Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.12.2014, Az. XII ZR 136/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 502

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Gegenstand

Räumungs- und Herausgabeanspruch gegen den Gewerberaummieter: Umfang einer Unterbrechung des Rechtsstreits wegen Insolvenzverfahrenseröffnung


Leitsatz

Betrifft nur einer von mehreren im Prozess zusammen geltend gemachten Ansprüchen die Insolvenzmasse, so wird grundsätzlich (zunächst) einheitlich der gesamte Rechtsstreit unterbrochen (im Anschluss an BGH Urteil vom 21. Oktober 1965, Ia ZR 144/63, NJW 1966, 51).

Tenor

1. Dem Beklagten zu 1 wird als Beschwerdeführer für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt           beigeordnet.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1 wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des [X.] vom 5. November 2012 insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten zu 1 als unzulässig verworfen wurde.

Der Rechtsstreit ist bezogen auf den Beklagten zu 1 auch hinsichtlich der Räumungsklage unterbrochen.

3. [X.] zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Beschluss wird zurückgewiesen.

4. Über die Kosten der Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1 wird das Berufungsgericht nach Fortgang des Verfahrens zu entscheiden haben.

Der Beklagte zu 2 trägt die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 97 Abs. 1 ZPO).

5. [X.] im Rechtsbeschwerdeverfahren: 18.000 €.

[X.] im [X.]: 492.049 €.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Räumung und Herausgabe eines Fitness-Studios in Anspruch. [X.] machen die Beklagten Aufwendungen für Ausbau und Sanierung des Fitness-Studios in Höhe von rund 474.049 € geltend.

2

Das [X.] hat der Räumungsklage stattgegeben und die Hilfswiderklage abgewiesen. Gegen das am 18. Oktober 2011 zugestellte Urteil haben beide Beklagten fristgerecht Berufung eingelegt.

3

Der Beklagte zu 1, über dessen Vermögen am 2. Dezember 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, hat seine Berufung nicht (mehr) begründet.

4

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Beschwerdegericht nach vorangegangenem Hinweisbeschluss die Berufung des Beklagten zu 1 hinsichtlich der Verurteilung zur Räumung als unzulässig verworfen und hinsichtlich seiner Hilfswiderklage das Verfahren gemäß § 240 ZPO als unterbrochen angesehen. Die Berufung des Beklagten zu 2 hat es gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

5

Der Beklagte zu 1 wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig. Er meint, das Verfahren sei insgesamt nach § 240 ZPO unterbrochen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich der Beklagte zu 2 gegen die Zurückweisung seiner Berufung.

II.

6

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

7

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

8

a) Sie ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft.

9

Zwar hat der Beklagte zu 1 zunächst Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] gilt indessen auch im Verfahrensrecht der Grundsatz, dass eine fehlerhafte [X.]handlung in eine zulässige, wirksame und vergleichbare umzudeuten ist, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen [X.]willen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (Senatsurteile vom 6. Dezember 2000 - [X.] - NJW 2001, 1217, 1218 mwN und vom 1. Juni 1983 - [X.] - NJW 1983, 2200, 2201 mwN). Auch bei der Einlegung einer Rechtsbeschwerde hindert eine unzutreffende Bezeichnung nicht die Annahme, eine Rechtsbeschwerde sei zulässig eingelegt worden, sofern die Absicht, den angegriffenen Beschluss einer Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu unterstellen, hinreichend deutlich wird (vgl. [X.] Beschluss vom 25. November 1986 - [X.] - NJW 1987, 1204). Dies war hier erkennbar der Fall.

b) Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 ZPO auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des [X.]. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten zu 1 in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es den Gerichten, den [X.]en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2011 - [X.] 465/11 - FamRZ 2012, 24 Rn. 7 mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Berufung des Beklagten zu 1 sei zu verwerfen, da er die Frist zur Berufungsbegründung versäumt habe. Der Rechtsstreit sei hinsichtlich der Räumungsklage nicht nach § 240 ZPO unterbrochen. Das Objekt unterliege nach Auskunft des Insolvenzverwalters nicht dem [X.], so dass auch keine Unterbrechung eintrete. Das hilfsweise geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Investitionen sei für die Räumung unbeachtlich, da es ohnehin gemäß §§ 570, 578 BGB ausgeschlossen sei. Die Berufungsbegründungsfrist sei daher am 16. Januar 2012 abgelaufen, ohne dass der Beklagte zu 1 seine Berufung begründet habe, so dass sie als unzulässig zu verwerfen sei. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung biete auch keine Erfolgsaussicht, da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1 durch den am 23. Januar 2012 weitergeleiteten Schriftsatz der Klägerin Kenntnis davon erhalten habe, dass das Insolvenzverfahren die Räumungsklage nicht betreffe. Hinsichtlich der vom Beklagten zu 1 geltend gemachten Hilfswiderklage sei der Rechtsstreit hingegen unterbrochen.

b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des [X.] ist der Rechtsstreit bezogen auf den Beklagten zu 1 gemäß § 240 ZPO insgesamt unterbrochen mit der Folge, dass der Lauf einer jeden Frist gemäß § 249 ZPO endet und nach Beendigung der Unterbrechung die volle Frist von neuem zu laufen beginnt.

aa) Nach § 240 ZPO wird im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer [X.] das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird.

Das Verfahren wird allerdings nur unterbrochen, wenn es unmittelbar oder mittelbar die Insolvenzmasse (§§ 35, 36 [X.]) betrifft. Der Streitgegenstand muss entweder Bestandteil der Insolvenzmasse oder aus ihr zu leisten sein. Eine Unterbrechung findet deshalb nur statt, wenn und soweit der Gegenstand des anhängigen Verfahrens ein Vermögensgegenstand ist, der rechtlich zur Insolvenzmasse gehören kann ([X.]/[X.]. § 240 Rn. 16). Betrifft nur einer von mehreren im Prozess zusammen geltend gemachten Ansprüchen die Insolvenzmasse, so wird grundsätzlich (zunächst) einheitlich der gesamte Rechtsstreit unterbrochen ([X.] Urteil vom 21. Oktober 1965 - [X.] - NJW 1966, 51; [X.]/[X.]. § 240 Rn. 18; Hk-ZPO/[X.] 5. Aufl. § 240 Rn. 7).

Im Rahmen einer Räumungsklage ist zwischen [X.] und Herausgabeanspruch zu differenzieren. Nach § 985 BGB hat der Besitzer dem Eigentümer den unmittelbaren Besitz an der Sache zu verschaffen, insbesondere den Zugang zu ermöglichen und die Wegnahme zu dulden. Davon ist die mietvertragliche [X.] zu unterscheiden. Sie hat grundsätzlich zum Inhalt, dass der Mieter bei Vertragsende die Mietsache auch im vertragsgemäß geschuldeten Zustand zurückzugeben, ihn also notfalls herzustellen hat. Diese weitergehende Pflicht des Mieters beruht allein auf dem von ihm abgeschlossenen Vertrag (Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 - [X.]/09 - [X.], 75 Rn. 9 f.). Die [X.] betrifft daher - anders als der bloße Herausgabeanspruch (vgl. [X.] Urteil vom 19. Juni 2008 - [X.] - NJW 2008, 2580 Rn. 14) - immer auch die Insolvenzmasse.

bb) Gemessen hieran ist der Rechtsstreit bezogen auf die gegen den Beklagten zu 1 gerichtete Räumungsklage insgesamt unterbrochen. Jedenfalls hat die Verpflichtung des Beklagten zu 1 zur Räumung den Rechtsstreit insoweit insgesamt unterbrochen, da auch nur einer von mehreren im Prozess zusammen geltend gemachten, die Insolvenzmasse betreffenden Ansprüche die Unterbrechung des gesamten Rechtsstreits bewirkt.

3. Gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO kann der Senat über die Rechtsbeschwerde abschließend entscheiden. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es der Klägerin unbenommen bleibt, den Rechtsstreit hinsichtlich ihres Herausgabeanspruchs gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 47 [X.] aufzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2010 - [X.]/09 - [X.], 75).

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 2 ist zurückzuweisen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO abgesehen.

Dose                                Schilling                       Günter

             Nedden-Boeger                         Botur

Meta

XII ZR 136/12

10.12.2014

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 5. November 2012, Az: 9 U 220/11

§ 546 BGB, § 985 BGB, § 47 InsO, § 86 InsO, § 240 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.12.2014, Az. XII ZR 136/12 (REWIS RS 2014, 502)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 502

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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