Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.12.2019, Az. II ZR 451/18

2. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 615

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Gegenstand

Erforderlichkeit eines richterlichen Hinweises bei Aufgabe einer früher vertretenen Rechtsauffassung


Leitsatz

Ein richterlicher Hinweis darauf, dass das Gericht an einer entscheidungserheblichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten will, kann auch dann geboten sein, wenn das Gericht diese Rechtsauffassung in einem früher zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vertreten hat und eine Partei in einem weiteren zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit, für das Gericht erkennbar, davon ausgeht, dass das Gericht auch in diesem Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten werde.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 5. Dezember 2018 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.]s, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das [X.] wird auf 59.400 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der [X.] war mit einem Gesellschaftsanteil von 95 % Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der im Jahr 1993 gegründeten [X.] Deren Gegenstand war u.a. die Verwaltung und Nutzung einer Immobilie, die zum Betrieb einer Altenwohnanlage vermietet ist. Weitere Gesellschafterin der GbR mit einem Gesellschaftsanteil von 5 % war die Klägerin, eine GmbH, die am 28. Dezember 2005 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde. Mit Beschluss des [X.]          vom 20. Januar 2010 wurde die [X.] angeordnet. Mit weiterem Beschluss vom 8. April 2010 wurde der Wirkungskreis des [X.] auf die Wahrnehmung der Rechte aus der Beteiligung der Klägerin an der GbR erweitert.

2

Nach § 9 des Gesellschaftsvertrags der GbR (im Folgenden: GV) war der [X.] verpflichtet, zum Abschluss eines jeden Geschäftsjahres eine Abrechnung des Überschusses und Ermittlung des Vermögens der Gesellschaft sowie der Vermögensanteile der Gesellschafter vorzunehmen.

3

Das [X.] hat eine auf diese Regelung gestützte, auf Auskunft gerichtete Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils der Klage überwiegend stattgegeben und den [X.]n verurteilt, über die Überschüsse der [X.] in den Jahren 1996 bis 2014 Auskunft zu erteilen durch Vorlage der entsprechenden Einnahme- [X.] nebst Buchungsunterlagen und Rechnungsbelege über Einnahmen und Ausgaben sowie durch Vorlage der zugunsten nach § 9 des Gesellschaftsvertrags vom 16. November 1993 zu erstellenden Abrechnungen der Vermögensanteile der Gesellschafter.

4

II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt:

5

Der Durchsetzbarkeit des der Klägerin zustehenden Anspruchs aus §§ 721, 666 BGB stehe nicht die von dem [X.]n erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Entgegen der Auffassung des [X.]s habe die Löschung der Klägerin im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit am 28. Dezember 2005 nicht analog § 13 GV zu ihrem Ausscheiden aus der GbR geführt. Soweit der [X.] im nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 16. November 2018 erstmals vorgetragen habe, dass die Klägerin selbst mit Schreiben ihres damaligen Geschäftsführers vom 29. Dezember 1999 den Gesellschaftsvertrag der [X.] zum 31. Dezember 2000 gekündigt habe, sei sein Vortrag gemäß § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen.

6

III. Die Beschwerde der [X.]n hat Erfolg, soweit der [X.] auf die Berufung der Klägerin hin verurteilt wurde, und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht ist seiner Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO nicht nachgekommen und hat dadurch den Anspruch des [X.]n auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).

7

1. Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der [X.]en auf rechtliches Gehör. Auf einen Gesichtspunkt, den eine [X.] erkennbar übersehen hat, darf das Gericht nach § 139 Abs. 2 ZPO seine Entscheidung nur stützen, wenn es auf diesen hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Eine [X.] übersieht einen Gesichtspunkt auch dann, wenn das Gericht bei ihr etwa durch einen gerichtlichen Hinweis den Eindruck erweckt hat, eine bestimmte Rechtsauffassung zu vertreten und hieran bei seiner Entscheidung nicht mehr festhalten will. In diesem Fall ist ein Hinweis auf die geänderte Auffassung erforderlich (vgl. [X.], Urteil vom 25. Juni 2002 - [X.], NJW 2002, 3317, 3320; Beschluss vom 29. April 2014 - [X.], NJW 2014, 2796 Rn. 5; Beschluss vom 11. Mai 2017 - [X.], juris Rn. 6; Beschluss vom 13. Dezember 2016 - [X.], [X.], 355; [X.], NJW 1996, 3202). Ein richterlicher Hinweis darauf, dass das Gericht an einer entscheidungserheblichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten will, kann auch dann geboten sein, wenn das Gericht diese Rechtsauffassung in einem früher zwischen den [X.]en geführten Rechtsstreit vertreten hat und eine [X.] in einem weiteren zwischen den [X.]en geführten Rechtsstreit, für das Gericht erkennbar, davon ausgeht, dass das Gericht auch in diesem Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten werde.

8

Ein danach erforderlicher Hinweis ist nach § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO so früh wie möglich zu erteilen, das heißt so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann ([X.], Beschluss vom 18. September 2006 - [X.], [X.], 2328 Rn. 4; Beschluss vom 4. Juli 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 177 Rn. 8; Beschluss vom 12. September 2019 - [X.], juris Rn. 5). Erteilt das Gericht entgegen § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO den Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen [X.] genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, ins schriftliche Verfahren übergehen oder, wenn von der betroffenen [X.] nach § 139 Abs. 5 ZPO beantragt, einen Schriftsatznachlass gewähren ([X.], Beschluss vom 18. September 2006 - [X.], [X.], 2328 Rn. 4; Beschluss vom 12. September 2019 - [X.], juris Rn. 5). Unterlässt das Gericht die derart gebotenen prozessualen Reaktionen und erkennt es sodann aus einem nicht nachgelassenen Schriftsatz, dass die betroffene [X.] sich in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend hat erklären können, ist es gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet ([X.], Beschluss vom 18. September 2006 - [X.], [X.], 2328 Rn. 4; Beschluss vom 4. Juli 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 177 Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die [X.] einen Antrag nach § 139 Abs. 5 ZPO nicht gestellt hat ([X.], Beschluss vom 18. September 2006 - [X.], [X.], 2328 Rn. 6; Beschluss vom 4. Juli 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 177 Rn. 13; Urteil vom 27. September 2013 - [X.], [X.], 47 Rn. 15; Beschluss vom 12. September 2019 - [X.], juris Rn. 5).

9

2. Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

a) Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg, weil das [X.] von einem Ausscheiden der Klägerin aus der Gesellschaft in Folge der Amtslöschung wegen Vermögenslosigkeit im [X.] sowie einem auf diesen Zeitpunkt bezogenen Abfindungsanspruch der Klägerin ausgegangen ist und die insoweit verbleibenden, auf diesen Abfindungsanspruch bezogenen Auskunftsansprüche der Klägerin als verjährt angesehen hat. In einem Parallelverfahren zwischen den [X.]en vor demselben Senat in derselben Besetzung hat das Berufungsgericht während des vorliegenden Berufungsverfahrens diese Auffassung des [X.]s, wenn auch dort nicht entscheidungstragend, in seinem Urteil vom 21. März 2018 geteilt. Der [X.] hat im vorliegenden Verfahren um Verlängerung der Frist zur [X.] gebeten, um die Entscheidungsgründe des Urteils aus dem Parallelverfahren noch einfließen zu lassen. In seiner am 2. Mai 2018 eingegangenen [X.] hat der [X.] auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren verwiesen und ausgeführt, dass das Berufungsgericht dort die Rechtsauffassung der Vorinstanz bestätigt habe, wonach die GbR nach der Löschung von Amts wegen gemäß § 141a [X.] aufgrund analoger Anwendung der Regelungen im Gesellschaftsvertrag bereits im Jahre 2005 beendet worden sei. Es war somit offensichtlich, dass der [X.] davon ausging, das Berufungsgericht werde auch im vorliegenden Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2018 erteilte Hinweis, dass das Gericht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der GbR frühestens zum Dezember 2014 ausgehe und ein Ausscheiden bereits mit der Löschung der Klägerin wegen Vermögenslosigkeit nicht in Betracht komme, kam für den [X.]n danach überraschend und im Hinblick auf die Vorgabe des § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO zu spät.

Eine sofortige Äußerung auf die entgegen dem [X.] und entgegen der bisher vom Berufungsgericht vertretenen, nunmehr geänderten Auffassung konnte nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, schon weil der [X.] in der mündlichen Verhandlung nicht persönlich anwesend war. Sein persönliches Erscheinen war auch nicht angeordnet worden. Bei dieser Sachlage war das Berufungsgericht auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz des [X.]n vom 16. November 2018 gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, durfte nicht ohne weitere Begründung an dem [X.] vom 5. Dezember 2018 festhalten und lediglich unter Verweis auf § 296a ZPO das im Schriftsatz enthaltene Vorbringen unberücksichtigt lassen. Bei einer solchen Verfahrensweise war der Hinweis in der mündlichen Verhandlung sinnlos und verfehlte den mit der gerichtlichen Hinweispflicht und dem Verbot von Überraschungsentscheidungen verfolgten Zweck (vgl. [X.], Beschluss vom 28. September 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 17 Rn. 4).

b) Die Gehörsverletzung ist nach der maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts erheblich. Der [X.] hat in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz unter Vorlage eines entsprechenden Schreibens vom 29. Dezember 1999 vorgetragen, die Klägerin habe die GbR bereits zum 31. Dezember 2000 gekündigt und der [X.] habe fristgerecht von seinem Fortsetzungsrecht Gebrauch gemacht. Nachdem das Berufungsgericht die Verjährung der Ansprüche der Klägerin aufgrund ihrer Löschung am 28. Dezember 2005 geprüft und nur deshalb verneint hat, weil es nicht von einer Vollbeendigung der Klägerin und aus diesem Grund nicht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der GbR ausgegangen ist, ist der Vortrag, die Klägerin sei bereits durch Kündigung zum 31. Dezember 2000 aus der GbR ausgeschieden, erheblich.

III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Eine unterstellt wirksame Kündigung der GbR zum 31. Dezember 2000 wäre unabhängig von der Frage der Verjährung von entscheidungserheblicher Bedeutung. Mit dem Ausscheiden der Klägerin zu diesem Zeitpunkt würde den ausgeurteilten [X.] für die Jahre 2001 bis 2014 der Boden entzogen werden. Aber auch die den Zeitraum ab 1996 betreffenden, vom Berufungsgericht zugesprochenen Ansprüche wären von einer wirksamen Kündigung zum 31. Dezember 2000 betroffen. Denn die Klägerin hätte in diesem Fall nur noch einen Anspruch auf ihr nach den Vorgaben des Gesellschaftsvertrags zu bemessendes Abfindungsguthaben. Den vom Berufungsgericht angenommenen Ansprüchen auf Auszahlung von Gewinnanteilen und hierauf gerichteten [X.] könnte dann die [X.] entgegenstehen (vgl. [X.], Urteil vom 4. Dezember 2012 - [X.], [X.], 361 Rn. 42 ff.; Beschluss vom 29. Juli 2014 - [X.], [X.], 2440 Rn. 12; Urteil vom 3. Februar 2015 - [X.], [X.], 1116; Urteil vom 13. Oktober 2015 - [X.], [X.], 216 Rn. 18).

[X.]     

      

Born     

      

B. Grüneberg

      

V. Sander     

      

von Selle     

      

Meta

II ZR 451/18

10.12.2019

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 5. Dezember 2018, Az: 1 U 163/17

§ 139 Abs 2 ZPO, § 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.12.2019, Az. II ZR 451/18 (REWIS RS 2019, 615)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 364-365 WM2020,277 REWIS RS 2019, 615

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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