25. Senat | REWIS RS 2017, 14907
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Markenbeschwerdeverfahren – "Weitsicht DURCH NäHe (Wort-Bild-Marke)" – keine Unterscheidungskraft
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2013 068 749.3
hat der 25. Senat ([X.]) des [X.] am 27. Februar 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.], der Richterin [X.] sowie des Richters Dr. Nielsen
beschlossen:
Die Beschwerde der Anmelderin wird zurückgewiesen.
I.
Die Wort-Bildgestaltung
ist am 13. Dezember 2013 zur Eintragung als Marke in das beim [X.] ([X.]) geführte Register für die folgenden Dienstleistungen der [X.] angemeldet worden:
Versicherungswesen, insbesondere Versicherungsvermittlung, Finanzwesen, insbesondere Bankgeschäfte aller Art, nämlich Einlagengeschäfte, [X.], Kreditgeschäfte, [X.], [X.], [X.], [X.], Eingehung der Verpflichtung, gegen Entgelt gegenüber [X.], zuvor veräußerte [X.] vor Fälligkeit zurück zu erwerben (echtes und unechtes Pensionsgeschäft), Garantiegeschäfte, [X.], [X.], E-Geld-Geschäfte, Vermittlung von Verträgen über Ankauf von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen, Anlage- und Abschlussvermittlung von Finanzgeschäften, Finanzportfolioverwaltung, Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten im Wertpapierhandel für andere, Vermittlung von Einlagengeschäften - soweit in [X.] enthalten - mit Unternehmen mit Sitz außerhalb des europä-ischen Wirtschaftsraumes, Finanztransfergeschäfte. [X.], Abwicklung von Geldgeschäften mit Kreditkarten, finanzielle Anlageberatung, Geldmaklergeschäfte, Geldgeschäfte, [X.], insbesondere Immobilienvermittlung.
Mit Beschlüssen vom 11. Juni 2014 und vom 4. September 2014 hat die Markenstelle für [X.] des [X.] die unter der Nummer 30 2013 068 749.3 geführte Anmeldung für alle Dienstleistungen wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die angemeldete Wortfolge einen werbeüblichen Slogan mit einer gängigen [X.] Formulierung darstelle. „Weitsicht“ bedeute ebenso wie „Weitblick“ im übertragenen Sinn die Fähigkeit, vorauszublicken bzw. frühzeitig künftige Entwicklungen und Erfordernisse zu erkennen und richtig einzuschätzen. „Nähe“ bezeichne eine geringe Entfernung, wobei nicht nur die örtliche Nähe, sondern auch die Nähe zu einer Sache oder die menschliche Nähe im Sinn einer engen persönlichen Beziehung gemeint sein könne. Bezogen auf die Dienstleistungen der [X.] werde in leicht verständlicher Weise darauf hingewiesen, dass diese mit solcher Weitsicht angeboten und erbracht würden, die sich auf die menschliche und/oder örtliche Nähe zum Kunden bzw. auf Nähe zur Sache im Sinn einer besonderen Sachkenntnis gründe und dass der Anbieter dieser Dienstleistungen über eine derartige Weitsicht verfüge. Damit entstehe ein enger beschreibender Bezug zu sämtlichen angemeldeten Dienstleistungen. Auch die grafische Ausgestaltung hebe sich in ihrer Gesamtheit vom werbegrafischen Standard nicht derart ab, dass die angesprochenen Verkehrskreise sie als kennzeichnendes Element wahrnehmen könnten.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie hält das angemeldete Zeichen in Bezug auf die beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen für schutzfähig, da der Bezeichnung nicht jegliche Unterscheidungskraft fehle. Der Wortbestandteil „Weitsicht durch Nähe“ weise weder einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt, noch einen engen beschreibenden Bezug zu den angemeldeten Dienstleistungen auf. Mit den einzelnen Dienstleistungen habe sich die Markenstelle nicht hinreichend konkret genug befasst, so dass die Beschlüsse schon deshalb keinen Bestand haben könnten. Die Begriffe „Weitsicht“ und „Nähe“ stellten syntaktisch und inhaltlich an sich schon einen Widerspruch dar. Umso mehr sei die Zusammenstellung der Wörter unüblich, insbesondere deshalb, weil ein Kausalzusammenhang in der Weise hergestellt werde, dass „Nähe“ als Ursache für „Weitsicht“ angeführt werde. Diese grundsätzlich gegensätzlichen Begriffe kausal mit dem Wort „durch“ in einen Zusammenhang zu bringen, mache - schon ohne Berücksichtigung der individuellen grafischen Gestaltung - bereits die besondere Originalität der Wortzusammenstellung aus. Jedenfalls verleihe die besondere graphische Ausgestaltung dem angemeldeten Zeichen die erforderliche Unterscheidungskraft. Bereits die zu dem Corporate Design der Anmelderin gehörende, zur Ausgestaltung der Bildelemente verwendete Farbe goldgrün sei ein stark identitätsstiftendes Stilmittel. Die besondere Anordnung und wechselnde Schriftgröße und -dicke der Wortbestandteile - das filigran in hellgrau gehaltene Wort „Weitsicht“, die weiteren darunter in kleiner, aber dicker schwarzer Schrift gehaltenen Wortelemente, das großbuchstabige „DURCH“ und das Wort „[X.]“, bei welchem die Buchstaben im Wechsel der Groß- und Kleinschrift wiedergegeben seien - ragten über das Maß einer durchweg werbeüblichen und unauffälligen Gestaltung unternehmenskennzeichnend hinaus. Die graphische Gestaltung sei eigens für die Anmelderin mit einigem Aufwand entwickelt worden und habe bei mehreren Designpreisen (iF Design Award) Beachtung gefunden. Solche Auszeichnungen mit internationaler Anerkennung erfolgten nicht für Entwicklungen ohne Unterscheidungskraft.
Die Anmelderin und Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse der Markenstelle für [X.] des [X.]s 11. Juni 2014 und vom 4. September 2014 aufzuheben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle, die Schriftsätze der Anmelderin und auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.
II.
Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst zu werden. Denn die Hauptfunktion einer Marke liegt darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. [X.], [X.], 569 Rn. 10 – [X.]; [X.], 731 Rn. 11 – [X.]; [X.], 1143 Rn. 7 – [X.]; [X.], 270 Rn. 8 – Link economy; [X.], 1100 Rn. 10 – [X.]!; [X.], 825 Rn. 13 – [X.]; GRUR 2006, 850, 854 Rn. 18 – [X.]). Auch das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft ist im Lichte des zugrundeliegenden Allgemeininteresses auszulegen, wobei dieses darin besteht, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen zu bewahren (vgl. [X.], [X.], 604 Rn. 60 – [X.]; [X.], [X.], 565 Rn. 17 –[X.]). Werbeslogans oder schlagwortartige Wortfolgen unterliegen weder strengeren noch geringeren, sondern den gleichen Schutzvoraussetzungen wie andere Wortmarken. Daher reicht allein die Tatsache, dass ein Zeichen von den angesprochenen Verkehrskreisen als Werbeslogan wahrgenommen wird - für sich gesehen - nicht aus, um die für die Schutzfähigkeit erforderliche Unterscheidungskraft zu verneinen (vgl. [X.] [X.], 228 Rn. 44 - [X.] DURCH TECHNIK; [X.]. 2012, 914 - [X.] [X.]). Entscheidend ist, ob das Zeichen zugleich auch als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der beanspruchten Waren und Dienstleistungen aufgefasst wird (vgl. [X.] [X.], 228, Rn. 45 - [X.] DURCH TECHNIK). Wie bei anderen Markenkategorien auch fehlt sloganartigen Wortfolgen diese Eigenschaft dann, wenn es sich um Bezeichnungen handelt, denen der Verkehr im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren und Dienstleistungen lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnet (vgl. [X.] 2006, 850 Rn. 19 - [X.]; [X.] GRUR 2004, 674, Rn. 86 - Postkantoor) oder wenn es sich um sonst gebräuchliche Wörter der [X.] oder einer bekannten Fremdsprache handelt, die - etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung - stets nur als solches und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. [X.] a. a. O. - Link economy; [X.], 778 Rn. 11 - [X.]; [X.], 640 Rn. 13 - hey!). Darüber hinaus fehlt die Unterscheidungskraft u. a. aber auch solchen Angaben, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Produkte zwar nicht unmittelbar betreffen, mit denen aber ein enger beschreibender Bezug zu dem betreffenden Produkt hergestellt wird ([X.] a. a. O. - [X.]) oder die ausschließlich werbewirksame Anpreisungen enthalten, ohne einen über diese Werbefunktion hinausgehenden hinreichenden Hinweis auf die betriebliche Herkunft zu vermitteln (vgl. [X.] [X.], 228, Rn. 44 - [X.] DURCH TECHNIK). Unterscheidungskraft kann einer [X.] insbesondere dann zukommen, wenn die jeweilige Bezeichnung nicht nur in einer gewöhnlichen Werbemitteilung besteht, sondern eine gewisse Originalität oder Prägnanz aufweist, die ein Mindestmaß an Interpretationsaufwand erfordert oder bei den angesprochenen Verkehrskreisen einen Denkprozess auslöst ([X.] [X.], 228, Rn. 57 - [X.] DURCH TECHNIK).
Nach diesen Grundsätzen fehlt der angemeldeten Wort- Bildgestaltung für die beanspruchten Dienstleistungen aber jegliche Unterscheidungskraft.
Die darin enthaltene Wortfolge besteht aus den ohne weiteres verständlichen Substantiven „Weitsicht“ und „Nähe“, die verbunden mit der Präposition „durch“ im Sinn von „aufgrund“, „infolge“, „mit“, „angesichts“, „dank“, „mithilfe“, „wegen“ (vgl. [X.], www.duden.de bzw. [X.] Richtiges und gutes [X.], 7. Auflage Dudenverlag) aus sich heraus erfassbar ist in der Bedeutung von „weitblickend/vorausschauend durch (gleichzeitige) Nähe“. Diese werbespruchartige Wortkombination ist für die angesprochenen breiten Verkehrskreise dahingehend verständlich, dass der so bezeichnete Dienstleister aufgrund seiner Sachkunde auf dem hier maßgeblichen Gebiet des Versicherungs-, Finanz- und [X.]s „Weitsicht“ hat in dem Sinn, dass er vorausschauend (planend) bei gleichzeitiger Kunden- bzw. Ortsnähe tätig werden kann, was ihm dann eine bestmögliche Beratung bzw. Erbringung der Dienstleistungen ermöglicht. Bei den Wörtern „Weitsicht“ und „Nähe“ handelt es sich um gerade im Bereich der Finanz([X.])dienstleistungen häufig verwendete Schlagwörter, mit Hilfe derer in der bei der Bewerbung der Dienstleistungen üblichen verkürzenden Werbesprache ohne weiteres verständlich ein (Handlungs-)Motto des Dienstleisters, ein Leitbild oder Erfolgsrezept positiv herausgestellt wird. Dass entsprechende Dienstleister gerade ihre Weitsicht und ihre (Kunden)Nähe als besondere Qualitäts- und Erfolgsversprechen einsetzen und hervorheben, verdeutlichen die bereits im angegriffenen Beschluss des [X.] vom 11. Juni 2014 erwähnten Beispiele sowie das Ergebnis der ergänzenden [X.] vom 21. Oktober 2016, das der Anmelderin mit Schreiben vom 31. Oktober 2016 übermittelt worden ist (vgl. zum Beispiel
Soweit die Anmelderin auf die ständige Rechtsprechung des [X.] verweist und meint, allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft begründe ein Eintragungshindernis, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genüge, um das Schutzhindernis zu überwinden, ist dieses Argument, abgesehen davon dass der Anmeldung jegliche Unterscheidungskraft abzusprechen ist, mit Verweis auf die Ausführungen des [X.] zurückzuweisen, wonach sich die Prüfung der Anmeldungen nicht auf ein Mindestmaß beschränken dürfe, sondern streng und umfassend sein müsse, um eine ungerechtfertigte Eintragung von Marken zu verhindern und aus Gründen der [X.] und der ordnungsgemäßen Verwaltung sicherzustellen, dass Marken, deren Benutzung mit Erfolg entgegengetreten werden könnte, nicht eingetragen werden (vgl. [X.] GRUR 2004, 1027 Rn. 45 – Das Prinzip der Bequemlichkeit).
Soweit die Anmelderin ausführt, durch die Zusammenfügung der Begriffe erfahre die Kombination eine ungewöhnliche Änderung, die hinreichend weit von der [X.], kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Denn die Wortverbindung ist weder sprachlich – insbesondere in syntaktischer oder semantischer Hinsicht – ungewöhnlich, noch ist die Verknüpfung für den konkret beanspruchten Dienstleistungsbereich ohne einen Sinnzusammenhang und ungewöhnlich (vgl. dazu die oben näher ausgeführten Ergebnisse einer Internetrecherche). Es handelt sich vielmehr um eine Verknüpfung zweier im Hinblick auf die beanspruchten Dienstleistungen in einem sinnstiftenden Zusammenhang stehender Begriffe, ohne dass ein über das Zusammenfügen hinausgehender Eindruck erweckt wird (vgl. hierzu [X.] GRUR 2004, 674, Rn. 98-100 - Postkantoor; GRUR 2004, 680, Rn. 39-41 - [X.]; [X.] [X.], 949, Rn. 13 - My World; [X.], 272 Rn. 12 - Rheinparkcenter Neuss; [X.], 565 Rn. 2 - smartbook).
Schließlich wirkt auch die konkrete grafische Ausgestaltung der angemeldeten Marke nicht schutzbegründend. Zwar können schutzunfähige Wortbestandteile durch eine besondere bildliche Ausgestaltung einen schutzbegründenden „Überschuss“ erhalten. Jedoch sind dabei an den bildlichen „Überschuss“ umso höhere Anforderungen zu stellen, je deutlicher der beschreibend-werbliche Charakter der fraglichen Angabe selbst hervortritt. Die grafische Ausgestaltung muss eine den schutzunfähigen Charakter der übrigen Markenteile aufhebende, kennzeichnungskräftige Verfremdung des Gesamteindrucks der Marke bewirken (vgl. dazu [X.]/Hacker, [X.], 11. Aufl., § 9 Rn 191 ff., vgl. auch [X.] GRUR 2001, 1153 – antiKALK).
Auch die konkrete offenbar designtechnisch äußerst gelungene und daher ausgezeichnete Kombination ([X.] 2013) der [X.] vermag der Anmeldung nicht zur Eintragung zu verhelfen. Zwar ist maßgeblich auf den Gesamteindruck des angemeldeten Zeichens abzustellen, so dass die Kombination schutzunfähiger [X.] im Einzelfall eintragungsfähig sein kann ([X.]/Hacker, [X.], 11. Aufl., § 8 Rn. 196). Sofern aber kein merklicher Unterschied zwischen der Kombination in ihrer Gesamtheit und der bloßen Summe der Bestandteile besteht, dass also der durch die Verbindung bewirkte Gesamteindruck über die Zusammenfügung beschreibender oder dekorativer Elemente nicht hinausgeht, ist die Kombination auch in ihrer Gesamtheit nicht unterscheidungskräftig. Die vorliegende Kombination mag zwar gefällig und ästhetisch ansprechend zusammengestellt sein und durch die unterschiedlichen Schriftstärken in besonders gelungener Weise die Begrifflichkeiten „Weitsicht“ und „Nähe“ illustrieren (was möglicherweise der Grund für den Designpreis war), eine ungewöhnliche von der Sachangabe hinreichend weit [X.] Änderung, die der angesprochene Verkehr betriebskennzeichnend verstehen könnte, ergibt sich durch die konkrete Gesamtgestaltung insgesamt aber nicht.
Insoweit vermag auch die konkrete grafische Ausgestaltung nicht die erforderliche Unterscheidungskraft zu begründen.
Nach alledem war die Beschwerde daher zurückzuweisen.
Die Durchführung der mündlichen Verhandlung war nicht angezeigt und von der Anmelderin nicht beantragt worden, § 69 Nr. 3 bzw. Nr. 1 [X.].
Meta
27.02.2017
Beschluss
Sachgebiet: W (pat)
Zitiervorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 27.02.2017, Az. 25 W (pat) 123/14 (REWIS RS 2017, 14907)
Papierfundstellen: REWIS RS 2017, 14907
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