Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.09.2017, Az. 1 BvR 1928/17

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2017, 5132

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität einer gegen die Versagung von finanzgerichtlichem Eilrechtsschutz bzgl einer Prüfungsverfügung nach dem MiLoG gerichteten Verfassungsbeschwerde - keine Pflicht zur Vorlage an den EuGH im fachgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren - Rechtsschutzgarantie gebietet Suspensiveffekt von Rechtsbehelfen nicht schlechthin - vorliegend zudem keine Vorabentscheidung gem § 90 Abs 2 S 2 BVerfGG geboten


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist unzulässig, weil sie dem Grundsatz der Subsidiarität nicht genügt.

2

1. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität aus § 90 Abs. 2 [X.] (vgl. [X.] 107, 395 <414>) müssen vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die jeweils geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Werden mit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine fachgerichtliche Eilentscheidung ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt, die sich auf die Hauptsache beziehen, bietet das Verfahren der Hauptsache regelmäßig die Chance, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz kommen daher als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nur in Betracht, soweit sie eine selbständige verfassungsrechtliche Beschwer enthalten, die sich nicht mit derjenigen durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache deckt (vgl. [X.] 77, 381 <400 f.>; 79, 275 <278 f.>; 104, 65 <70 f.>; stRspr).

3

2. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt keine hinreichend substantiierte Rüge einer eigenständigen Beschwer durch die Eilentscheidung des Finanzgerichts erkennen. Insbesondere erschließt sich nicht, welche Beschwer gerade durch die gerichtliche Entscheidung zur Aussetzung des sofortigen Vollzugs einer Prüfungsverfügung nach dem [X.] - im Unterschied zu einer eventuellen Beschwer durch die behördliche Verfügung selbst - entstanden sein soll.

4

a) Eine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin mangels Vorlage an den [X.] als [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. [X.] 73, 339 <366>; 135, 155 <230 Rn. 177>; stRspr) kommt nicht in Betracht. Dieses Recht kann durch eine fachgerichtliche Eilentscheidung nicht verletzt sein, da in solchen Verfahren grundsätzlich keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht (vgl. [X.], 196 <201>; 9, 330 <334 f.>; 10, 48 <53>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. Dezember 2016 - 1 BvR 1221/12, [X.], Rn. 16; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. November 1991 - 2 BvR 1642/91 -, juris, Rn. 2; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, [X.], Rn. 15; s.a. [X.], Urteil vom 24. Mai 1977 - [X.]/76 "[X.]" -, juris, Rn. 5; Urteil vom 27. Oktober 1982 -C 35/82 "[X.] und [X.]" -, juris, Rn. 8 f.).

5

b) Eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 19 Abs. 4 GG ist ebenfalls nicht zu erkennen. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert zwar nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern beinhaltet auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. [X.] 93, 1 <13>; stRspr). Den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz müssen die Gerichte auch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den Eilrechtsschutz Rechnung tragen (vgl. [X.] 79, 69 <74>). Doch garantiert das Grundgesetz die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen nicht schlechthin. Vielmehr können es überwiegende öffentliche Belange rechtfertigen, den Anspruch auf Rechtsschutz einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten (vgl. [X.] 35, 382 <402>). Dies hat das Finanzgericht hier angenommen, ohne dass die Beschwerdeführerin dem mit hinreichend konkretem Vortrag entgegengetreten wäre.

6

3. Eine Vorabentscheidung der Verfassungsbeschwerde wegen allgemeiner Bedeutung nach dem entsprechend anwendbaren § 90 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 [X.] ist nicht angezeigt. Soweit nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin erkennbar, gehen mit der Verweisung auf den fachgerichtlichen Rechtsweg nur verhältnismäßig geringe Belastungen einher. So hat die Beschwerdeführerin nicht etwa bereits bei Erhalt der [X.] nach dem [X.] eine Feststellungsklage erhoben (vgl. insoweit [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. Juni 2015 - 1 BvR 555/15 -, [X.], Rn. 11 ff.), sondern hierzu bislang nur einen Antrag in der Hauptsache angekündigt, diesen aber nicht begründet. Zudem trägt sie selbst vor, dass zahlreiche fachrechtliche und auch hier relevante Fragen des [X.]es ungeklärt sind. Auch das spricht dagegen, hier ausnahmsweise auf die im Regelfall im Sinne der Subsidiarität verfassungsgerichtlicher Entscheidungen prozessrechtlich geforderte Klärung solcher Fragen durch die dazu berufenen Fachgerichte zu verzichten (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. Juni 2015 - 1 BvR 555/15 -, [X.], Rn. 14 ff.).

7

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1928/17

19.09.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 28. Juli 2017, Az: 11 V 2865/16, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, Art 267 Abs 3 AEUV, MiLoG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.09.2017, Az. 1 BvR 1928/17 (REWIS RS 2017, 5132)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5132

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