Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. 1 StR 362/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 5358

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 362/15

vom
16. September
2015
in der Strafsache
gegen

wegen
schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 16. September
2015
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. März 2015 mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkam-mer
des [X.]s zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes in Tateinheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungs-verwahrung angeordnet. Daneben hat es den Angeklagten in einer Adhäsions-entscheidung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin ver-urteilt.
Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, mit der er seine Verurteilung beanstandet, hat Erfolg (§
349 Abs.
4 StPO).

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I.
1. Nach den Urteilsfeststellungen besuchte die damals vierjährige Ne-benklägerin A.

im September oder Oktober 2013 den damals 75 Jahre alten Angeklagten, den Nachbarn ihrer Großmutter, in dessen [X.]. Das Mädchen traf den Angeklagten auf der Toilette an, deren Tür offen stand. Der Angeklagte stand mit nach unten gezogener Hose in der [X.]. Derart entblößt begab er sich dann in sein Wohnzimmer; die Nebenkläge-rin folgte ihm. Im Wohnzimmer berührte die Nebenklägerin den Angeklagten am nackten Penis und streichelte diesen, was der Angeklagte zuließ. Nach ei-nigen Sekunden beendete der Angeklagte die Situation
und schickte die Vier-jährige nach Hause.
Der Angeklagte war zuletzt im Oktober 2006 wegen sexuellen [X.] von Kindern in 20 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheits-strafe von fünf Jahren verurteilt worden. Im Oktober 2010 erließ die zuständige Strafvollstreckungskammer einen Beschluss, wonach die nach der [X.] bezüglich des Angeklagten eintretende Führungsaufsicht nicht entfällt und fünf Jahre beträgt. In diesem Beschluss wurde der Angeklagte u.a. angewie-sen, zu Jugendlichen unter 16 Jahren keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren und sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beher-bergen sowie jeglichen Kontakt zu Jugendlichen
unter 16 Jahren
zu unterlas-sen, es sei denn die Kontaktaufnahme erfolgt mit ausdrücklicher und nach-weisbarer Genehmigung der Erziehungsberechtigten sowie des Bewährungs-helfers.
2. Das [X.] hat den geständigen Angeklagten im Hinblick auf die einschlägige Vorverurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§
176a Abs. 1 und Abs.
6 Satz 1 i.V.m. § 176 Abs. 1 StGB) in Tatein-3
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heit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§
145a StGB) verurteilt. Es hat sich zudem davon überzeugt, dass der Angeklagte in-folge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu schwerem Kindes-missbrauch, für die Allgemeinheit gefährlich ist.
[X.]
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg (§
349 Abs.
4 StPO).
1.
Die Verurteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht
(§ 145a StGB) wird von den Feststellungen nicht getragen.
Die Weisung, keinen Kontakt zu Jugendlichen (gemeint auch: Kinder) unter 16 Jahren aufzunehmen, hat ihre gesetzliche Grundlage in §
68b Abs.
1 Satz
1 Nr.
3 StGB. Dort ist ausdrücklich bestimmt, dass die verurteilte Person angewiesen werden kann, zu Personen einer bestimmten Gruppe, die ihr Gele-genheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt auf-zunehmen. Dies ist dahin zu verstehen, dass es dem Verurteilten untersagt ist, aus eigenem Antrieb und aktiv einen unmittelbaren Kontakt zu einem Mitglied der Personengruppe herzustellen (vgl. [X.], Urteil vom 7.
Februar 2013

3 [X.], [X.], 1894 sowie BT-Drucks.
16/1993, [X.]). Nichts anderes gilt für das Verständnis der hier vorliegenden, die Terminologie des Gesetzestextes insoweit wortgleich übernehmenden Weisung, der das vom Angeklagten zu erwartende Verhalten ausreichend deutlich zu entnehmen ist (vgl. [X.] aaO mwN).
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Einen Verstoß gegen diese Weisung belegen die Urteilsfeststellungen jedoch nicht. Es ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte den Besuch der vier-jährigen Nebenklägerin bei sich oder zumindest deren an ihm vorgenommene
sexuelle Handlungen veranlasst hatte. Vielmehr bleibt offen, ob die Nebenklä-gerin den Angeklagten von sich aus besuchte und unaufgefordert die sexuellen Handlungen an dem Angeklagten vorgenommen hat. In diesem Fall hätte der Angeklagte den Kontakt mit der Nebenklägerin weder aus eigenem Antrieb noch aktiv hergestellt, sondern

was nicht ausreichend ist

lediglich den von der Nebenklägerin hergestellten Kontakt nicht unterbunden. Ein dem [X.] eines bestehenden Kontaktes (vgl. BT-Drucks.
16/1993, [X.] sowie [X.], Beschluss vom 29.
November 2007

1 Ws 716/07, BeckRS 2008, 05974 sowie [X.] in [X.], 12.
Aufl. 2007, § 68b Rn. 22) liegt in dem vom [X.] festgestellten Verhalten des Angeklagten ebenfalls nicht.
Der Schuldspruch wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) hat daher keinen Bestand. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass noch ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die einen strafbaren Weisungsverstoß belegen, etwa eine zuvor von dem Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin ausgesprochene Einladung. Anhaltspunkte für ein Bemühen des Angeklagten um Kontakt mit der Neben-klägerin ergeben sich bereits daraus, dass die polizeiliche Vernehmungsbeam-tin M.

in der Hauptverhandlung
ausgesagt hat, die Nebenklägerin habe ihr gegenüber angegeben, sie habe auch Schokolade oder Geld bekommen, wenn

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2. Angesichts der vom [X.] angenommenen Tateinheit und der Möglichkeit, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Ver-urteilung wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) tragen, hat auch der Schuldspruch wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§
176a Abs.
1 StGB) keinen Bestand.
Es bedarf daher keiner abschließenden Entscheidung, ob das festge-stellte Verhalten des Angeklagten dahingehend gewertet werden kann, dass der Angeklagte eine sexuelle Handlung der Nebenklägerin an sich vornehmen ließ, wozu auch das [X.] zählt, wenn es eine Bestärkung einer von dem Kind ausgehenden Initiative enthält, oder er eine solche lediglich pas-siv erduldet hat (vgl. dazu [X.], StGB, 62. Aufl.,
§
176 Rn.
6 und [X.] in [X.],12.
Aufl. 2009, §
176 Rn.
11). Auf die von der Nebenklägerin gegen-über Familienangehörigen und der [X.] M.

geschilderten sexu-ellen Übergriffe des Angeklagten gegenüber ihr (UA S.
28
ff.) konnte die [X.] jedenfalls nicht gestützt werden, weil diese Übergriffe weder Gegen-stand der Anklage waren, noch als geschehen vom [X.] festgestellt worden sind.
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3. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Maßre-gelausspruchs nach sich. Der Senat hebt zudem sämtliche Urteilsfeststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Rothfuß Jäger

Ri[X.] Prof. Dr. Mosbacher

befindet sich im Urlaub und ist

deshalb an der Unterschrift

gehindert.

Raum [X.]
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Meta

1 StR 362/15

16.09.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. 1 StR 362/15 (REWIS RS 2015, 5358)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5358

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3 StR 486/12

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