Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.06.2021, Az. 4 StR 68/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 5233

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Gegenstand

Verbindung von Strafverfahren durch Vereinbarung bei verschiedener örtlicher und sachlicher Zuständigkeit der Gerichte


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 30. September 2020, soweit es ihn betrifft,

a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

aa) soweit der Angeklagte wegen Sachbeschädigung in sechs tateinheitlichen Fällen (Fall [X.] der Urteilsgründe) verurteilt worden ist; in diesem Umfang wird die Sache an das Amtsgericht – [X.] – [X.] zurückgegeben; die insoweit angefallenen Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last;

bb) im Ausspruch über die Jugendstrafe; insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen;

b) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr sowie in weiterer Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig ist.

c) Die weiter gehende Revision wird verworfen.

2. Auf die Revision des Angeklagten [X.]     wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und im anderen Fall in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr sowie in weiterer Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig ist.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Von der Auferlegung von Kosten und Auslagen im Revisionsverfahren wird abgesehen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]            wegen „versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen, in Tateinheit mit – in einem Fall davon versuchtem – gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie der Sachbeschädigung in sechs tateinheitlich begangenen Fällen“ und den Angeklagten [X.]    wegen „versuchten Mordes in zwei tateinheitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit – in einem Fall davon versuchtem – gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung“ verurteilt und gegen beide Angeklagte eine [X.] von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt. Ihre Revisionen haben mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten [X.]         wegen Sachbeschädigung in sechs tateinheitlichen Fällen im Fall [X.] der [X.] kann wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses nicht bestehen bleiben. Die [X.] des [X.]s [X.] war für die Entscheidung nicht zuständig.

3

a) Die Taten waren Gegenstand einer Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] vom 15. Juni 2020, die zum Amtsgericht – [X.] – [X.] erhoben worden ist. Nach einer Absprache zwischen den Vorsitzenden des [X.]s und der [X.] des [X.]s [X.] wurde das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaften und des Angeklagten von der [X.] mit Beschluss vom 31. Juli 2020 übernommen und das Hauptverfahren mit Beschluss vom 18. August 2020 eröffnet. Zugleich wurde die Sache mit dem bereits eröffneten Verfahren (Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] vom 19. Juni 2020), das die weiteren abgeurteilten Taten zum Gegenstand hatte, verbunden.

4

b) Die [X.] des [X.]s [X.] ist durch die am 31. Juli 2020 beschlossene Verbindung mit dem bei ihm gegen den Angeklagten [X.]         anhängigen Verfahren nicht für die Entscheidung über die gegen denselben Angeklagten zum Amtsgericht – [X.] – [X.] erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft [X.] zuständig geworden. Denn dieser Verbindungsbeschluss war rechtsunwirksam, weil er nicht von dem hierfür zuständigen Gericht erlassen worden ist. Eine hier offensichtlich ins Auge gefasste Verbindung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 [X.], § 2 Abs. 2 JGG durch Vereinbarung der Gerichte kam nicht in Betracht, weil eine solche Verbindung nur bei Strafsachen möglich ist, die bei verschiedenen örtlich zuständigen Gerichten gleicher Ordnung anhängig sind. Soll aber – wie hier – eine nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit ändernde Verbindung erfolgen, kann dies, wenn die Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren Gerichts gehören, nur nach § 4 Abs. 2 Satz 2 [X.] durch eine Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts erfolgen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juli 2018 – 4 [X.] Rn. 4; Urteil vom 13. Februar 2014 – 4 StR 468/13 Rn. 5; Beschluss vom 16. November 2010 – 1 [X.], bei [X.]/[X.] 2013, 65; Beschluss vom 7. April 2005 – 3 [X.], [X.], 464 Rn. 1; Beschluss vom 8. August 2001 – 2 [X.], bei [X.] NStZ-RR 2002, 257; Urteil vom 30. August 1968 – 4 [X.], [X.]St 22, 232, 234; [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 13 Rn. 2 und 5a mwN). Dies wäre hier das Oberlandesgericht [X.]. Eine solche Entscheidung ist aber nicht ergangen. Eine „Heilung“ dieses Mangels durch einen Verbindungsbeschluss des [X.] im Revisionsverfahren kommt nicht in Betracht (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Oktober 2018 – 2 [X.], NStZ-RR 2019, 23, 24 mwN).

5

Die Sache ist daher insoweit nicht beim [X.] [X.] anhängig geworden. Das sich hieraus ergebende nach § 6 [X.] von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis führt zu der aus der [X.] ersichtlichen Teilaufhebung des angefochtenen Urteils. Die Sache ist in diesem Umfang noch beim Amtsgericht – [X.] – [X.] anhängig und deshalb an dieses entsprechend § 355 [X.] zurückzugeben (vgl. [X.], Beschluss vom 31. Oktober 2018 – 2 [X.], NStZ-RR 2019, 23, 24; Beschluss vom 16. November 2010 – 1 [X.], bei [X.]/[X.] 2013, 65 mwN). Der Eröffnungsbeschluss des [X.]s [X.] ist gegenstandslos (vgl. [X.], Urteil vom 13. Februar 2014 – 4 StR 468/13 Rn. 5; Beschluss vom 26. Juli 1995 ‒ 2 StR 74/95, [X.], 47 mwN).

6

2. Die Verurteilung beider Angeklagten wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; §§ 22, 23 StGB im Fall [X.] 5 b der [X.] hat keinen Bestand, weil die [X.] den hierfür erforderlichen [X.] nicht belegen. Die Angeklagten sind insoweit nur der Sachbeschädigung schuldig.

7

a) Nach den Feststellungen ließ der Angeklagte [X.]     einer zuvor getroffenen Abrede entsprechend auf ein Kommando des Angeklagten [X.]         von einer Brücke einen [X.] auf den Anhängerbereich eines Lkw fallen, der mit 70 km/h unter der Brücke [X.]. Der [X.] traf den Lkw in diesem Bereich und führte zu einer leichten Beschädigung. Anschließend fiel er von dem Anhänger auf die Fahrspur und blieb dort liegen. Die Angeklagten wollten den Lkw beschädigen und nahmen billigend in Kauf, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs durch den Steinwurf beeinträchtigt und dadurch fremde Sachen von bedeutendem Wert beschädigt werden.

8

b) Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht ([X.]) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht (vgl. [X.], Urteil vom 10. September 2015 – 4 [X.], NJW 2015, 3732 Rn. 13). Im Fall des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB muss es der Täter deshalb zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, die Sicherheit des Straßenverkehrs durch einen der Zerstörung, Beschädigung oder Beseitigung von Fahrzeugen oder Anlagen oder der Bereitung von Hindernissen ähnlichen ebenso gefährlichen Eingriff zu beeinträchtigen und dadurch Leib oder Leben anderer oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu gefährden. Als tatbestandsmäßig kommen dabei nur konkrete Gefahren für die benannten Rechtsgüter in Betracht, die über die der Tathandlung innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einem „Beinaheunfall“ geführt haben oder in ihrem Erscheinungsbild einem „Beinaheunfall“ gleichen (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Dezember 2018 – 4 StR 505/18, NJW 2019, 615 Rn. 7; Beschluss vom 4. September 1995 ‒ 4 StR 471/95, [X.], 37 mwN). Letzteres setzt voraus, dass sich durch die Tathandlung eine verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht, die – jedenfalls auch – auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Bei [X.], die ‒ wie hier ‒ nicht durch eine vom Täter ausgenutzte Eigendynamik eines Fahrzeugs gekennzeichnet sind, ist eine verkehrsspezifische Gefahr nur dann zu bejahen, wenn der Fortbewegung des vom Eingriff betroffenen Fahrzeugs in einer Weise entgegengewirkt wird, dass gerade infolge der Dynamik des Straßenverkehrs eine konkrete Gefahr für die Fahrzeuginsassen oder das Fahrzeug entsteht (grundlegend [X.], Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 [X.], [X.]St 48, 119, 124; vgl. dazu auch [X.], Beschluss vom 12. Januar 2021 – 4 [X.] Rn. 3; Beschluss vom 30. August 2017 – 4 [X.], [X.], 356, 357; Beschluss vom 16. Juli 2015 – 4 [X.], [X.], 407, 408; Beschluss vom 23. Februar 2010 ‒ 4 StR 506/09, [X.], 572; jeweils mwN).

9

c) Einen diesen Anforderungen entsprechenden auf die Verursachung einer konkreten verkehrsspezifischen Gefahr gerichteten [X.] hat die [X.] nicht festgestellt. Denn die [X.] ergeben nicht, dass den Angeklagten vor Augen stand, dass es bei einem Auftreffen des [X.]s auf den [X.] zu einer kritischen Situation im Sinne eines „Beinaheunfalls“ kommen könnte. Auch ist angesichts des Fallenlassens des Steines auf den Anhänger des Lkw nicht erkennbar, dass nach den Vorstellungen der Angeklagten die dem fahrenden Lkw eigene Dynamik in einem inneren Zusammenhang zu den für möglich gehaltenen Schäden am Fahrzeug stehen könnte.

3. Der [X.] ändert bei beiden Angeklagten im Fall II. 5 b der [X.] die Schuldsprüche entsprechend ab und lässt die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr entfallen, weil nicht zu erwarten ist, dass noch weiter gehende Feststellungen getroffen werden können. § 265 [X.] steht dem nicht entgegen, da ausgeschlossen werden kann, dass sich die geständigen Angeklagten anders als geschehen hätten verteidigen können. Für den Angeklagten [X.]         ergab sich aus der Aufhebung der Verurteilung im Fall [X.] der [X.] eine weitere Änderung des Schuldspruchs.

Trotz der Schuldspruchänderung kann die gegen den Angeklagten [X.]    verhängte [X.] bestehen bleiben. Diese ist maßgeblich am Erziehungsgedanken orientiert. Der [X.] kann ausschließen, dass die [X.] auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs eine andere Jugendstrafe verhängt hätte. Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten [X.]         im Fall [X.] der [X.] zieht hingegen die Aufhebung des gegen ihn ergangenen Strafausspruchs nach sich. Denn in diesem Fall erscheint dem [X.] – dem Antrag des [X.] im Ergebnis folgend – eine Auswirkung auf die Bemessung der Jugendstrafe nicht gänzlich ausgeschlossen.

Sost-Scheible     

      

[X.]     

      

Quentin

      

Rommel     

      

Maatsch     

      

Meta

4 StR 68/21

08.06.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 30. September 2020, Az: 104 Ks 20/20

§ 4 Abs 2 S 2 StPO, § 6 StPO, § 13 Abs 2 S 1 StPO, § 2 Abs 2 JGG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.06.2021, Az. 4 StR 68/21 (REWIS RS 2021, 5233)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5233


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 StR 68/21

Bundesgerichtshof, 4 StR 68/21, 08.06.2021.


Az. 104 Ks 20/20

Landgericht Köln, 104 Ks 20/20, 30.09.2020.


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