Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.02.2020, Az. 1 BvR 1750/19

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 2702

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Rechts auf gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG) durch nicht ordnungsgemäße Kammerbesetzung bei Entscheidung über Anhörungsrüge - willkürlich fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitsnormen - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

1. Der Beschluss des [X.] vom 3. Juni 2019 - 13 S 730/18 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das [X.] hat dem Beschwerdeführer ein Drittel seiner notwendigen Auslagen für das [X.] zu erstatten.

4. [X.] wird für das [X.] auf 25.000 Euro (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Abweisung einer zivilrechtlichen Leistungsklage im Zusammenhang mit einem Werkvertrag.

I.

2

Der Beklagte des Ausgangsverfahrens erstellte 2009 ein Angebot nebst Leistungsverzeichnis für Elektroarbeiten am Neubau des Beschwerdeführers. Der Beklagte stellte die teilweise noch nicht fertigen Arbeiten 2013 ein und übersandte im November 2013 eine Schlussrechnung. Im Oktober 2017 erhob der Beschwerdeführer Klage auf Prüfung der Elektroinstallation und auf Durchführung einer Übergabe einschließlich eines Abnahmeprotokolls zur Dokumentation der elektrotechnischen Anlage.

II.

3

Mit angegriffenem Endurteil vom 19. Juli 2018 wies das Amtsgericht die Klage ab, da der geltend gemachte primäre Erfüllungsanspruch verjährt und die Verjährung insbesondere nicht durch Verhandlungen gehemmt worden sei. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das [X.] mit angegriffenem Endurteil vom 14. März 2019 zurück. Die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers wies das [X.] mit angegriffenem Beschluss vom 3. Juni 2019 zurück, da die Kammer seinen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen habe.

III.

4

1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.

5

Die Annahme der Fachgerichte, dass es sich bei der begehrten Leistung um einen selbstständigen Teil der Primärleistungspflicht handele, sei willkürlich und das in diesem Zusammenhang unterbreitete Angebot zur Erhebung eines Sachverständigenbeweises gehörswidrig übergangen worden. Die Fachgerichte hätten ferner das Vorbringen zur Verjährungshemmung durch Verhandlungen nicht berücksichtigt, insbesondere nicht den angebotenen Zeugenbeweis erhoben und sich nicht mit der durch den Beschwerdeführer zitierten Rechtsprechung auseinandergesetzt. Die ungeklärte Kernproblematik, ob sich bei Verjährung des Erfüllungsanspruchs ohne Abnahme der Gewährleistungsanspruch anschließe, sei [X.] geblieben. Darüber hinaus sei das [X.] bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Zudem habe wegen über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung die Revision zugelassen werden müssen.

6

2. Das [X.] und der Beklagte des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach Ansicht des [X.] verstößt der angegriffene Beschluss über die Zurückweisung der Anhörungsrüge gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, beruht jedoch nicht auf dieser Verletzung, da das Verfahren mangels Gehörsverletzung auch bei einer Entscheidung gemäß Geschäftsverteilungsplan nicht fortzuführen gewesen sei. Nach Auffassung des Beklagten des Ausgangsverfahrens ist ein Verfassungsverstoß nicht ersichtlich. Sei die [X.] bereits versetzt gewesen, heiße dies allenfalls, dass an ihrer Stelle die lediglich namentlich unrichtig bezeichnete Richterin am [X.] A. mitgewirkt habe.

7

3. Die Kammer hat die Akten des Ausgangsverfahrens und den Geschäftsverteilungsplan des [X.]s Amberg für das Jahr 2019 beigezogen.

IV.

8

1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch den Beschluss des [X.]s vom 3. Juni 2019 über die Anhörungsrüge rügt, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Das [X.] hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt (vgl. [X.] 138, 64 <86 ff. Rn. 70 ff.> m.w.N.). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig und offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

9

a) § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Der Beschwerdeführer war nicht dazu gehalten, zunächst im Wege einer Gegenvorstellung um fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen die Entscheidung über die Anhörungsrüge zu ersuchen. Insoweit sind mangels einer zuverlässigen gesetzlichen Regelung die rechtsstaatlichen Anforderungen an die [X.] nicht erfüllt. Die hieraus folgenden rechtsstaatlichen Defizite außerordentlicher Rechtsbehelfe schließen es aus, die vorherige erfolglose Einlegung einer Gegenvorstellung zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zu machen (vgl. [X.] 107, 395 <416 f.>; 122, 190 <200>).

b) Der Beschluss vom 3. Juni 2019 über die Anhörungsrüge verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

aa) Für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügt nicht schon jede irrtümliche Überschreitung der den Fachgerichten gezogenen Grenzen (vgl. [X.] 87, 282 <284> m.w.N.; 138, 64 <87 Rn. 71>). Durch einen schlichten error in procedendo wird niemand [X.] entzogen (vgl. [X.] 3, 359 <365>; 138, 64 <87 Rn. 71>). Eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters kommt aber in Betracht, wenn das Fachgericht Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl. [X.] 82, 286 <299>; 87, 282 <284 f.>; 131, 268 <312>; 138, 64 <87 Rn. 71>) oder wenn die maßgeblichen Verfahrensnormen in objektiv willkürlicher Weise fehlerhaft angewandt wurden (vgl. [X.] 42, 237 <241>; 76, 93 <96>; 79, 292 <301>; 138, 64 <87 Rn. 71>).

bb) Nach diesen Grundsätzen liegt eine Verletzung des Rechts auf [X.] vor.

(1) Bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge entscheidet das Gericht in seiner regulären Besetzung und nicht in der, in der die mit der Anhörungsrüge angegriffene Entscheidung getroffen worden ist (vgl. Musielak, in: [X.], ZPO, 16. Aufl. 2019, § 321a Rn. 10; Vollkommer, in: [X.], ZPO, 33. Aufl. 2020, § 321a Rn. 15a; [X.], in: [X.], ZPO, 23. Aufl. 2018, § 321a Rn. 43). Damit bleibt es bei der Besetzung nach § 21g GVG (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Juli 2005 - [X.]/04 -, juris, Rn. 3; [X.], 180 <182 Rn. 8>). Bei einem Richterwechsel ist in der neuen Besetzung zu entscheiden ([X.], in: [X.], ZPO, 23. Aufl. 2018, § 321a Rn. 43 m.w.N.).

(2) Danach war das Gericht bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge nicht ordnungsgemäß besetzt.

Die angegriffene Entscheidung vom 3. Juni 2019 nennt als [X.] die Vorsitzende Richterin am [X.] B., die Richterin [X.] und [X.] am [X.] D. Die Vorsitzende Richterin am [X.] B. und [X.] am [X.] D. haben den Beschluss unterschrieben. In Bezug auf die Richterin [X.] hat die Vorsitzende unter dem Beschluss eine urlaubsbedingte Verhinderung an der Unterschriftsleistung vermerkt. Ausweislich des [X.] des [X.]s für das Jahr 2019 war die befasste Kammer bei Erlass des angegriffenen Beschlusses indes regulär mit der Vorsitzen[X.]in am [X.] B., [X.]in am [X.] A., [X.] am [X.] D. und [X.] am [X.] E. besetzt. Die Richterin [X.] war bereits seit dem 28. April 2019 an die Staatsanwaltschaft versetzt und damit aus der Kammer ausgeschieden. Eine ‒ grundsätzlich zulässige (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Juli 2005 - [X.]/04 -, juris, Rn. 3) ‒ Änderung der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung nimmt der Geschäftsverteilungsplan nicht vor. Anhaltspunkte für eine tatsächliche Mitwirkung der an die Stelle [X.]in [X.] getretenen Richterin am [X.] A. gibt es nicht.

(3) In dem Verhalten der Kammer ist eine willkürlich fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitsnormen zu erblicken. Denn Anhaltspunkte für eine durch sachliche Erwägungen gerechtfertigte Auslegung oder Anwendung des [X.] sind nicht erkennbar. Nichts deutet auf eine Befassung mit der Zuständigkeit infolge der Änderung des [X.]. Indem sie bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge ohne ansatzweise nachvollziehbaren Grund die Besetzung der Kammer aus der angegriffenen Entscheidung vom 14. März 2019 einschließlich des Vermerks zur Verhinderung wegen Urlaubsabwesenheit übernommen hat und dabei eine Richterin zur Entscheidung berief, die zu diesem Zeitpunkt ausweislich des eindeutigen Wortlautes des [X.] bereits seit fünf Wochen an die Staatsanwaltschaft versetzt war, hat die Kammer vielmehr entweder die Frage der Zuständigkeit übergangen oder ein Ermessen für sich in Anspruch genommen, welches nach dem klaren Wortlaut des [X.] nicht bestand und damit die gesetzlichen Grenzen ihrer Entscheidungszuständigkeit insgesamt nicht beachtet (vgl. [X.], 537 <544>). In beiden Fällen war die Vorgehensweise gesetzeswidrig und offensichtlich unvertretbar.

cc) Die angegriffene Entscheidung vom 3. Juni 2019 beruht auch auf dieser Verletzung.

(1) Ein zur Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG führender Verfahrensfehler kann nur festgestellt werden, wenn die fachgerichtliche Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruht. Dies ist nicht der Fall, wenn die Entscheidung ohne ihn genauso ausgefallen wäre (vgl. [X.] 64, 1 <21 f.>; 96, 68 <86>; [X.]K 13, 303 <314>). Es genügt jedoch, dass zumindest möglich ist, dass das [X.] bei ordnungsgemäßer Besetzung zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung über die Anhörungsrüge gelangt wäre (vgl. [X.] 138, 64 <101>).

(2) Das ist im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen. Bereits wegen der Änderung seiner Zusammensetzung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Rechtsauffassung des für die Anhörungsrüge zuständigen Spruchkörpers bereits bekannt und eine erneute Entscheidung über die Anhörungsrüge daher reine [X.] wäre (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 22. Mai 2015 - 1 BvR 2291/13 -, Rn. 4). Bei der von dem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG allein betroffenen Entscheidung über die Anhörungsrüge ist für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsstandpunkt des über die Rüge entscheidenden Gerichts maßgeblich (vgl. Vollkommer, in: [X.], ZPO, 33. Aufl. 2020, § 321a Rn. 12). Im Falle eines Richterwechsels ist die Ansicht des eintretenden, nicht des ausgeschiedenen Richters entscheidend (vgl. [X.], in: [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 321a Rn. 31; [X.], [X.], [X.] 248 <249>). Es kann hier weder ausgeschlossen werden, dass das anstelle [X.]in [X.] zur Entscheidung berufene [X.] eine dem Beschwerdeführer günstigere Auffassung vertreten hätte, noch, dass in diesem Fall die Entscheidung der Kammer über die Anhörungsrüge für ihn günstiger ausgefallen wäre.

2. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG rügt, liegt ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 [X.] nicht vor.

Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil sie den Begründungserfordernissen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] nicht genügt. Die Möglichkeit der Verletzung eines beschwerdefähigen Rechts wird insoweit nicht substantiiert und schlüssig dargelegt (vgl. [X.] 123, 267 <329>; 130, 1 <21>). Es fehlt bereits an der gebotenen inhaltlichen Auseinandersetzung mit den angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen (vgl. [X.] 130, 1 <21> m.w.N.). Der Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, seine eigene einfachrechtliche Bewertung derjenigen der angegriffenen Entscheidungen gegenüberzustellen, ohne sich mit deren tragenden Gründen oder den zugrundeliegenden einfachrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Fragestellungen im Ansatz auseinanderzusetzen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.]. Die Festsetzung des [X.] erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1750/19

18.02.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Amberg, 3. Juni 2019, Az: 13 S 730/18, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 21g GVG, § 321a ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.02.2020, Az. 1 BvR 1750/19 (REWIS RS 2020, 2702)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2702

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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