Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.10.2015, Az. 1 StR 56/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 3943

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STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) REVISION (STRAFRECHT) JUSTIZ GUSTL MOLLATH PROZESSVORAUSSETZUNGEN

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Gegenstand

Strafprozessrecht: Erfordernis der Tenorbeschwer bei Freispruch wegen Schuldunfähigkeit


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 14. August 2014 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Die [X.]evision des Angeklagten richtet sich gegen das freisprechende Urteil des [X.] vom 14. August 2014, durch dessen Entscheidungsgründe sich der Angeklagte beschwert sieht.

2

Die auf die [X.]üge der Verletzung materiellen [X.]echts gestützte [X.]evision des Angeklagten ist unzulässig.

I.

3

Das [X.] hat den Angeklagten mit Urteil vom 14. August 2014 freigesprochen und ihm für näher bezeichnete Zeiträume der Unterbringung eine Entschädigung zugesprochen.

4

1. Der Angeklagte war zunächst durch Urteil des [X.] vom 8. August 2006 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und von den angeklagten Tatvorwürfen zum Teil aus rechtlichen und zum Teil aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Das [X.] hatte die Vorwürfe der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001, der Körperverletzung mit Freiheitsberaubung am 31. Mai 2002 und der Sachbeschädigung in acht Fällen im Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 2004 und dem 1. Februar 2005 in tatsächlicher Hinsicht für erwiesen erachtet, die Schuldfähigkeit des Angeklagten dabei jedoch für nicht ausschließbar aufgehoben gehalten. Von dem weiteren Vorwurf des Diebstahls am 23. November 2002 hatte sich das [X.] in tatsächlicher Hinsicht nicht zu überzeugen vermocht. [X.] beraten war das [X.] ferner zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte werde auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen und sei daher für die Allgemeinheit gefährlich. Es hatte deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

5

Die [X.]evision des Angeklagten gegen die Anordnung dieser Maßregel hat der [X.] mit Beschluss vom 13. Februar 2007 gemäß § 349 Abs. 2 [X.] als unbegründet verworfen.

6

Die Anträge des Angeklagten wie auch der Staatsanwaltschaft [X.], die Wiederaufnahme des Verfahrens zuzulassen und die Erneuerung der Hauptverhandlung anzuordnen, hat das [X.] mit Beschluss vom 24. Juli 2013 als unzulässig verworfen. Auf die sofortigen Beschwerden der beiden Antragsteller hat das [X.] die Wiederaufnahme des Verfahrens mit Beschluss vom 6. August 2013 zugelassen, die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an eine andere [X.] des [X.]s [X.] zurückverwiesen. Die erneute Hauptverhandlung ist dabei auf die beiden Vorwürfe der Körperverletzung sowie die Vorwürfe der Sachbeschädigung beschränkt worden; der Freispruch vom Vorwurf des Diebstahls ist rechtskräftig verblieben.

7

2. Das [X.] hat den Angeklagten mit Urteil vom 14. August 2014 freigesprochen, ohne eine Maßregel anzuordnen. Die Vorwürfe der Körperverletzung mit Freiheitsberaubung vom 31. Mai 2002 sowie der Sachbeschädigung in den Jahren 2004 und 2005 hat es nach der Beweiswürdigung als nicht erwiesen angesehen und den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Im Hinblick auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung vom 12. August 2001 ist das [X.] zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe den gesetzlichen Tatbestand vorsätzlich und rechtswidrig erfüllt, habe im Tatzeitpunkt aber nicht ausschließbar ohne Schuld im Sinne des § 20 StGB gehandelt. Der Freispruch des Angeklagten von diesem Vorwurf fußt auf diesen rechtlichen Erwägungen.

8

3. Der Angeklagte beanstandet nunmehr mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten [X.]evision seine Freisprechung, soweit diese (nur) aus [X.]echtsgründen erfolgt ist; die für die Zulässigkeit seines [X.]echtsmittels erforderliche Beschwer leitet er aus den vom [X.] zum objektiven Tatgeschehen getroffenen Feststellungen ab.

II.

9

Die [X.]evision des Angeklagten ist unzulässig und war daher gemäß § 349 Abs. 1 [X.] zu verwerfen.

Die Freisprechung wegen nicht erwiesener Schuldfähigkeit im Sinne von § 20 StGB beschwert den Angeklagten nicht. Sie kann deshalb von ihm nicht mit der [X.]evision angefochten werden.

1. Ein Angeklagter kann eine Entscheidung nur dann zulässig anfechten, wenn er durch sie beschwert ist. Dies bedeutet, dass die Urteilsformel einen unmittelbaren Nachteil für den „Beschwerten“ enthalten muss, der seine [X.]echte und geschützten Interessen unmittelbar beeinträchtigt. Es genügt nicht, wenn ihn nur der Inhalt der Urteilsgründe in irgendeiner Weise belastet (st. [X.]spr.; vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 1955 - 5 St[X.] 499/54, [X.]St 7, 153 ff. [Freisprechung aus sachlichen Gründen]; Urteil vom 26. März 1959 - 2 St[X.] 566/58, [X.]St 13, 75, 76 f. [Einstellung wegen Verjährung]; Beschluss vom 24. November 1961 - 1 St[X.] 140/61, [X.]St 16, 374, 376 ff.; Urteil vom 4. Mai 1970 - [X.] ([X.]) 6/69, [X.]St 23, 257, 259 [Verurteilung vor dem Ehrengericht]; Urteil vom 21. März 1979 - 2 St[X.] 743/78, [X.]St 28, 327, 330 f. [Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB]; Beschluss vom 18. August 2015 - 3 St[X.] 304/15 [Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB]; KG, Beschluss vom 11. Juli 2014 - 2 Ws 252/14 - 141 A[X.] 316/14; [X.] NJW 1981, 2208; zuvor bereits [X.]GSt 4, 355, 359).

a) Bei dem Erfordernis der [X.] handelt es sich um ein richterrechtlich entwickeltes [X.]echtsmittelerfordernis, hinter dessen historischer Entstehung der Gedanke vom staatlichen Strafanspruch steht. Die Aufgabe eines Strafverfahrens liegt in der justizförmigen Prüfung, ob gegen den Angeklagten ein staatlicher Strafanspruch besteht (vgl. [X.] 80, 244, 255; 95, 96, 140; [X.], Beschluss vom 24. November 1961 - 1 St[X.] 140/61, [X.]St 16, 374, 378; und vom 18. März 2015 - 2 St[X.] 656/13, [X.]n. 13, [X.] 2015, 569 f.). Kann keine strafbare Tat festgestellt werden und kommt keine Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht, so ist damit die Aufgabe der Strafrechtspflege im einzelnen Strafverfahren grundsätzlich erfüllt. Dem Angeklagten mag im Einzelfall zwar daran liegen, aus einem bestimmten Grund - etwa wegen erwiesener Unschuld - freigesprochen zu werden. Insoweit stehen seinem Verlangen aber die Interessen der staatlichen [X.]echtspflege entgegen, der die Feststellung genügt, dass gegen den Angeklagten kein Strafanspruch besteht und keine Maßregel in Betracht kommt. So wird etwa auch bei nicht hinreichendem Tatverdacht gegen den Angeschuldigten das Hauptverfahren nicht eröffnet (§ 203 [X.]), selbst wenn dieser das Interesse haben sollte, sich öffentlich von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen. Die allgemeine Aufgabe der Strafrechtspflege zwingt aus prozesswirtschaftlichen Gründen zur Beschränkung im einzelnen Strafverfahren, insbesondere um eine uferlose Ausweitung der Beweisaufnahme zu vermeiden. Hat der Angeklagte daher keinen Anspruch darauf, aus einem bestimmten Grund freigesprochen zu werden, so kann ihm auch nicht das [X.]echt zustehen, einen solchen Anspruch durch ein [X.]echtsmittel geltend zu machen (vgl. [X.], Beschluss vom 24. November 1961 - 1 St[X.] 140/61, [X.]St 16, 374, 380). Etwaige durch die Entscheidungsgründe des Tatgerichts verursachte Folgen tatsächlicher Art würden durch ein [X.]echtsmittel ohnehin nicht rückgängig gemacht werden können (vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 18. August 2015 - 3 St[X.] 304/15).

Eine Beschwer kann sich deshalb für den Angeklagten nur aus der Entscheidungsformel des Urteils ergeben. Ein ihm günstigeres Ergebnis als die Freisprechung kann der Angeklagte nicht erzielen. Sonstige [X.]echts- und Interessenverletzungen durch die Gründe der Entscheidung, die nur die „Unterlagen des Urteils“ bilden (vgl. [X.]GSt 4, 355, 359), sind der Überprüfung durch ein [X.]echtsmittelgericht demgegenüber entzogen. Auch mittelbare Folgen des Verfahrens, etwa der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZ[X.]G zwingende [X.]egistereintrag oder Verwaltungsangelegenheiten, begründen keine Beschwer, die zur Zulässigkeit der [X.]evision führt. Dem hat sich das Schrifttum überwiegend angeschlossen (vgl. [X.] in: [X.], [X.], 2. Aufl., § 296 [X.]n. 8; [X.] in: [X.] Kommentar, 7. Aufl., vor § 296 [X.]n. 5a; [X.] in: Löwe-[X.]osenberg, [X.], 26. Aufl., vor § 296 [X.]n. 57; [X.] in: [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl., vor § 296 [X.]n. 11 und 13; [X.], Die [X.]ehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 186 ff. und [X.] ff.; [X.]adtke in: [X.] für [X.]oxin, [X.], S. 1419, 1427 ff.).

Auf den Fall der Freisprechung wegen Schuldunfähigkeit hat der [X.] diese Grundsätze in der Vergangenheit bereits angewendet und dem Angeklagten die [X.]echtsmittelbefugnis mangels Beschwer verwehrt (vgl. [X.], Beschluss vom 24. November 1961 - 1 St[X.] 140/61, [X.]St 16, 374, 376 ff.). Der [X.] sieht keinen Anlass, von dieser [X.]echtsprechung abzuweichen.

b) Nach Maßgabe dessen ist der Angeklagte durch das freisprechende Urteil der [X.] nicht beschwert. Eine Beschwer ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die [X.] in tatsächlicher Hinsicht für den Angeklagten nachteilige Feststellungen zu dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001 getroffen und die Freisprechung in Anwendung des [X.] auf die Schuldunfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 20 StGB gestützt hat.

aa) Erfolgt ein Freispruch aus rechtlichen Gründen, sind Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Urteilsgründen aus [X.]echtsgründen erforderlich und geboten. Dies gilt mit Blick auf die für den Angeklagten und die Staatsanwaltschaft gleichermaßen bestehende [X.]echtsmittelbefugnis in besonderem Maße in Konstellationen wie der vorliegenden, wenn der Freispruch wegen fehlender Schuldfähigkeit erfolgt. Denn Schuld im Sinne von § 20 StGB bedeutet [X.] und ist ein [X.]echtsbegriff, keine empirisch-medizinische Diagnose. Für deren Vorliegen kommt es auf den Zustand des Angeklagten bei Begehung der Tat (§ 8 StGB) an; sein Zustand ist genau für diesen Zeitpunkt festzustellen und zu bewerten (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 1997 - 1 St[X.] 511/95, [X.]St 43, 66, 77; und vom 21. Januar 2004 - 1 St[X.] 346/03, [X.]St 49, 45, 53).

So setzt die rechtsfehlerfreie Anwendung des auch für die Frage der (vollen) Schuldfähigkeit geltenden [X.] die umfassende Prüfung des Vorliegens und der Schwere eines festgestellten [X.]s des § 20 StGB voraus. Hat ein [X.]er eine schwere Abartigkeit weder bejaht noch ausgeschlossen, liegt ein [X.]echtsfehler vor, wenn der Tatrichter “deshalb” “zugunsten” des Angeklagten ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung dessen Hemmungsvermögens ausgeht. Die Urteilsgründe müssen sich vielmehr dazu verhalten, in welchem Ausmaß sich das [X.] beim [X.] oder der Tatausführung ausgewirkt hat. Etwa das Gewicht der Tat und die dadurch beeinflusste Höhe der von ihr ausgehenden Hemmschwelle können dabei für die Beurteilung Bedeutung gewinnen. Sie müssen deshalb festgestellt und in den Urteilsgründen in für das [X.]evisionsgericht nachprüfbarer Weise dargelegt werden (vgl. [X.], Urteil vom 3. Februar 1960 - 2 St[X.] 640/59, [X.]St 14, 114, 116; vom 21. September 1982 - 1 St[X.] 489/82, NJW 1983, 350; und vom 6. Mai 1997 - 1 St[X.] 17/97, [X.], 485, 486; Beschluss vom 28. Oktober 2009 - 2 St[X.] 383/09, NStZ-[X.][X.] 2010, 73, 74).

Auch der allgemein anerkannte Grundsatz, dass die Schuldfähigkeit regelmäßig nur in Beziehung auf einen bestimmten Straftatbestand, nicht aber unabhängig von diesem beurteilt werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 3. Februar 1960 - 2 St[X.] 640/59, [X.]St 14, 114, 116; und vom 21. September 1982- 1 St[X.] 489/82, NJW 1983, 350), erfordert Feststellungen zum Tatgeschehen im Urteil. Vor allem die Frage der Hemmungsfähigkeit lässt sich bei den verschiedenartigen Straftaten nur selten einheitlich beantworten. So kann ein Betrunkener, der seinen Geschlechtstrieb nicht mehr zu beherrschen vermag und deshalb im [X.]ausch den Versuch einer Sexualstraftat begeht, möglicherweise sehr wohl noch fähig sein, Hemmungen gegenüber einem [X.]aubmotiv einzuschalten; wer sich infolge seines [X.]ausches schuldlos zu einer Beleidigung hinreißen lässt, kann für eine gefährliche Körperverletzung noch verantwortlich sein (vgl. [X.], Urteil vom 3. Februar 1960 - 2 St[X.] 640/59, [X.]St 14, 114, 116).

Soweit entsprechende Feststellungen für den freigesprochenen Angeklagten ungünstig sind und ihn in tatsächlicher Hinsicht beschweren, hat der Gesetzgeber dies grundsätzlich als Folge des justizförmigen Strafverfahrens hingenommen.

bb) Diesen Erwägungen hat das [X.] in dem angegriffenen Urteil [X.]echnung getragen. Es hat in nicht zu beanstandender Weise dargelegt, von welchem Tatablauf es im Hinblick auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001 ausgegangen ist. Dabei hat das [X.] die Feststellungen auf das aus [X.]echtsgründen Erforderliche beschränkt. Es hat seine Darstellung des Tatgeschehens und der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin sachlich gehalten und sich weitgehend auf die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen beschränkt. Diese Feststellungen bilden die von Gesetzes wegen notwendige „Unterlage“ (vgl. [X.]GSt 4, 355, 359 f.) der Entscheidungsformel. Sie vermittelt dem Angeklagten keine [X.]echtsmittelbefugnis.

2. Aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, die in extrem gelagerten Ausnahmefällen zu einer Durchbrechung dieser Grundsätze führen können, ergibt sich vorliegend nichts anderes. Das [X.] hält den einfachrechtlichen Grundsatz der [X.] nicht nur in ständiger [X.]echtsprechung für verfassungsgemäß, sondern hat diesen auf die Prüfung der Zulässigkeit von [X.] sogar jedenfalls grundsätzlich übertragen (vgl. [X.] 28, 151, 160 f.; [X.], Beschluss vom 30. Mai 2012 - 2 Bv[X.] 800/12, 2 Bv[X.] 1003/12 (3. Kammer des 2. [X.]s), [X.]n. 8 mwN, juris).

a) Die Gestaltung des strafprozessualen [X.]echtsmittelverfahrens und die Auslegung der dafür geltenden [X.]echtsnormen (§§ 296 ff. [X.]) ist originäre Anwendung des einfachen [X.]echts. Einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf [X.]echtsmittelkontrolle durch eine übergeordnete Instanz schlechthin gibt es nicht (vgl. [X.] 4, 74, 94 f.; 6, 7, 12).

b) Indes kann in seltenen Ausnahmefällen auch ein freisprechendes Urteil durch die Art seiner Begründung Grundrechte verletzen (vgl. [X.] 6, 7, 9; 28, 151, 160). So kann in einzelnen Ausführungen der Entscheidungsgründe eine Grundrechtsverletzung dann erblickt werden, wenn sie - für sich genommen - den Angeklagten so schwer belasten, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Bereichs festzustellen ist, die durch den Freispruch nicht aufgewogen wird. Das ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidungsgründe einzelne, den Beschwerdeführer belastende oder für ihn „unbequeme“ Ausführungen enthalten (vgl. [X.] 28, 151, 161).

c) Unter Anwendung dieser Maßstäbe liegt ein Ausnahmefall, der zum Zwecke der Wahrung der verfassungsmäßig verbürgten [X.]echte des Angeklagten einfachrechtlich die Zulässigkeit seiner [X.]evision zur Folge hat, nicht vor. Wie bereits dargelegt, beschränken sich die von der [X.] getroffenen Feststellungen auf das gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 [X.] für die Überprüfung der Urteilsgründe auf [X.]echtsfehler erforderliche Maß. Aus welchen Feststellungen genau sich eine schlechthin unerträgliche Beschwer für den Angeklagten ergeben soll, legt auch die [X.]evision nicht dar. Ihr Vortrag, das Urteil enthalte „seitenweise negative Aussagen über den [X.]evisionsführer“ ([X.]B S. 5) und setze diesen dem Vorwurf des „gefährlichen Gewaltverbrechers“ ([X.]B S. 15) aus, belegen dies nicht. Für den Angeklagten schlicht unangenehme Aussagen reichen nicht aus. Auch aus der [X.] des Strafverfahrens kann sich eine Beschwer im genannten Sinne nicht ergeben, denn diese ist nicht Folge des Urteils und der Entscheidungsgründe selbst. Beeinträchtigungen des Angeklagten aufgrund öffentlicher Berichterstattung können im Falle seiner Verurteilung im [X.]ahmen der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen sein, wenn der Druck der medialen Berichterstattung erheblich über das hinaus geht, was jeder Straftäter über sich ergehen lassen muss (st. [X.]spr.; vgl. [X.], Urteil vom 7. November 2007 - 1 St[X.] 164/07, NStZ-[X.][X.] 2008, 343, 344). Die damit einhergehende seelische Belastung eines Angeklagten kann unter Umständen das Maß des staatlichen Strafanspruchs beeinflussen, seine [X.]echtsmittelbefugnis bleibt davon indessen unberührt.

3. Die [X.]echtsprechung des [X.] gibt gleichfalls keinen Anlass, das Erfordernis der [X.] für die Zulässigkeit der strafprozessualen [X.]evision aufzugeben.

a) Nach der [X.]echtsprechung des [X.] kann die durch Art. 6 Abs. 2 M[X.]K garantierte Unschuldsvermutung auch durch ein freisprechendes Urteil verletzt werden. Es soll dafür nicht nur auf den Tenor der freisprechenden Entscheidung, sondern auch auf die Urteilsbegründung ankommen. Ein Konventionsverstoß kann etwa zu bejahen sein, wenn das nationale Gericht im Fall des Freispruchs aus sachlichen Gründen durch die Urteilsgründe zum Ausdruck bringt, es sei von der Schuld des Angeklagten tatsächlich überzeugt (vgl. EGM[X.], Urteil vom 15. Januar 2015 - 48144/09 - [X.]/[X.]).

Bereits zuvor hat der [X.] in ständiger [X.]echtsprechung eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 M[X.]K bejaht, wenn eine Gerichtsentscheidung oder die Äußerung eines Amtsträgers nach seiner Bewertung zu erkennen gab, eine einer Straftat angeklagte Person sei schuldig, obwohl der gesetzliche Beweis ihrer Schuld noch nicht erbracht war. Dabei hat der Gerichtshof der konkreten Wortwahl der jeweils angegriffenen Entscheidung maßgebliche Bedeutung beigemessen und diese im Kontext mit der gegebenen Verfahrenslage gewürdigt (vgl. EGM[X.], Slg. 2000-X Nr. 39, 41 - Daktaras/[X.]; EGM[X.], NJW 2004, 43 Nr. 54, 56 - [X.]/[X.]; EGM[X.], Urteil vom 27. Februar 2007 - 65559/01 Nr. 88 f. - [X.]/[X.]; EGM[X.], Urteil vom 23. Oktober 2008 - 13470/02 Nr. 94 - [X.] u.a./[X.]ussland; EGM[X.], Urteil vom 2. Juni 2009 - 24528/02 Nr. 45 ff. - [X.]/[X.]).

Die Garantie des Art. 6 Abs. 2 M[X.]K hat der Gerichtshof dabei vornehmlich in Fällen für verletzt erachtet, in denen der Beschwerdeführer einer Straftat nur verdächtig war, ohne ihretwegen rechtskräftig verurteilt zu sein. Der Gerichtshof hat dabei abermals betont, die Wortwahl der Entscheidung sei im Zusammenhang mit den besonderen Umständen, unter denen die angegriffene Äußerung gemacht wurde, zu bewerten. So hat der Gerichtshof eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 M[X.]K abgelehnt, soweit eine faktische Belastung des Beschwerdeführers für die justizförmige Durchführung des Verfahrens erforderlich oder dessen zwangsläufige Folge war (vgl. EGM[X.], Urteil vom 15. Januar 2015 - 48144/09 - [X.]/[X.]; Urteil vom 27. Februar 2014 - 17103/10 - [X.]/[X.], [X.]n. 63 mwN; Slg. 2013 Nr. 126 - [X.]/[X.]).

b) Der im nationalen [X.]echt geltende Grundsatz der [X.] steht zu dieser [X.]echtsprechung nicht in Widerspruch; er fügt sich in seiner richterrechtlichen Ausprägung sogar in diese ein.

aa) Ein Anspruch des Betroffenen auf einen Instanzenzug im Strafverfahren schlechthin lässt sich auch aus der [X.]echtsprechung des [X.] nicht ableiten. Art. 6 M[X.]K garantiert bereits nicht das [X.]echt auf ein bestimmtes Ergebnis eines Strafverfahrens, etwa nicht auf Verurteilung oder Freispruch wegen einer angeklagten Straftat (vgl. EGM[X.], Urteil vom 26. August 2003 - 59493/00 - [X.]/[X.]; Urteil vom 3. Dezember 2009 - 8917/05 - Kart/[X.], [X.] 2011, 619, 621). Die Bereitstellung und Ausgestaltung des Instanzenzugs ist vielmehr der [X.]egelung durch den nationalen Gesetzgeber unter Wahrung der von der Konvention vorgesehenen Verfahrensgarantien vorbehalten.

bb) Aus der Entscheidung des [X.] vom 15. Januar 2015 (Nr. 48144/09 - [X.]/[X.]) lässt sich für die hier vorliegende Konstellation nichts Gegenteiliges ableiten.

(1.) Dies gilt zum einen deshalb, weil der Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht andere Umstände zugrunde lagen. Der dem Gerichtshof vorgelegte Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, dass sich das erkennende nationale Gericht nach Abschluss der Beweisaufnahme keine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten verschafft und diesen aus sachlichen Gründen freigesprochen hatte. Die schriftlichen Urteilsgründe standen hierzu aber in [X.], denn sie enthielten Äußerungen, aus denen hervorging, der Angeklagte habe die ihm vorgeworfenen Handlungen tatsächlich begangen, lediglich fehle wegen einer unzureichenden Zeugenaussage die hinreichende Gewissheit hinsichtlich eines bestimmten, für die Verurteilung erforderlichen Tathergangs (vgl. EGM[X.], Urteil vom 15. Januar 2015 - 48144/09 - [X.]/[X.], Nr. 57 f.).

So liegt es hier nicht. Das [X.] hat den Angeklagten vorliegend nicht aus sachlichen, sondern aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Überzeugung von einem bestimmten äußeren Ablauf der angeklagten Tat hat sich das [X.] verschafft; Zweifel verblieben (nur) an der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Eine der Entscheidung des [X.] vom 15. Januar 2015 vergleichbare Divergenz zwischen dem Tenor und den Gründen des Urteils besteht deshalb nicht. Wie oben ausgeführt war das [X.] zur [X.] Anwendung des § 20 StGB sogar gehalten, den für erwiesen erachteten Tatablauf und den Zustand des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt im Urteil darzulegen.

(2.) Darüber hinaus ist die Entscheidung des Gerichtshofs vom 15. Januar 2015 im Kontext mit seiner seit langem gefestigten [X.]echtsprechung in den Blick zu nehmen, wonach es für die Verletzung der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 M[X.]K entscheidend auf Wortwahl und Formulierung der Urteilsgründe unter Betrachtung der konkreten Verfahrenssituation ankommt. Hieran hat der Gerichtshof unverändert angeknüpft und der Wortwahl der gerichtlichen Äußerungen das maßgebliche Gewicht beigemessen (vgl. EGM[X.], Urteil vom 15. Januar 2015 - 48144/09 - [X.]/[X.], Nr. 54 f.).

Nach Maßgabe dessen ist die [X.]evision des Angeklagten hier nicht ausnahmsweise zulässig, denn eine übermäßige Beschwer liegt bei Gesamtwürdigung der getroffenen Formulierungen nach Freispruch aus rechtlichen Gründen nicht vor. An dieser Stelle fügt sich der Grundsatz der [X.] in die Vorgaben des [X.] überdies zwanglos ein, denn eine Ausnahme von der Formalbeschwer für extrem gelagerte Fälle, in denen sich die Belastung des Angeklagten aus Begleitumständen, etwa der Wortwahl des Tatgerichts, ergibt, sieht bereits die [X.]echtsprechung des [X.]s seit jeher vor (vgl. [X.], Urteil vom 18. Januar 1955- 5 St[X.] 499/54, [X.]St 7, 153 ff.; Beschluss vom 24. November 1961 - 1 St[X.] 140/61, [X.]St 16, 374; vgl. [X.]St 13, 75, 77; 16, 374; 23, 257, 259; 28, 327, 330; Beschluss vom 18. August 2015 - 3 St[X.] 304/15).

c) Im Übrigen hat auch das [X.] nach der Entscheidung des [X.] vom 15. Januar 2015 am Erfordernis der [X.] nach verfassungsrechtlichen Maßstäben festgehalten (vgl. [X.], [X.], 1117, 1119 mwN).

4. All dies unbeschadet wäre die [X.]evision des Angeklagten auch unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.]. Die Beweiswürdigung lässt angesichts des eingeschränkten [X.] des [X.]evisionsgerichts [X.]echtsfehler nicht erkennen.

[X.]     

     [X.]     

[X.]adtke

[X.]i[X.] Prof. Dr. Mosbacher
ist infolge Urlaubs an der
Unterschriftsleistung
gehindert.

Fischer     

[X.]

Meta

1 StR 56/15

14.10.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Regensburg, 14. August 2014, Az: 6 KLs 151 Js 4111/2013 Wa

Art 6 Abs 2 MRK, Art 1 Abs 1 S 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 267 Abs 5 S 1 StPO, § 296 StPO, §§ 296ff StPO, § 349 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.10.2015, Az. 1 StR 56/15 (REWIS RS 2015, 3943)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 728 REWIS RS 2015, 3943

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