] zu selbständigen, in Täterschaft (§ 25 StGB) begangenen Straftaten heraufgestuft, wenn der Teilnehmer zugleich eines der in § 96 Abs. 1 [X.] geregelten Schleusermerkmale erfüllt (s. [X.], Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, [X.], 184). Das Einschleusen von Ausländern setzt somit eine rechtswidrige Tat desjenigen voraus, den der Täter anstiftet oder dem er Hilfe leistet.

9

In den Fällen 3 bis 5 sind dem Urteil solche Haupttaten im Sinne der allgemeinen Regeln nicht zu entnehmen, insbesondere nicht, dass - wie das [X.] angenommen hat ([X.]) - die [X.]n Staatsangehörigen nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 [X.] unerlaubt einreisten. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts lag weder eine Einreise vor, noch fehlte der erforderliche Aufenthaltstitel.

aa) [X.] hat nicht dargetan, dass, gegebenenfalls wann und wie die [X.]n Staatsangehörigen in den Fällen 3 bis 5 in die [X.] einreisten. Das Urteil verhält sich nicht zum Fortgang des konkreten Geschehens, nachdem sie die Grenzkontrolle erreicht hatten. Aus den zu diesen Fällen getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass zuvor noch keine Einreise stattfand. Im Einzelnen:

Die Einreise ist in § 13 [X.] definiert. Danach ist zwischen dem Grenzübertritt an einer zugelassenen Grenzübergangsstelle und demjenigen außerhalb einer solchen zu unterscheiden (s. [X.] [X.]/Hohoff, [X.]., § 95 [X.] Rn. 30; [X.]/[X.] in [X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 95 [X.] Rn. 44). An einer zugelassenen Grenzübergangsstelle ist ein Ausländer nach § 13 Abs. 2 Satz 1 [X.] erst eingereist, wenn er die Grenze überschritten und jene passiert hat. Für die Einreise auf dem Luftweg ist zu differenzieren zwischen Flügen, die von einem Schengenstaat kommen, mithin Binnenflügen im Sinne des Art. 2 Nr. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 2016/399 des [X.] und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen ([X.] [[X.]]), und Flügen, die von einem [X.] kommen. Da im Fall eines Binnenflugs der Flughafen nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. b [X.] als Binnengrenze gilt, findet bei einer derartigen Einreise aus einem Schengenstaat eine Grenzkontrolle nicht statt. Der Ausländer ist in diesem Fall nach § 13 Abs. 2 Satz 3 [X.] mit Betreten des Bundesgebiets am Flughafen eingereist. Bei einem aus einem [X.] kommenden Flug gilt demgegenüber der jeweilige Flughafen gemäß Art. 2 Nr. 2 [X.] als Außengrenze. Das hat zur Folge, dass sich am Flughafen die Grenzübergangsstelle im Sinne von Art. 2 Nr. 8 [X.] befindet und es für die Einreise bei der Regelung des § 13 Abs. 2 Satz 1 [X.] verbleibt (s. [X.], Urteile vom 26. Februar 2015 - 4 StR 233/14, [X.]St 60, 205 Rn. 21; vom 26. Februar 2015 - 4 StR 178/14, [X.], 184, 186; Beschluss vom 28. April 2015 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 96 Abs. 1 Nr. 1 Rn. 4; [X.]/[X.] in [X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 13 [X.] Rn. 10).

Hier starteten die Flugzeuge, mit denen die zu "[X.]" Personen landeten, in der [X.], also einem [X.]. Eine Einreise im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.] hätte deshalb jeweils erst mit dem - vom [X.] nicht festgestellten - Passieren der Grenzübergangsstelle, der Grenzkontrolle, vorgelegen.

bb) Selbst wenn dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe das für die Tatbestandsverwirklichung erforderliche Passieren der Grenzübergangsstelle für jeden der Fälle 3 bis 5 entnommen werden könnte (vgl. [X.], 30), wäre nicht festgestellt, dass die Einreise ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel erfolgt wäre.

Nach den hierzu getroffenen Feststellungen beantragten die [X.]n Staatsangehörigen jeweils sogleich bei der Einreisekontrolle Asyl. Insoweit kommt in Betracht, dass ihnen die - zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollendete - Einreise gestattet wurde (§ 18a Abs. 6 [X.]). Dies liegt jedenfalls nicht fern, weil nicht ersichtlich ist, wie es ihnen sonst gelungen sein könnte, über die Grenzkontrolle einzureisen. Eine solche Gestattung gilt als [X.], durch den die allgemeinen Regelungen des [X.]es über die Anforderungen an eine erlaubte Einreise modifiziert werden (s. [X.] in [X.], Ausländerrecht, 3. Update August 2021, § 14 [X.] Rn. 29; [X.] [X.]/Hohoff, [X.]., § 95 [X.] Rn. 33); wird sie erteilt, ist ein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 [X.] nicht erforderlich (s. Nr. 14.1.2.1.1.5 der [X.] zum [X.] des [X.] vom 26. Oktober 2009 [[X.]. S. 877]; [X.] in [X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 4 [X.] Rn. 30).

3. Die rechtsfehlerhaften Schuldsprüche in den Fällen 3 bis 5 entziehen den hierfür festgesetzten Einzelstrafen und den Gesamtstrafen die Grundlage. Auch die in den Fällen 1 und 2 gegen den Angeklagten [X.]           verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben; denn sie werden von dem dargelegten Rechtsfehler erfasst. [X.] hat bei der Strafzumessung für jede Tat des Angeklagten [X.]           strafschärfend berücksichtigt, er habe den Angeklagten S.                aus einer diesem übergeordneten Position in der Bandenstruktur heraus in Unrecht verstrickt. Da sich dessen Verurteilung - wie ausgeführt - insgesamt als rechtsfehlerhaft erweist, kann dem Angeklagten [X.]          nicht straferschwerend angelastet werden, er habe ihn zur Tatbegehung veranlasst.

4. Die Entscheidungen über die Einziehung des Werts von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c StGB) haben keinen Bestand, soweit sie auf der von dem [X.] rechtsfehlerhaft angenommenen Strafbarkeit der Angeklagten in den Fällen 3 bis 5 beruht. Die - verbleibende - gegen den Angeklagten [X.]          angeordnete Einziehung eines Geldbetrags von 5.000 € in den Fällen 1 und 2 hält demgegenüber sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.

5. Im dargelegten Umfang unterliegt das Urteil der Aufhebung. Die insoweit getroffenen Feststellungen werden indes von dem Rechtsfehler nicht berührt und bleiben aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Weitergehende Feststellungen, die den bestehenden nicht widersprechen, sind möglich und hinsichtlich des Fortgangs des Geschehens an den Grenzkontrollen des jeweiligen Flughafens in den Fällen 3 bis 5 geboten.

Schäfer     

        

Berg     

        

Anstötz

        

Kreicker     

        

Voigt     

        

Meta

3 StR 213/21

06.10.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 1. März 2021, Az: 120 KLs 38/20

§ 13 Abs 2 S 1 AufenthG, § 95 AufenthG, § 96 Abs 1 Nr 1 Buchst a AufenthG, § 96 Abs 1 Nr 1 Buchst b AufenthG, § 97 Abs 2 AufenthG, Art 2 Nr 1 Buchst b EUV 2016/399, Art 2 Nr 2 EUV 2016/399, Art 2 Nr 3 EUV 2016/399, Art 2 Nr 8 EUV 2016/399, § 26 StGB, § 27 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.10.2021, Az. 3 StR 213/21 (REWIS RS 2021, 2088)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2088

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