Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2014, Az. XII ZB 377/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 8654

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Gegenstand

Verlust des Richterablehnungsrechts: Einlassung der ablehnenden Partei in die Verhandlung durch Einreichung eines vorbereitenden Schriftsatzes


Leitsatz

Durch das Einreichen eines die mündliche Verhandlung lediglich vorbereitenden Schriftsatzes hat sich eine Partei noch nicht in eine Verhandlung vor dem als befangen abgelehnten Richter eingelassen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des [X.] vom 21. Mai 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des [X.] - an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 272.665 €

Gründe

I.

1

Die [X.]en streiten über die Beendigung eines gewerblichen (Zwischen-)Mietverhältnisses aufgrund einer vom Kläger als Vermieter wegen Zahlungsverzuges ausgesprochenen Kündigung. Das [X.] hat dem auf Feststellung der Beendigung des Mietverhältnisses gerichteten Klageantrag vollständig und dem Antrag auf Mietzahlung überwiegend stattgegeben.

2

Dagegen haben beide [X.]en Berufung eingelegt. Mit prozessleitender Verfügung vom 6. Oktober 2011 hat der [X.]svorsitzende des zuständigen Zivilsenats beim [X.] Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 27. Februar 2012 bestimmt und den [X.]en Hinweise erteilt. Hinsichtlich der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung hat er das Vorliegen eines ("schuldhaften") Zahlungsverzugs bezweifelt und hierzu unter anderem ausgeführt: "Angesichts des Chaos, das der Kläger, der mit seinen undurchschaubaren Machenschaften ausschließlich steuerliche Zwecke verfolgt und sich in einem Geflecht mietrechtlicher und steuerlicher Überlegungen verheddert hat, hinsichtlich der zu zahlenden Miete angerichtet hat, erscheint der Vortrag der Beklagten mehr als gut erklärbar, dass die Höhe der geschuldeten Miete für sie nicht mehr nachvollziehbar sei." Des Weiteren bestünden (u.a.) Bedenken gegen die Wirksamkeit der Kündigung wegen des "eigenen grob vertrags- und treuwidrigen Verhaltens" des [X.]. In der Verfügung ist den [X.]en gemäß § 521 Abs. 2 ZPO - unter Hinweis auf Verspätungsfolgen - Gelegenheit gegeben worden, abschließend bis zum 17. November 2011 zu der Berufungsbegründung der (jeweiligen) Gegenseite Stellung zu nehmen.

3

Der Kläger hat sodann mit einem Schriftsatz vom 16. November 2011 in der Sache vorgetragen und zu den erteilten Hinweisen Stellung genommen.

4

Mit einem im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2012 überreichten Schriftsatz vom 24. Februar 2012 hat der Kläger den Vorsitzenden [X.] sowie den Berichterstatter, Dr. H., der die prozessleitende Verfügung vorbereitet hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er hat dies damit begründet, die abgelehnten [X.] hätten sich in der prozessleitenden Verfügung unangemessen geäußert. Durch eine Bevorzugung bestrittenen Vorbringens der Beklagten hätten sie Sachverhalte zu seinen Lasten unterstellt und in einer Weise gewürdigt, die die Besorgnis begründeten, dass die [X.] nicht unvoreingenommen seien. Mit Schriftsatz vom 19. März 2012 hat der Kläger sein Befangenheitsgesuch im Hinblick auf die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten [X.] sowie auf eine Äußerung des Vorsitzenden [X.]s in der Sitzung vom 27. Februar 2012 auf weitere Gründe gestützt.

5

Das [X.] hat im angefochtenen Beschluss "die [X.] des [X.] vom 24. Februar 2012" als unzulässig verworfen. "Die [X.] vom 19. März 2012" hat es als unbegründet zurückgewiesen. Es hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, soweit die [X.] als unzulässig verworfen worden sind.

6

Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Kläger die Aufhebung des (in vollem Umfang) angefochtenen Beschlusses und verfolgt seine [X.] weiter.

II.

7

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aufgrund der Zulassung durch das [X.] statthaft (vgl. [X.] Beschluss vom 8. November 2004 - [X.] - NJW-RR 2005, 294) und auch ansonsten zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

8

1. Nach Auffassung des [X.]s ist das Ablehnungsgesuch des [X.] vom 24. Februar 2012 unzulässig. Der Kläger habe sich durch den Schriftsatz vom 16. November 2011 im Sinne von § 43 ZPO in eine Verhandlung eingelassen und sei daher hinsichtlich bekannter Ablehnungsgründe ausgeschlossen. Nach allgemeiner Meinung genüge für ein Einlassen im Sinne von § 43 ZPO jedes prozessuale Handeln einer [X.] unter Mitwirkung des [X.]s, das der weiteren Sachbearbeitung und Streiterledigung diene. Darunter fielen nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch vorbereitende Schriftsätze, wenn diese nicht nur formale Aspekte des [X.] beträfen. Der hiervon abweichenden Auffassung sei nicht zu folgen. Zum Einen stelle § 43 ZPO das Erfordernis einer mündlichen Verhandlung nicht auf. Zum Anderen sei auch im Vorfeld der mündlichen Verhandlung richterliche Arbeit zu leisten und wolle § 43 ZPO verhindern, dass diese später nutzlos werde.

9

Mit dem "Ablehnungsgesuch vom 19. März 2012" habe der Kläger keine Gründe vorgebracht, die die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten. Die Äußerung des Vorsitzenden [X.]s bei der Entgegennahme des ersten Befangenheitsgesuchs, man habe dieses erwartet, bringe nur zum Ausdruck, dass der Befangenheitsantrag den [X.] nicht überrascht habe. Auch die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten [X.], in denen sie die in der [X.] vertretene Ansicht verteidigten, enthielten keinen Befangenheitsgrund.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Der angefochtene Beschluss steht in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Die Rechtsbeschwerde macht mit Recht geltend, dass die vom [X.] im angefochtenen Beschluss ausgesprochene Beschränkung der Rechtsbeschwerdezulassung nicht wirksam ist.

Das Beschwerdegericht kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf Teile des Streitstoffs beschränken ([X.] Beschluss vom 12. April 2011 - [X.] - NJW 2011, 2371). Eine beschränkte Zulassung setzt indessen voraus, dass sich die Zulassung auf einen tatsächlich oder rechtlich selbständigen Teil des Streitstoffs bezieht, der Gegenstand eines Teilurteils ([X.] Beschluss vom 30. Januar 2007 - [X.] 43/05 - NJW-RR 2007, 932 Rn. 10 mwN) oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann ([X.]surteil [X.]Z 179, 43 = [X.], 406 Rn. 11 mwN). Dementsprechend hat der [X.] die auf den Gesichtspunkt der ordnungsmäßigen Besetzung des Gerichts eingeschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde in Abgrenzung zum gleichzeitig geltend gemachten Befangenheitsgesuch für zulässig gehalten ([X.] Beschluss vom 30. Januar 2007 - [X.] 43/05 - NJW-RR 2007, 932 Rn. 10).

Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall dadurch, dass allein die Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit Gegenstand des angefochtenen Beschlusses ist und die vom Kläger angeführten Gründe eine Einheit bilden. Das Befangenheitsgesuch vom 24. Februar 2012 hat durch den Schriftsatz vom 19. März 2012 lediglich eine Ergänzung erfahren. Mit der vom Kläger auf seiner Meinung nach sachfremde und einseitige Äußerungen der abgelehnten [X.] gestützten Besorgnis der Befangenheit steht bei beiden [X.]n in der Sache derselbe Aspekt zur Beurteilung. Die im Schriftsatz vom 19. März 2012 geltend gemachten Gründe beziehen sich vor allem auf die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten [X.] zu dem Befangenheitsgesuch vom 24. Februar 2012, so dass sich die beiden Schriftsätze vor dem Hintergrund einer möglichen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht sinnvoll trennen lassen.

Die unwirksame Beschränkung der Zulassung hat zur Folge, dass die Rechtsbeschwerde in vollem Umfang zugelassen ist.

b) Entgegen der Auffassung des [X.]s ist der Kläger nicht nach § 43 ZPO gehindert, sein Befangenheitsgesuch auf die in der terminsvorbereitenden Verfügung gegebenen Hinweise zu stützen.

aa) Die Frage, ob eine Prozesspartei sich durch die Einreichung eines sich mit der Sache befassenden vorbereitenden Schriftsatzes im Sinne von § 43 ZPO bei dem abgelehnten [X.] "in eine Verhandlung eingelassen hat", ist umstritten.

Nach einem Teil der Rechtsprechung und Literatur ist die Frage zu bejahen ([X.], 517 mwN; [X.] OLGR 2000, 84; [X.] in [X.]/[X.] ZPO 34. Aufl. § 43 Rn. 4). Zur Begründung wird der Gesetzeszweck angeführt, der in der schnellen und endgültigen Klärung der Mitwirkung des [X.]s und der Vermeidung überflüssiger richterlicher Arbeit bestehe ([X.], 517).

Nach wohl überwiegender Auffassung ([X.], 292; [X.] NJW-RR 2012, 309, 310; [X.] ZPO/Vossler [Stand: 15. Juli 2013] § 43 Rn. 8; [X.]/[X.]. § 43 Rn. 5; Musielak/[X.] ZPO 10. Aufl. § 43 Rn. 2; Vossler [X.], 992, 993; [X.]/[X.]/[X.] ZPO 3. Aufl. § 43 Rn. 5; [X.]/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 43 Rn. 4) stellt das Einreichen eines die mündliche Verhandlung lediglich vorbereitenden Schriftsatzes noch keine Einlassung im Sinne von § 43 ZPO dar. Hierfür wird vor allem auf den Wortlaut der Norm abgestellt, der eine Anwendung auf Schriftsätze nur zulasse, wenn die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehe (vgl. [X.] ZPO/Vossler [Stand: 15. Juli 2013] § 43 Rn. 9).

bb) Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen.

Nach § 43 ZPO kann eine [X.] einen [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist das Einlassen in eine Verhandlung im Sinne des § 43 ZPO jedes prozessuale, der Erledigung eines Streitpunktes dienende Handeln der [X.] unter Mitwirkung des [X.]s, das der weiteren Sachbearbeitung und Streiterledigung dient ([X.] Beschluss vom 5. Februar 2008 - [X.]/07 - FamRZ 2008, 981 Rn. 4 mwN).

Nach § 128 Abs. 1 ZPO verhandeln die [X.]en über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich. Vorbereitende Schriftsätze dienen dagegen lediglich der Ankündigung des Vortrags in der mündlichen Verhandlung. Prozessual wirksam wird das Vorbringen im Bereich des [X.] erst durch Vortrag in der mündlichen Verhandlung ([X.]Z 134, 127 = NJW 1997, 397, 398 mwN). Jedenfalls der Streiterledigung dient das schriftsätzliche Vorbringen somit erst, nachdem die [X.] sich in der mündlichen Verhandlung darauf bezogen hat. Dementsprechend genügt es auch der von § 43 ZPO vorausgesetzten Mitwirkung des [X.]s noch nicht, dass dieser die mündliche Verhandlung vorbereitet. Dass der später abgelehnte [X.] durch das Lesen vorbereitender Schriftsätze (und ggf. durch vorbereitende Maßnahmen) Arbeit auf die Sache verwendet, die sich als überflüssig erweisen kann, ist hinzunehmen. Denn auch eine am Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung hat sich in dem Rahmen zu halten, den das Gesetz für einen Ausschluss des Ablehnungsrechts vorgibt. Danach ergibt schon der Wortlaut des § 43 ZPO einen Bezug zur Verhandlung, die im Zivilprozess dem Grundsatz der Mündlichkeit unterliegt. Dies steht auch im Einklang mit ähnlichen prozessualen Regelungen, die - ebenfalls im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit und zur Sanktion widersprüchlichen Prozessverhaltens - erst an die mündliche Verhandlung Rechtsfolgen wie etwa den Ausschluss des Rügerechts (§ 295 ZPO) oder die Begründung einer Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung (§ 39 ZPO) knüpfen. Dementsprechend hat der [X.] den Ausschluss des Ablehnungsrechts nach § 43 ZPO als einen - gegenüber § 295 ZPO spezielleren - Heilungstatbestand angesehen ([X.]surteil [X.]Z 165, 223 = [X.], 261, 262; vgl. Vossler [X.], 992).

Die Einreichung von - Sachvortrag enthaltenden - Schriftsätzen kann mithin der Einlassung in eine (mündliche) Verhandlung nur gleichgesetzt werden, wenn der schriftliche Vortrag diese - wie bei der Anordnung des schriftlichen Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO - ersetzt oder wenn das Ver-fahren von vornherein eine mündliche Verhandlung nicht vorschreibt (vgl. OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 484). Daher steht schließlich auch die Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.] Beschluss vom 18. März 2013 - [X.]/12 - juris Rn. 8 mwN), die ebenfalls auf die Mitwirkung eines [X.]s abstellt, nicht entgegen, schon weil das Finanzgericht nach § 90 a Abs. 1 FGO auch ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden kann.

c) Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das [X.] die in der terminsvorbereitenden Verfügung enthaltenen Äußerungen noch nicht zum Gegenstand seiner Prüfung gemacht hat.

[X.]                         Schilling

           [X.]                              [X.]

Meta

XII ZB 377/12

16.01.2014

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Hamm, 21. Mai 2012, Az: I-18 U 129/11

§ 43 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2014, Az. XII ZB 377/12 (REWIS RS 2014, 8654)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8654

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