Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.05.2010, Az. 1 StR 111/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2010, 6583

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Gegenstand

Betrug und Vorenthalten von Arbeitsentgelt: Konkludente Täuschung der zuständigen Sozialversicherungsträger durch Unterlassen der Meldung von Arbeitnehmern


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Oktober 2009 in den Fällen 1 bis 102 der Urteilsgründe (Beitragszeiträume Januar 1996 bis einschließlich Juni 2004) und im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben. Die Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen und veruntreuten Beiträge zur Sozialversicherung in den Fällen 1 bis einschließlich 79 der Urteilsgründe werden ebenfalls aufgehoben. Die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

2. Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zehn Fällen schuldig ist.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges in 102 Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt jeweils in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in zehn Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

2

Hiergegen richtet sich die mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Diese hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet [X.]. § 349 Abs. 2 StPO.

3

1. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte alleiniger Geschäftsführer der [X.] Die Gesellschaft beschäftigte mehrere Arbeitnehmer, für die die vorgeschriebenen Meldungen nach § 28f Abs. 3, § 28a [X.] und nach § 41a EStG abgegeben wurden, daneben aber auch zwischen Januar 1996 und April 2005 eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer, ohne diese Arbeitsverhältnisse den zuständigen Sozialversicherungsträgern und dem zuständigen Finanzamt zu melden. Zur Verschleierung dieser Arbeitsverhältnisse schloss der Angeklagte mit den Arbeitnehmern zum Schein Werkverträge, um den Eindruck zu erwecken, insoweit handele es sich um selbstständige Subunternehmer der [X.].

4

Durch die pflichtwidrig unterlassenen Meldungen an die Sozialversicherungsträger wurden nach den Feststellungen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 1.918.546,25 Euro vorenthalten. Hierbei handelt es sich allein um Beiträge zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung, da die Gehälter der Arbeitnehmer über der Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V lagen, so dass keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse bestand.

5

Das [X.] wertete das Unterlassen der Meldungen an die Sozialversicherungsträger für die [X.] zwischen Januar 1996 und Juni 2004 als Betrug [X.]. § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB. Für den Zeitraum zwischen Juli 2004 bis April 2005 ist der Angeklagte nach der Wertung des [X.]s des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 2 StGB schuldig.

6

2. Die Feststellungen tragen in den Fällen 103 bis 112 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt. Insoweit berichtigt der Senat lediglich den Schuldspruch. In Fällen der vorliegenden Art ist im Tenor eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen § 266a StGB nur als „Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt“ zum Ausdruck zu bringen. Die neben § 266a Abs. 1 StGB erfolgende Anwendung des § 266a Abs. 2 StGB wirkt sich lediglich auf den [X.] aus und führt nicht zu einer tateinheitlichen Verwirklichung verschiedener Tatbestände (vgl. [X.], 527; wistra 2008, 180; StraFo 2008, 219). Auch der [X.] wurde in diesen Fällen von der [X.] auf der Grundlage eines nach § 14 Abs. 2 Satz 2 [X.] hochgerechneten Bruttolohns (vgl. BGHSt 53, 71) zutreffend bestimmt.

7

3. Demgegenüber tragen die bisherigen Feststellungen eine Verurteilung wegen Betruges in den Fällen 1 bis 102 der Urteilsgründe nicht.

8

a) Für den insoweit fraglichen Tatzeitraum kommt zwar grundsätzlich beim Unterlassen der Meldung von Arbeitnehmern an die zuständigen Sozialversicherungsträger eine Verurteilung wegen Betruges in Betracht. Denn den Arbeitgeber trifft nach § 28a [X.] eine Meldepflicht, wonach er die für die Bemessung des [X.] maßgeblichen - im Gesetz im Einzelnen aufgeführten - Anknüpfungstatsachen hinsichtlich aller bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer der Einzugsstelle mitzuteilen hat. Verletzt der Arbeitgeber diese Verpflichtung, indem er bewusst unwahre oder unvollständige Angaben macht, die zu einem geringeren Gesamtsozialversicherungsbeitrag führen, kann dies eine Täuschung im Sinne des § 263 StGB darstellen.

9

b) Eine Täuschung kann in solchen Fällen jedoch nur angenommen werden, wenn durch das Unterlassen der Meldung der Arbeitnehmer gegenüber einem Mitarbeiter einer Einzugsstelle zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht wird, dass keine oder lediglich die gemeldeten Arbeitnehmer tatsächlich bei dem fraglichen Arbeitgeber beschäftigt sind. Der [X.] hat insoweit zutreffend ausgeführt:

„Täuschungen und korrespondierende Irrtümer von Mitarbeitern einer Einzugsstelle durch unrichtige Meldungen über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Arbeitnehmern kommen nur in Betracht, wenn und soweit hinsichtlich der beschäftigten Arbeitnehmer Meldungen an diese Einzugsstelle hätten erfolgen müssen (vgl. § 28f, 28i [X.]). Darauf beschränkt sich der Erklärungswert der Meldungen und die Mitarbeiter der Einzugsstelle machen sich nur insoweit Gedanken über die Geltendmachung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Falls gegenüber den für beschäftigte Arbeitnehmer zuständigen Einzugsstellen keine Erklärungen über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Arbeitnehmern erfolgen, kann bei den Mitarbeitern der zuständigen Einzugsstellen ein Irrtum nur vorliegen, wenn der Arbeitgeber dort erfasst ist (vgl. BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 1; BGHR StGB § 263 Abs 1 Irrtum 5 und 8; BayObLG Beschluss vom 19.03.2002 - 5 St R R 33/02 -; Boxleitner in [X.]/[X.] Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts 3. Aufl. [X.]. 17 Rn. 52; [X.] Aufl. § 263 StGB Rn. 57; LK/Gribbohm 11. Aufl. § 266a StGB Rn. 115 f.; LK/Tiedemann 11. Aufl. § 263 StGB Rn. 78; [X.] in Müller-Gugenberger/[X.] Wirtschaftsstrafrecht 4. Aufl. § 36 Rn. 67).

Das [X.] hat lediglich festgestellt, dass im Tatzeitraum einzelne Arbeitnehmer angemeldet waren, weitere vierzig Arbeitnehmer dagegen nicht ([X.]). Es bleibt danach offen, an welche Einzugsstelle Meldungen erfolgten ([X.]: 'bei den Sozialversicherungsträgern gemeldeten Arbeitnehmern').“

Es hätte mithin weiterer Feststellungen dazu bedurft, gegenüber welchen Krankenkassen der Angeklagte sozialversicherungsrechtliche Meldungen abgeben hatte. Allein dann, wenn sich unter diesen Krankenkassen die für die nicht gemeldeten Arbeitnehmer zuständigen Krankenkassen befunden haben, kommt aufgrund der vorstehenden Erwägungen eine Verurteilung wegen Betruges in Betracht. Sollten sich die für die nicht gemeldeten Arbeitnehmer zuständigen Krankenkassen nicht unter den Krankenkassen befinden, gegenüber denen der Angeklagte Meldungen abgab und war die [X.] als Arbeitgeber auch nicht aus anderen Gründen bei den für die nicht gemeldeten Arbeitnehmer zuständigen Krankenkassen erfasst, kommt in den Fällen 1 bis 102 der Urteilsgründe lediglich eine Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt [X.]. § 266a Abs. 1 StGB in Betracht.

Darüber hinaus hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, welche Krankenkasse für die nicht gemeldeten Arbeitnehmer zuständig war. Insoweit führt der [X.] aus:

„Hinsichtlich der nicht gemeldeten vierzig Arbeitnehmer beschränken sich die Urteilsgründe darauf, die [X.] als zuständige Einzugsstelle zu bezeichnen. Diese rechtliche Bewertung ist nicht durch Tatsachen belegt. Zudem dürfte es angesichts der aus den Urteilsgründen ersichtlichen früheren Beschäftigungsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer ausgeschlossen sein, dass für alle die bezeichnete Krankenkasse zuständig war oder gewesen wäre (vgl. [X.] ff., 73 ff.). Es liegt nahe, dass das [X.] sich an der [X.] nach § 28i S. 2 [X.] i.V.m. §§ 28f Abs. 2 [X.], 175 Abs. 3 S. 3 SGB V orientiert hat (vgl. UA S. 15).“

Dem schließt sich der Senat an.

4. Das [X.] hat zudem in den Fällen 1 bis 79 der Urteilsgründe ([X.] Januar 1996 bis Juli 2002) der Verurteilung einen unzutreffenden [X.] zu Grunde gelegt. Bis zur Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 [X.] konnte in Fällen illegaler Beschäftigung eine Nettolohnabrede nicht angenommen werden (vgl. BGHSt 53, 71 m.w.[X.]). Demnach war der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge der tatsächlich an die illegal beschäftigten Arbeitnehmern gezahlte Lohn zu Grunde zu legen.

Anderes ergibt sich auch nicht aus der von der [X.] zum Beleg ihrer Rechtsauffassung zitierten Entscheidung des [X.] (Urt. vom 22. September 1988 - 12 RK 36/86 - = [X.], 110). Dort ist vielmehr lediglich festgestellt, dass nach Aufdeckung eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses und damit einhergehender erfolgreicher Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf Zahlung von bis dahin vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer für den Arbeitnehmer durch die Befreiung der ihn treffenden Belastungen weiteres sozialversicherungspflichtiges Entgelt gegeben ist. Dies führt zu einer Beitragsnachzahlung durch den Arbeitgeber. Zu den [X.] der Vergehen nach § 266a bzw. § 263 StGB bemessen sich die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge indes allein auf der Grundlage des Schwarzlohnes.

5. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen in den Fällen 1 bis 102 der Urteilsgründe zur Aufhebung der Verurteilung wegen Betruges. Die diesbezüglichen Feststellungen können indes aufrechterhalten bleiben, da sie lediglich lückenhaft sind bzw. - soweit die [X.] in den Fällen 1 bis 79 der Urteilsgründe der Verurteilung einen zu großen [X.] zu Grunde gelegt hat - auf rechtlichen Wertungsfehlern beruhen. Insoweit bedarf es in diesen Fällen lediglich der Aufhebung der Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge. Die Aufhebung des Urteils in den Fällen 1 bis 102 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich (§ 349 Abs. 4 StPO).

6. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, Folgendes zu berücksichtigen:

a) In den Fällen 1 bis 102 der Urteilsgründe kann aus prozessökonomischen Gründen eine Beschränkung des Verfahrens nach § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in Betracht kommen. Insoweit würde sich der tatbestandsmäßige [X.] auf die Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung reduzieren.

b) Soweit in den Fällen 1 bis 102 der Urteilsgründe die Voraussetzungen des Sozialversicherungsbetruges festgestellt werden können, kann § 266a Abs. 2 StGB nF als milderes Gesetz [X.]. § 2 Abs. 3 StGB anzuwenden sein ([X.], 307; wistra 2008, 180; StraFo 2008, 219). Zudem wurde durch das 6. [X.] § 263 Abs. 3 StGB geändert.

c) Für die Bildung der neuen Gesamtfreiheitsstrafe bedarf es im Hinblick auf § 55 StGB weitergehender Feststellungen dazu, wann die [X.] im Handelsregister gelöscht wurde und insoweit als Beitragsschuldnerin weggefallen ist, was zum Erlöschen der Beitragspflicht führt. Denn Taten nach § 266a Abs. 1 StGB sind erst beendet, wenn die Beitragspflicht erloschen ist (BGHSt 53, 24; wistra 1992, 23). Gleiches gilt bei § 266a Abs. 2 StGB und § 263 StGB in den Fällen des Sozialversicherungsbetruges, bei denen es sich um Erfolgsdelikte handelt. Beendigung ist insoweit erst mit dem vollständigen Eintritt des angestrebten Erfolges gegeben. Die Frage, wann für die einzelnen Taten des vorliegenden Verfahrens [X.] gegeben ist, ist aber entscheidend dafür, ob und ggfs. in welchem Umfang nach § 55 Abs. 1 StGB zu verfahren ist. Der [X.] hat in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt:

„'Begangen' [X.]. § 55 Abs. 1 S. 1 StGB ist eine Tat erst mit deren Beendigung ([X.] Aufl. § 55 StGB Rn. 7; LK/[X.] 12. Aufl. § 55 StGB Rn. 9 jew. m.w.[X.] auch zu abweichenden Ansichten). Dies gilt auch für echte Unterlassungsdelikte (Senat BGHR StGB § 55 Abs 1 Begehung 1; zu Dauerdelikten Senat Urteil vom 02.12.2003 - 1 [X.]; [X.], 1344).“

Nack                                          [X.]

                         Elf                                             [X.]

Meta

1 StR 111/10

18.05.2010

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München II, 27. Oktober 2009, Az: W 5 KLs 29719/05, Urteil

§ 263 Abs 1 StGB, § 266a Abs 1 StGB, § 28a SGB 4

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.05.2010, Az. 1 StR 111/10 (REWIS RS 2010, 6583)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6583

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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