Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2018, Az. StB 12/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 8501

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:300518BSTB12.18.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

StB 12/18
vom
30. Mai 2018
in dem Strafverfahren
gegen

wegen Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen
gegen humanitäre Operationen
u.a.
-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger
am 30. Mai
2018
gemäß
§
304
Abs. 4
Satz 2 Halbsatz 2 Nr.
1
[X.] beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 16.
Oktober 2017 wird verwor-fen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tra-gen.

Gründe:
I.
1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 21.
Januar 2016 auf-grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 14.
Januar 2016 (4 [X.] 10/16)
in Untersuchungshaft. Der Senat hat mit [X.] vom 11.
August 2016 ([X.]) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
2. Mit Urteil vom 20.
September 2017 hat das [X.] den Angeklagten wegen Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen huma-nitäre Operationen in Tateinheit mit Beihilfe zum erpresserischen [X.], zu einer versuchten schweren räuberischen Erpressung in drei tateinheit-lichen Fällen und
zur schweren Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es den Haftbefehl nach Maßgabe des verkündeten Urteils aufrechterhalten. Gegen dieses Urteil 1
2
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3
-
hat der [X.] Revision mit dem Ziel der Änderung des Schuld-spruchs und der dadurch bedingten Aufhebung des Strafausspruchs eingelegt, ohne dabei die Sachverhaltsfeststellungen zu beanstanden: Der Angeklagte habe
Tathandlungen
eines Kriegsverbrechens gegen humanitäre Operationen
(§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]) und der schweren Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1, 3 Nr. 1 StGB) selbst ausgeführt. Er sei daher zumindest insoweit Täter. Daher sei der Strafrahmen des § 10 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 [X.]
mit einer Min-deststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe für die Strafzumessung maßgeblich, nicht der vom [X.] nach §
27 Abs.
2
Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB auf das Mindestmaß von zwei Jahren Freiheitsstrafe gemilderte des erpresseri-schen [X.] (§
239a Abs. 1 StGB). Termin zur Hauptverhandlung
vor dem Senat
über die Revision des [X.]s ist auf den 23.
August
2018 bestimmt.
3. Der Angeklagte hat mit Schriftsatz vom 26.
September 2017
bean-tragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Daraufhin hat das [X.] Stuttgart mit Beschluss vom 16. Oktober 2017 den Haftbefehl vom 14. Januar 2016 in der Fassung des Beschlusses vom 20. Sep-tember 2017 aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die
Beschwerde des An-geklagten
vom 23. April 2018, welcher das [X.] mit Beschluss vom 25. April 2018 nicht abgeholfen hat.
4. Der Angeklagte hat zur Begründung seines Rechtsmittels im [X.] ausgeführt, die Fortdauer der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig. Er werde in seinem Grundrecht aus Art.
2 Abs.
2 Satz 2 GG verletzt. Bei Rechtskraft des Urteils wäre am 21.
Mai 2018 infolge der anzurechnenden Un-tersuchungshaft der Zeitpunkt erreicht, zu welchem über die Aussetzung der Vollstreckung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung zu entscheiden ge-wesen wäre
("Zwei-Drittel-Zeitpunkt"; § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB). Eine sol-3
4
-
4
-
che Entscheidung wäre vor allem wegen seines unbescholtenen [X.] und seines Geständnisses zu seinen Gunsten ausgefallen. Nunmehr könne eine Strafhaft nichts zur Resozialisierung beitragen. Zudem sei mit seinem Geständ-nis sowie
seiner Bindung an seinen Vater und eine seiner Schwestern, die in [X.] lebten, der Haftgrund der Fluchtgefahr ausgeräumt. Der Haftbefehl sei deshalb aufzuheben, jedenfalls aber außer Vollzug zu setzen.
Der [X.] hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

II.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der -
in diesem Beschwer-deverfahren nicht angegriffene -
dringende Verdacht, die ihm nach Maßgabe der Haftentscheidungen vom 20. September 2017 und 16.
Oktober 2017 i.V.m.
dem Urteil vom 20. September
2017 zur Last gelegte Straftat begangen zu ha-ben, nämlich zwischen Anfang März
2013 und
Mai 2013 zumindest an sieben Tagen den
von Mitgliedern einer die Bürgerkriegswirren ausnutzenden, mit is-lamistischem
Gedankengut sympathisierenden
Personengruppe unter Vorhalt von Schusswaffen verschleppten
kanadischen Staatsangehörigen

[X.]

, der seit Juli 2010 hauptamtlich als Rechtsberater für die friedenser-haltende Mission der Vereinten Nationen auf den [X.] ([X.] Force
-
UNDOF) tätig war,
im Auftrag der Entführer
in der Ortschaft [X.] nordöstlich von [X.] in [X.] bewacht
zu haben.
Durch das verurteilende Erkenntnis vom 20. September 2017 wird der [X.] Tatverdacht hinreichend belegt (siehe nur
[X.], Beschlüsse vom 2.
Novem-ber 2016 -
StB
35/16, juris Rn. 7; vom 11. August 2016 -
StB 25/16, juris Rn. 7; 5
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-
5
-
vom 28.
Oktober 2005 -
StB 15/05, NStZ
2006, 297; vom 8. Januar 2004
-
StB
20/03, [X.], 276, 277).
2. Der
Haftgrund der Fluchtgefahr (§
112 Abs.
2 Nr.
2 [X.]) besteht fort.
Das Verfahren ist nicht rechtskräftig abgeschlossen. Ob die vom [X.] verhängte Freiheitsstrafe Bestand hat, bleibt der Revisionsentscheidung sowie einem sich daran gegebenenfalls anschließenden
neuen
Erkenntnisver-fahren vorbehalten.
Damit kann hier bei der Beurteilung des Fluchtanreizes nicht allein auf die sogenannte Nettostraferwartung (§
57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, §
51 Abs. 1 Satz 1 StGB) und zwar bemessen an der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten abgestellt werden (dazu nur
[X.], [X.] vom 2. November 2016 -
StB 35/16, juris Rn. 9). Schon der aufgrund des Strafausspruchs des [X.]s noch verbleibende Strafrest von etwa einem
Jahr und zehn Monaten
in Verbindung mit dem Fortgang des Straf-verfahrens begründet
für den Angeklagten angesichts des Umstands, dass er in [X.] über keine ausreichenden [X.] Bindungen verfügt, einen [X.] Fluchtanreiz.
Der
Fluchtanreiz
wird insbesondere dadurch verstärkt, dass die
Mutter
des Angeklagten
und eine seiner Schwestern in der [X.], zwei Schwestern in [X.] und eine Schwester in [X.]
leben. Diese Familienangehörigen könnten ihm Aufenthalt gewähren. Zudem gelang dem Angeklagten über "Schlepper"
seine Einreise nach [X.]. Auch solche Kontakte könnte der Angeklagte zu seiner Flucht nutzen.
Schließlich kommt dem Umstand Bedeu-tung zu, dass der Angeklagte unter [X.] der Identität eines "

A.

"
seine Anerkennung als Flüchtling und die Erteilung einer [X.] erreichte. Auch dies begründet die Gefahr des "Untertauchens".
8
9
-
6
-

Die von der Verteidigung erwogenen Auflagen (§ 116 Abs.
1 [X.]) er-scheinen nicht geeignet, der Fluchtgefahr
hinreichend zu begegnen.
Eine Au-ßervollzugsetzung des Haftbefehls scheidet daher aus.
3. Die Fortdauer der nun bereits mehr als zwei Jahre und vier Monate
andauernden
Untersuchungshaft ist mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwi-schen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Ab-wägung der Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens zum jetzigen Zeit-punkt noch verhältnismäßig (§
120 Abs.
1 Satz 1 [X.]):
a) Die Beteiligung an einem Kriegsverbrechen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]) und an einem erpresserischen Menschenraub (§ 239a Abs. 1 StGB) wiegt
schwer. Das Verfahren ist ohne Verzögerung betrieben worden.
Der
-
al-lein von der Beschwerde geltend gemachte
-
Gesichtspunkt, ob die Vollstre-ckung des Strafrests nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zur Bewäh-rung "hypothetisch"
ausgesetzt werden kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB), ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zwar zu berück-sichtigen (siehe nur
[X.], Beschlüsse vom 29. Dezember 2005 -2
BvR
2057/05,
[X.]K 7, 140, 161 f.; vom 4. Juni 2012 -
2 BvR 644/12,

[X.]K 19, 428, 435; vom 11. Juni 2008 -
2 BvR 806/08,
StV
2008, 421, 422; [X.], Beschluss vom 22. Oktober 2012
-
StB 12/12, NJW
2013, 247, 249). [X.] handelt es sich dabei nicht um eine starre Grenze, bei deren Erreichen der weitere Vollzug der Untersuchungshaft stets unverhältnismäßig wäre ([X.], [X.], 7. Aufl.,
§ 120 Rn. 7).
Die verhängte Strafe bleibt daneben
ein beachtliches Abwägungskriterium.
Innerhalb der Gesamtabwägung tritt zu dem durchaus gewichtigen Maß der verhängten Freiheitsstrafe, die freilich deut-10
11
12
-
7
-
lich unterhalb der von dem [X.] beantragten liegt, und des noch offenen [X.] sowie zur Schwere das [X.] die derzeit wegen der zu
Lasten des Angeklagten geführten Revision des [X.]s nicht auszuschließende Möglichkeit einer Strafmaßverböserung hinzu. [X.] nach gegenwärtigem Stand
ist für den Senat nicht erkennbar, dass das Rechtsmittel des [X.]s offensichtlich unbegründet wäre (vgl. dazu [X.] aaO; zu einer solchen Prognose der Erfolgsaussichten ei-ner Revision innerhalb der Prüfung des dringenden Tatverdachts [X.], [X.] vom 28. Oktober 2005 -
StB 15/05, [X.], 297).
b) Zudem bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass eine Aussetzung des [X.] zur Bewährung zu erwarten ist (zu diesem Beurtei-lungsmaßstab siehe [X.] aaO; MüKo[X.]/[X.]/[X.], § 112 Rn. 53
mwN).
Allein der Umstand, dass der Angeklagte bislang nicht vorbestraft und erstmalig von einer freiheitsentziehenden Maßnahme betroffen ist, begründet hier keine ausreichende
diesbezügliche
Wahrscheinlichkeit. Denn auch das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit ist bei dieser schwerwiegenden Tat mit jihadistischem Bezug innerhalb
der Aussetzungsentscheidung ein bedeutender Umstand (dazu nur [X.], Beschluss vom 2. November 2016 -
StB 35/16, juris Rn. 11). Das [X.], das allein einen unmittelbaren Eindruck vom

13
-
8
-

Angeklagten in der Hauptverhandlung gewonnen hat, hat dem Senat als Be-schwerdegericht keine weiteren zu seinen Gunsten sprechenden Gesichtspunk-te vermittelt. Im Gegenteil steht nach Aktenlage die Prüfung aus, ob und in wel-chem Umfang der Angeklagte durch den Besitz und
das Benutzen
zumindest
eines Mobiltelefons gegen die Hausordnung der Justizvollzugsanstalt verstieß.
[X.]Leplow

Meta

StB 12/18

30.05.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2018, Az. StB 12/18 (REWIS RS 2018, 8501)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8501

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2 BvR 644/12

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