Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.01.2012, Az. V ZR 183/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 10144

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
V [X.]
Verkündet am:

13. Januar 2012

Lesniak,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1, §
533 Nr.
2
Eine in zweiter Instanz erhobene Widerklage kann auch auf Tatsachenstoff gestützt werden, der in erster Instanz zwar vorgetragen worden, für die Entscheidung über die Klage aber unerheblich ist.

[X.], Urteil vom 13. Januar 2012 -
V [X.] -
OLG [X.]

[X.]

-
2 -
Der V. Zivilsenat des [X.] hat am 13. Januar 2012 durch [X.]
Dr.
Krüger, [X.] Lemke
und Dr.
Czub
und
die Richterinnen Dr.
[X.] und Weinland

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des [X.] vom 30. August 2010 im Kos-tenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Widerklage abgewie-sen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Beklagte war für die Klägerin als
Rechtsanwalt tätig. Auf sein Anra-ten und zu seinen Gunsten bewilligte die
Klägerin die Eintragung von zwei Buchgrundschulden zu Lasten eines in ihrem
Eigentum stehenden Grund-stücks. Zugleich gab sie abstrakte [X.] ab und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Der Beklagte
betreibt die Zwangsvollstre-ckung aus einer der [X.]. Die [X.] der Klägerin hat das [X.] ebenso wie die weiteren, auf [X.] der zweiten vollstreckbaren Ausfertigung der [X.]
-
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urkunde und der einfachen Abschriften beider [X.] gerichteten Klageanträge abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] der Klage stattgegeben und die erstmals in dem Berufungs-verfahren erhobene (Hilfs-)Widerklage des Beklagten auf Zahlung von Anwalts-honorar
als unzulässig abgewiesen. Mit der von dem [X.] nur im Hinblick auf die Widerklage zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin [X.], verfolgt der
Beklagte seine auf die Widerklage bezogenen Anträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die von dem Beklagten erstmals in
der Be-rufungsinstanz erhobene Widerklage sei gemäß § 533 Nr. 2 ZPO unzulässig, weil es auf die Forderungen des Beklagten für die Entscheidung über die Klage nicht ankomme. Der Tatsachenstoff gelange nur insoweit in die Berufungs-instanz, als er aus Sicht des Berufungsgerichts für die Entscheidung des erstin-stanzlichen Gerichts
erheblich sei. Andernfalls werde das Ziel des §
533 ZPO verfehlt, das in der Beschränkung des Tatsachenstoffs in der Berufungsinstanz bestehe.
II.
1. [X.]
ist zulässig.
a) Das erforderliche Rechtsschutzinteresse ist gegeben, obwohl Zweifel an den Angaben des Beklagten zu seinem Wohnort
bestehen. Für die [X.] eines Rechtsmittels ist es -
anders als bei der Einreichung der Klage
-
im Grundsatz nicht erforderlich, dass
der Rechtsmittelführer seine Anschrift be-2
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kannt gibt
([X.], Beschluss vom 25. September 1975 -
VII
ZB 9/75, [X.]Z 65, 114, 117).
Anders liegt es nur dann, wenn er rechtsmissbräuchlich handelt, in-dem er den Rechtsstreit "aus dem Verborgenen"
führt
und
seine Anschrift nicht preisgibt, um [X.] des Gegners zu vereiteln
([X.], Ur-teil vom 11. Oktober 2005 -
XI
ZR 398/04, NJW 2005, 3773
f.; Beschluss vom 28. November 2007 -
III
ZB 50/07, juris
Rn.
8; Beschluss vom 1. April 2009 -
XII
ZB 46/08, NJW-RR 2009, 1009
Rn. 13 f.). Weil die Vermögenslosigkeit als solche der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegensteht, muss gerade die verweigerte Nennung der Anschrift auf eine Vereitelungsabsicht schließen las-sen. Dabei handelt es sich um einen eng begrenzten Ausnahmefall, dessen Voraussetzungen nur bei ernsthaften Anhaltspunkten von Amts wegen im Frei-beweisverfahren zu prüfen sind.
b) Die danach erforderliche sichere
Überzeugung von einer Vereite-lungsabsicht hat der [X.] nicht gewinnen können. Ob der Beklagte -
wie die Klägerin behauptet
-
unter seiner Kanzleianschrift nur ein Postfach unterhält, kann dahinstehen. Jedenfalls hat er auf wiederholte Aufforderung hin eine Wohnanschrift mitgeteilt
und eine Meldebestätigung der [X.] überreicht. Der [X.] kann weder feststellen, dass der Beklagte unter dieser
Anschrift keinen Wohnsitz hat, noch lassen die Gesamtumstände die Würdigung zu, er handele in Vereitelungsabsicht.
2. [X.] hat auch in der Sache Erfolg. Die Abweisung der [X.] als unzulässig, die das Berufungsgericht auf das Fehlen der Vorausset-zungen von §
533 Nr.
2 ZPO gestützt hat, hält
rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Es kann dahinstehen, ob dies, wie die Revision meint,
schon daraus folgt, dass das Berufungsgericht in zweiter Instanz zunächst eine umfangreiche Beweisaufnahme zu den Honoraransprüchen begonnen und den Beklagten zu 5
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ergänzendem Vortrag aufgefordert hatte. Allerdings muss
das Berufungsgericht seiner Entscheidung jedenfalls die bereits getroffenen Feststellungen zugrunde legen. Dies folgt aus dem in § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO
enthaltenen Gebot der Berücksichtigung des gesamten Inhalts einer durchgeführten Beweisaufnahme (vgl. [X.], Urteil
vom 1. März 2006 -
XII
ZR
210/04, [X.], 1657 Rn.
22
ff.).
b) Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen
von § 533 Nr. 2 ZPO vor.
Dieser Vorschrift zufolge kann eine erst in zweiter Instanz erfolgte
Klage-änderung
oder
Aufrechnungserklärung ebenso wie
eine in der Berufungsinstanz erhobene Widerklage nur auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsge-richt seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach §
529 ZPO zugrunde zu legen hat. Daran gemessen
ist die Widerklage zuläs-sig.
aa) Gegenstand
der
Widerklage
sind
die Honoraransprüche des Beklag-ten
aus der von ihm behaupteten anwaltlichen Tätigkeit.
Die
Revision verweist zu Recht darauf, dass diese Ansprüche in erster Instanz Tatsachenstoff
waren, weil der Beklagte aus ihnen die Wirksamkeit der abstrakten Schuldanerkennt-nisse hergeleitet hat. Der wechselseitige Parteivortrag hatte
nicht nur das [X.] einer Honorarvereinbarung
zwischen den Parteien
zum Gegen-stand, sondern auch
den Inhalt und den Umfang der einzelnen Aufträge sowie
das Ausmaß der
entfalteten
Tätigkeit. Das [X.] ist davon ausgegangen, dass Honoraransprüche in erheblicher Höhe bestehen. Weil es das abstrakte Schuldanerkenntnis als wirksam angesehen hat, hat es hierzu keine näheren Feststellungen getroffen. Auch das Berufungsgericht hat die [X.] für die Entscheidung über die Klage als unerheblich angesehen; es hat an-genommen, dass die Bestellung der Grundschulden und die Abgabe der [X.] unabhängig von bestehenden Forderungen auf einem anwaltlichen Beratungsfehler des Beklagten beruhten. Die Vollstreckungsge-8
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genklage hat es aufgrund des daraus entstandenen Schadensersatzanspruchs gemäß §
242 BGB als begründet angesehen.
bb)
Rechtsfehlerhaft geht das
Berufungsgericht
davon aus, der in der Be-rufungsinstanz zugrunde zu legende Tatsachenstoff beschränke sich auf das [X.], das für die Entscheidung des Gerichts erster Instanz "nach Rechtsauffassung des Berufungsgerichts"
erheblich sei.
(1) Nach
der Rechtsprechung des [X.]
gelangt
der ge-samte in erster Instanz vorgetragene Tatsachenstoff in die Berufungsinstanz, auch wenn ihn das erstinstanzliche Gericht als unerheblich ansieht und es [X.] keine Feststellungen trifft ([X.], Urteil vom 19. März 2004 -
V
ZR 104/03, [X.]Z 158, 295, 309
f.; [X.], Urteil vom 27. September 2006 -
VIII
ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16; Urteil vom 13. April 2011 -
XII
ZR 110/09, NJW 2011, 2796 Rn. 35 mwN; [X.]/[X.], 3. Aufl., § 529 Rn.7; Musielak/Ball, ZPO, 8.
Aufl., § 529 Rn. 3). Hierfür spricht zunächst die einfache
Überlegung, dass Vortrag nicht deshalb neu ist, weil er in erster Instanz für un-erheblich befunden wurde (vgl. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO; [X.],
Urteil vom 22. April 2010 -
IX
ZR 160/09, NJW-RR 2010, 1286
Rn. 12). In diesem Fall ist es Aufgabe des
Berufungsgerichts,
die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Nichts anderes gilt, wenn die Tatsachen erst durch eine in zweiter Instanz er-folgte Klageänderung erheblich geworden sind. "Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen"
im Sinne von §
529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO können sich auch
aus neuen Angriffs-
und Verteidi-gungsmitteln ergeben, die in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sind ([X.], Urteil vom 19. März 2004 -
V
ZR 104/03, [X.]Z 158, 295, 310; Urteil vom 27. September 2006 -
VIII
ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16; Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., § 529 Rn. 19).

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(2) Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für die in zweiter Instanz erhobene Widerklage. Wird sie -
wie hier
-
auf Vorbringen gestützt, das bereits in erster Instanz erfolgt und deshalb nach §
529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO beachtlich
ist, sind die Voraussetzungen von
§ 533 Nr. 2 ZPO erfüllt
(Musielak/Ball, ZPO, 8.
Aufl., § 533 Rn. 21 f.; [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., § 533 Rn. 34 f.). Dies gilt ebenso, wenn die Widerklage auf neues unstreitiges Vorbringen gestützt wird (§
529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO; vgl. [X.], Urteil vom 6. Dezember 2004 -
II
ZR 394/02, NJW-RR 2005, 437).
(3) Entgegen der in der Revisionserwiderung vertretenen Rechtsauffas-sung enthält § 533 Nr. 2 ZPO keine weiteren Anforderungen an die Zulässigkeit der Widerklage. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob das Vorbringen (auch) für die Klage erheblich ist. Eine solche zusätzliche Einschränkung kann schon dem Wortlaut des § 533 Nr. 2 ZPO nicht entnommen werden. Zwar heißt es dort, die Widerklage könne nur auf Tatsachen gestützt werden, die "das Be-rufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohne-hin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat". Diese Formulierung knüpft aber wörtlich an den Eingangssatz von § 529 Abs. 1 ZPO an; schon daraus folgt, dass
das [X.], auf das die Widerklage gestützt wird, (nur) die in jener Norm enthaltenen Anforderungen erfüllen
muss. Dies war auch die er-klärte Absicht des Gesetzgebers. § 533 Nr. 2 ZPO soll verhindern, dass über die Widerklage neuer Tatsachenstoff eingeführt wird, der nach § 529 ZPO nicht zugrunde zu legen ist; umgekehrt soll der Tatsachenstoff
ausreichen, um über die Widerklage entscheiden zu können. Nur durch die Bezugnahme auf § 529 ZPO soll eine "Flucht in die Widerklage"
mit dem Ziel der [X.] in der Berufungsinstanz verhindert werden (BT-Drucks. 14/4722 S. 102; Musielak/Ball, ZPO, 8.
Aufl., §
533 Rn. 21). Wird eine aufwendige Beweisauf-nahme über im ersten Rechtszug vorgetragene Tatsachen ausschließlich im Hinblick auf die in zweiter Instanz erhobene Widerklage erforderlich, kann dies 12
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bei fehlender Einwilligung des Gegners allenfalls dazu führen, dass die Sach-dienlichkeit gemäß §
533 Nr. 1 ZPO zu verneinen ist. Ob der Beklagte -
wie die Klägerin geltend macht
-
im Hinblick auf einzelne Forderungen aktivlegitimiert ist, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Widerklage.
3. Auch im Übrigen ist die Widerklage zulässig.
Die Voraussetzungen des §
533 Nr. 1 ZPO liegen vor. Die Klägerin hat sich [X.] zur Sache einge-lassen und die Abweisung der Widerklage beantragt. Sie hat damit eingewilligt (vgl. [X.], Urteil vom 6. Dezember 2004 -
II
ZR 394/02, NJW-RR 2005, 437) mit der Folge, dass es nicht auf die Sachdienlichkeit ankommt.

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III.
Das Urteil kann danach keinen Bestand haben; es ist im Umfang der An-fechtung aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsge-richt zurückzuverweisen, das die für die Entscheidung über die Widerklage [X.] Tatsachen bislang nicht festgestellt hat.
Krüger
Lemke
Czub

[X.]
Weinland
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.02.2009 -
1 O 13/07 -

OLG [X.], Entscheidung vom 30.08.2010 -
14 U 400/09 -

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Meta

V ZR 183/10

13.01.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.01.2012, Az. V ZR 183/10 (REWIS RS 2012, 10144)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10144

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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V ZR 183/10

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