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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz durch Nichtzulassung der verwaltungsprozessualen Revision trotz grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs 2 Nr 1 VwGO) - Berücksichtigung einer konventionswidrig überlangen Verfahrensdauer bei der Entscheidung in einem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren
Der Beschluss des [X.] vom 16. Februar 2010 - BVerwG 2 [X.] - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.
...
Der Beschwerdeführer, dem von den [X.] das Ruhegehalt aberkannt wurde, wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung seiner Nichtzulassungsbeschwerde durch das [X.].
Der Beschwerdeführer war seit 1975 - seit 1993 als verbeamteter Professor - an einer Musikhochschule in [X.] tätig. Im Juni 2003 erhob der [X.] [X.] nach Durchführung eines disziplinarrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Beschwerdeführer Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung und beantragte seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
1. Nachdem der Beschwerdeführer während des anhängigen gerichtlichen Verfahrens mit Ablauf des April 2006 in den Ruhestand getreten war, änderte der [X.] im Mai 2006 seine Klage und beantragte nunmehr die Aberkennung des Ruhegehaltes. Diesem Antrag entsprach das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Mai 2007. Die gegenüber dem Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung seien durch die Zeugenvernehmungen erwiesen. Das Dienstvergehen wiege so schwer, dass es die Verhängung der disziplinarrechtlichen [X.] erforderlich mache.
2. [X.] wies das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 6. November 2008 zurück. Der Ausspruch einer milderen Disziplinarmaßnahme sei auch nicht durch die Dauer des Disziplinarverfahrens gerechtfertigt; die Entfernung aus dem Dienst beziehungsweise die Aberkennung des Ruhegehaltes knüpfe an die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu dem Beamten an. Für die Berücksichtigung der Dauer des Disziplinarverfahrens bestehe insoweit kein Raum. Die Revision wurde nicht zugelassen.
3. Gegen die Nichtzulassung der Revision erhob der Beschwerdeführer Beschwerde zum [X.], zu deren Begründung er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensmangel geltend machte. Die annähernd vierjährige Dauer des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens könne in keinem Fall mehr als angemessen angesehen werden und verstoße gegen das in Art. 6 Abs. 1 der [X.] zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - [X.] - garantierte Recht auf ein faires Verfahren.
Das [X.] wies die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 16. Februar 2010 als unbegründet zurück (veröffentlicht u.a. bei [X.]). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sei nicht im Hinblick auf die Dauer des Disziplinarverfahrens wegen einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 [X.] begründet. Es sei in der Rechtsprechung geklärt, dass eine überlange Verfahrensdauer nicht entlastend berücksichtigt werden könne, wenn der Beamte - wie hier - durch sein Fehlverhalten das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn endgültig zerstört habe. Auch in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 [X.] habe die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil diese Vorschrift nach der Rechtsprechung der [X.] und der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf disziplinarische Maßnahmen gegen Beamte keine Anwendung finde.
Mit seiner gegen den Beschluss des [X.]s gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz. Entgegen der Rechtsauffassung des [X.]s sei die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Verletzung seines in Art. 6 Abs. 1 [X.] garantierten Rechts auf die Erlangung von Rechtsschutz innerhalb angemessener Frist zuzulassen gewesen.
Das [X.] hat der [X.]regierung und dem [X.] Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des [X.] waren beigezogen.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt im Sinne des § 93a Abs. 2 lit. b [X.]. Der Verfassungsbeschwerde ist von der Kammer stattzugeben, da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen vom [X.] bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).
Der angegriffene Beschluss des [X.]s verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Für das Disziplinarverfahren ergibt sich das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, soweit die Disziplinarbefugnis nicht durch die Disziplinarbehörden, sondern - dem Strafprozess vergleichbar - durch die als Disziplinargerichtsbarkeit fungierenden Verwaltungsgerichte ausgeübt wird (vgl. zur strafprozessualen Situation [X.] 112, 185 <207 f.>).
Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Einrichtung eines bestimmten [X.] (vgl. [X.] 92, 365 <410>; 104, 220 <231>; stRspr). Hat der Gesetzgeber sich jedoch für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. [X.] 77, 275 <284>; 78, 88 <99>; 84, 366 <369 f.>; 104, 220 <232>; 112, 185 <207 f.>). Dies ist insbesondere der Fall bei einer den Zugang zur nächsten Instanz erschwerende Auslegung und Anwendung des einschlägigen Verfahrensrechts, die schlechterdings nicht mehr vertretbar ist und sich danach als objektiv willkürlich erweist (vgl. [X.], 341 <343 f.>).
Das [X.] hat § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung) in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise falsch angewendet und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.
1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Sache zu, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche, noch ungeklärte Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. [X.] sind solche entscheidungserheblichen Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind. Hat das [X.] eine Rechtsfrage bereits geklärt, kann sich weiterer Klärungsbedarf ergeben, wenn neue Argumente ins Feld geführt werden, die das [X.] zu einer Überprüfung seiner Auffassung veranlassen könnten (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 29 m.w.N.).
2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, ob und wenn ja inwiefern eine konventionswidrig überlange Verfahrensdauer im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Disziplinarverfahrens zugunsten des Beamten berücksichtigt werden kann, obwohl ohne Berücksichtigung der Verfahrensdauer ein endgültiger Vertrauensverlust festzustellen wäre und der Beamte aus dem Dienst entfernt werden müsste, wurde vom [X.] in schlechterdings nicht mehr vertretbarer Weise verneint.
a) Die [X.] und ihre Zusatzprotokolle sind völkerrechtliche Verträge, die innerhalb der [X.] Rechtsordnung - soweit sie für die [X.] in [X.] getreten sind - im Range eines [X.]gesetzes stehen (vgl. [X.] 111, 307 <315 ff.>; [X.]K 10, 234 <239 f.>). [X.] Gerichte haben die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des [X.] im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden. Auch die Judikatur des [X.] muss zumindest zur Kenntnis genommen werden und in den Willensbildungsprozess des zu einer Entscheidung berufenen Gerichts einfließen (vgl. [X.] 111, 307 <324>).
In der Rechtsprechung des [X.] ist seit der Entscheidung der [X.] in der Rechtssache Eskelinen u.a. ./. Finnland (Urteil vom 19. April 2007 - 63235/00 -) geklärt, dass beamtenrechtliche Streitigkeiten dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 [X.] in seinem zivilrechtlichen Aspekt unterliegen, soweit der Staat nicht ausnahmsweise jeglichen gerichtlichen Rechtsschutz für solche Streitigkeiten ausgeschlossen hat und ausschließen durfte (vgl. a.a.[X.], Rn. 50 ff., 62). Wie durch die folgende Kammerrechtsprechung klargestellt wurde, gilt dies auch für beamtenrechtliche Disziplinarverfahren (vgl. [X.], Urteil vom 30. September 2008 - 37829/05 -, [X.], Rn. 4, 19; Urteil vom 5. Februar 2009 - 22330/05 -, [X.], Rn. 5, 34 ff., 44). Zuletzt stellte der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 [X.] wegen überlanger Verfahrensdauer in einer beamtenrechtlichen Disziplinarstreitigkeit durch die [X.] fest (Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 -, [X.], Rn. 37 ff.; veröffentlicht in nichtamtlicher [X.] Übersetzung in NVwZ 2010, S. 1015).
b) Angesichts dieser Rechtsprechung des [X.] durfte das [X.] die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf eine etwaige Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 1 [X.] nicht ohne Auseinandersetzung mit der genannten Rechtsprechung mit der Behauptung verneinen, Art. 6 Abs. 1 [X.] sei im [X.] Disziplinarverfahren schon nicht anwendbar. Der angegriffene Beschluss lässt eine Befassung mit der neueren Rechtsprechung des [X.] vollständig vermissen und bezieht sich ausschließlich auf ältere, mittlerweile überholte Entscheidungen und Literaturnachweise. Die Verneinung der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO durch das [X.] war danach unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und damit willkürlich.
Meta
19.10.2011
Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer
Stattgebender Kammerbeschluss
Sachgebiet: BvR
vorgehend BVerwG, 16. Februar 2010, Az: 2 B 62/09, Beschluss
Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 11 BDO, § 12 BDO, § 5 BDO, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 6 Abs 1 MRK, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19.10.2011, Az. 2 BvR 754/10 (REWIS RS 2011, 2213)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 2213
Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.
Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 754/10, 19.10.2011.
Bundesverwaltungsgericht, 2 B 62/09, 16.02.2010.
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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