Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.09.2021, Az. V ZB 133/19

5. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 2224

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Gegenstand

Zwangsversteigerungsverfahren: Einstweilige Einstellung bei Vollstreckungsmangel einer Verwaltungsvollstreckung


Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 werden die Beschlüsse des [X.] vom 13. Juni 2019 (3 K 37/17) und des [X.] (Oder) - 9. Zivilkammer - vom 2. September 2019 (19 [X.]) aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über die Einstellung an das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Gläubigerin), eine [X.] Gemeinde, betreibt die Zwangsversteigerung des im Rubrum genannten Grundbesitzes sowie eines weiteren Grundstücks (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 ff.) des Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Schuldner) wegen rückständiger Erschließungsbeiträge und Säumniszuschlägen. Das Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) ordnete die Zwangsversteigerung aufgrund des Ersuchens der Gläubigerin vom 2. März 2017 an. Mit Beschluss vom 24. Januar 2019 ordnete das [X.] (Oder) die aufschiebende Wirkung der Klage an, soweit die Säumniszuschläge einen Betrag von 409,50 € überstiegen, und verpflichtete die Gläubigerin, die weitere Vollstreckung der Forderungen einstweilen einzustellen. Unter Bezugnahme auf diesen Beschluss teilte die Gläubigerin dem Vollstreckungsgericht mit Schriftsatz vom 7. Juni 2019 mit, dass das Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] unter Aufrechterhaltung der Beschlagnahme bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Beitragsbescheid einstweilen eingestellt werde.

2

Mit Beschluss vom 13. Juni 2019 hat das Amtsgericht die Zwangsversteigerung gemäß § 30 [X.] eingestellt. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag auf einstweilige Einstellung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] weiter. Nach Einlegung der Rechtsbeschwerde hat das Oberverwaltungsgericht den Beschluss des [X.] vom 24. Januar 2019 aufgehoben und die Anträge des Schuldners abgelehnt. Daraufhin hat die Gläubigerin zunächst die Fortsetzung der Zwangsversteigerung beantragt. Mit einem an das Vollstreckungsgericht gerichteten Schriftsatz vom 10. September 2021 hat sie sodann erneut die weitere Vollstreckung mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] eingestellt.

II.

3

Nach Auffassung des [X.] finden die Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das [X.] ([X.]) keine Anwendung auf das Zwangsversteigerungsverfahren. Vielmehr richte sich die gerichtliche Vollstreckung nach der Zivilprozessordnung und dem Zwangsversteigerungsgesetz (§ 22 Abs. 1 Nr. 4 [X.], § 77 Abs. 2, § 322 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 [X.]). Die Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung des Verfahrens nach § 28 Abs. 2 [X.] lägen nicht vor, weil gemäß § 322 Abs. 3 Satz 3 [X.] die Voraussetzungen der Zwangsversteigerung von dem Vollstreckungsgericht nicht zu prüfen seien und die Gläubigerin nicht erklärt habe, dass ein Vollstreckungshindernis vorliege. Daher lasse sich das Einstellungsgesuch nur als Bewilligung nach § 30 [X.] auslegen. Soweit die Gläubigerin in einem Schriftsatz vom 19. Juni 2019 erklärt habe, keine Einstellungsbewilligung im Sinne von § 30 [X.] abgegeben zu haben, komme es hierauf - anders als in dem Parallelverfahren - nicht an, weil diese Erklärung erst nach der Entscheidung des Amtsgerichts bei Gericht eingegangen sei.

III.

4

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Der auf Einstellung des [X.] gerichtete Hauptantrag ist weiterhin zulässig, obwohl die Gläubigerin nach Einlegung der Rechtsbeschwerde die Fortsetzung des Verfahrens beantragt hatte. Zwar erfährt der Grundsatz, wonach die Einführung neuer Tatsachen im Verfahren der Rechtsbeschwerde unzulässig ist, eine Ausnahme bei Tatsachen, die die prozessuale Rechtslage erst während des [X.] verändern oder vom Gericht der Rechtsbeschwerde von Amts wegen zu berücksichtigen sind (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2001 - [X.], NJW 2001, 1730 f.). Aber selbst wenn das Rechtsschutzbedürfnis zwischenzeitlich gefehlt haben sollte, ist es jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] gegeben, weil die Gläubigerin nunmehr erneut die Einstellung des [X.] bis zur Unanfechtbarkeit einer Entscheidung über den Beitragsbescheid anstrebt. Infolgedessen muss abschließend geklärt werden, nach welchen Vorschriften eine solche Einstellung zu erfolgen hat.

6

2. In der Sache hat der Hauptantrag im Ergebnis Erfolg. Das Verfahren ist zu Unrecht nach § 30 [X.] eingestellt worden.

7

a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings die Annahme des [X.], dass sich Voraussetzungen, Art und Wirkung einer einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung zur Vollstreckung einer durch Verwaltungsakt titulierten öffentlichen-rechtlichen Geldforderung - hier einer Erschließungsbeitragsforderung - auch im Rahmen der von der Gläubigerin betriebenen Verwaltungsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung und dem Zwangsversteigerungsgesetz richten. Das schließt die von der Gläubigerin beantragte einstweilige Einstellung nach § 13 [X.] aus. Insoweit wird auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren Bezug genommen ([X.], Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 6 f.).

8

b) [X.] ist jedoch die - vollen Umfangs überprüfbare (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 14 mwN) - Auslegung des [X.], der Schriftsatz der Gläubigerin vom 7. Juni 2019 enthalte die Bewilligung einer einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung nach § 30 [X.]. Da die Gläubigerin die Einstellung nach der (nicht anwendbaren) Norm des § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] erreichen will, ließ sich dem Schriftsatz - wie auch das Beschwerdegericht erkennt - nicht entnehmen, nach und zu den Bedingungen welcher Vorschrift des [X.] die einstweilige Einstellung erfolgen sollte. Bei interessengerechter Auslegung ersucht die Gläubigerin das Vollstreckungsgericht, das Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 28 Abs. 2 [X.] einstweilen einzustellen. In diesem Sinne ist auch der zuletzt an das Vollstreckungsgericht gerichtete und erneut auf § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] gestützte Schriftsatz der Gläubigerin vom 10. September 2021 zu verstehen. Wegen der näheren Begründung dieser Auslegung wird auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren verwiesen ([X.], Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 15 ff.).

IV.

9

Danach kann die Einstellung des Verfahrens nach § 30 Abs. 1 Satz 1 [X.] keinen Bestand haben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Die Sache ist nicht entscheidungsreif (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

1. Zwar liegen die Voraussetzungen für die Einstellung gemäß § 28 Abs. 2 [X.] vor.

a) Bei einer Zwangsversteigerung zur Verwaltungsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen des Schuldners tritt ein [X.]. § 28 [X.] ein, wenn gegen den Verwaltungsakt, durch den die zu vollstreckende Geldforderung tituliert wurde, ein Rechtsbehelf erhoben und dessen aufschiebende Wirkung angeordnet wird; zur einstweiligen Einstellung einer Zwangsversteigerung führt ein solcher Vollstreckungsmangel dann, wenn die vollstreckende Behörde - wie hier - mitteilt, die Verwaltungsvollstreckung nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des [X.] eingestellt zu haben und das Vollstreckungsgericht ersucht, auch die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen (näher [X.], Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 18 ff.). Das Gericht ist - nicht anders als an die Bestätigung gemäß § 322 Abs. 3 Satz 2 [X.] - an die Bewertung der Behörde gebunden.

b) Da die Gläubigerin hier die Vollstreckung insgesamt gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] eingestellt hat, steht für das Vollstreckungsgericht verbindlich fest, dass ein das gesamte Verfahren betreffender [X.]. § 28 [X.] vorliegt, ohne dass zu prüfen wäre, ob die Voraussetzungen für die Einstellung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 [X.] gegeben sind. Auch hat das Vollstreckungsgericht nicht zu prüfen, ob innerhalb der nach § 28 [X.] zu setzenden Frist der Mangel beseitigt wird, sondern nur, ob die Behörde das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen neuerlich bestätigt (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 22 f.).

2. Nicht entscheidungsreif ist die Sache aber wegen der bei einer Einstellung nach § 28 Abs. 2 [X.] zu bestimmenden Frist. Der [X.] macht entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch, zugleich den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Sache unmittelbar an das Vollstreckungsgericht zur Entscheidung über die einstweilige Einstellung nach § 28 Abs. 2 [X.] zurückzuverweisen (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 24 mwN).

V.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil das Interesse der Beteiligten übereinstimmend auf die Einstellung des [X.] gerichtet ist (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Juli 2021 - [X.], [X.], 1800 Rn. 25).

Stresemann     

        

Brückner     

        

Göbel 

        

Haberkamp     

        

[X.]     

        

Meta

V ZB 133/19

30.09.2021

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt (Oder), 2. September 2019, Az: 19 T 174/19

§ 28 Abs 2 ZVG, § 30 Abs 1 ZVG, § 13 Abs 1 VwVG BB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.09.2021, Az. V ZB 133/19 (REWIS RS 2021, 2224)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2224

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