Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 05.12.2019, Az. 1 BvL 7/18

1. Senat | REWIS RS 2019, 742

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

BEFANGENHEIT ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT ÖFFENTLICHES RECHT VERFASSUNG GESETZGEBUNG EHE BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) POLITIKER BUNDESJUSTIZMINISTERIUM KINDER VERFASSUNGSBESCHWERDE RICHTER

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zu den Voraussetzungen, unter denen eine frühere parlamentarische Tätigkeit eines Bundesverfassungsrichters bzw dessen frühere Forderung nach Gesetzesänderungen während einer solchen Tätigkeit einen Ausschlussgrund gem § 18 BVerfGG oder eine Besorgnis der Befangenheit iSd § 19 BVerfGG begründen kann - hier: Zwischenentscheidung im Normenkontrollverfahren bzgl der Verfassungsmäßigkeit von Art 13 Abs 3 Nr 1 EGBGB (juris: BGBEG) - Vizepräsident des BVerfG nicht von Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen (§ 18 BVerfGG) - zudem keine Besorgnis der Befangenheit (§ 19 Abs 3, Abs 1 BVerfGG)


Tenor

1. Vizepräsident [X.] ist nicht von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen.

2. [X.] [X.] ist nicht begründet.

Gründe

1

Das Zwischenverfahren betrifft eine Erklärung des Vizepräsidenten [X.] vom 7. Mai 2019, die Anlass gibt, seinen Ausschluss von der Ausübung des [X.]amts in diesem Normenkontrollverfahren zu prüfen.

2

Das durch Vorlage des [X.] eingeleitete Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EG[X.] in der Fassung des [X.] vom 17. Juli 2017 ([X.]) mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit eine unter Beteiligung eines nach ausländischem Recht ehemündigen Minderjährigen geschlossene Ehe nach [X.] Recht ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert wird, wenn der Minderjährige im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte.

3

1. Vizepräsident [X.] hat unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des [X.] am 7. Mai 2019 folgende Erklärung abgegeben:

"Diesbezüglich weise ich auf das Folgende hin:

1. In meinen früheren Funktionen als Mitglied des Deutschen [X.]es und Stellvertretender Vorsitzender der [X.]/[X.] war ich intensiv in die Vorbereitung und Verabschiedung des [X.] eingebunden. Dies betrifft insbesondere die nachstehend dargelegten Vorgänge.

2. Vor dem Hintergrund des Beschlusses des [X.] vom 12. Mai 2016 - 2 UF 58/16 - habe ich in der … vom 4. August 2016 (S. 7) gemeinsam mit [X.], und [X.], einen Beitrag unter dem Titel '[X.]: Wenn Kinder heiraten ‒ müssen' veröffentlicht. In diesem wurde u.a. ausgeführt, falls 'sich der [X.] ‒ wofür viel sprechen dürfte ‒ zu einem grundsätzlichen legislativen Eingreifen entschließen sollte,' biete sich ein gestuftes Vorgehen an; hiernach

a) sollten in Zukunft ausländische Ehen dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der Eheleute unterworfen werden;

b) sollten Kinderehen auf Antrag der Betroffenen oder einer Behörde (zum Beispiel des [X.]) für die Zukunft durch richterliche Gestaltungsentscheidung aufhebbar sein. Dieses für in [X.] geschlossene Kinderehen bereits nach §§ 1303, 1313 ff. [X.] geltende Modell solle auf im Ausland geschlossene Kinderehen ausgedehnt werden. Der Vorteil dieser Aufhebungslösung liege in ihrer Rechtssicherheit und Rechtsklarheit;

c) sollte zum unmittelbaren Schutz der verheirateten Kinder deren sexuelle Selbstbestimmung strafrechtlich geschützt werden.

3. Im Rahmen der Klausurtagung des Vorstands der [X.]/[X.] in [X.] wurde am 1. September 2016 ein federführend von [X.] vorbereitetes Papier mit dem Titel 'Schutz der Schwächeren ‒ Verbot von Kinderehen in [X.]' beschlossen. In diesem wurde u.a. ausgeführt, die Aufhebung von [X.] müsse künftig der Grundsatz sein, das Aufhebungsverfahren erscheine gegenüber anderen Lösungen vorzugswürdig. Es biete Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die Betroffenen.

4. Im Sinne der vorstehend skizzierten Überlegungen habe ich in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 und der ersten Hälfte des Jahres 2017 für eine gesetzliche Regelung eines Verbots sog. Kinderehen geworben (u.a. in Gremiensitzungen innerhalb der [X.]/[X.], in Gesprächen mit der Bundesregierung und mit Vertreterinnen und Vertretern der SPD-[X.]sfraktion, auf Veranstaltungen der [X.] und in verschiedenen Medien).

5. Gegen Ende des Jahres 2016 und Anfang des Jahres 2017 wurde mitunter dafür plädiert, in Abweichung von dem von [X.] favorisierten [X.] die generelle Unwirksamkeit von Kinderehen kraft Gesetzes ohne entsprechenden richterlichen [X.] anzuordnen. Diese politische Forderung wurde von [X.] abgelehnt, weil ich sie mit Blick auf ihre Auswirkungen beim Vorhandensein gemeinsamer Kinder, bei Unterhaltsansprüchen und bei vermögensrechtlichen Fragen für nicht sachgerecht hielt.

6. Die Regierungsfraktionen der 18. Wahlperiode des Deutschen [X.]es verständigten sich schließlich darauf, das [X.] in der letztlich in [X.] getretenen Fassung zu verabschieden. Der dem zugrundeliegende politische Kompromiss wurde von [X.] mitgetragen. Dessen ungeachtet wies ich in meiner Rede im Rahmen der Ersten Beratung des vorerwähnten Gesetzentwurfs im Deutschen [X.] am 28. April 2017 darauf hin, dass das [X.] aus meiner Sicht das rechtspolitisch beste Modell sei.

Vor diesem Hintergrund ersuche ich den erkennenden Senat um die Entscheidung, ob in meiner Person die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 19 des Gesetzes über das [X.] besteht."

4

2. Die nach § 82 Abs. 3 [X.] zum Beitritt im konkreten Normenkontrollverfahren berechtigten, durch § 77 in Verbindung mit § 76 Abs. 1 [X.] bestimmten Bundes- und [X.] hatten ebenso Gelegenheit zur Stellungnahme wie die nach § 82 Abs. 3 [X.] im anhängigen Verfahren äußerungsberechtigten Beteiligten des Ausgangsverfahrens.

5

Die von Vizepräsident [X.] angezeigten Umstände geben Anlass, einen Beschluss des Senats über die Besorgnis der Befangenheit eines [X.]s des [X.]s gemäß § 19 Abs. 3 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 [X.] herbeizuführen (vgl. [X.] 101, 46 <50> m.w.N.). Zu der Prüfung von Ausschlussgründen aus § 18 Abs. 1 [X.] ist der Senat wegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ohnehin in jedem Stadium eines Verfahrens verpflichtet (vgl. [X.] 46, 34 <35 f.>; 95, 322 <330>).

6

Vizepräsident [X.] ist von der Mitwirkung an dem Verfahren der konkreten Normenkontrolle [X.] (§ 18 [X.]) ausgeschlossen. Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände (vgl. [X.] 142, 18 <21 Rn. 11>; 148, 1 <6 Rn. 17>) besteht auch kein ausreichender Anlass, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln (§ 19 [X.]).

7

Vizepräsident [X.] ist in diesem Verfahren der Normenkontrolle [X.] von der Ausübung seines [X.]amts ausgeschlossen (§ 18 [X.]).

8

1. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist ein [X.] des [X.]s von der Ausübung seines [X.]amts ausgeschlossen, wenn er in derselben Sache von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist. Diese Vorschrift garantiert die subjektive Unabhängigkeit des [X.]s und stellt seine Offenheit und Unbefangenheit im Hinblick auf den zur Entscheidung anstehenden Fall sicher (vgl. [X.] 78, 331 <338 f.>; 82, 30 <35>; 140, 115 <136 Rn. 50>). Die Ausschlussregelung ist als Ausnahmetatbestand konzipiert und deshalb eng auszulegen (vgl. [X.] 140, 115 <137 Rn. 51>; 148, 1 <5 Rn. 14>).

9

Das Merkmal "in derselben Sache" in § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist stets in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn zu verstehen. Zu einem Ausschluss kann deshalb regelmäßig lediglich eine Tätigkeit in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren führen (vgl. [X.] 82, 30 <35 f.>; 109, 130 <131>; 133, 163 <165 f. Rn. 6>; 135, 248 <254 Rn. 16>; 148, 1 <5 f. Rn. 14>).

Nicht als Tätigkeit "in derselben Sache" gilt nach der gesetzlichen Regelung in § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] ausdrücklich die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren. Bei der parlamentarischen Arbeit als [X.] handelt es sich um eine Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren im Sinne von § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] (vgl. [X.] 2, 295 <298 f.>; 58, 177 <188>; siehe auch [X.] 135, 248 <256 Rn. 20>).

2. Danach fällt die in der Erklärung von Vizepräsident [X.] unter den Ziffern 3 bis 6 angezeigte Beteiligung an dem Zustandekommen der hier verfahrensgegenständlichen Bestimmungen des [X.] in den Anwendungsbereich von § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.].

Die in den Ziffern 3 bis 6 der Erklärung benannten Tätigkeiten sind Teil der Ausübung des Abgeordnetenmandats im Deutschen [X.]. Das gilt für die Beteiligung an Beratungen und Abstimmungen im Plenum ebenso wie für die Arbeit in den Ausschüssen sowie innerhalb der eigenen Fraktion oder zwischen den Fraktionen. Das Werben für eine gesetzliche Regelung außerhalb des unmittelbaren parlamentarischen Bereichs, wie etwa durch Interviews in den Medien, ist Teil der Mandatsausübung und gehört damit ebenfalls in den Anwendungsbereich von § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.]; zumal die Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren weit verstanden und selbst auf die Gutachtenerstattung durch externe Sachverständige (vgl. [X.] 135, 248 <256 Rn. 20>) oder auf die Referententätigkeit in einem beteiligten Ministerium erstreckt wird (vgl. [X.] 1, 66 <67>).

3. Die Mitautorschaft von Vizepräsident [X.] an dem am 3. August 2016 erschienenen, in Ziffer 2 seiner Erklärung genannten [X.] führt ebenfalls nicht zu seinem Ausschluss von der Ausübung des [X.]amts nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Sollte das vor der Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte Verfassen des Beitrags als von Berufs oder Amts wegen erfolgte frühere Tätigkeit in derselben Sache zu bewerten sein, ist die Autorschaft wegen des auf das sich bereits abzeichnende Gesetzgebungsverfahren bezogenen [X.] jedenfalls Teil der Mandatsausübung. Dann steht wiederum § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] dem Ausschluss entgegen.

Die von Vizepräsident [X.] in seiner Erklärung angezeigten Umstände geben im Ergebnis keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln. Er ist daher nicht wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 19 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 [X.]) von der Ausübung seines [X.]amts ausgeschlossen.

1. a) Die Besorgnis der Befangenheit eines [X.]s des [X.]s nach § 19 [X.] setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen (vgl. [X.] 108, 122 <126>; 142, 18 <21 Rn. 11>; 148, 1 <6 Rn. 17>). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der [X.] tatsächlich parteiisch oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln (vgl. [X.] 142, 18 <21 Rn. 11>; 148, 1 <6 Rn. 17>). Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es auch darum, bereits den "bösen Schein" einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden ([X.] 148, 1 <6 Rn. 17>).

b) Die Maßstäbe gelten wegen der einheitlichen Gewährleistung eines neutralen und unvoreingenommenen [X.]s in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. [X.] 21, 139 <145 f.>; 89, 28 <36>; 103, 111 <140>; 140, 115 <136 Rn. 50>; 148, 69 <87 Rn. 48>) für sämtliche Verfahrensarten, auch für solche, an denen ‒ wie im konkreten Normenkontrollverfahren ‒ Verfahrensbeteiligte erst dann mitwirken, wenn wenigstens eines der in § 82 Abs. 2 in Verbindung mit § 77 [X.] genannten Verfassungsorgane von seinem Beitrittsrecht Gebrauch gemacht hat. Sie finden zudem einheitlich sowohl bei Entscheidungen über [X.] nach § 19 Abs. 1 [X.] als auch bei [X.] nach § 19 Abs. 3 [X.] Anwendung (vgl. [X.] 20, 26 <29 f.>; siehe auch [X.] 101, 46 <53>; 109, 130 <132>).

c) Zweifel an der notwendigen Objektivität und Unvoreingenommenheit eines [X.]s des [X.]s können berechtigt sein, wenn sich aufdrängt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen einer ‒ mit Engagement geäußerten ‒ politischen Überzeugung und der Rechtsauffassung des betroffenen [X.]s besteht (vgl. [X.] 142, 18 <22 Rn. 15>, 148, 1 <7 Rn. 19>) oder wenn frühere Forderungen des jetzigen [X.]s nach einer Rechtsänderung in einer konkreten Beziehung zu einem während seiner Amtszeit beim [X.] anhängigen Verfahren stehen (vgl. [X.] 148, 1 <7 f. Rn. 19> m.w.N.). Auch in diesen Konstellationen ist jedoch entscheidend, ob sein Verhalten den Schluss zulässt, er stehe einer der seinigen entgegenstehenden Rechtsauffassung nicht mehr frei und unvoreingenommen gegenüber, sondern sei bereits festgelegt (vgl. [X.] 142, 9 <15 Rn. 18> m.w.N.; 148, 1 <9 f. Rn. 24>). Dabei kommt es für die aus der Befürchtung einer bereits vorgefassten Rechtsauffassung des betroffenen [X.]s gespeiste berechtigte Besorgnis fehlender Unvoreingenommenheit und Offenheit auf den Eindruck der [X.] zu den im anhängigen Verfahren relevanten Rechtsfragen an (vgl. [X.] 142, 9 <16 Rn. 21 f.>; 142, 18 <22 f. Rn. 17 ff.> jeweils hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG).

d) Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 19 [X.] kann allerdings nicht aus allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach den ausdrücklichen Regelungen in § 18 Abs. 2 und 3 [X.] für sich genommen keinen Ausschluss von der Ausübung des [X.]amts rechtfertigen (vgl. [X.] 2, 295 <297>; 82, 30 <38>; 135, 248 <257 Rn. 24>). Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade wegen dieser Gründe dennoch über eine Befangenheitsablehnung ein [X.] von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Daher muss stets etwas Zusätzliches gegeben sein, das über die bloße Tatsache der Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren oder das Äußern einer wissenschaftlichen Meinung zu einer für das jetzige Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage hinausgeht, damit eine Besorgnis der Befangenheit nach dem dafür geltenden Maßstab als begründet erachtet werden kann (vgl. [X.] 82, 30 <38 f.>; 135, 248 <257 Rn. 24>; 148, 1 <8 Rn. 20 m.w.N.>). Diese zusätzlichen Umstände müssen eine besonders enge Beziehung des [X.]s zu dem zur verfassungsrechtlichen Prüfung anstehenden Gesetz in der Öffentlichkeit geschaffen haben, wie dies etwa der Fall sein kann, wenn sich der [X.] als ehemaliger Politiker für ein politisch umstrittenes Gesetz in der Öffentlichkeit besonders engagiert oder in einer Weise inhaltlich positioniert hat, die das nunmehr anhängige Verfahren unmittelbar betrifft (vgl. [X.] 148, 1 <8 Rn. 20>).

2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe bestehen aufgrund der dargelegten tatsächlichen Umstände der Einbindung von Vizepräsident [X.] in die Initiierung und Durchführung des zum [X.] führenden Gesetzgebungsverfahrens weder aufgrund einzelner Aspekte noch aus deren summativer Wirkung (dazu [X.] 135, 248 <257 f. Rn. 26>) ausreichende Gründe für die Besorgnis seiner Befangenheit.

a) Sein Abgeordnetenmandat in der 18. Wahlperiode des Deutschen [X.]s und die daraus resultierende Mitwirkung am fraglichen Gesetzgebungsverfahren tragen für sich genommen als von § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] erfasste Umstände die Besorgnis der Befangenheit nicht. Daran ändert seine zusätzliche parlamentarische Funktion als einer der stellvertretenden Vorsitzenden der [X.]/[X.] nichts. Sie ist Ausfluss des Mandats und fällt in den Anwendungsbereich des § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.]. Die Regelung differenziert nicht zwischen Abgeordneten mit herausgehobenen parlamentarischen Funktionen und solchen ohne. Sie knüpft allein an die Mitwirkung aller Abgeordneten am Gesetzgebungsverfahren als solche an.

b) Die Beteiligung von Vizepräsident [X.] am Gesetzgebungsverfahren ist nicht durch besondere zusätzliche, über die Mitwirkung als [X.] daran deutlich hinausreichende Umstände gekennzeichnet, die die Besorgnis der Befangenheit begründen können.

aa) Die Ausübung des Amts eines stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden an sich ist kein zu der Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren zusätzlich hinzukommender Umstand, der geeignet ist, Zweifel an der Neutralität und Unvoreingenommenheit eines jetzigen [X.]s des [X.]s zu begründen. Um einen Widerspruch zu der in § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] enthaltenen Wertung zu vermeiden, können die erforderlichen zusätzlichen Umstände allein aus der konkreten Art und Weise der Mitwirkung der einzelnen Person am Gesetzgebungsverfahren gewonnen werden, nicht aber aus dem formalen Innehaben eines parlamentarischen oder eines Regierungsamts selbst. Dementsprechend hat der [X.] des [X.]s die Besorgnis der Befangenheit des [X.]s Müller nicht auf dessen frühere Stellung als Ministerpräsident des [X.] an sich gestützt, sondern auf die konkrete Art und das konkrete Ausmaß seiner Beteiligung an einer ersten Gesetzgebungsinitiative, die auf die Einführung einer mit dem geltenden, im [X.] gegenständlichen § 217 StGB deckungsgleichen Regelung zielte (vgl. [X.] 148, 1 <8 ff. Rn. 22, 24>).

bb) Bei der gebotenen individuell-konkreten Bewertung der Mitwirkung von Vizepräsident [X.] an dem Gesetzgebungsverfahren des [X.] lassen sich keine ausreichenden Gründe für die Befürchtung fehlender Unvoreingenommenheit und mangelnder Offenheit gegenüber den im anhängigen Normenkontrollverfahren aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen finden.

(1) Sein Eintreten und sein Werben für eine Änderung der gesetzlichen Regelungen über die Wirksamkeit von im Ausland geschlossenen Ehen mit Beteiligung zumindest eines minderjährigen Partners, die in der Mitautorschaft des genannten [X.]s wie auch in mehreren Interviews sowie in der parlamentarischen Arbeit Ausdruck fanden, vermögen vorliegend keine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Zwar können frühere Forderungen des betroffenen [X.]s nach einer Rechtsänderung Zweifel an seiner Objektivität begründen, wenn diese Forderungen in einer konkreten Beziehung zu einem während seiner Amtszeit beim [X.] anhängigen Verfahren stehen (vgl. [X.] 148, 1 <7 f. Rn. 19 m.w.N.>). Solche Rechtsänderungen hat Vizepräsident [X.] unter anderem sowohl in dem [X.] vom 3. August 2016 als auch in verschiedenen Verlautbarungen der [X.]/[X.], etwa einem Eckpunktepapier ebenfalls vom 3. August 2016, gefordert. Entscheidend dafür, ob im konkreten Verfahren die Forderung nach Rechtsänderung die Besorgnis seiner Befangenheit begründen kann, ist jedoch auch insoweit, dass das Verhalten des [X.]s den Schluss zulässt, er stehe einer der seinigen widersprechenden Rechtsauffassung nicht mehr frei und unvoreingenommen gegenüber, sondern sei "festgelegt" (vgl. [X.] 148, 1 <8 Rn. 19 m.w.N.>).

Bei dieser Beurteilung muss nicht nur ein Wertungswiderspruch zu § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] vermieden, sondern müssen auch weitere Wertungen des Grundgesetzes und des einfachen Gesetzesrechts berücksichtigt werden. So lässt sich den grundgesetzlichen (Art. 94 Abs. 1 GG) und den einfachrechtlichen Bestimmungen (§§ 3 ff. [X.]) über die Wahl der [X.] des [X.]s die Wertung entnehmen, auch Personen, die als Repräsentanten von Parteien politische Funktionen in den Parlamenten ausgeübt haben, sollten als Mitglieder des [X.]s gewählt werden können. Damit geht die Erwartung des Verfassungs- und Gesetzgebers einher, dass die aus dem vorgenannten Personenkreis Gewählten ihre neue Rolle als [X.] unabhängig von früheren parteipolitischen Auseinandersetzungen ausüben werden (vgl. [X.] 99, 51 <56 f.>; 142, 9 <14 Rn. 17>; 142, 18 <21 f. Rn. 14>; siehe auch [X.] 140, 115 <137 Rn. 51>). Während der früheren parlamentarischen Tätigkeit eines jetzigen Mitglieds des [X.]s erhobene Forderungen nach Gesetzesänderungen können daher nicht ohne Weiteres eine Besorgnis der Befangenheit begründen. Der für die Besorgnis der Befangenheit genügende "böse Schein" möglicherweise fehlender Unvoreingenommenheit (vgl. [X.] 108, 122 <129>; 148, 1 <6 Rn. 17>) entsteht erst, wenn das konkrete Verhalten des betroffenen [X.]s jenseits der in § 18 Abs. 3 Nr. 1 [X.] ausdrücklich akzeptierten vorhergehenden Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren bei vernünftiger Würdigung auf eine verfassungsrechtliche [X.] schließen lässt.

Danach ist die Forderung von Vizepräsident [X.] nach gesetzlichen Regelungen zur Bekämpfung von Kinderehen nicht geeignet, Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit bei der Beurteilung der im anhängigen Verfahren bedeutsamen Rechtsfragen zu wecken. Sein Eintreten als vormaliger [X.] für eine Gesetzesänderung mit dem Ziel des Schutzes von minderjährigen Ehepartnern auch bei im Ausland wirksam geschlossenen Ehen war nicht mit einer Festlegung auf eine bestimmte verfassungsrechtliche Beurteilung der verschiedenen in der rechtspolitischen Diskussion erwogenen Modelle zur Neuregelung von Kinderehen verbunden. Bereits die im zeitlichen Vorfeld der Einbringung des Entwurfs eines [X.] erfolgten Äußerungen des betroffenen [X.]s begründeten den Vorzug des von ihm favorisierten Modells der Aufhebung von Kinderehen allein mit rechtspolitischen Argumenten. Seine vor und während des Gesetzgebungsverfahrens erfolgten Beiträge stützten sich nicht auf verfassungsrechtliche Erwägungen, die im anhängigen Verfahren für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung unterbreiteten gesetzlichen Bestimmungen bedeutsam sein könnten. Soweit er in seinen früheren Äußerungen auf Verfassungsrecht Bezug nahm, wie etwa auf den Schutzanspruch Minderjähriger gegenüber dem Staat oder das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, handelte es sich um den Rückgriff auf zentrale Wertungen des Grundgesetzes, mit deren Hilfe der Bedarf für eine Neuregelung von sogenannten Kinderehen als solcher begründet wurde. Eine verfassungsrechtliche Bewertung der verschiedenen Regelungsmodelle ist hingegen nicht erkennbar. Die von dem betroffenen [X.] zum Ausdruck gebrachte Präferenz für eine Neuregelung, die ‒ abweichend vom Gesetz gewordenen Modell ‒ im Grundsatz von der Aufhebbarkeit von Kinderehen ausgehen sollte, begründete er rechtspolitisch. Maßgeblich verwies Vizepräsident [X.] als damaliger [X.] darauf, im Aufhebungsverfahren könnten unter Berücksichtigung der Verhältnisse des konkreten Paares "flankierende Rechtsfragen", wie zum Beispiel Unterhaltsansprüche, rechtsverbindlich geklärt werden (vgl. Ziffer 4 des Eckpunktepapiers der [X.]/[X.] vom 3. August 2016). Selbst der "böse Schein" (vgl. [X.] 108, 122 <129>; 148, 1 <6 Rn. 17>) einer aus der [X.] auf eine bestimmte Beurteilung des im [X.] zu überprüfenden Rechts gespeisten Besorgnis der Befangenheit lässt sich daher nicht annehmen. Insofern verhält es sich vorliegend anders als in Konstellationen, in denen frühere Forderungen eines jetzigen [X.]s des [X.]s nach einer Gesetzesänderung gerade mit dezidiert verfassungsrechtlicher Argumentation erhoben wurden und darauf gestützt eine bestimmte einfachgesetzliche Regelung für verfassungsrechtlich erforderlich erachtet wurde (vgl. [X.] 148, 1 <9 Rn. 23>).

Gegen den Anschein einer solchen [X.] spricht bei vernünftiger Würdigung auch der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens. Vizepräsident [X.] hat im Ergebnis das von ihm rechtspolitisch nicht favorisierte Modell des geltenden, hier teilweise zur Prüfung anstehenden Rechts mit unterschiedlichen Regelungen von [X.] mit unter und über 16jährigem Ehepartner im Deutschen [X.] mitgetragen. In seiner in der Plenarsitzung vom 28. April 2017 gehaltenen Rede wies er ausdrücklich darauf hin, dass er von den beiden zunächst diskutierten [X.] immer noch das [X.] für das rechtspolitisch beste Modell halte, das davon abweichende Modell des Gesetzes aber dennoch mittrage (vgl. [X.] 18/232, S. 23468 linke Spalte). Das vermag den Anschein einer [X.] im Sinne fehlender Offenheit gegenüber von der eigenen Rechtsauffassung abweichenden Ansichten zu im konkreten verfassungsgerichtlichen Verfahren bedeutsamen Rechtsfragen nicht zu tragen.

(2) Zweifel an der Objektivität von Vizepräsident [X.] sind nicht deshalb berechtigt, weil sich aufdrängte, dass ein innerer Zusammenhang zwischen einer von ihm ‒ mit Engagement geäußerten ‒ politischen Überzeugung und seiner Rechtsauffassung bestünde (vgl. [X.] 73, 330 <337>; 142, 18 <22 Rn. 15>; 148, 1 <7 Rn. 19>). Ein solcher innerer Zusammenhang wird bei dem Eintreten für eine auf die politische Überzeugung zurückgehende Forderung nach Gesetzesänderungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn dabei dezidiert verfassungsrechtlich argumentiert wird (vgl. [X.] 148, 1 <9 Rn. 23>). Daran fehlt es aus den vorstehend dargelegten Gründen jedoch. Weder die öffentlichen Äußerungen von Vizepräsident [X.] während seiner Mitgliedschaft im Deutschen [X.] noch der von ihm mitgetragene Entwurf eines [X.] gehen auf für das anhängige Verfahren bedeutsame verfassungsrechtliche Erwägungen zu den gegenständlichen fachrechtlichen Bestimmungen ein. Sein früheres Werben für ein auf die Aufhebbarkeit von Kinderehen setzendes Regelungsmodell hat er nicht verfassungsrechtlich fundiert. Ebenso wenig hat er sich mit verfassungsrechtlichen Erwägungen gegen die Nichtigkeit von Kinderehen, jedenfalls solcher mit einem unter 16jährigen Partner, gewandt. Es fehlt damit auch insoweit an Grundlagen für die Annahme, er könne den im anhängigen Normenkontrollverfahren zu behandelnden Rechtsfragen nicht mehr neutral und unvoreingenommen gegenüberstehen.

(3) Eine Gesamtbetrachtung (vgl. [X.] 135, 248 <257 Rn. 25>) der die konkrete Art und Weise der Mitwirkung von Vizepräsident [X.] am fraglichen Gesetzgebungsverfahren prägenden Umstände führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Mitwirkung ist insgesamt nicht durch zusätzliche Umstände gekennzeichnet, die eine Befürchtung fehlender Neutralität und Unvoreingenommenheit gegenüber den einschlägigen Rechtsfragen des anhängigen Verfahrens begründen können.

Die Entscheidung ist mit Gegenstimmen ergangen.

Meta

1 BvL 7/18

05.12.2019

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvL

vorgehend BGH, 14. November 2018, Az: XII ZB 292/16, Vorlagebeschluss

§ 18 Abs 1 Nr 2 BVerfGG, § 18 Abs 2 BVerfGG, § 18 Abs 3 Nr 1 BVerfGG, § 19 Abs 1 BVerfGG, § 19 Abs 3 BVerfGG, Art 13 Abs 3 Nr 1 BGBEG vom 17.07.2017, KiEheBekG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 05.12.2019, Az. 1 BvL 7/18 (REWIS RS 2019, 742)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 742


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvL 7/18

Bundesverfassungsgericht, 1 BvL 7/18, 01.02.2023.

Bundesverfassungsgericht, 1 BvL 7/18, 05.12.2019.


Az. XII ZB 292/16

Bundesgerichtshof, XII ZB 292/16, 14.11.2018.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 (Bundesverfassungsgericht)

Selbstablehnung eines Richters im Verfahren "Kopftuchverbot im Schulgesetz Nordrhein-Westfalen" - Kein Ausschluss vom Richteramt gem …


1 BvR 781/21 (Bundesverfassungsgericht)

Erfolgloser Befangenheitsantrag im Verfahren zu Vorschriften des Vierten Bevölkerungsschutzgesetzes ("Bundesnotbremse" - juris: EpiBevSchG 4) - …


1 BvR 745/17, 1 BvR 981/17 (Bundesverfassungsgericht)

Vizepräsident Kirchhof im Verfahren bzgl der Verfassungsmäßigkeit der Rundfunkbeiträge nicht gem § 18 BVerfGG von …


1 BvR 1160/19 (Bundesverfassungsgericht)

Zwischenentscheidung über die Frage des Ausschlusses eines Richters von der Mitwirkung im Verfassungsbeschwerdeverfahren bzgl Regelungen …


1 BvQ 54/20 (Bundesverfassungsgericht)

Mangels hinreichender Begründung erfolgloser Eilantrag auf Aufhebung einer Entscheidung des VerfGH Stuttgart - Verwerfung eines …


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.