Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.03.2014, Az. 5 StR 630/13

5. Strafsenat | REWIS RS 2014, 7243

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Nachschlagewerk: ja

[X.]St : ja

Veröffentlichung : ja

[X.] § 231 Abs. 2

Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall mögliche Abwesenheitsverhandlung nach § 231 Abs. 2 [X.] gegen ei-nen inhaftierten Angeklagten.

[X.], Beschluss vom 11. März 2014

5 StR 630/13

[X.]

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

5
StR 630/13

vom
11. März 2014
in der Strafsache
gegen

wegen
Körperverletzung

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 11. März 2014
beschlossen:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 3. April 2013 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Tiergarten in [X.] hatte den Angeklagten wegen Kör-perverletzung in zwei

zum Nachteil einer Bekannten begangenen

Fällen zu einer sechsmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und ihn im Übrigen frei-gesprochen. Auf die Berufung des Angeklagten hat das [X.] [X.] ihn am 3. April 2013 auch von den verbliebenen Vorwürfen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft, die in der Berufungsverhandlung lediglich wegen einer Tat eine fünfmonatige Freiheitsstrafe und wegen der anderen Freispruch beantragt hatte, hat hiergegen Revision eingelegt. Sie hat die allgemeine Sachrüge erho-ben und prozessual gerügt, der Angeklagte sei bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung unberechtigt abwesend gewesen (§ 231 Abs. 2, § 338 Nr. 5 [X.]).
1. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde: Während der Angeklagte eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) [X.] verbüßte, fand die zweitägige Berufungshauptverhandlung statt. Am 13. März 2013, dem ersten Sitzungstag, war er vorgeführt erschienen und be-1
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stritt

wie bereits vor dem Amtsgericht

die ihm noch zur Last gelegten Vor-würfe. Nachdem auch die Hauptbelastungszeugin gehört worden war, wurde die Hauptverhandlung unterbrochen und die Fortsetzung für den 3. April 2013 anberaumt. Der Angeklagte wurde auf die Folgen eines eigenmächtigen Aus-bleibens nach § 231 Abs. 2 [X.] hingewiesen. Die Strafkammervorsitzende ersuchte die JVA [X.] noch am selben Tag um erneuten Trans-port des ordnungsgemäß geladenen Angeklagten zum Fortsetzungstermin, und 21.
März 2013 hätte der [X.], wurde am 3. April 2013 in seiner Abwesenheit verhandelt, wobei zwei Polizeibeamtinnen vernommen und Lichtbilder in Augenschein genommen wurden. Danach wurde die Beweisaufnahme im allseitigen Einverständnis [X.], nach den Plädoyers dem Verteidiger

der auch nach jeder [X.] gefragt worden war, ob er für den Angeklagten etwas zu erklären ha-be

Gelegenheit zum

Urteil verkündet.
2. Das zur Entscheidung über die Revision berufene [X.] be-absichtigt, die Revision zu verwerfen. Es sieht sich hieran aber durch abwei-chende Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 9. Mai 1974

4 [X.], [X.]St 25, 317; Urteil vom 30. Juni 1977

4 StR 198/77, NJW
1977, 1928; Beschluss vom 4. Mai 1993

4 [X.], [X.], 446) sowie des [X.] (Urteil vom 20. Ju-li
1960

Ss
87/60, [X.] 1961, 177) gehindert. Danach soll ein inhaftierter [X.] zu im Sinne des § 231 Abs. 2 [X.] eigenmächtigem Ausbleiben bei jedem Fall zwangsweise vorzuführen, auch wenn er über die Anklage schon 3
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vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforder-

Das [X.] teilt diese Rechtsauffassung nicht. Es hat deshalb die Sache gemäß § 121 Abs. 2 [X.] dem [X.] zur Entscheidung folgender Frage vorgelegt:

Setzt die Abwesenheitsverhandlung nach § 231 Abs. 2 [X.] gegen ei-nen nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten voraus, dass das [X.] zuvor (erfolglos) versucht hat, dessen Anwesenheit bei der Fortset-zung einer unterbrochenen Hauptverhandlung zu erzwingen, auch wenn dieser in Kenntnis seiner Anwesenheitspflicht ohne Rechtfertigungs-
oder Entschuldi-gungsgründe die angeordnete und tatsächlich in die Wege geleitete Vorführung verweigert, über die Anklage
schon vernommen war und das Gericht seine fer-

3. Der [X.] hat beantragt zu entscheiden:

e-gen einen inhaftierten Angeklagten grundsätzlich nicht in Betracht. Nur wenn im Einzelfall eine zwangsweise Vorführung des Gefangenen entbehrlich ist, kann ohne diesen verhandelt werden. Dies ist erst der Fall, wenn das Gericht alle nach den Umständen und der Bedeutung der Sache zumutbaren Mittel zur Herbeischaffung des Angeklagten versucht hat und weitere Zwangsmittel we-

II.
Der Senat bejaht die Zulässigkeit der Vorlegung nach § 121 Abs. 2 [X.]. Zwar hätte das [X.] bereits auf der Basis der bisherigen [X.] die Revision verwerfen können, ohne sich über bindende Rechtsansich-4
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e-gungsvoraussetzungen hinzunehmen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. Febru-ar
1968

2 [X.], [X.]St 22, 94, 100; vom 5. November 1991

4 StR 350/91, [X.]St 38, 106, 109; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26.
Aufl., § 121 [X.] Rn. 75 mwN).
Der Senat stellt im Rahmen seiner Entscheidung auch die vorgreifliche, vom [X.] im Einklang mit bindender Rechtsprechung des Bundesge-richtshofs (Urteil vom 30.
November 1990

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StR 44/90, [X.]St 37, 249, 250) vertretene Auffassung zur Statthaftigkeit der Verfahrensrüge nicht in Frage, wonach die Staatsanwaltschaft durch §
339 [X.] nicht gehindert sei, sich we-gen Abwesenheit des Angeklagten auf den absoluten Revisionsgrund des §
338 Nr.
5 [X.] zu berufen. Allerdings erscheint dem Senat dies bei einer Verfahrensgestaltung wie der
vorliegenden durchaus zweifelhaft. Sie könnte zudem auch Anlass geben, ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemach-ten absoluten Revisionsgrund denkgesetzlich zu verneinen (vgl. [X.] in KK-[X.], 7.
Aufl., §
338 Rn.
5 mwN).
III.
Der Senat macht von
der Möglichkeit Gebrauch, selbst in der Sache zu entscheiden, ohne dass die Vorlegungsfrage allgemein beantwortet werden müsste (vgl. [X.], Urteile vom 6. Dezember
1961

2 [X.], [X.]St 17, 14, 17; vom 5. November 1969

4 [X.], [X.]St 23, 141, 144; vom 29.
Februar 1972

5 StR 400/71, [X.]St 24, 315, 316; Beschluss vom 5. No-vember
1991

4 StR 350/91, [X.]St 38, 106, 109; [X.] aaO Rn. 81). Die Revision der Staatsanwaltschaft ist

entsprechend der Beurteilung des Kam-mergerichts nach der dortigen Revisionshauptverhandlung

unbegründet.
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1. Die erhobene Verfahrensrüge dringt nicht durch. Zwar war der zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen bereits vernommene Angeklagte während [X.] Teile der Hauptverhandlung abwesend, etwa bei der Vernehmung

triftigen Grund nicht hatte vorführen lassen. Die Annahme, der Angeklagte sei
vom 30. November 1990

2 StR 44/90, [X.]St 37, 249; vom 14. Juni
2000

3 StR 26/00, [X.]St 46, 81, 83; Beschluss vom 25. Juli 2011

1 [X.], [X.]St 56, 298, 306), ist rechtlich nicht zu beanstanden; sie steht insbesondere nicht in Widerspruch zu der vom [X.] bezeichneten [X.].
Diese verlangt in Fällen, in denen es ein inhaftierter Angeklagter ablehnt, sich zur Fortsetzung der Hauptverhandlung vorführen zu lassen, regelmäßig seine zwangsweise Vorführung. Erst wenn das Gericht alle nach den [X.] und der Bedeutung der Sache zumutbaren Mittel versucht hat und weitere Zwangsmittel wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit ausscheiden, entfällt seine Verpflichtung, die Anwesenheit des Angeklagten sicherzustellen (vgl. nur [X.], Urteil vom 30. Juni 1977

4 StR 198/77, NJW 1977, 1928, 1929). Danach be-

4 [X.], [X.], 446, 447), aber nicht ausnahmslos. Vielmehr nimmt die Rechtsprechung eine am Maßstab der Verhältnismäßigkeit ausge-richtete Gesamtbetrachtung vor, die namentlich alle Umstände des Einzelfalls einschließlich des Gewichts des erhobenen [X.] und des erforderlichen Aufwandes für die fragliche Vorführung zu berücksichtigen hat.
a) Hieran gemessen ist die zwangsweise Vorführung als notwendig an-gesehen worden in Fällen, in denen den Angeklagten besonders gewichtige 11
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Straftaten zur Last gelegt wurden, nämlich einerseits ein Totschlag in einem besonders schweren Fall (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juni 1977

4 StR 198/77, NJW 1977, 1928) und andererseits u.a. schwere räuberische Erpressung, räu-berische Erpressung, gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen und [X.] in weiteren sechs
Fällen; im zweitgenannten Verfahren hatte sich der

zu einer siebenjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilte

Angeklagte am siebten Tag der Hauptverhandlung zu deren Fortsetzung erst 50 Minuten ver-llte ([X.], Beschluss vom 4. Mai 1993

4 [X.], [X.], 446, 447). Ebenso ist in Fällen entschieden worden, in denen die zwangsweise Vorführung nur eines beson-ders geringen Aufwandes bedurft hätte, weil die zum Zwecke der Augen-scheineinnahme bereits an den jeweiligen Tatort transportierten Angeklagten sich dort geweigert hatten, das Fahrzeug zu verlassen (vgl. [X.], Urteil vom 9.
Mai 1974

4 [X.], [X.]St 25, 317, 318 [zweijährige Freiheitsstrafe atisches [X.], Urteil vom 20. Juli 1960

[X.], [X.] 1961, 177).
b) Von diesen Fallgestaltungen unterscheidet sich die vom Kammerge-richt vorgelegte in entscheidungserheblicher Weise: Gegenstand der [X.] war lediglich die Berufung allein des Angeklagten gegen seine Verur-teilung wegen noch zweier Körperverletzungen, die vom Amtsgericht mit einer sechsmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe sanktioniert worden waren (und von de-nen selbst der staatsanwaltschaftliche [X.] letztlich nur noch eine als strafbar erachtete). Durch die Anwesenheit des während des gesamten ge-richtlichen Verfahrens alle Vorwürfe bestreitenden Angeklagten war keine wei-tere Aufklärung mehr zu erwarten, da die Hauptbelastungszeugin bereits am erste
o-che zuvor wieder in der JVA [X.] eingetroffene Angeklagte hät-14
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te sich bereits am 21. März 2013 im
Rahmen eines

erfahrungsgemäß mehr-tägigen und verschiedene Orte ansteuernden

[X.] erneut auf den Weg nach [X.] machen müssen, um am Fortsetzungstermin am 3. Ap-ril
2013 teilnehmen zu können.
Angesichts dieser Umstände erweist sich die Verfahrensweise des [X.] als rechtsfehlerfrei, auch wenn es sich bei § 231 Abs. 2 [X.] um eine Ausnahmevorschrift handelt (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Mai 1993

4 [X.], [X.], 446, 447). Das [X.] hat den ihm eröffneten Beurteilungsspielraum nicht überschritten, der nur eingeschränkter revisionsge-richtlicher Überprüfung unterliegt. Die danach gebotene fallbezogene Abwä-gung hat die Strafkammervorsitzende bereits bei ihrem Vorführ-
und Transport-gsweise Vorführung für nicht er-sie hat

namentlich durch den [X.] der Staatsanwaltschaft unbe-anstandet

den zweiten [X.] bis zum Urteil fortgesetzt, ob-wohl eingangs festgestellt worden war, dass der Angeklagte nicht erschienen war, weil er seine Vorführung verweigert hatte. Eines gesonderten Gerichtsbe-schlusses bedurfte es insofern nicht (vgl. Gmel in KK-[X.], 7. Aufl., § 231 Rn.
11 mwN), wenngleich dieser zweckmäßig gewesen wäre ([X.] in [X.]/[X.],
aaO,
§ 231 [X.] Rn. 31).
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler aufgedeckt. Insbesondere genügt die landgerichtliche Beweiswür-digung den rechtlichen Anforderungen, die für die gegebene Aussage-gegen-Aussage-Konstellation gestellt werden. Nachdem über die Revision der [X.] eine Hauptverhandlung vor dem [X.] stattgefunden hat, ist der Senat nicht gehindert, nach der Vorlage im Einklang mit der nach 15
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dieser Hauptverhandlung getroffenen Beurteilung durch das vorlegende Gericht seinerseits durch Beschluss in der Sache zu entscheiden.

[X.]Schneider

König Bellay

Meta

5 StR 630/13

11.03.2014

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.03.2014, Az. 5 StR 630/13 (REWIS RS 2014, 7243)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7243

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