Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.07.2014, Az. B 14 SF 1/14 R

14. Senat | REWIS RS 2014, 3926

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Zulässigkeit des Sozialrechtswegs - öffentlich-rechtliche Streitigkeit - Erteilung eines Hausverbots durch den Grundsicherungsträger in Form eines Verwaltungsakts - ausdrückliche Sonderzuweisung an die Sozialgerichtsbarkeit - Herleitung des Klageanspruchs aus einem Rechtsverhältnis nach dem SGB 2


Leitsatz

Bei einem Rechtsstreit über ein Hausverbot ist der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit gegeben, wenn ein Rechtsverhältnis zwischen der Behörde, die das Hausverbot ausspricht, und dem Adressaten des Hausverbots besteht und für Streitigkeiten aus diesem Rechtsverhältnis der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet ist (Fortführung von BSG vom 1.4.2009 - B 14 SF 1/08 R = SozR 4-1500 § 51 Nr 6).

Tenor

Auf die weitere Beschwerde des Beklagten werden der Beschluss des [X.] vom 4. März 2014 und der Beschluss des [X.] vom 14. Oktober 2013 aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.

Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren vor dem [X.] und das weitere Beschwerdeverfahren vor dem [X.] sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Umstritten ist die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Sozialgerichten bei einem Streit um ein Hausverbot.

2

Der im Jahr 1954 geborene Kläger bezieht seit Jahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ([X.]). Nachdem der Beklagte ihm gegenüber bereits in 2008 und 2011 Hausverbote ausgesprochen hatte, erteilte er dem Kläger aufgrund erneuter Beleidigungen seiner Mitarbeiter und damit verbundener erheblicher Störungen des Dienstbetriebs ein Hausverbot für die vom Beklagten genutzten und im Einzelnen aufgeführten Dienstgebäude für die Zeit vom [X.] bis zum [X.] und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides nach § 86a Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz ([X.]) an (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom [X.]). Zugleich wies er darauf hin, dass diese Dienstgebäude nur nach telefonischer oder schriftlicher Terminabsprache oder aufgrund einer schriftlichen Einladung betreten werden dürften. Im Übrigen seien die Angelegenheiten mit dem Beklagten nur noch telefonisch, per Telefax oder schriftlich zu erledigen. Sofern der Kläger eine andere Person mit der Wahrnehmung seiner Angelegenheiten beim Beklagten beauftragen wolle, bedürfe es der Vorlage einer von ihm unterschriebenen Vollmacht und der Vorlage des Personalausweises durch die beauftragte Person. Zur Begründung führte der Beklagte aus, der Kläger habe in Mails Mitarbeiter des Beklagten persönlich massiv beleidigt. Wie schon in der Vergangenheit, in der der Kläger Mitarbeiter in aggressiver Weise beschimpft, beleidigt und bedroht habe und es schon zu Handgreiflichkeiten gekommen sei, werde durch dieses unangemessene Verhalten der Dienstbetrieb in nachhaltiger Weise gestört. Nach der Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid ist die Klage zum Sozialgericht ([X.]) [X.] zulässig.

3

Auf die vom Kläger erhobene Klage hat das [X.] nach Anhörung der Beteiligten den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht ([X.]) [X.] verwiesen (Beschluss vom 14.10.2013). Die Beschwerde des Beklagten zum [X.] (L[X.]) [X.] wurde zurückgewiesen (Beschluss vom 4.3.2014) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe sich des öffentlich-rechtlichen Hausrechts bzw der öffentlichen Ordnungsgewalt bedient, denn er habe das Hausverbot erlassen, um Störungen des Dienstbetriebs zu verhindern und seine Mitarbeiter bei der Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit zu schützen. Der hiergegen geltend gemachte Abwehranspruch des [X.] finde seine Grundlage weder im [X.] noch in anderen Büchern des Sozialgesetzbuchs ([X.]B). Auch das Hausrecht der Behördenleitung und die daraus ggf resultierende Befugnis, ein Hausverbot zu erteilen, finde keine rechtliche Ausformung im [X.]B. Vielmehr folge die Ermächtigung zur Erteilung eines Hausverbots aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Grundsatz, dass das Hausrecht als notwendiger Annex zur öffentlich-rechtlichen Sachkompetenz einer Behörde von deren Leiter kraft der ihm zustehenden Organisationgewalt zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebs ausgeübt werde. Für auf dieser öffentlich-rechtlichen Grundlage ausgesprochene Hausverbote sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Ein die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte begründender Sachzusammenhang des Hausrechts zum [X.] sei nicht zu bejahen. Dass bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Hausverbots sozialrechtliche Implikationen eine Rolle spielen könnten, sei für die Rechtswegzuweisung unbeachtlich.

4

Mit seiner vom L[X.] zugelassenen Beschwerde wendet sich der Beklagte gegen die Verweisung des Rechtsstreits an das [X.]. Er hält unter Hinweis auf den Beschluss des [X.] (B[X.]) vom [X.] ([X.] SF 1/08 R - [X.] 4-1500 § 51 [X.]) den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für eröffnet, da das Hausverbot in der öffentlich-rechtlichen Rechtsform eines Verwaltungsakts und im Rahmen eines zwischen den Beteiligten geführten Verwaltungsverfahrens ausgesprochen worden sei.

5

Der Kläger hat sich nicht geäußert; er verweigert die Annahme von Post.

6

II. Die zulässige weitere Beschwerde des beklagten [X.] ist begründet. Die Beschlüsse des L[X.] und des [X.] sind aufzuheben. Für Streitigkeiten über ein Hausverbot, das von einem Jobcenter gegenüber einem Antragsteller auf Leistungen nach dem [X.] ausgesprochen wurde, sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig und nicht die allgemeinen Verwaltungsgerichte oder die ordentlichen Gerichte; an dieser schon mit Beschluss vom [X.] ([X.] SF 1/08 R - [X.] 4-1500 § 51 [X.]) begründeten Rechtsprechung hält der Senat entgegen der hieran geübten Kritik (vgl etwa L[X.] Hamburg Beschluss vom [X.] AS 214/13 B, aufgehoben durch Beschluss des Senats vom heutigen Tag - [X.] SF 1/13 R; Oberverwaltungsgericht [X.] Beschluss vom 13.5.2011 - 16 E 174/11, NJW 2011, 2379 ff; L[X.] Hamburg Beschluss vom [X.] - L 4 AS 246/12 [X.]; Hamburgisches O[X.] Beschluss vom 17.10.2013 - 3 So 119/13, NJW 2014, 1196 ff; O[X.] Bremen Beschluss vom 25.3.2013 - 1 B 33/13; [X.] in [X.], [X.], Stand 12/2013, § 51 Rd[X.]1; [X.]/[X.], [X.], 2012 § 51 Rd[X.] 16) fest.

7

Rechtsgrundlage hierfür ist § 51 Abs 1 [X.] 4a [X.], nach dem die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheiden. Der Verwaltungsrechtsweg ist - hingegen - in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch [X.] einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (§ 40 Abs 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung ). Vor die ordentlichen Gerichte gehören die bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Strafsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder aufgrund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind (§ 13 Gerichtsverfassungsgesetz ; siehe hinsichtlich des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen §§ 2 ff Arbeitsgerichtsgesetz und des [X.] § 33 Finanzgerichtsordnung ).

8

Wenn es an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung für den zuständigen Rechtsweg fehlt, bestimmt sich die gerichtliche Zuständigkeit nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der [X.] hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes <[X.]> vom 4.6.1974 - GmS-OG[X.]/73 - B[X.]E 37, 292 = [X.] 1500 § 51 [X.] 2 = NJW 1974, 2087; [X.] vom 10.4.1986 - GmS-OGB 1/85 - [X.], 312 = [X.] 1500 § 51 [X.] 39; [X.] vom 29.10.1987 - GmS-OGB 1/86 - [X.], 280, 283 = [X.] 1500 § 51 [X.] 47; vgl speziell zum Hausrecht: B[X.] vom [X.] - [X.] SF 1/08 R - [X.] 4-1500 § 51 [X.] Rd[X.] 9 mwN; zum Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten als entscheidendes Kriterium zur Beurteilung des Rechtswegs vgl zuletzt B[X.] vom 18.3.2014 - B 8 SF 2/13 R - vorgesehen für [X.] 4-3500 § 75 [X.] 3 Rd[X.] 7; [X.] <[X.]> vom 15.10.2012 - 7 [X.]/12 - Juris Rd[X.] 14 ff).

9

Das hier maßgebliche Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten beruht auf dem [X.], weil der Kläger (fortlaufend) einen Antrag auf Leistungen nach dem [X.] bei dem Beklagten als dafür zuständige Behörde gestellt hat, und für Streitigkeiten aus diesem Rechtsverhältnis sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig, wie sich unmittelbar aus dem genannten § 51 Abs 1 [X.] 4a [X.] ergibt und auch von [X.] und L[X.] nicht in Abrede gestellt wird (B[X.] vom [X.] - [X.] SF 1/08 R - [X.] 4-1500 § 51 [X.], auch zum Folgenden). Bestätigt wird die öffentlich-rechtliche Natur des Rechtsverhältnisses durch die vom Beklagten gewählte [X.] (vgl § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - <[X.]B X>), die in der Form seines Schreibens vom [X.] an den Kläger deutlich zum Ausdruck kommt, durch die Bezeichnung als "Bescheid", die Anordnung der sofortigen Vollziehung (nach § 86a Abs 2 [X.] [X.]) sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung. In Anspruch genommen sein können hierfür nur Befugnisse, die dem Beklagten in dem durch das [X.] konstituierten Verhältnis zum Kläger eingeräumt sind.

Aus dem Umstand, dass vorliegend um ein von dem Beklagten gegenüber dem Kläger ausgesprochenes Hausverbot für bestimmte Dienstgebäude des Beklagten gestritten wird, folgt nichts anderes. Das Hausrecht und das aus ihm abgeleitete Recht von Behörden, ein Hausverbot auszusprechen, beruhen ebenso wie bei Personen des Privatrechts - die entsprechende Rechtsstellung vorausgesetzt - zunächst auf den privatrechtlichen Besitz- und Eigentumsrechten nach §§ 859 ff, 903, 1004 [X.] (, vgl schon [X.] <[X.]> vom [X.] - [X.]Z 33, 230; [X.] vom 13.3.1970 - [X.] 80.67 - [X.]E 35, 103). Daneben ist auch ein öffentlich-rechtliches Hausrecht anerkannt, zu dessen Begründung auf den Zweck des Besuchs der Person, der gegenüber das Hausverbot ausgesprochen wird, abgestellt (vgl [X.] und [X.] aaO) oder allgemein auf die Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsablaufs verwiesen wird (vgl [X.] in [X.]/[X.]/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl 2014, § 35 Rd[X.] 132 ff mwN).

Ob diesem letzten Begründungsansatz zu folgen und ein aus der allgemeinen Wahrnehmung von öffentlich-rechtlichen Aufgaben unabhängig von den Rechtsgrundlagen, die die jeweilige Behörde zum öffentlich-rechtlichen Handeln ermächtigen, abgeleitetes allgemeines öffentlich-rechtliches Hausrecht als Annex-Kompetenz und demzufolge eine auf § 40 Abs 1 Satz 1 VwGO beruhende allgemeine Zuständigkeit der (allgemeinen) Verwaltungsgerichte für alle Fälle eines öffentlich-rechtlichen Hausverbots anzunehmen ist, kann dahinstehen (vgl etwa zu Zweifeln daran, ob es eine Rechtsgrundlage für ein solches allgemeines öffentlich-rechtliches Hausrecht jeder Behörde gegenüber jedem Bürger gibt [X.] in [X.]/[X.]/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl 2014, § 35 Rd[X.] 133 f mwN: "das" Hausverbot gibt es nicht; ebenso [X.], [X.], 389 ff mit ausführlicher Begründung). Denn jedenfalls in den Fällen wie hier vorliegend, in denen ein Rechtsverhältnis zwischen der Behörde, die das Hausverbot ausspricht, und dem Adressaten des Hausverbots besteht, ist in Übereinstimmung mit der aufgezeigten Rechtsprechung des [X.] und [X.] auf dieses Rechtsverhältnis abzustellen.

[X.] (vgl zu deren Notwendigkeit B[X.] vom [X.] - [X.] SF 1/08 R - [X.] 4-1500 § 51 [X.] Rd[X.] 19 f) beruht auf §§ 183, 193 [X.].

Meta

B 14 SF 1/14 R

21.07.2014

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Köln, 14. Januar 2013, Az: S 18 SV 28/13, Beschluss

§ 17a Abs 2 S 1 GVG, § 17a Abs 4 S 3 GVG, § 17a Abs 4 S 4 GVG, § 51 Abs 1 Nr 4a SGG, § 40 Abs 1 S 1 VwGO, § 13 GVG, § 31 S 1 SGB 10, SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.07.2014, Az. B 14 SF 1/14 R (REWIS RS 2014, 3926)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3926

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7 B 2/12

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