Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.12.2006, Az. 1 StR 326/06

1. Strafsenat | REWIS RS 2006, 144

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 326/06 vom 19. Dezember 2006 in der Strafsache gegen wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 19. Dezember 2006, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.] [X.] und [X.] am [X.] [X.], [X.], [X.]in am [X.] Elf, [X.] am [X.] Dr. [X.], Staatsanwalt als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 24. Februar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten [X.] von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaub-tem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in zwei Fällen freigesprochen, weil es nach Ausschöpfung aller Beweismittel - so das [X.] - Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht überwinden konnte. Gegen diesen Freispruch richtet sich die vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Aufklärungsrüge erhebt und die Verletzung materiellen Rechts rügt. 1 Das Rechtsmittel hat Erfolg. 2 - 4 - [X.] 1. Dem Angeklagten war folgender Sachverhalt zur Last gelegt worden: 3 Er sei der Rauschgiftlieferant der Zeugen H. [X.] , seines Cousins, und [X.]gewesen. Bei einem Treffen der Zeugen im Februar 1999 mit ihm in [X.], bei dem eine weitere unbekannte Person - genannt "[X.]" - zugegen gewesen sei, habe man vereinbart, dass [X.]jede zweite Woche vom Angeklagten in [X.] Rauschgift zum Weiterverkauf erhalte und jeweils 20.000 DM an den Angeklagten bezahle. Ein bis zwei Wochen später habe der Angeklagte mit "[X.]" 500 g Kokain und 500 g Heroin guter Qualität aus den [X.] nach [X.] verbracht und dort an [X.] und H. [X.] ü-bergeben. In der Folgezeit habe der Angeklagte mindestens 20.000 DM erhal-ten. 4 Aufgrund einer Ende 1999 erneut erfolgten Anfrage seines Cousins habe der Angeklagte "[X.]" angewiesen, 500 g Kokain von den [X.] nach [X.] zu transportieren. Der Transport und die gewinnbringende Veräuße-rung an H. [X.] sei weisungsgemäß im Januar 2000 erfolgt. 5 2. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen: 6 a) Im Februar 1999 kam es zu einem Rauschgiftgeschäft zwischen G. und H. [X.] auf der einen Seite und [X.]. - deren [X.] - auf der anderen Seite. Ende 1999 gab es erneut ein Drogengeschäft zwischen H. [X.] und [X.]. . 7 Nicht feststellen konnte das [X.], ob die Rauschgiftlieferungen vom pauschal [X.] Angeklagten und/oder "[X.]" aus [X.] kamen. 8 - 5 - b) Der Zeuge H. [X.] ist wegen seiner Beteiligung an den dem [X.] zur Last gelegten Taten seit dem 10. Oktober 2003 rechtskräftig ver-urteilt. In der Hauptverhandlung hat er sich auf ein umfassendes Auskunftsver-weigerungsrecht nach § 55 StPO berufen und keine Angaben gemacht. 9 3. a) Das [X.] hat seine Bekundungen zu der Tatbeteiligung [X.] in der eigenen Hauptverhandlung, bei der polizeilichen und ermitt-lungsrichterlichen Vernehmung als Zeugen im Verfahren gegen den Angeklag-ten durch Einvernahme der Verhörspersonen in die Hauptverhandlung einge-führt. Es meinte, Widersprüche in den Aussagen zu sehen, die sich allein durch den Zeitablauf zwischen den Taten und den einzelnen Vernehmungen nicht ohne weiteres erklären ließen. Da die Gewinnung eines persönlichen Eindrucks und Fragestellungen zu den verschiedenen Aussagen nicht möglich gewesen seien, sehe es sich außer Stande, darauf eine Verurteilung zu stützen. 10 b) Die Aussage des Zeugen [X.] hält das [X.] nicht für geeignet, die früheren Bekundungen des H. [X.] zu stützen. Beide hätten zwar im Kernbereich annähernd gleiche Angaben zu Lieferzeit und zu Liefer-menge gemacht sowie die Namen Y. [X.] und "[X.] " genannt. Es sei aber gut möglich, dass der Polizeibeamte [X.] dem Zeugen [X.] bei seiner Beschuldigtenvernehmung die Aussage H. [X.] vorgehalten und ihm so-mit dessen Äußerungen über Y. [X.] und "[X.] " mitgeteilt habe. Dies sei zu Gunsten des Angeklagten zu unterstellen und würde erklären, dass die [X.] [X.] und H. [X.] den Angeklagten Y. [X.] übereinstimmend als Lieferanten bzw. Vertragspartner benannt haben. Das sei eine nicht sicher auszuschließende Variante. Auch eine Absprache zwischen [X.]und H. [X.] erscheine trotz getrennter Inhaftierung nicht völlig abwegig. 11 - 6 - I[X.] Der Freispruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 12 1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO die unterlassene Vernehmung des Zeugen H. [X.] in der Hauptverhandlung. Diesem habe kein umfassendes Auskunftsverweigerungs-recht gemäß § 55 StPO zugestanden. Die Rüge greift durch. 13 a) Ihr liegt folgendes Geschehen zugrunde: 14 Nachdem der Zeuge H. [X.] sich in der Hauptverhandlung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht berufen hatte, wurde ihm dieses zunächst durch Verfügung des Vorsitzenden und schließlich durch [X.] zugestanden. In diesem Beschluss wurde der Antrag der [X.] gegen den Zeugen zurückgewiesen. Zur Begründung hat das [X.] ausgeführt, der Zeuge [X.] habe bekundet, er vermute, H. [X.] sei wirklich "groß im Geschäft gewesen" und Y. [X.] müsse der Chef der ganzen Bande gewesen sein. Da auch der Zeuge [X.]. bei seiner Beschuldigtenvernehmung bestätigt habe, H. [X.] sei "groß im Geschäft gewesen", bestehe der Verdacht, H. [X.] habe weitere Straftaten begangen, die noch nicht rechtskräftig abgeurteilt seien. Er müsse demnach damit rechnen, dass der Angeklagte seinerseits An-gaben nach § 31 BtMG machen würde, die ihn - den Zeugen - belasten würden. Im Hinblick auf die Entscheidung des [X.], 1411, 1412 stehe dem Zeugen bei dieser Sachlage ein umfassendes Aus-kunftsverweigerungsrecht zu. Zudem gebe es Differenzen zwischen seinen bis-herigen richterlichen Aussagen. 15 - 7 - b) Das [X.] hat ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen H. [X.] nicht tragfähig begründet. 16 Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO kann grundsätzlich nur in dem Umfang greifen, in welchem die Befragung sich auf Vorgänge rich-tet, die im Verhältnis zu den abgeurteilten Geschehen andere Taten im verfah-rensrechtlichen Sinn des § 264 Abs. 1 StPO darstellen würden. Dabei genügt es, wenn der Zeuge über Vorgänge Auskunft geben müsste, die den Verdacht gegen ihn mittelbar begründen, sei es auch nur als Teilstück in einem mosaikar-tig zusammengesetzten Beweisgebäude ([X.], 1413, 1414; BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 1). Besteht die konkrete Gefahr, dass er durch eine wahrheitsgemäße Aussage zugleich potentielle Beweismittel gegen sich selbst wegen noch verfolgbarer eigener Delikte liefern müsste, so ist ihm die Erteilung solcher Auskünfte nicht zumutbar ([X.] NJW 2002, 1411, 1412). 17 Eine solche Gefahr der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Zeugen H. [X.] hat das [X.] unter keinem rechtlichen Ge-sichtspunkt dargetan. 18 Die pauschalen Bekundungen anderer Zeugen, H. [X.] sei groß im Rauschgiftgeschäft tätig gewesen, sind keine ausreichenden tatsächlichen [X.] im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO zur Einleitung weiterer, über die abgeschlossenen hinausgehenden Verfahren. 19 Auch die Benennung seines Rauschgiftlieferanten in der Hauptverhand-lung begründet keine weitere Gefahr der Strafverfolgung für den Zeugen H. [X.] , die der [X.] unterliegt. In der vom [X.] zitier-ten Entscheidung des [X.] ging es um die erstmalige Preisgabe unbekannter Rauschgiftlieferanten, die nach Auffassung des Bun-desverfassungsgerichts die Gefahr für den Beschwerdeführer beinhaltete, [X.] - 8 - mindest mittelbare Ansatzpunkte für eine Strafverfolgung wegen von ihm [X.] weiterer, nicht abgeurteilter Betäubungsmitteldelikte zu liefern. Im vorliegenden Fall war der Lieferant des Zeugen H. [X.] aufgrund seiner eigenen Angaben jedenfalls seit dem Jahre 2002 bekannt. Sollte seine erneute Benennung als Rauschgiftlieferanten durch den Zeugen in der Hauptverhand-lung den Angeklagten dazu veranlassen, möglicherweise den Zeugen über die bereits bekannten Taten hinausgehend zu belasten, so ist dies vom [X.] der verfassungsrechtlich verbürgten [X.] nicht um-fasst ([X.] NJW 2003, 3045, 3046). Die Gefahr der Strafverfolgung wegen eines Aussagedeliktes hat das [X.] nicht konkretisiert. 21 c) Es ist nicht auszuschließen, dass die [X.] zu einer anderen Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gelangt wäre, wenn sie den Zeugen H. [X.] in der Hauptverhandlung vernommen hätte, weil sie selbst die fehlende Gewinnung eines persönlichen Eindrucks und die fehlende Mög-lichkeit von Fragestellungen zur Begründung ihrer Zweifel anführt. 22 Schon aufgrund der Verfahrensrüge muss das Urteil aufgehoben wer-den. 23 2. Darüber hinaus hält die Beweiswürdigung der [X.] nicht stand. 24 Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. 25 - 9 - Dass ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anfor-derungen gestellt sind. Es ist weder im Hinblick auf den [X.] noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., [X.], 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.). Dem wird die Beweiswürdigung des [X.] nicht gerecht. 26 a) Die übereinstimmende Benennung des Angeklagten als Rauschgiftlie-ferant durch die Zeugen [X.] und H. [X.] sowie deren weitere überein-stimmende Angaben im Kernbereich zieht das [X.] aufgrund abstrakt-theoretischer Möglichkeiten, die realer Anknüpfungspunkte entbehren, in [X.]. Für die Annahme, der Polizeibeamte [X.] habe dem Zeugen [X.] die Aussage des H. [X.] im Rahmen des [X.] mitgeteilt und dieser habe sie im Kernbereich übernommen, sowie für das Vorliegen einer Absprache ent-hält das Urteil keine konkreten Anhaltspunkte. Solche ergeben sich weder aus der Aussage des Polizeibeamten noch aus den dargelegten Angaben der bei-den Zeugen, die zum [X.] Ungereimtheiten und Widersprüche auf-weisen, wie das [X.] meint. 27 b) Im Übrigen ist der [X.] nicht auf ein entlastendes Indiz, wie hier geschehen, anzuwenden. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist keine Be-weis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeu-gung vom Vorliegen einer für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch [X.] entscheidungserhebliche Tatsache zu gewinnen vermag (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24, 27). 28 - 10 - c) Eine Gesamtschau der Urteilsgründe lässt besorgen, dass das Land-gericht an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung überspannte Anforderungen gestellt hat. 29 [X.] Boetticher [X.] Elf [X.]

Meta

1 StR 326/06

19.12.2006

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.12.2006, Az. 1 StR 326/06 (REWIS RS 2006, 144)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 144

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