Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2001, Az. 1 StR 116/01

1. Strafsenat | REWIS RS 2001, 2425

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[X.] DES VOLKESURTEIL1 StR 116/01vom30. Mai 2001in der Strafsachegegenwegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer [X.] 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung [X.] 2001 in der Sitzung vom 30. Mai 2001, an denen teilgenommen haben:[X.] am [X.]. [X.] [X.] am [X.],Dr. [X.],[X.],[X.],Oberstaatsanwalt beim [X.]als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger in der Verhandlung,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2000 im Ausspruch über die wegenunerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht gerin-ger Menge verhängte [X.] und über die Gesamtstrafe mitden zugehörigen Feststellungen aufgehoben.Die weitergehende Revision wird verworfen.Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlungund Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, aneine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs [X.] in elf Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens [X.] in nicht geringer Menge zu der Gesamtfreiheitsstrafe vonzwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revi-sion des Angeklagten führt zur Aufhebung der [X.] wegen Handeltrei-bens und des [X.]; im übrigen ist sie [X.] -I.1. Der Angeklagte, ein vormals beruflich erfolgreicher Architekt, wurdeim Jahre 1996 Opfer eines schweren Verkehrsunfalls; während er einem [X.] Kraftfahrer Hilfe leistete, fuhr ein anderes Fahrzeug in die Unfallstelle.Er erlitt dabei unter anderem eine Schädigung seines Frontalhirns. Das [X.] führte zu einer Depravation, welche die [X.] und eine Veränderung seines Charakters be-wirkte. In der Folgezeit kam der Angeklagte in Kontakt mit dem [X.] und er konsumierte Kokain. Diese Umstände führten zu seinemfinanziellen und beruflichen Niedergang.2. Die Straftaten betreffen zum einen elf Erwerbsakte [X.] von jeweils zwi-schen zwei und fünf Gramm Kokain zum Eigenverbrauch [X.] und zum anderendie Vermittlung eines Kaufgeschäfts an einen Verdeckten Ermittler über vierKilogramm Kokain, dem eine erste Teillieferung von 0,5 Kilogramm übergebenwurde.a) Über seinen Bekannten und Geschäftspartner [X.], der [X.] verkehrte, bezog der Angeklagte in sechs [X.] für seinen Eigenbedarf. Von anderen Personen erwarb er fünf mal [X.]) Zu dem Handelsgeschäft mit Kokain kam es wie folgt: Nachdem [X.] im Spätsommer 1998 wegen [X.]n verhaftetworden war, distanzierte sich der Angeklagte von ihm und mied jeden Kontaktmit dessen Bekannten. Sein Büropersonal wies er an, Anrufer oder Besucher,die [X.]sprechen wollten, [X.] 5 -Bereits im Frühjahr 1998 waren bei der Polizei Hinweise eingegangen,der Angeklagte handle mit Kokain. Als sich im Spätherbst 1998 [X.] die Angaben [X.] [X.] gewichtige Verdachtsmomente gegenden Angeklagten im Hinblick auf [X.] verdichteten, wurdeder Einsatz eines Verdeckten Ermittlers angeordnet. Diesen hatte der Ange-klagte bereits im [X.] über [X.] bei einem gemeinsamen Treffenflüchtig kennengelernt.Mitte November 1998 rief der Verdeckte Ermittler im Büro des Ange-klagten an, und verlangte [X.] zu sprechen. Die Sekretärin des [X.] stellte [X.] entgegen dessen Weisung, er wolle keinen Kontakt mit An-rufern, die [X.] sprechen wollten [X.] das Gespräch zum [X.], nachdem der Verdeckte Ermittler die Angelegenheit als dringlich darge-stellt hatte. Beide vereinbarten ein Treffen für den nächsten Tag, nachdem [X.] Ermittler angedeutet hatte, er habe eigentlich mit [X.] [X.] geplant.Bei dem Treffen teilte der Angeklagte mit, [X.]sei in Untersu-chungshaft. Der Verdeckte Ermittler gab hierauf zu verstehen, er sei mit [X.] wegen eines Kokaingeschäfts in Verhandlungen gewesen und die-ser habe sich guter Kontakte zu Kokainhändlern gerühmt. Darauf reagierte [X.] ärgerlich und gab zu verstehen, nicht [X.] , sondern erselbst sei derjenige, der über diese Kontakte verfüge. Als sich der [X.] an der Abnahme von drei bis fünf Kilogramm Kokain interessiertzeigte, sagte der Angeklagte [X.] jegliches Zögernfl zu, umgehend eine der-artige Menge zu liefern, da er einen Lieferanten [X.] -Der Angeklagte bemühte sich daraufhin bei Bekannten in [X.] vergeb-lich um die Beschaffung von vier Kilogramm Kokain. Auch Bemühungen, [X.] in [X.] zu erwerben, scheiterten. Zwei anderen vom Angeklag-ten angesprochenen Bekannten gelang es schließlich im Januar 1999, einenKontakt zu einem Lieferanten in [X.] herzustellen. Nachdem die Bekanntendurch Vermittlung des Angeklagten dem Verdeckten Ermittler zunächst eineKokainprobe überbracht hatten, übergaben sie [X.] vom Angeklagten angewie-sen [X.] dem Verdeckten Ermittler Ende Januar 1999 eine erste Teillieferung von0,5 Kilogramm Kokain aus der vereinbarten Gesamtliefermenge von vier Kilo-gramm. Der Angeklagte, der bei der Übergabe nicht anwesend war, [X.] die Vermittlung einen Gewinn von insgesamt 40.000 DM.3. [X.] beraten hat das [X.] die Voraussetzungendes § 21 StGB bejaht. Zugunsten des Angeklagten sei von einer krankhaftenseelischen Störung auszugehen, welche die Steuerungsfähigkeit erheblich be-einträchtigt haben könne. Infolge des Unfalls sei fidie Kritikfähigkeit und dasethische Bewußtsein des Angeklagten möglicherweise noch zur Tatzeit beein-trächtigt gewesen.fl Daß dabei die Einsichtsfähigkeit erhalten geblieben ist, hatdas [X.] gesehen und [X.] wenn auch knapp [X.] erörtert.Für das Handelsgeschäft hat das [X.] aus dem nach §§ 21, 49Abs. 1 StGB und § 31 BtMG, § 49 Abs. 2 StGB verschobenen Strafrahmen des§ 29a Abs. 1 BtMG die [X.] von zwei Jahren und sechs Monaten [X.]. Eine Tatprovokation durch den Verdeckten Ermittler hat das [X.]verneint, weil der Angeklagte [X.] wie die Erwerbstaten belegten [X.] fibereits tief in[X.] verstricktfl gewesen sei, als er vom Verdeckten Ermitt-ler angesprochen wurde. Zudem sei er zu keinem Zeitpunkt zur [X.] 7 -II.Während der Schuldspruch und die [X.] zu den [X.] rechtsfehlerfrei sind, hält die Bemessung der [X.] für [X.] rechtlicher Nachprüfung nicht stand.1. Allerdings liegt beim Handeltreiben, wie das [X.] zu Recht [X.], schon keine (zulässige) Tatprovokation vor. Das stellt auch die Revisionnicht infrage.a) Wie der [X.] in seinem Urteil vom 18. November 1999 [X.] 1 StR221/99 (BGHSt 45, 321) ausgeführt hat, liegt ein Verstoß gegen den [X.] fairen Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vor, wenn eine unver-dächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person in einer dem Staat zuzurech-nenden Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahrenführt.Der [X.] hat diesen Maßstab weiter dahin konkretisiert, daß eine [X.] nicht schon dann vorliegt, wenn ein Dritter ohne sonstige Einwir-kung lediglich darauf angesprochen wird, ob dieser Betäubungsmittel be-schaffen könne. Ebenso liegt keine Provokation vor, wenn nur die offen [X.] Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausge-nutzt wird. Dagegen liegt eine Tatprovokation vor, wenn über das bloße fiMit-machenfl hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft odereine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend aufden Täter eingewirkt wird (BGHSt 45, 321, 338).- 8 -Erreicht die Intensität der Einwirkung durch den polizeilichen [X.] einer Tatprovokation, so ist diese nur zulässig, wenn die [X.] bzw. ein Verdeckter Ermittler gegen eine Person eingesetzt wird, die ineinem den § 152 Abs. 2, § 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig ist, [X.] bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen oder zu einer zukünftigenStraftat bereit zu sein; hierfür müssen also zureichende tatsächliche Anhalts-punkte vorliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Einsatz ursprünglich (biszur Tatprovokation) der präventiven Gefahrenabwehr diente oder von [X.] repressiven Charakter hatte. Die Rechtmäßigkeit des Lockspitzeleinsatzesist selbst im Falle einer [X.] einheitlich an den Regelungen derStPO zu messen (BGHSt 45, 321, 337).Diese Maßstäbe hat der [X.] mit Urteil vom heutigen Tage (1 [X.]/01) [X.] insbesondere für die Problematik des sog. [X.] [X.] näherkonkretisiert und ausgeführt, daß es zwischen der Stärke des bestehendenTatverdachts und dem Maß der für die Annahme einer Tatprovokation erhebli-chen Einwirkung eines polizeilichen Lockspitzels eine Wechselwirkung gebenkann. Je stärker der Verdacht, desto nachhaltiger wird auch die Stimulierungzur Tat sein dürfen, bevor die Schwelle der Tatprovokation erreicht wird.b) Im vorliegenden Fall mag durchaus fraglich sein, ob zu dem Zeit-punkt, als der Verdeckte Ermittler das Handelsgeschäft initiierte, zureichendetatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlagen, daß der Angeklagte auch zu einerStraftat der vorliegenden Art bereit war. Das [X.] begründet dessentiefe Verstrickung in [X.] nämlich mit den Erwerbsakten,einer weniger gravierenden Deliktsform. Diese bezogen sich zudem auf [X.], die erheblich unter der initiierten [X.] lagen. Das Handelsge-schäft unterscheidet sich damit erheblich von der bisherigen Verstrickung des- 9 -Angeklagten (Problem des [X.]). Auf der anderen Seite gab esauch Hinweise, daß der Angeklagte mit Kokain handle und die Gestattung [X.] des Verdeckten Ermittlers legt nahe, daß ein konkreter Tatverdachtfür eine Straftat von erheblicher Bedeutung auf dem Gebiet des [X.] bestand (vgl. § 110a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 110b Abs. 2 Satz 1Nr. 1 StPO).Jedenfalls war der Angeklagte sogleich zu einem derartigen [X.] und der Verdeckte Ermittler hat ihn ohne sonstige Einwirkung ledig-lich darauf angesprochen. Es ist auch nicht festgestellt, daß die herabgesetzteKritikfähigkeit des Angeklagten dem Verdeckten Ermittler oder den [X.] bekannt war, oder daß diese gar ausgenutzt wurde; dann [X.] hätte eine Tatprovokation nahegelegen. Damit wurde [X.] auch unter Be-rücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Tatverdacht und Einwirkungsin-tensität [X.] die Schwelle zur Tatprovokation nicht erreicht.2. Rechtlichen Bedenken begegnet allerdings, daß das [X.] beider Bemessung der [X.] nicht alle Umstände angeführt hat, die hierfür die Zumessung der Strafe bestimmend sein mußten.Unzureichend berücksichtigt ist insbesondere der Umstand, daß die Kri-tikfähigkeit des Angeklagten wegen der unfallbedingten [X.]beeinträchtigt war. Diese [X.] hatte auch zu einem [X.] geführt. Zwar haben die Ermittlungsbehörden mangels Kenntnisdiesen Umstand nicht ausgenutzt. Objektiv mag die [X.] aberden spontanen Entschluß zu dem Handelsgeschäft mit hoher Gewinnerwartunggefördert haben, zumal der Angeklagte nur mit erheblichem Aufwand eine Lie-ferquelle erschließen konnte. Zudem war er infolge seines [X.] wenn auch [X.] unverschuldeten [X.] beruflichen Niedergangs in einer schwierigen fi-- 10 -nanziellen Lage. Zu bedenken war weiter, daß sich der Angeklagte von [X.] distanziert und Vorkehrungen getroffen hatte, Kontakte mit Be-kannten O. s zu meiden.Zwar hat das [X.] die durch die Hirnverletzung hervorgerufenePersönlichkeitsveränderung zum Anlaß genommen, eine Strafrahmenverschie-bung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen. Es hat bei der Verneinung desminder schweren Falles [X.] der eher fern liegt [X.] auch bedacht, daß zwei vertypteMilderungsgründe vorliegen. Gleichwohl hätten die oben genannten Umstände,die gerade wegen ihres Zusammenwirkens allein von der Strafrahmenver-schiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht ausreichend erfaßt sind, hier auchbei der konkreten Strafzumessung ins Gewicht fallen müssen (vgl. [X.], 166).3. Der [X.] kann nicht sicher ausschließen, daß die [X.] [X.] beruht. Die Aufhebung der [X.] führt zur Aufhebung des [X.]. Die [X.]n für die [X.] können [X.] bleiben, sie sind von dem Rechtsfehler nicht berührt.Schäfer Nack [X.] RiBGH [X.] befindet sich im Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert Schäfer [X.]

Meta

1 StR 116/01

30.05.2001

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2001, Az. 1 StR 116/01 (REWIS RS 2001, 2425)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2001, 2425

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