Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.06.2016, Az. X R 43/14

10. Senat | REWIS RS 2016, 10688

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Steuerliche Berücksichtigung eines Selbstbehalts bei einer privaten Krankenversicherung - Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren - unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren


Leitsatz

1. Der von einem Steuerpflichtigen vereinbarte und getragene Selbstbehalt ist kein Beitrag zu einer Krankenversicherung und kann daher nicht als Sonderausgabe gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG abgezogen werden.

2. Er kann nur dann als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn er die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG übersteigt.

3. Ein darüber hinausgehender Abzug des Selbstbehalts ist von Verfassungs wegen nicht geboten.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 15. August 2013  15 K 1858/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

A.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) sowie seine beiden Töchter haben private [X.] abgeschlossen. Dabei konnten aufgrund entsprechender Selbstbehalte geringere Versicherungsbeiträge mit dem Versicherungsunternehmen vereinbart werden. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2010 machte der Kläger Selbstbehalte für sich in Höhe von 1.800 € sowie für seine Töchter jeweils in Höhe von 1.080 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Da die Selbstbehalte in Höhe von insgesamt 3.960 € angesichts des Gesamtbetrags seiner Einkünfte von 190.796 € jedoch erheblich geringer waren als die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG), wirkten sie sich steuerlich nicht aus.

2

Hiergegen wandte sich der Kläger. Mit seiner --nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen-- Klage machte er geltend, ohne die Selbstbehalte träte annähernd eine Verdoppelung der Krankenversicherungsbeiträge ein. Deren fehlende steuerliche Berücksichtigung widerspreche der Rechtsprechung des [X.] ([X.]), nach der die komplette Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für die Krankenversicherung gewährleistet werden müsse. Entweder habe der Gesetzgeber die fehlende Abziehbarkeit der Selbstbehalte nicht bedacht oder es komme zu einer eklatanten Ungleichbehandlung.

3

Das Finanzgericht ([X.]) hat die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2014, 1477 veröffentlichten Urteil abgewiesen. Dem Kläger stehe wegen der Selbstbehalte kein höherer Sonderausgabenabzug im Rahmen seiner Aufwendungen für Krankenversicherungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG zu; dies sei verfassungsrechtlich nicht bedenklich.

4

Der Kläger begründet seine Revision mit dem Verstoß gegen materielles Recht. Nach der Entscheidung des [X.] vom 13. Februar 2008  2 BvL 1/06 ([X.]E 120, 125) seien Krankenversicherungsbeiträge zur Basisversorgung unbeschränkt als Sonderausgaben zu berücksichtigen, da sie das Existenzminimum eines Bürgers nicht tangieren dürften. Dieser Grundsatz werde vom [X.] nicht beachtet.

5

Das [X.] habe sein Urteil darauf gestützt, dass er, der Kläger, hinsichtlich des Selbstbehalts keine Aufwendungen zur Erlangung des Versicherungsschutzes getätigt habe. Tatsächlich habe er im Klageverfahren eine Bescheinigung der Krankenversicherung vorgelegt, aus der sich klar und deutlich ergebe, dass der Krankenversicherungsbeitrag ohne Selbstbehalt deutlich höher gewesen wäre.

6

Beim [X.] ([X.]) sei das Verfahren VI R 32/13 zur Frage anhängig gewesen, ob der Abzug von Krankheitskosten o.ä. erst nach einer Kürzung um die zumutbare Belastung mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Diesem Revisionsverfahren liege dieselbe steuerliche Problematik zugrunde, denn es bedeute keinen Unterschied, ob man einen Selbstbehalt vereinbare oder höhere Beiträge zahle.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 1. Juni 2012 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 9. Dezember 2011 dergestalt zu ändern, dass die Kosten des Selbstbehalts für ihn in Höhe von 1.800 € sowie der Selbstbehalte für seine beiden Töchter in Höhe von jeweils 1.160 € entweder als Sonderausgaben oder als Krankheitskosten bei den außergewöhnlichen Belastungen unbeschränkt abgezogen werden.

8

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

[X.].

9

Die Revision des [X.] hat keinen Erfolg.

Die Revision ist hinsichtlich eines [X.]etrages von 160 € unzulässig (unten [X.]) und wäre deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) durch [X.]eschluss zu verwerfen. Da die Revision im Übrigen zulässig ist, ist über sie einheitlich durch Urteil zu entscheiden (s. [X.]FH-Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10, [X.], 203, [X.], 380, Rz 7, m.w.N.).

Die Revision wird gemäß § 126 Abs. 2 [X.]O als unbegründet zurückgewiesen.

[X.]

Die Revision ist in Höhe von 160 € unzulässig. Der Kläger hat im Revisionsverfahren beantragt, die Kosten für den Selbstbehalt für sich in Höhe von 1.800 € und für seine beiden Töchter in Höhe von je 1.160 € --also insgesamt in Höhe von 4.120 €-- als Aufwendungen unbeschränkt zum Abzug zuzulassen. Demgegenüber lautete sein Klageantrag, "weitere 3.960 € als Sonderausgaben zu berücksichtigen".

Auch wenn die Vermutung des [X.] nahe liegt, es könne sich hierbei um ein Versehen handeln, spricht gegen eine solche Annahme, dass es der Kläger versäumt hat, den vermeintlichen Fehler klarzustellen, nachdem das [X.] in seiner Revisionserwiderung auf die Differenz hingewiesen hatte. Daher muss der angerufene [X.] von dem durch den Kläger bezifferten Antrag ausgehen.

Eine Erweiterung des Antrags, die --wie im [X.] darin liegen kann, dass der Kläger die Festsetzung der Steuer auf einen niedrigeren [X.]etrag begehrt, ist im Revisionsverfahren ausgeschlossen. Insoweit ist die Revision mangels formeller [X.]eschwer unzulässig (vgl. [X.]FH-Urteil vom 22. Dezember 2010 I R 110/09, [X.], 415, [X.], 119, Rz 30, m.w.N.).

I[X.]

Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass sich die vom Kläger getragenen Selbstbehalte im Streitfall steuerlich nicht auswirken können. Sie sind weder als Sonderausgaben (unter 1.) noch als außergewöhnliche [X.]elastungen (unter 2.) zu berücksichtigen. Der Abzug dieser Aufwendungen ist von [X.] wegen nicht geboten (unter 3.).

1. Das [X.] hat zu Recht die vom Kläger geltend gemachten Selbstbehalte nicht als Sonderausgaben in Form von [X.]eiträgen zu Krankenversicherungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 [X.]uchst. a EStG berücksichtigt.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 [X.]uchst. a EStG gehören zu den Sonderausgaben u.a. [X.]eiträge zu Krankenversicherungen, wenn sie weder [X.]etriebsausgaben noch Werbungskosten sind oder wie [X.]etriebsausgaben oder Werbungskosten behandelt werden. Als eigene [X.]eiträge des Steuerpflichtigen werden gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG auch die vom Steuerpflichtigen im Rahmen der Unterhaltsverpflichtung getragenen eigenen [X.]eiträge i.S. des [X.]uchst. a oder des [X.]uchst. b eines Kindes behandelt, für das ein Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 oder auf Kindergeld besteht.

a) Zu den [X.]eiträgen zu Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 [X.]uchst. a EStG gehören nicht nur die eigentlichen Prämien, sondern auch die üblichen mit dem Versicherungsverhältnis zusammenhängenden und vom Versicherungsnehmer zu tragenden Nebenleistungen. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 [X.]uchst. a EStG muss es sich jedoch um [X.]eiträge "zu" einer Krankenversicherung handeln. Daraus folgt, dass nur solche Ausgaben als [X.]eiträge zu Krankenversicherungen anzusehen sind, die zumindest im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stehen und damit [X.] letztlich der Vorsorge dienen (vgl. [X.]surteil vom 18. Juli 2012 [X.], [X.], 103, [X.], 821, Rz 11, m.w.N.). Aufgrund dessen hat der erkennende [X.] bei der Prüfung, ob die sog. Praxisgebühr als Sonderausgabe abziehbar ist, entschieden, dass Zahlungen aufgrund von Selbst- bzw. Eigenbeteiligungen an entstehenden Kosten keine [X.]eiträge zu einer Versicherung sind ([X.]surteil in [X.], 103, [X.], 821, a.a.O).

In seinem [X.]eschluss vom 8. Oktober 2013 X [X.] 110/13 ([X.]NV 2014, 154) hat der [X.] diese Auffassung bestätigt und dahingehend präzisiert, dass sich die Ausführungen auch auf einen Selbstbehalt beziehen, der im Rahmen eines privatrechtlichen Krankenversicherungsvertrags vereinbart worden ist. Er hat dies damit begründet, dass die Selbstbeteiligung keine Gegenleistung für die Erlangung von Versicherungsschutz ist, sondern gerade das Gegenteil. Denn in Höhe des Selbstbehalts übernimmt die Krankenversicherung nicht das Risiko, für künftige Schadensfälle eintreten zu müssen. Vielmehr verbleibt das Risiko in diesem Umfang beim Versicherungsnehmer. Der [X.] hat auch klargestellt, dass aus diesem Grund Aufwendungen in Höhe des Selbstbehalts nicht als [X.]eitragserstattung mit umgekehrtem Vorzeichen angesehen werden können, da [X.] Anreize sind, die bewirken sollen, dass die Versicherung vertraglich vereinbarte Leistungen nicht erbringen muss, weil der Versicherungsnehmer keine versicherten Schäden erlitten hat oder er solche Schäden nicht geltend macht. Demgegenüber fallen die Aufwendungen im Rahmen des Selbstbehalts außerhalb des vertraglich vereinbarten Versicherungsschutzes an. Etwas anderes gilt nach Auffassung des [X.]s auch dann nicht, wenn --wie im [X.] der Selbstbehalt zu bezifferbar geringeren Versicherungsprämien geführt hat.

Soweit der Kläger ohne Selbstbehalt Prämien und damit Sonderausgaben hätte ersparen können, ist dies ein fiktiver Sachverhalt, während der [X.]esteuerung der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen ist (siehe [X.]sbeschluss in [X.]NV 2014, 154, Rz 7 ff., m.w.N.).

Das [X.] hat die gegen den [X.]sbeschluss gerichtete [X.]beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen ([X.]eschluss vom 16. Februar 2015  2 [X.]vR 49/14, nicht veröffentlicht).

b) Die [X.]srechtsprechung steht --soweit erkennbar-- nicht nur mit der finanzgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang (neben der Vorinstanz s. auch Urteile [X.] Düsseldorf vom 6. Juni 2014  1 K 2873/13 E, E[X.] 2014, 1789, Rz 32; [X.] Münster vom 17. November 2014  5 K 149/14 E, Sozialrecht und Praxis 2015, 196; [X.] Rheinland-Pfalz vom 28. April 2015  3 K 1387/14, E[X.] 2015, 1357, Rz 42; ebenso Niedersächsisches [X.] vom 6. Mai 2013  9 K 265/12, unveröffentlicht, als Vorinstanz des [X.]eschlusses in [X.]NV 2014, 154), sondern auch mit der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Schreiben des [X.] vom 19. August 2013, [X.], 1087, Rz 69) sowie der überwiegenden Auffassung des Schrifttums (vgl. z.[X.]. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 10 EStG Rz 155; [X.]/[X.], EStG, 35. Aufl., § 10 Rz 70; [X.] in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 10 Rz 32; Stöcker in [X.]/ [X.], § 10 EStG Rz 594; [X.] in [X.], EStG, [X.] 2011, § 10 Rz 70; [X.]auschatz in [X.], § 10 EStG Rz 202.13; [X.]/[X.], Der [X.]etrieb 2009, 2512, 2514; [X.], [X.] Steuer-Zeitung 2009, 669/676; [X.], Neue Wirtschaftsbriefe --[X.]-- 2011, 1978/1988; [X.]/[X.], [X.] 2011, 280/288; dies., [X.] 2009, 2313/2320).

c) Sofern der Kläger rügt, das alleinige Abstellen auf den [X.]egriff "[X.]eiträge" führe die Grundsätze des [X.]-[X.]eschlusses in [X.]E 120, 125 ad absurdum, und die Auffassung vertritt, es dürfe unter [X.]erücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] in [X.]E 120, 125 nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, ob ein Versicherungsnehmer nur [X.]eiträge zahle oder eine Kombination aus [X.]eiträgen und einem Selbstbehalt wähle, kann er hierdurch eine Änderung der [X.]srechtsprechung nicht erreichen.

aa) Seiner Ansicht steht zunächst der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 [X.]uchst. a EStG entgegen, in dem [X.]eiträge zu Krankenversicherungen als Sonderausgaben abziehbar sind. [X.]estätigt wird dieser [X.]efund zudem durch die Gesetzesmaterialien zum Entwurf des [X.]ürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung. Zur [X.]egründung der Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG wird dargelegt, hierdurch werde der bisherige Sonderausgabenabzug für sonstige Vorsorgeaufwendungen in einen Sonderausgabenabzug für [X.]eiträge (Hervorhebung nur hier) zugunsten einer Kranken- und Pflegeversicherung umgestaltet, die den Versicherten in die Lage versetzten, sich im Umfang des [X.] gewährleisteten Leistungsniveaus gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit abzusichern ([X.]TDrucks 16/12254, S. 21). Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Auffassung bekannt war, dass Zahlungen im Rahmen eines Selbstbehalts zwar Ausgaben, aber keine [X.]eiträge zu einer Versicherung und damit keine Zahlungen sind, die einen Versicherungsschutz bewirken (s. dazu bereits [X.], in: Kirchhof/[X.]/[X.], EStG, § 10 Rz E 129, m.w.N.; Hessisches [X.] vom 12. Dezember 1974 VIII 61/74, E[X.] 1975, 200). Hinweise darauf, dass dieses [X.]egriffsverständnis der Neuregelung nicht zugrunde zu legen sei, sind den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.

bb) Anders als der Kläger meint, ist ein Verstoß gegen die Rechtsprechung des [X.] in [X.]E 120, 125 nicht gegeben. Das [X.] hat in diesem [X.]eschluss ausdrücklich nur entschieden, die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 [X.]uchst. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG a.F. sei mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar, soweit die [X.]eiträge (Hervorhebung nur hier) zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und einer privaten Pflegepflichtversicherung, die dem Umfang nach erforderlich seien, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten, nicht ausreichend erfasst würden. Die [X.]ehandlung der Selbstbehalte, die im Streitfall von dem dortigen Kläger ebenfalls vereinbart worden waren, ist demgegenüber vom [X.] nicht aufgegriffen und --auch nicht mittelbar-- in die Entscheidung einbezogen worden.

Zur Frage, inwieweit die [X.]egrenzung der steuerlichen Abziehbarkeit der getragenen Selbstbehalte dem verfassungsrechtlich zu verschonenden Existenzminimum widersprechen könnte, wird auf die Ausführungen unter [X.].I[X.]3. verwiesen.

d) Der [X.] verkennt nicht, dass der Kläger im Streitjahr unter Einbeziehung der nur eingeschränkten steuerlichen Entlastung aufgrund der von ihm geleisteten Krankenversicherungsbeiträge stärker wirtschaftlich belastet wird, als er belastet worden wäre, hätte er keine Selbstbehalte vereinbart. Dieses Ergebnis ist aber die Konsequenz der ihm eingeräumten Freiheit, seinen [X.] zu wählen und sich für die --auch unter [X.]erücksichtigung der steuerlichen [X.] im Einzelfall voraussichtlich günstigste Versicherungsvariante zu entscheiden (vgl. z.[X.]. die [X.]erechnungsbeispiele in [X.], [X.] 2011, 1978/1988, und [X.]/[X.], [X.] 2011, 280/288).

2. [X.] sind im Streitfall auch nicht als außergewöhnliche [X.]elastungen abziehbar.

a) Der [X.] wird an der Prüfung, ob die Selbstbehalte ggf. als außergewöhnliche [X.]elastung berücksichtigt werden müssen, --im Gegensatz zur Auffassung des [X.]-- nicht dadurch gehindert, dass der Kläger im Klageverfahren lediglich beantragt hatte, die Selbstbehalte als Sonderausgaben zu berücksichtigen.

Zwar wäre eine im Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 [X.]O unzulässige Klageänderung anzunehmen, wenn der erstmals in diesem Verfahrensstadium gestellte Antrag einen anderen Streitgegenstand betreffen würde als der Klageantrag (s. z.[X.]. [X.]FH-Urteil vom 4. Mai 2006 VI R 17/03, [X.], 383, [X.], 830, unter I[X.]3.). Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren ist aber --so bereits der Große [X.] des [X.]FH-- nicht das einzelne [X.]esteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids. Dies bedeutet, dass die Finanzgerichte im Rahmen des klägerischen [X.]egehrens nicht nur die Rechtmäßigkeit bzw. die Unrechtmäßigkeit der festgesetzten Steuer aus den von den [X.]eteiligten genannten Gründen zu prüfen haben; vielmehr haben sie die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids im Rahmen dieses [X.]egehrens ohne Rücksicht auf die geltend gemachten [X.]egründungen zu beurteilen (s. [X.]eschluss vom 26. November 1979 GrS 1/78, [X.], 117, [X.] 1980, 99, unter C.I[X.]).

Da der Kläger im Streitfall die steuerliche [X.]erücksichtigung der von ihm getragenen Selbstbehalte begehrt, hat der [X.] alle Rechtsgrundlagen zu untersuchen, aufgrund derer ggf. ein Steuerabzug möglich wäre. Dazu gehört auch § 33 EStG.

b) Das [X.] hat im Rahmen der Steuerfestsetzung zu Recht entschieden, dass die vom Kläger für sich und seine Töchter als Selbstbehalte aufgewendeten Krankheitskosten zwar grundsätzlich unter den Tatbestand der außergewöhnlichen [X.]elastungen fallen, sie sich im Streitfall aber steuerlich nicht auswirken, weil die Aufwendungen die zumutbare [X.]elastung (§ 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG) nicht überschritten haben. Diese Vorschrift differenziert bei der Ermittlung der zumutbaren [X.]elastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen Aufwendungen, die als außergewöhnliche [X.]elastungen abziehbar sind; der Wortlaut ist insoweit eindeutig (vgl. [X.]FH-Urteil vom 2. September 2015 VI R 32/13, [X.], 196, [X.] 2016, 151, Rz 13).

3. Der hiernach vorzunehmende Abzug einer zumutbaren [X.]elastung auch bei Krankheitskosten, die aufgrund der vereinbarten Selbstbehalte zu tragen sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche [X.]eurteilung, ob Aufwendungen des Steuerpflichtigen aus dem [X.]ereich der privaten Lebensführung durch einkommensteuerrechtliche Regelungen hinreichend berücksichtigt werden, ist das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleiten ist. Danach hat der Staat das Einkommen des [X.]ürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Dem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die [X.]emessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch [X.]esteuerung seines Einkommens entziehen (ständige Rechtsprechung des [X.], vgl. z.[X.]. [X.]eschluss in [X.]E 120, 125, unter D.[X.]1., m.w.N.). Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegeversorgung, insbesondere entsprechende Versicherungsbeiträge, können ebenso wie das sog. sächliche Existenzminimum für Nahrung, Kleidung, Hygiene, Hausrat, Wohnung und Heizung Teil des einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums sein ([X.]-[X.]eschluss in [X.]E 120, 125, unter D.I[X.]1.).

[X.]ei Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversorgung ist allerdings streng auf das [X.] gewährleistete Leistungsniveau und nicht auf das Leistungsniveau der einschlägigen Zweige der Sozialversicherungen abzustellen. Denn das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet dem Steuerpflichtigen einen Schutz des Lebensstandards nicht auf Sozialversicherungs-, sondern nur auf [X.] ([X.]-[X.]eschluss in [X.]E 120, 125, unter D.I[X.]3.).

b) Unter [X.]erücksichtigung dieser Grundsätze geht der erkennende [X.] zunächst davon aus, dass Aufwendungen für eine Kranken- und Pflegeversorgung dem Grunde nach nicht nur die [X.]eiträge zur Krankenversicherung, sondern ebenso den eigentlichen Sachaufwand für eine Krankenversorgung umfassen können. Denn auch das [X.] sieht es als unerheblich an, ob die Kranken- und Pflegeversorgung indirekt über eine Versicherung oder direkt über Versorgungsleistungen sichergestellt wird.

c) Die hier streitigen Aufwendungen für Krankheitskosten im Rahmen von Selbstbehalten sind indes nicht Teil des [X.] gewährleisteten Leistungsniveaus. Ob dieses Leistungsniveau grundsätzlich in jedem Fall eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene darstellt (so [X.]FH-Urteil in [X.], 196, [X.] 2016, 151, Rz 19), kann der erkennende [X.] daher offenlassen.

aa) Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen nach § 42 Nr. 2 des [X.] (SG[X.] XII) i.V.m. § 32 Abs. 5 Satz 1 SG[X.] XII die Aufwendungen für eine bei einem privaten Versicherungsunternehmen bestehende Versicherung, soweit sie angemessen sind. Dies gilt nach § 32 Abs. 5 Satz 5 SG[X.] XII gleichfalls für die Aufwendungen für die Pflegeversicherung.

Dies entspricht den angemessenen [X.]eiträgen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. z.[X.]. [X.], in [X.], [X.]/[X.], Kommentar, § 32 [X.], Rz 41 und 47; [X.] in: Grube/[X.], [X.], 5. Aufl. 2014, § 32 Rz 14; [X.] in [X.], § 32 Rz 23).

Im Anwendungsbereich des [X.] ist der [X.]eitragssatz als angemessen anzusehen, der sich aus § 12 des Gesetzes über die [X.]eaufsichtigung der Versicherungsunternehmen in der im Streitjahr geltenden Fassung (Versicherungsaufsichtsgesetz --[X.]--) ergibt (so [X.], Urteil vom 18. Juni 2015, L 23 [X.] 268/12, juris, Rz 29 f.; s. auch [X.], in [X.]/[X.]/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl., § 32 SG[X.] XII, Rz 8). Angemessen können indes nur die [X.]eiträge sein, die der Hilfsbedürftige auch schuldet, d.h. es ist der [X.]eitragssatz entscheidend, den der Versicherungsgeber vom Versicherungsnehmer im Falle der Hilfsbedürftigkeit gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 [X.] (seit dem 1. Januar 2016 § 152 Abs. 4 Satz 1) verlangen kann (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juni 2009 L 2 [X.] 2529/09 [X.], juris, Rz 16). Hieraus sowie aus § 12 Abs. 1c Satz 5 [X.] folgt, dass lediglich der [X.]eitrag zur privaten Krankenversicherung bis zur Hälfte des [X.] zur gesetzlichen Krankenversicherung, also bis zur Höhe des halben [X.]eitrags für den [X.]asistarif als [X.]edarf im Rahmen des § 32 Abs. 5 SG[X.] XII zu übernehmen ist (so [X.] für das [X.], Urteil vom 27. Juni 2013 L 9 [X.] 619/11, juris, Rz 24, unter [X.]erufung auf die Rechtsprechung des [X.] --[X.]SG--, vgl. Urteil vom 10. November 2011 [X.] 8 [X.] 21/10 R, [X.]SGE 109, 281, Rz 15; ebenso Hessisches [X.], [X.]eschluss vom 18. Januar 2010 L 7 [X.] 182/09 [X.] ER, juris, Rz 31 ff.).

Eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Übernahme des vereinbarten Selbstbehalts bzw. des zu tragenden Eigenanteils für die private Kranken- und Pflegeversicherung nach § 32 Abs. 5 SG[X.] XII ist hingegen ausgeschlossen, wenn dem Versicherten ein Wechsel in den [X.]asistarif im Umfang der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zumutbar ist. [X.]ietet das private Versicherungsunternehmen den [X.]asistarif ohne Selbstbehalt an, so ist die Übernahme des Selbstbehalts durch den Sozialhilfeträger nicht angemessen i.S. des § 32 Abs. 5 Satz 1 SG[X.] XII und damit ausgeschlossen (so [X.] für das [X.], Urteil vom 27. Juni 2013 L 9 [X.] 619/11, juris, Rz 25; wohl auch [X.]ayerisches [X.], Urteil vom 19. Juli 2011 L 8 [X.] 26/11, juris, Rz 45; Hessisches [X.], [X.]eschluss vom 14. Dezember 2009 L 7 [X.] 165/09 [X.] ER, juris, Rz 58).

bb) Auch bei [X.]eziehern von [X.] ist die Übernahme der anteiligen Selbstbeteiligung als Zuschuss zu den [X.]eiträgen zur privaten Krankenversicherung im Grundsatz nicht möglich. Nach der jüngsten Rechtsprechung des [X.]SG bildet § 26 des Zweiten [X.]uches Sozialgesetzbuch (SG[X.] II) eine Rechtsgrundlage ausschließlich für die [X.]eteiligung der SG[X.] [X.] an Versicherungsbeiträgen, nicht hingegen für die Tragung von Krankenversorgungskosten im Rahmen vertraglich vereinbarter Selbstbehalte. Eine Übernahme des jährlichen Eigenanteils an den [X.]ehandlungskosten sei bereits wegen des eindeutigen Wortlauts des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SG[X.] II einerseits als auch des § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 [X.] andererseits nicht möglich. Maßgeblich ist danach der vom SG[X.] [X.] zu zahlende "[X.]eitrag", den die Leistungsberechtigten nach dem SG[X.] II an ihr Versicherungsunternehmen zu entrichten hätten, was sich sowohl aus dem Wortlaut, der Systematik des § 12 Abs. 1c [X.] als auch der Rechtsentwicklung des § 26 [X.] ergibt (so ausführlich Urteil des [X.]SG vom 29. April 2015 [X.] 14 AS 8/14 R, [X.]SGE 119, 7, Rz 16 ff.). Den [X.]eziehern von [X.] ist der Wechsel in den PKV-[X.]asistarif auch zuzumuten (Urteil des [X.]SG vom 16. Oktober 2012 [X.] 14 AS 11/12 R, Sozialrecht 4-4200 § 26 Nr. 3, Rz 24).

Es hat keinen Einfluss auf das materiell-rechtlich zu verstehende [X.] gewährleistete Leistungsniveau, dass die [X.]eiträge bis zum Zeitpunkt eines Wechsels in den [X.]asistarif der privaten Krankenversicherung wegen einer fehlenden [X.]eratung durch den Grundsicherungsträger und damit aus [X.] unter Umständen einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 [X.] bilden können (Urteil des [X.]SG in [X.]SGE 119, 7, Rz 25 ff.).

d) Eine Tragung von Krankheitskosten aufgrund des Selbstbehalts könnte zwar dann nicht mehr zumutbar sein, wenn dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum eingegriffen werden sollte. Solange allerdings der tatsächliche Umfang der von den Steuerpflichtigen erbrachten Aufwendungen für die Zuzahlungen der Höhe nach nicht geeignet ist, dieses Existenzminimum zu tangieren, hält der erkennende [X.] eine Einschränkung der zumutbaren [X.]elastung von [X.] wegen nicht für geboten (ebenso [X.]FH-Urteil in [X.], 196, [X.] 2016, 151, Rz 27). Im Streitfall hatte der Kläger zwar Aufwendungen in Höhe von 3.960 € zu tragen. Angesichts des Gesamtbetrags seiner Einkünfte in Höhe von 190.796 € ist sein einkommensteuerrechtliches Existenzminimum aber nicht betroffen.

II[X.]

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

X R 43/14

01.06.2016

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 15. August 2013, Az: 15 K 1858/12, Urteil

§ 10 Abs 1 Nr 3 S 1 Buchst a EStG 2009, § 33 EStG 2009, Art 1 GG, Art 20 GG, Art 3 Abs 1 GG, EStG VZ 2010, § 123 Abs 1 FGO, § 126 Abs 1 FGO, § 40 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.06.2016, Az. X R 43/14 (REWIS RS 2016, 10688)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 912 REWIS RS 2016, 10688

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI R 48/18 (Bundesfinanzhof)

Verfassungsmäßigkeit der zumutbaren Belastung und des Abzugsverbots für Diätverpflegung


X R 3/16 (Bundesfinanzhof)

Selbst getragene Krankheitskosten können nicht im Rahmen des Sonderausgabenabzugs für Krankenversicherungsbeiträge berücksichtigt werden - Ermittlung …


VI R 33/13 (Bundesfinanzhof)

(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 02.09.2015 VI R 32/13 - Außergewöhnliche Belastungen, zumutbare Belastung, Krankheitskosten, Zuzahlungen)


VI R 32/13 (Bundesfinanzhof)

Außergewöhnliche Belastungen, zumutbare Belastung, Krankheitskosten, Zuzahlungen


X R 15/09 (Bundesfinanzhof)

Abzug von Beiträgen zur Krankenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung; Weitergeltungsanordnung des BVerfG kein Verstoß gegen GG …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.