Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 13.08.2019, Az. 2 BvR 900/19

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2019, 4508

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erlass einer einstweiligen Anordnung: Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bei Möglichkeit der Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 3 GG) - Folgenabwägung


Tenor

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 15. November 2017 - 841 [X.]/17 - in Gestalt des Urteils des [X.] vom 12. Dezember 2018 - 712 [X.]/18 - wird einstweilen bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.

Gründe

I.

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren und macht geltend, dass im Berufungsverfahren gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO verstoßen worden sei und ein Beruhen des Berufungsurteils auf diesem Verstoß nicht ausgeschlossen werden könne. Im Hinblick auf die Ladung zum Strafantritt bis spätestens zum 13. August 2019 beantragt er den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 [X.], durch die die Vollstreckung der Freiheitsstrafe einstweilen bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt werden soll.

II.

2

Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung liegen vor.

3

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

4

Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, die der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen [X.] anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des [X.] muss das [X.] die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 76, 253 <255>; [X.] 99, 57 <66>; stRspr).

5

2. Die Verfassungsbeschwerde erscheint nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die angegriffenen Entscheidungen des [X.] und des [X.] den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzen. Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist deshalb nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten des Beschwerdeführers aus.

6

[X.] die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnte die Freiheitsstrafe in der Zwischenzeit vollstreckt werden. Dies wäre ein erheblicher, irreparabler Eingriff in das besonders gewichtige Recht auf die Freiheit der Person (vgl. [X.] 22, 178 <180>; 104, 220 <234>). [X.] dagegen die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde jedoch später als unbegründet, wögen die damit verbundenen Nachteile deutlich weniger schwer. Zwar könnte die Freiheitsstrafe vorübergehend nicht vollstreckt werden. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass durch das Zurücktreten des öffentlichen Interesses an einer nachdrücklichen und beschleunigten Vollstreckung der Freiheitsstrafe ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit zu besorgen wäre, zumal bereits ein Teil der Strafe im Wege anzurechnender Untersuchungshaft vollstreckt ist.

7

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 900/19

13.08.2019

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 2. Mai 2019, Az: 6 Rev 12/19, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 243 Abs 4 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 13.08.2019, Az. 2 BvR 900/19 (REWIS RS 2019, 4508)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4508


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 900/19

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 900/19, 04.02.2020.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 900/19, 13.08.2019.


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