Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.08.2020, Az. VIII ZB 46/19

8. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1482

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rechtsweg für Zahlungsansprüche aus Kostenübernahmeerklärungen des Sozialhilfeträgers zwecks Unterbringung von Obdachlosen


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des [X.] vom 11. Juni 2019 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 9.845 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, die [X.] betreibt, nimmt den [X.]n als Sozialhilfeträger aus Kostenübernahmeerklärungen des örtlichen [X.]s bezüglich der Unterbringung von [X.] in Anspruch.

2

Die Parteien streiten darüber, ob für die Klage der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder zu den Sozialgerichten gegeben ist. Das von der Klägerin angerufene [X.] hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das [X.] den erstinstanzlichen Beschluss aufgehoben und den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Mit der vom Beschwerdegericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtswegfrage zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der [X.] sein Ziel, eine Sachentscheidung im Rechtsweg vor den Sozialgerichten herbeizuführen, weiter.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

5

2. Sie ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss ist bereits deshalb von Amts wegen aufzuheben, weil er nicht ausreichend mit Gründen versehen ist.

6

a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO) erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben. Da das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen hat, den das Beschwerdegericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO), ist es zu einer rechtlichen Prüfung nicht in der Lage, wenn der angefochtene Beschluss keine tatsächlichen Feststellungen enthält ([X.], Beschlüsse vom 14. Juni 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5; vom 16. April 2013 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 4; vom 13. März 2014 - [X.] 138/13, [X.], 1364 Rn. 3; vom 16. September 2014 - [X.], juris Rn. 5; vom 13. Juni 2017 - [X.], juris Rn. 6 f.).

7

aa) Diese Anforderungen gelten auch für einen Beschluss, mit dem das Beschwerdegericht - unter Zulassung der Rechtsbeschwerde - eine Entscheidung über die Frage der Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten trifft (§§ 13, 17a Abs. 4 Satz 3 [X.] i.V.m. § 572 Abs. 4 ZPO). Denn die Beurteilung, ob eine - den ordentlichen Gerichten zugewiesene - [X.] Streitigkeit oder eine - hier gegebenenfalls nach § 51 Abs. 1 SGG den Sozialgerichten zugewiesene - öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der (wahren) Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der [X.] hergeleitet wird. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage hierfür - und damit auch für die Überprüfung einer entsprechenden Beschwerdeentscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht - ist das Klagebegehren, mithin das der Klage erkennbar zugrunde liegende Rechtsschutzziel und die vom Kläger dafür vorgetragenen tatsächlichen Behauptungen (st. Rspr.; vgl. etwa Gemeinsamer [X.], Beschluss vom 10. April 1986 - [X.] 1/85, [X.]Z 97, 312, 313 f.; [X.], Beschlüsse vom 15. Januar 1998 - [X.], NJW 1998, 2743 f.; vom 27. Januar 2005 - [X.], [X.]Z 162, 78, 80; vom 27. Oktober 2009 - [X.], [X.]Z 183, 49 Rn. 13).

8

bb) Genügt die angegriffene Entscheidung diesen Anforderungen nicht, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor ([X.], Beschlüsse vom 6. November 2012 - [X.], juris Rn. 4; vom 16. April 2013 - [X.]/12, aaO; vom 13. März 2014 - [X.] 138/13, aaO; vom 16. September 2014 - [X.], aaO), der die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach sich zieht ([X.], Beschlüsse vom 14. Juni 2010 - [X.], aaO Rn. 4 f.; vom 6. November 2012 - [X.], aaO; vom 16. April 2013 - [X.]/12, aaO; vom 13. März 2014 - [X.] 138/13, aaO; vom 16. September 2014 - [X.], aaO; vom 13. Juni 2017 - [X.], juris Rn. 7).

9

cc) Eine Sachdarstellung ist lediglich dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel noch mit hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. April 2013 - [X.]/12, aaO Rn. 5; vom 16. September 2014 - [X.], aaO Rn. 6; vom 13. Juni 2017 - [X.] aaO Rn. 9 mwN).

b) Diesen Maßstäben wird die Rechtswegentscheidung des [X.] nicht gerecht. Der angefochtene Beschluss gibt den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden werden soll, nicht - auch nicht mittelbar - wieder. Weder dieser Beschluss noch der darin in Bezug genommene Hinweisbeschluss des [X.] vom 6. Mai 2019 enthalten eine Sachverhaltsdarstellung; eine solche ist auch nicht etwa in Form einer Verweisung auf den erstinstanzlichen Beschluss erfolgt. Gleiches gilt für die in der ersten Instanz angekündigten Anträge sowie die in der Beschwerdeinstanz verfolgten [X.] der Parteien. Der genannte Hinweisbeschluss beschränkt sich allein auf [X.], aus denen sich ausreichende Informationen über den zu beurteilenden Sachverhalt und die angekündigten [X.] der Parteien nicht ergeben. Es lassen sich allenfalls die in der Beschwerdeinstanz verfolgten [X.] der Parteien ([X.]) mittelbar aus dem Tenor des angefochtenen Beschlusses erschließen, nicht aber - wie erforderlich - der zugrunde gelegte Sachverhalt. Es fehlen jegliche tatsächliche Feststellungen zu der Beziehung zwischen den Beteiligten, insbesondere dazu, ob zwischen der Klägerin und dem jeweiligen Hilfeempfänger - wie vom Beschwerdegericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung schlicht unterstellt - überhaupt ein entgeltlicher Beherbergungsvertrag zustande kommt.

3. Danach kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben; er ist aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Für diese Entscheidung weist der [X.] vorsorglich auf Folgendes hin:

Nach Aktenlage hat der [X.] (unwidersprochen) vorgetragen, dass 32 der insgesamt 38 streitgegenständlichen [X.], also überwiegend die Unterbringung von [X.] in Beherbergungsstätten betreffen, bezüglich derer jeweils ein "Betreibervertrag" zwischen den Parteien bestehe (sogenannte vertragsgebundene Unterkünfte). Unter Berücksichtigung des Inhalts dieser "[X.]" bestehen insoweit (zusätzlich) Bedenken gegen die rechtliche Würdigung des [X.], wonach der [X.] durch die jeweilige Kostenübernahmeerklärung in einen Beherbergungsvertrag zwischen dem jeweiligen Hilfeempfänger und der Klägerin eintrete. Denn gemäß § 1 dieses Vertrags ist Vertragsgegenstand der Betrieb einer Unterkunft zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen, Asylbewerbern sowie bestimmten weiteren, auch obdachlosen Personen durch die Klägerin im Auftrag des [X.]n. In § 3 Abs. 5, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 5 des Vertrags finden sich - an eine Kostenübernahmeerklärung anknüpfende - Regelungen zu den mit der Leistungserbringung der Klägerin einhergehenden Zahlungspflichten des [X.]n.

Danach spricht vieles dafür, dass jedenfalls der überwiegende Teil der von der Klägerin verfolgten [X.] seine Grundlage in einem unmittelbar zwischen den Parteien geschlossenen - nicht als Wohnraummietvertrag zu qualifizierenden - ([X.] hat. Im Hinblick auf die Frage, ob insoweit eine [X.] oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, wird deshalb dieses Vertragsverhältnis rechtlich zu würdigen, namentlich die Frage zu klären sein, ob die Parteien einen öffentlich-rechtlichen oder einen privatrechtlichen ([X.] geschlossen haben. Für die Abgrenzung kommt es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf an, ob sich der Vertrag - seinem auch für die Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg maßgeblichen Schwerpunkt nach (vgl. [X.], Beschluss vom 10. April 1986 - [X.] 1/85, aaO S. 314 ff.; [X.], Urteil vom 22. November 1979 - [X.], [X.]Z 76, 16, 20; Beschluss vom 27. Januar 2005 - [X.], [X.]Z 162, 78, 80 f.) - auf einen von der Rechtsordnung öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich geregelten Gegenstand bezieht beziehungsweise ob er nach seinem Zweck in enger, unlösbarer Beziehung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben steht (vgl. [X.], Beschluss vom 10. April 1986 - [X.] 1/85, aaO; [X.], Beschluss vom 27. Januar 2005 - [X.], aaO; BVerwG, 161, 255, 261).

Die Beurteilung der [X.] nach diesem Maßstab kann schon deshalb, weil es - wie aufgezeigt - entscheidend auf den Schwerpunkt des ([X.]s ankommt, anders ausfallen, als wenn sie - wie seitens des [X.] - allein unter dem Blickwinkel erfolgt, ob die von dem [X.]n ausgestellten [X.] eine - (jedenfalls auch) dem Zivilrecht zuzuordnende - bindende Willenserklärung gegenüber der Klägerin enthalten. Überdies bestehen mit Blick darauf, dass diese [X.] die ausdrücklichen Hinweise enthalten, es handele sich bei der Zahlung um eine Direktzahlung der dem Hilfeempfänger zustehenden Kosten der Unterkunft nach dem [X.], die nur erfolge, solange und soweit der Hilfeempfänger tatsächlich Kosten der Unterkunft nach dem [X.] beanspruchen könne, und es entstehe "durch diese Erklärung (…) kein Vertragsverhältnis zwischen dem [X.] (…) und dem Wohnungsgeber", Bedenken gegen die - (einseitig) auf die Interessenlage der Klägerin abstellende und im Ergebnis die Begründung eines (auch) zivilrechtlichen Anspruchs bejahende - Auslegung der Kostenübernahmeerklärungen durch das Beschwerdegericht. Diese Hinweise sprechen entgegen der Auffassung des [X.] entscheidend dafür, dass ein (zumindest auch) zivilrechtlicher Anspruch zwischen den Parteien gerade ausgeschlossen werden sollte und es sich deshalb bei den betreffenden Erklärungen - unter der im Rahmen der Entscheidung über die [X.] gebotenen Annahme, dass diese einen (direkten) Anspruch der Klägerin gegen den [X.]n begründen - um (ausschließlich) öffentlich-rechtliche einseitige Leistungsversprechen der [X.]n handelt (vgl. [X.], 71, 75 f.).

[X.]     

      

Dr. Bünger     

      

Kosziol

      

Dr. Schmidt     

      

Wiegand     

      

Meta

VIII ZB 46/19

05.08.2020

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 11. Juni 2019, Az: 11 W 2/19, Beschluss

§ 13 GVG, § 51 Abs 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.08.2020, Az. VIII ZB 46/19 (REWIS RS 2020, 1482)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1482

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII ZB 21/20 (Bundesgerichtshof)

Zulässigkeit des Rechtswegs: Öffentlich-rechtliche Natur des Zahlungsanspruchs des Betreibers von Obdachlosenunterkünften aus einem an ihn …


VIII ZB 20/20 (Bundesgerichtshof)

Zulässigkeit des Rechtswegs: Öffentlich-rechtliche Natur des Zahlungsanspruchs des Betreibers von Obdachlosenunterkünften aus einem an ihn …


VI ZB 82/20 (Bundesgerichtshof)

Rechtsweg beim Rückgriff des Unfallversicherungsträgers gegen einen für ihn tätigen Durchgangsarzt


VI ZB 79/20 (Bundesgerichtshof)

Rechtsweg beim Rückgriff des Unfallversicherungsträgers gegen einen für ihn tätigen Durchgangsarzt


VI ZB 81/20 (Bundesgerichtshof)

Rechtsweg beim Rückgriff des Unfallversicherungsträgers gegen einen für ihn tätigen Durchgangsarzt


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.