Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 15.07.2014, Az. 2 BvE 2/14

2. Senat | REWIS RS 2014, 4086

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren - Chancengleichheit der politischen Parteien und Äußerungsbefugnis von Regierungsmitgliedern - eA-Antrag teilweise bereits unzulässig - iÜ kein schwerer Nachteil durch beanstandete Äußerung


Gründe

1

Die Antragstellerin sieht sich durch eine Äußerung der Antragsgegnerin im Vorfeld der [X.] am 14. September 2014 in ihrem Recht auf [X.] im Wettbewerb der politischen [X.]en verletzt.

2

1. Am 25. Juni 2014 erschien in der [X.] ([X.]) ein Interview, das die Antragsgegnerin anlässlich der Verleihung des [X.] dieser Zeitung gegeben hatte. In dem Interview ging es unter anderem um den Kampf der [X.]regierung gegen den Rechtsextremismus und ein dafür vorgesehenes [X.]ieprogramm des [X.], das von der Antragsgegnerin verantwortet wird. Die Antragsgegnerin wurde auch zur Antragstellerin und deren möglichen Einzug in den [X.] bei der [X.] am 14. September 2014 befragt. Die Antragsgegnerin äußerte sich unter anderem wie folgt:

"Das Gefährliche an der [X.] ist, dass sie versucht, ihr [X.] abzulegen. Sie kommt nicht mehr mit Springerstiefeln und Glatzen daher, sondern im feinen Nadelstreifenanzug. Sie tut so, also ob sie sich sozial engagiert. Aber dahinter versteckt sich die Ideologie von [X.] - und jedes Parlament muss sich beraten, wie es damit umgeht. Meine Erfahrung aus dem [X.] ist: der Antrag wird abgelehnt und ein [X.] spricht für alle [X.] Fraktionen, um dabei deutlich zu machen, dass der Antrag nur vermeintlich soziales Engagement ist und dahinter etwas anderes steckt. Das hat sich in [X.] bewährt - und kann ein Beispiel sein. Aber ich werde im [X.] Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die [X.] nicht in den [X.] kommt."

3

2. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung will die Antragstellerin erreichen, dass die Antragsgegnerin es unterlässt, zulasten der Antragstellerin in den [X.]kampf in [X.] einzuwirken und insbesondere wörtlich oder sinngemäß zu behaupten:

"Aber ich werde im [X.] Wahlkampf mithelfen, alles dafür zu tun, dass es erst gar nicht so weit kommt bei der Wahl im September. Ziel Nummer 1 muss sein, dass die [X.] nicht in den [X.] kommt."

4

Die Antragsgegnerin verletze durch diese Äußerung die Antragstellerin in ihrem Recht auf [X.] gemäß Art. 21 Abs. 1 GG. Es dränge sich der konkrete Verdacht auf, dass die Antragsgegnerin unter Missbrauch ihres Amtes Wahlkampf für die [X.] SPD betreiben und sich auf Kosten der Antragstellerin beim Wähler profilieren wolle. Damit verstoße die Antragsgegnerin gegen ihre Pflicht zu parteipolitischer Neutralität.

5

3. Die Antragsgegnerin hält das Recht der Antragstellerin auf [X.] nicht für beeinträchtigt.

6

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

7

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.]verfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum allgemeinen Wohl dringend geboten ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung im [X.]verfahren bedeutet einen Eingriff des [X.]verfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] ist deshalb grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 108, 34 <41> m.w.N.).

8

2. Soweit die Antragstellerin geltend macht, es dränge sich aufgrund der angegriffenen Äußerung der konkrete Verdacht auf, dass die Antragsgegnerin unter Missbrauch ihres Amtes Wahlkampf betreiben wolle, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Antrag in der Hauptsache insoweit unzulässig ist. Der [X.] dient nicht dem Zweck, in der Zukunft liegende nicht unmittelbar bevorstehende potentielle Rechtsverletzungen unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Maßnahme oder Unterlassung im Sinne des § 64 Abs. 1 [X.] zu verhindern. Die bloße Möglichkeit, dass eine sich im Wahlkampf engagierende [X.] die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit überschreitet, genügt insoweit nicht.

9

3. Im Übrigen ist nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand nicht erkennbar, dass der Antragstellerin durch die angegriffene Äußerung der Antragsgegnerin ein Nachteil von solchem Gewicht zugefügt wird, dass er nach dem anzulegenden strengen Maßstab den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen würde.

a) Das Recht politischer [X.]en auf [X.] aus Art. 21 Abs. 1 GG kann dadurch verletzt werden, dass Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen [X.] in den Wahlkampf einwirken (vgl. [X.] 44, 125 <146>; 63, 230 <243 f.>; [X.], Beschluss des [X.] vom 10. Juni 2014 - 2 [X.] -, juris, Rn. 25). Deshalb ist es Staatsorganen als solchen von Verfassungs wegen versagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit [X.]en oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen (vgl. [X.] 44, 125 <141>). Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Politiker, insbesondere wenn sie ein Staatsamt bekleiden, vor Wahlen nicht alle Auftritte in der Öffentlichkeit meiden können. Mitglieder der [X.]regierung sind daher grundsätzlich befugt, sich auch im Wahlkampf in amtlicher Funktion über die Medien an die Öffentlichkeit zu wenden (vgl. [X.] 44, 125 <154 f.>), haben dabei aber die [X.] der [X.]en zu beachten.

b) Zugunsten der Antragstellerin kann im Verfahren der einstweiligen Anordnung unterstellt werden, dass sich die Antragsgegnerin zumindest auch in amtlicher Funktion über die Antragstellerin geäußert hat. In dem Zeitungsinterview, in dem die angegriffene Aussage fiel, gab die Antragsgegnerin Auskunft über die Bekämpfung des Rechtsextremismus und ein dafür initiiertes [X.]programm, das sie verantwortet; daneben äußerte sie sich in diesem Zusammenhang über den von ihr für richtig gehaltenen Umgang mit der Antragstellerin. Ersteres ist von ihrer Befugnis zur Information der Öffentlichkeit gedeckt (vgl. [X.] 44, 125 <147 f.>). Ob auch die Äußerungen zur Antragstellerin und deren möglichen Einzug in den [X.] noch von dieser Befugnis gedeckt sind und wie im Einzelnen die Grenzen zu einer unzulässigen Einflussnahme auf den Wahlkampf zu bestimmen sind, bedarf - auch im Hinblick auf den Umstand, dass die Antragstellerin vom [X.]amt für Verfassungsschutz als rechtsextreme [X.] eingeordnet wird und der [X.]rat deren Verbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG beim [X.]verfassungsgericht beantragt hat - näherer Erörterung und wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

c) Selbst wenn die Grenzen zu einer unzulässigen Einflussnahme nicht gewahrt worden sein sollten, fehlt es an dem erforderlichen schweren Nachteil für die Antragstellerin. Die Antragsgegnerin hat die angegriffene Aussage im Rahmen eines [X.] gemacht und nicht unter Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse oder unter Einsatz öffentlicher Sach- und Finanzmittel gehandelt (vgl. [X.] 44, 125 <154>). Auch hat sich die Antragsgegnerin insoweit nicht in spezifischer Weise auf ihre Stellung als [X.]ministerin berufen. Im Hinblick auf den Aussagegehalt ist zudem unklar, ob sie dies im [X.]kampf anders zu handhaben beabsichtigt; dagegen spricht, dass die Antragsgegnerin nach der Darlegung ihrer Erfahrung des Umgangs mit der Antragstellerin im [X.] von Mecklenburg-Vorpommern ausdrücklich nur von sich als Person spricht und nicht von ihrem Ministerium, wie dies in dem Zeitungsinterview an anderer Stelle der Fall ist. Einschätzungen einer [X.] als rechtsextrem oder verfassungsfeindlich sind Teil der öffentlichen Auseinandersetzung, denen die betroffene [X.] - sofern sich die Äußerungen im Rahmen von Gesetz und Recht halten - mit den Mitteln des [X.] begegnen muss (vgl. [X.] 133, 100 <107 f., Rn. 21>). Dass die Antragsgegnerin sich ungerechtfertigt herabsetzend oder polemisch gegenüber der Antragstellerin geäußert habe, macht diese nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass die angegriffene Äußerung von einer [X.]ministerin stammt, beeinträchtigt die Antragstellerin jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen nicht in so schwerwiegender Weise, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt wäre.

Meta

2 BvE 2/14

15.07.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvE

nachgehend BVerfG, 16. Dezember 2014, Az: 2 BvE 2/14, Urteil

Art 21 Abs 1 GG, §§ 63ff BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 64 Abs 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 15.07.2014, Az. 2 BvE 2/14 (REWIS RS 2014, 4086)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4086 BVerfGE 138, 102-125 REWIS RS 2014, 4086 BVerfGE 137, 29-34 REWIS RS 2014, 4086


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvE 2/14

Bundesverfassungsgericht, 2 BvE 2/14, 16.12.2014.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvE 2/14, 15.07.2014.


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